EKG: Grundlagen

Allgemeine Informationen

Das elektrische System des Herzens

Das Herz: Leitungssystem
Leitungssystem des Herzens
  • Jedem Herzschlag geht ein elektrischer Impuls voraus, der über das Reizleitungssystem weitergeleitet wird und schließlich zur Depolarisation der Muskelfasern und damit zur Kontraktion führt.
  • In einem gesunden Herzen beginnt jeder Herzzyklus mit einem elektrischen Signal des Sinusknotens im rechten oberen Bereich des rechten Vorhofs (siehe Abbildung).
    • Der Sinusknoten ist im Allgemeinen das führende Erregungszentrum mit einer Eigenfrequenz von 60–100/min.
  • Vom Sinusknoten Ausbreitung der Erregung von Zelle zu Zelle sowie über Faserbündel Richtung linker Vorhof und AV-Knoten
  • Der AV-Knoten ist die Schaltstelle für die Bündelung der Vorhoferregung und anschließende Weiterleitung Richtung Kammern.
    • Verlangsamung der Erregungsausbreitung durch den AV-Knoten
  • AV-junktionaler Bereich (Vorhofbereich vor dem AV-Knoten, His-Bündel) möglicher sekundärer Impulsgeber
    • Impulsfrequenz 40–60/min, somit normalerweise vom Sinusknoten überlagert
  • Intraventrikuläre Aufteilung des His-Bündels in linken und rechten Tawaraschenkel
    • weitere Aufteilung des linken Tawaraschenkels in:
      • linksanterioren Faszikel
      • linksposterioren Faszikel.
  • Schließlich Aufteilung in zahlreiche Purkinjefasern als Endstrecke des Erregungsleitungssystems
    • Purkinjefasern sind tertiäres Zentrum der Impulsgebung mit Erregungsfrequenz 20–40/min.

Vektoren und Ableitungen

Vektoren

  • Das EKG erfasst die Abfolge der elektrischen Summationsvektoren während einer Herzaktion.
    • Der Summationsvektor entsteht durch Zusammenfassung aller Elementarvektoren (Größe und Richtung der Spannungsänderung einer Einzelzelle).
  • Die Richtung des Summationsvektors zeigt von erregtem zu unerregtem Muskel.
  • Der Summationsvektor des linken Ventrikels ist maßgeblich, da rechter Ventrikel viel muskelschwächer.
  • Ausschläge im EKG bestimmt durch:
    • Größe des Summationsvektors
    • Verhältnis der Richtungen von Summationsvektor und Ableitung
    • Abstand Elektrode – Summationsvektor.
  • Hauptrichtungen der Summationsvektoren der Erregungsausbreitung
    • Vorhöfe: von rechts oben nach links unten
    • Septum: von links oben nach rechts unten
    • Kammern: von rechts oben nach links unten (Summationsvektor des rechten Ventrikels kommt gegen den des linken Ventrikels nicht zur Geltung)
  • Der Summationsvektor der Erregungsrückbildung (T-Vektor) zeigt ungefähr in Richtung des Vektors der Erregungsausbreitung.

Projektion von Vektoren auf Ableitungen

  • Im EKG werden die Summationsvektoren auf die Ableitlinien projiziert.
  • Die abgeleitete Spannung ist am höchsten, wenn Vektor und Ableitung parallel verlaufen.
    • Stehen Vektor und Ableitung senkrecht aufeinander, beträgt die abgeleitete Spannung 0 Volt.
  • Zeigt der Vektor in die gleiche Richtung wie die Ableitung, entsteht ein maximal positiver Ausschlag.
    • Dementsprechend negativer Ausschlag, wenn der Vektor in die entgegengesetzte Richtung der Ableitung zeigt.

Standardableitungen des EKG, Cabrera-Kreis

  • Im Standard-EKG werden die Summationsvektoren auf zwei senkrecht zueinander stehende Ebenen mit jeweils 6 Ableitungen projiziert:
  1. Frontalebene
    • Einthoven-Ableitungen I, II, III (bipolar)
    • Goldberger-Ableitungen aVR, aVL, aVF (unipolar)
      • Übersichtliche Darstellung der Ableitungen der Fontalebene im Cabrerakreis, hilfreich vor allem bei der Bestimmung des Lagetyps
  2. Horizontalebene
    • Ableitungen V1, V2, V3, V4, V5, V6
EKG, Cabrerakreis

Zuordnung von Ableitungen zu Herzregionen

  • Mit dem EKG können Aussagen über Veränderungen in einzelnen Herzregionen getroffen werden.
    • Beim Myokardinfarkt ermöglicht dies eine genauere Eingrenzung des Infarktgeschehens (z. B. inferiorer Infarkt) mit Rückschlüssen auf das vermutlich betroffene Koronargefäß (z. B. ACD = rechte Herzkranzarterie).
  • Repräsentation einzelner Regionen (des linken Ventrikels) im EKG:
    • anterior (Vorderwand): I, aVL, V1–V6
    • anteroseptal (basale Vorderwand/Septum): V1–V3
    • anteroapikal (Herzspitze): V4, V5
    • lateral (Seitenwand): I, aVL, V5–V6
    • posterior (Hinterwand): Spiegelbildlich V1–V3
    • inferior: (Unterwand): II, III, aVF.

Anlage des EKG

  • Zum einfacheren Anlegen farbige Markierung der Extremitätenkabel:
    • schwarz – rechtes Bein 
    • rot – rechter Arm
    • gelb – linker Arm
    • grün – linkes Bein.
  • Anlage der Brustwandkabel V1–V6 vom 4. ICR (Interkostalraum) bis 5. ICR:
    • V1: 4. ICR rechts parasternal
    • V2: 4. ICR links parasternal
    • V3: zwischen V2 und V4 auf 5. Rippe
    • V4: 5. ICR Medioklavikularlinie
    • V5: 5. ICR vordere Axillarlinie
    • V6: 5. ICR mittlere Axillarlinie.
  • In seltenen Fällen können zusätzliche rechtsthorakale Ableitungen sinnvoll sein, z. B. akuter Myokardinfarkt mit Verdacht auf rechtsventrikuläre Beteiligung.
Platzierung der EKG-Elektroden.png
Platzierung der EKG-Elektroden

EKG-Aufzeichnung

Aufzeichnungsgeschwindigkeit und Zeitintervalle

  • Alle EKG-Geräte laufen mit standardisierten Geschwindigkeiten.
  • In Deutschland werden Ruhe-EKG routinemäßig mit 50 mm/s geschrieben.
    • Alternativ sind Aufzeichnungen mit 25 mm/s oder 10 mm/s möglich, wenn eine größere Anzahl von Herzzyklen dokumentiert werden soll.
  • Die Aufzeichnung erfolgt auf standardisiertem EKG-Papier mit einem standardisierten Kästchenmuster (Millimeterpapier).
  • Bei Schreibgeschwindigkeit 50 mm/s gilt:
    • Ein kleines Kästchen von 1 mm Länge entspricht einem Intervall von 0,02 s.
      • z. B. ein QRS-Komplex über 5 kleine Kästchen: Dauer der Erregungsausbreitung 0,1 s
    • Ein Quadrat von 5 mm Länge entspricht einem Intervall von 0,1 s.
      • Pro Sekunde werden somit 10 Quadrate beschrieben.
      • Pro Minute werden 600 Quadrate beschrieben.
    • Die Herzfrequenz lässt sich so ohne EKG-Lineal einfach durch Abzählen der Quadrate in einem RR-Intervall abschätzen.
      • Beispiel: 8 Quadrate in einem RR-Intervall, somit errechnet sich: 600 Quadrate/min: 8 Quadrate = Herzfrequenz 75/min.

Darstellung und Messung der Amplituden

  • Für die Darstellung und Messung der Amplituden gilt:
    • Positive Spannungsdifferenzen werden von der Nulllinie nach oben, negative Spannungsdifferenzen nach unten aufgezeichnet.
    • 1 kleines Kästchen (1 mm) entspricht 0,1 mV
    • 2 Quadrate (2 x 5 mm = 10 mm) entspricht 1 mV
    • Eine Eichzacke auf dem EKG-Streifen zeigt an, ob 10 mm tatsächlich 1 mV entspricht.

Aufzeichnungsprobleme

  • Zitterartefakte durch Muskelzittern 
    • Entsteht durch Bewegung der Person oder Anspannung der Muskulatur
    • Maßnahmen
      • Patient*in soll möglichst vollkommen ruhig und entspannt liegen.
      • bei Tremor in den Händen: Anbringen der Elektroden an den Schultern
      • bei Unruhe in den Beinen: Anbringen der Elektroden an den Beckenkämmen
  • Wandernde Grundlinie
    • variierendes Gleichstrompotenzial aufgrund atmungsbedingter Bewegungen des Thorax
    • Kann auftreten bei unzureichendem Kontakt zwischen Elektrode und Haut.
    • Maßnahmen: kurze Atempause während der Aufzeichnung, Überprüfung der Elektroden
  • Kein Ausschlag, nur gerade Linien
    • Kontaktverlust zwischen Elektrode und Haut
    • Maßnahme: Elektrode neu platzieren
  • Starke Ausschläge
    • Überlagerung von sehr großamplitudigen QRS-Komplexen
    • Maßnahme: Umschalten der Eichung auf 1 mV = 5 mm, dies sollte aber nur im absoluten Ausnahmefall erfolgen, um Fehlmessungen/-interpretationen zu vermeiden.

Einzelne Anteile des EKG

P-Welle und PQ-Zeit

 

Bezeichnung der einzelnen EKG-Abschnitte
Bezeichnung der einzelnen EKG-Abschnitte
  • P-Welle
    • Darstellung der Vorhoferregung im EKG
    • Halbrunde Welle mit kleiner Amplitude (Amplitude physiologisch ≤ 0,2 mV), Dauer ≤ 0,11 s
    • meistens in Abl. II am besten sichtbar
      • elektrische Achse der P-Welle von rechts oben nach links unten, in etwa entsprechend Ableitung II
  • PQ-Zeit
    • Die PQ-Zeit erfasst den Zeitraum von Beginn der Vorhoferregung bis Beginn der Kammererregung.
    • Die PQ-Zeit schließt somit die AV-Überleitung mit ein.
    • Messung von Beginn der P-Welle bis Beginn QRS-Komplex
    • normal 0,12–0,20 s

QRS-Komplex

  • Darstellung der Erregungsausbreitung in den Herzkammern
  • Normale Breite ≤ 0,10 s, Amplitude ≤ 2,6 mV
  • Bezeichnung der Zacken
    • Q-Zacke = negative Zacke vor der ersten positiven Zacke
    • R-Zacke = positive Zacke
      • Zweite positive Zacke wird als R'-Zacke bezeichnet.
      • Große Zacken werden mit R, kleine Zacken mit r bezeichnet.
    • S-Zacke = negative Zacke
      • Zweite negative Zacke wird als S' bezeichnet.
      • Große Zacken werden mit S, kleine Zacken mit s bezeichnet.
  • Q-Zacke
    • Ausdruck der Septumerregung (physiologisch über den linken Tawaraschenkel)
    • Das normale septale Q ist eine kleine Q-Zacke in den nach links zeigenden Ableitungen (I, aVL, V6).
  • R-Zacke und S-Zacke
    • Ausdruck der restlichen Kammererregung nach der initialen Septumerregung
    • Die Form des QRS-Komplexes in den Extremitätenableitungen ist vor allem abhängig vom Lagetyp.
    • normalerweise Zunahme der Amplitude der R-Zacke in den Brustwandableitungen V1–V5 („normale R-Progression“)
    • normalerweise R/S-Umschlag in Ableitungen V2/V3 oder V3/V4 (d. h. R-Zacke wird größer als S-Zacke)

ST-Strecke, T-Welle, U-Welle 

  • ST-Strecke und T-Welle sind Ausdruck der Erregungsrückbildung der Herzkammern.
  • ST-Strecke
    • Entspricht dem Beginn der Erregungsrückbildung.
    • Zeit vom Ende des QRS-Komplexes bis zum Beginn der T-Welle
      • Die Dauer der der ST-Strecke wird üblicherweise nicht bestimmt.
    • Die ST-Strecke verläuft physiologisch auf der isoelektrischen Linie.
  • T-Welle
    • in Extremitätenableitungen physiologisch Konkordanz von T-Welle und QRS-Komplex (d. h. T-Welle zeigt in die gleiche Richtung von der isoelektrischen Linie aus wie der QRS-Komplex)
    • in Brustwandableitungen negative T-Welle in Abl. V1(–V2) physiologisch, in den übrigen Brustwandableitungen positive T-Welle 
  • U-Welle
    • flache Welle nach der T-Welle
    • im Allgemeinen bedeutungslos
    • Wird nicht ausgemessen.
    • Bei der Bestimmung der QT-Zeit U-Welle nicht versehentlich mitmessen!

QT-Zeit

  • QT-Zeit umfasst sowohl Erregungsausbreitung als auch -rückbildung der Kammern.
  • QT-Zeit ist frequenzabhängig.
  • Bezogen auf die Herzfrequenz kann eine korrigierte QT-Zeit (QTc) bestimmt werden. 

Lagetyp

  • Der Lagetyp (oder elektrische Herzachse) entspricht der Projektion des elektrischen Hauptverktors auf die Frontalebene.
    • Nicht zu verwechseln mit der anatomischen Herzachse!
  • Die Bestimmung des Lagetyps erfolgt aus den Extremitätenableitungen.
  • Festlegung mit mehreren unterschiedlichen Methoden möglich
  • Ein mögliches Vorgehen zur Bestimmung des Lagetyps:
    • Schritt 1: Welches ist die Extremitätenableitung mit dem größten positiven Ausschlag des QRS-Komplexes, d. h. der größten R-Zacke? Damit ist die ungefähre Richtung des Lagetyps festgelegt.
    • Schritt 2: Welches ist die Ableitung, in der die resultierende Fläche des QRS-Komplexes 0 beträgt (d. h. R = S)? Auf dieser Ableitung steht die elektrische Achse senkrecht.
      • Fläche leicht positiv: Die elektrische Achse zeigt geringfügig zu dieser Ableitung hin.
      • Fläche leicht negativ: Die elektrische Achse zeigt geringfügig von dieser Ableitung weg.
    • Der Lagetyp wird quantitativ in Winkelgraden auf dem Cabrera-Kreis angegeben.
    • Qualitativ ergeben sich hieraus folgende Lagetypen:
      • überdrehter Linkstyp: < –30°
      • Linkslagetyp: –30° bis +30°
      • Indifferenztyp: +30° bis +60°
      • Steiltyp: +60° bis +90°
      • Rechtstyp: +90° bis +120°
      • überdrehter Rechtstyp: > +120°.

Beispiele von EKG-Befunden bei verschiedenen Herzachsen

  • Normale Herzachse
    • QRS-Komplexe von Abl. I, II und III sind positiv und der Ausschlag von Abl. II ist größer als der von Abl. I und III.
Normale Herzachse
Normale Herzachse
  • Achsenabweichung nach rechts
    • Abl. I zeigt negativen, Abl. III stark positiven Ausschlag.
Achsenabweichung nach rechts
Achsenabweichung nach rechts
  • Achsenabweichung nach links
    • Ableitung I ist positiv, Ableitung II und vor allem Abl. III negativ.
Achsenabweichung nach links
Achsenabweichung nach links
  • Bedeutung der Achsenabweichungen
    • Achsenabweichungen können bei Schenkelblöcken auftreten oder Hinweis für eine Links- oder Rechtsherzbelastung sein.
    • Bei Änderungen der Herzachse im Vgl. zum Vorbefund ist nach der klinischen Ursache zu fragen.

Automatisierte EKG-Auswertung

  • Moderne EKG-Geräte bieten z. T. automatische Auswertungen der Aufzeichnungen an.
  • Diese können im Einzelfall korrekt sein, nicht selten führen die Auswertungsalgorithmen aber zu Fehlmessungen oder Fehlinterpretationen.
  • Die automatische Auswertung ersetzt nicht die persönliche Befundung durch die Ärzt*innen!

EKG-Lineal

  • Einfaches, aber wichtiges Instrument für die manuelle EKG-Auswertung
  • Folgende Skalen finden sich auf allen EKG-Linealen:
    • Skala für die Herzfrequenzbestimmung (meistens für 50 mm/s und 25 mm/s Schreibgeschwindigkeit)
    • Skala für die Messung von Zeiten
    • Skala für die Messung von Amplituden.
  • Manche EKG-Lineale geben darüber hinaus weitere Informationen wie z. B.:
    • Cabrera-Kreis
    • Tabellen für frequenzabhängige Normwerte für PQ-Zeit oder QT-Zeit
    • u. a.

Weitere Informationen zum EKG

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Das Herz: Leitungssystem
Elektrisches System des Herzens
Platzierung der EKG-Elektroden.png
Platzierung der EKG-Elektroden
 
Bezeichnung der einzelnen EKG-Abschnitte
Bezeichnung der einzelnen EKG-Abschnitte
EKG, Cabrerakreis
EKG, Cabrerakreis
Normale Herzachse
Normale Herzachse
Achsenabweichung nach rechts
Achsenabweichung nach rechts
Achsenabweichung nach links
Achsenabweichung nach links

Quellen

 

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg im Breisgau

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