Katarakt

Zusammenfassung

  • Definition:Eintrübung der Augenlinse (sog. grauer Star); meistens natürlicher Alterungsprozess. Außerdem: Katarakt bei systemischen Erkrankungen, medikamentös induzierte Katarakt, Strahlenkatarakt, Katarakt als Komplikationsfolge/nach Verletzungen und angeborener Katarakt.
  • Häufigkeit:Typischerweise in der 5.–6. Lebensdekade, aber auch in seltenen Fällen bei Kindern oder Älteren.
  • Symptome:Visusverschlechterung, Blendungsempfindlichkeit und monokulare Doppelbilder.
  • Befunde:Verschattung Fundusrotreflexes beim Brücknertest.
  • Diagnostik:Zusatzuntersuchungen ohne diagnostischen Wert.
  • Therapie:Operatives Entfernen der Augenlinse und Einsetzen einer Kunstlinse.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eintrübung der Augenlinse, führt zu Visusverschlechterung, Blendungsempfindlichkeit und monokularen Doppelbildern.
  • Erkrankung kann weder verzögert noch verhindert werden, einzige Behandlung ist operativ.
  • Ursachen: angeboren, altersbedingt (dominierend), konsekutiv, sekundär und traumatisch1-2
  • Klinisch relevant, sobald die Sehfähigkeit deutlich eingeschränkt ist.

Häufigkeit

  • Viele Betroffene suchen aufgrund der schleichenden Veränderung keine ärztliche Hilfe.1
  • Prävalenz
    • Inzidenz: 5.–6. Lebensdekade, Einzelfälle auch bei Kindern und Älteren3
    • Frauen sind häufiger betroffen als Männer.2,4
    • in Europa dritthäufigste Ursache für Erblindung und zweithäufigste Ursache für eine Sehverschlechterung
    • Anteil an Erblindungsursache: 15 % in Industrieländer, 50 % in ärmeren Ländern4
    • weltweit ca. 94 Mio. Menschen erkrankt5, im Jahr 2020 sind ca. 17 Mio. Menschen durch Katarakterkrankung erblindet.4
    • zunehmende Häufigkeit aufgrund des demografischen Wandels
  • Kongenitale Katarakt
    • selten, wichtigste Ursache für Blindheit bei Kindern

Ätiologie und Pathogenese

  • Multifaktorielle, altersbedingte Veränderungen des Metabolismus der Linse, die zu Veränderung der Farbe und der Proteinzusammensetzung führen.3
    • Proteinveränderung der Linse (Kristallinen) beeinflussen die Lichtbrechung und reduzieren die Linsenklarheit, es resultiert eine Verminderung der Sehschärfe.
  • Mitwirkende Faktoren
    • andere intraokuläre Erkrankungen
    • systemische Erkrankungen
    • medikamentöse oder metabolische Einwirkung
    • Lebensstil wie Rauchen und Übergewicht6-7
    • Verletzungen
  • Angeborene Katarakt: erblich oder exogen (z. B. nach Rötelnerkrankung der Mutter während der Schwangerschaft)

Haupttypen der altersbedingten Katarakt

  • Kernkatarakt (Cataracta nuclearis)
    • Alterungsprozess der Linse/Sklerosierung: Neue Faserschichten werden gebildet, der Linsenkern wird zusammengedrückt, fester und gelblicher.
    • Verlauf langsam über viele Jahre
    • Kann einerseits lediglich zur leichten Beeinträchtigung des Sehvermögens oder einer Myopisierung aufgrund des erhöhten Brechungsindexes des Linsenkernes führen.
    • aber auch zur deutlichen Verschlechterung des Sehvermögens (Weit- als auch das Nahsehen) und Beeinträchtigung des Farbsehens (durch milchig gelbe Linse wird Blauanteil des Farbspektrums herausgefiltert)
  • Rindenkatarakt (Cataracta corticalis)
    • Innerhalb der Linsenkapsel (Kortex) entstehen neue Fasern auf der Oberfläche.
    • Mit zunehmendem Alter werden trübe Linsenfasern gebildet, meistens zuerst peripher in der Äquatorregion des Kortex.
    • Symptomatisch, wenn die Eintrübung die optische Achse erreicht hat, was von der Pupillengröße abhängt.
  • Cataracta subcapsularis posterior
    • Subkapsuläre und meist granulare Eintrübungen, die im zentralen hinteren Kapselbereich vorkommen.
    • Erkrankung kann auch bei jüngeren Patient*innen auftreten.
    • Eintrübungen liegen in der Mitte der optischen Achse und können bereits frühzeitig zu großen Sehproblemen führen.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • F92 Katarakt

ICD-10

  • H25 Grauer Star, altersbedingt
    • H25.0 Beginnender altersbedingter grauer Star
    • H25.1 Kernstar bei Älteren
    • H25.2 Altersbedingter grauer Star, Typ Morgagni
    • H25.8 Altersbedingter grauer Star, NB
    • H25.9 Altersbedingter grauer Star, NNB
  • H26 Sonstiger grauer Star
    • H26.0 Infantile, juvenile und präsenile Katarakt
    • H26.1 Traumatische Katarakt
    • H26.2 Komplizierte Katarakt
    • H26.3 Durch Arzneimittel verursachte Katarakt
    • H26.4 Nachstar
    • H26.8 Sonstiger grauer Star, NB
    • H26.9 Altersbedingter grauer Star, NNB
  • H27 Sonstige Krankheitszustände in der Linse (Lens crystallina)
    • H27.0 Aphakie
    • H27.1 Linsendislokation
    • H27.8 Sonstige Krankheitszustände in der Linse, NB
    • H27.9 Krankheitszustände in der Linse, NNB
  • H28 Grauer Star und andere Krankheitszustände in der Linse bei anderenorts klassifizierten Erkrankungen
    • H28.0 Grauer Star bei Diabetes mellitus
    • H28.1 Grauer Star bei sonstigen endokrinen Erkrankungen, Ernährungserkrankungen und metabolischen Störungen
    • H28.2 Grauer Star bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
    • H28.8 Sonstige Krankheitszustände in der Linse bei anderenorts klassifizierten Erkrankungen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Verschattungen des Fundusrotreflexes beim Durchleuchtungstest nach Brückner (direkte Ophthalmoskopie)
    • weitere Abklärung durch Augenärzt*in

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Langsame zunehmende Verschlechterung des Sehvermögens über mehrere Jahre 
    • einseitig oder doppelseitig
    • insbesondere beim Weitsehen
  • Doppelbilder, meist einseitig
  • Blendungsüberempfindlichkeit gegenüber starkem Licht
    • Sonnenlicht, entgegenkommende Autos im Tunnel etc.
    • Lichteffekte wie Rainbow Halo
  • Veränderungen des Farben- und Kontrastsehens

Klinische Untersuchung

  • Sehtest mit Sehtafel
    • verminderter Visus bis hin zur Erblindung
      • bei vorgehaltener Lochblende meist besser (Test mit stenopäischer Lücke)
  • Fundusrotreflex-Test (Brückner-Test)
    • einfache und schnelle Untersuchung mit dem Ophthalmoskop
      • Mit einem direkten Ophthalmoskop beide Augen aus der Ferne beleuchten und durch das Einblickfenster des Ophthalmoskops gleichzeitig betrachten und vergleichen.
      • Hinweise auf visusrelevante Katarakte (Verschattung des Rotreflex = Trübung der Augenlinse)
      • Befunde durch Ophthalmolog*in weiter abklären.
    • Ein Katarakt ist aus 10–20 cm Abstand einfach erkennbar.
      • getrübtes Pupillenleuchten bzw. Schatten im Rotreflex

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Ophthalmoskopie  
    • unterschiedlich ausgeprägte Verschattung des Fundusrotreflexes
    • Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Augenhintergrunds
  • Evtl. Spaltbogenlampe
    • Untersuchung der Linse nach Pupillendilatation
  • Abdecktest: Katarakt kann Schielen begünstigen.3
  • Fundus-, vordere Augenkammer und Hornhautuntersuchungen zur Risikoabschätzung des operatives Outcomes3
  • Tonometrie

Präoperative Überlegungen

  • Meist multimorbide Patient*innen mit ggf. kombinierter Operation12-13
  • Bisher keine Standards präoperativer Testungen vor Kararaktoperationen13
  • Optimierung der chronischen Erkrankung für ein geringeres OP-Risiko3

Indikationen zur Überweisung

  • Kongenitale/juvenile Katarakt
    • frühzeitig zur Verhinderung der Entwicklung einer Amblyopie 
  • Erworbene Katarakt/seniler Katarakt
    • Ausschluss anderer zugrunde liegender Erkrankungen
    • ggf. Ausgleich des beeinträchtigten Sehvermögens mithilfe von passenden Brillengläsern (bis zu einem gewissen Grad)
    • Indikationsstellung zur Kataraktoperation (nach Bewertung der Gesamtsituation der Patient*innen und deren Anforderungen an das Sehen im Alltag)

Therapie

Therapieziel

  • Sehschärfe verbessern.

Medikamentöse Therapie

  • Kaum von Bedeutung bei Vorbeugung und Therapie
  • Therapieversuch mit Mydriatika bei beginnender Linsentrübung nahe der optischen Achse – eine Pupillendilatation kann die Sehschärfe verbessern.3

Operative Therapie

  • Eine Indikation zur operativen Therapie besteht bei Sehminderung 6/24 Snellen (amerikanische Einheit, entspricht in etwa Visus 0,25) oder bei Indikation aufgrund einer anderen Augenerkrankung zur Kombinationsoperation.3
  • Die Operationstechnik entscheidet sich nach Lebensalter und Flexibilität der Linsen.
    • Grundprinzip: Implantation einer intraokulären Kunstlinse (IOL)
    • Eine extrakapsuläre Linsenextraktion wird gegenüber der intrakapsulären Linsenextraktion heutzutage bevorzugt (weniger Komplikationen).
    • Techniken: Phakoemulsifikation oder Femtosekundenlaser, sehr selten manuelle extrakapsulare Kataraktextraktion (ECCE)3,14
  • Der Eingriff erfolgt ambulant und unter örtlicher Betäubung.

Prävention

  • Regelmäßige Untersuchungen von genetischen Risikopatient*innen (Trisomie 21, Zellweger-Syndrom, Marfan-Syndrom)
  • Reduktion der Risikofaktoren: metabolische Einstellung bei Stoffwechselerkrankungen, Lebensstil6-7, Medikation

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Katarakt kann zur Erblindung führen, nicht aber zum Verlust des Hell-/Dunkelsehens.
  • Traumen, ggf. mit Eindringen von Fremdkörpern in die Linse, führen zur beschleunigten Kataraktentwicklung.

Operative Komplikationen 

  • Operationsrisiken3
    • Kapselruptur
    • Hyphäma (Blutansammlung in der vorderen Augenkammer)
    • suprachoroidale Blutung (SCH)15
  • Postoperative Komplikationen

Prognose

  • Zunehmende Verschlechterung bei altersbedingter Katarakt, die Progressionsgeschwindigkeit ist nicht vorhersehbar.
  • Gute Prognose nach operativer Behandlung
    • Ein hoher Anteil der Operierten erreicht postoperativ ein Sehvermögen von 100 %, die Komplikationsraten sind gering.

Verlaufskontrolle

  • Durch Augenärzt*innen

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Eine Katarakt ist meist eine natürliche, altersbedingte Veränderung.
    • „Grauer Star ist genauso normal wie graues Haar“.
  • Sehr gute Ergebnisse nach operativer Therapie3

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Angeborene Katarakt: zentrale zonuläre Trübungen
Angeborene Katarakt: zentrale zonuläre Trübungen

Quellen

Literatur

  1. Reidy A, Minassian DC, Vafidis G, Joseph J, Farrow S, Wu J, et al. Prevalence of serious eye disease and visual impairment in a north London population: population based, cross sectional study. BMJ 1998;316: 1643-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Lee C, Afshari N. The global state of cataract blindness. Curr Opin Ophthalmol. 2017; 28(1): 98-103. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Nizami A, Gulani A. Cataract. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing, 2022. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. IAPH: Cataract, 14.03.2022. www.iapb.org
  5. WHO. Blindness and vision impairment, 10/2021. www.who.int
  6. Chiu T, Chang C, Lin C, et al. A Vegetarian Diet Is Associated with a Lower Risk of Cataract, Particularly Among Individuals with Overweight: A Prospective Study. J Acad Nutr Diet 2021; 121(4): 669-677. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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  12. Creuzot-Garcher C, Mariet A, Benzenine E, et al. Is combined cataract surgery associated with acute postoperative endophthalmitis? A nationwide study from 2005 to 2014. Br J Ophthalmol . 2019; 103(4): 534-538. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
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  15. S. Koksaldi, C. Utine, M. Kayabasi. Management of Suprachoroidal Hemorrhage during Cataract Surgery: A Case Report. Beyoglu Eye J 2022; 1: 66-70. pmid:35265805 PubMed
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Autor*innen

  • Claudia Wengert, Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin, Geriatrie und Palliativmedizin, Hamburg

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