Thrombozytose

Zusammenfassung

  • Definition:Thrombozyten > 450.000/µl im peripheren Blut.
  • Häufigkeit:Ca. 2 % der Patient*innen > 40 Jahre in der Hausarztpraxis. In 80–90 % der Fälle sekundäre Thrombozytose.
  • Symptome:Häufig asymptomatisch, Symptome der Grunderkrankung bei sekundärer Thrombozytose. Symptome von Mikro- und Makrozirkulationsstörungen bei primärer Thrombozytose. 
  • Befunde:Befunde einer Grunderkrankung bei sekundärer Thrombozytose. Bei primärer Thrombozytose Zeichen venöser oder arterieller Thrombosen, Erythromelalgie, Splenomegalie.
  • Diagnostik:Labor (Differenzialblutbild, Blutausstrich), je nach Klinik Abklärung einer Grunderkrankung für sekundäre Thrombozytose. Bei V. a. primäre Thrombozytose hämatologische Abklärung (Gendiagnostik, Knochenmarkspunktion).
  • Therapie:Bei sekundärer Thrombozytose vor allem Therapie der Grunderkrankung, ASS im Allgemeinen nicht indiziert. Bei primärer Thrombozytose neben spezifischer Therapie der Grunderkrankung auch Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Anzahl der Thrombozyten > 450.000/µl
    • allgemein akzeptierter Grenzwert bei variierenden Angaben in der Literatur1 

Häufigkeit

  • Bei ca. 1,5–2,2 % der Patient*innen > 40 Jahre in der hausärztlichen Versorgung wird eine Thrombozytose festgestellt.2
  • In der überwiegenden Zahl der Fälle (ca. 80–90 %) handelt es sich um sekundäre Thrombozytosen.3
  • Die jährliche Inzidenz myeloproliferativer Erkrankungen als wichtigste Ursache primärer Thrombozytosen beträgt 0,5–2/100.000.

Problemstellung für die hausärztliche Praxis

  • Nicht selten Zufallsbefund im Routine-Blutbild4
  • Aufgrund des breiten Ursachenspektrums aus zahlreichen reaktiven, aber auch primär neoplastischen Erkrankungen sollte eine Thrombozytose ernst genommen und abgeklärt werden.
    • Patient*innen mit Thrombozytose in der Primärversorgung haben ein erhöhtes Risko für das Vorliegen eines Tumors.5
  • Identifikation sekundärer Thrombozytosen im klinischen Kontext in Kombination mit laboranalytischer Basisdiagnostik
  • Beachtung von „Red Flags“, die eine weitere hämatologische Abklärung begründen.

Ätiologie und Pathogenese

Primäre Thrombozytosen

  • Bei primären Thrombozytosen besteht ein Defekt der megakaryozytären Progenitorzelle.
  • Klinisch reicht das Spektrum in Abhängigkeit von der Funktionsfähigkeit der Thrombozyten von Thrombosen bis Blutungen.
Myeloproliferative Neoplasien
Sonstige hämatologische Neoplasien

Sekundäre (reaktive) Thrombozytose

Passager auftretend3-4
  • Akute Infektionen
  • Akute entzündliche Erkrankungen
  • Blutung
  • Rebound nach Thrombozytopenie
  • Trauma
  • Postoperativ
  • Körperliche Anstrengung
Länger anhaltend3-4
  • Eisenmangel
    • wichtige Ursache bei isolierter Thrombozytose
    • Die Genese der Thrombozytose infolge von Eisenmangel ist ungeklärt.
  • Chronische Infektionen
  • Chronische entzündliche Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis, Kollagenosen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen)
  • Malignome
    • am häufigsten kolorektale und Lungenkarzinome bei Patient*innen in der Primärversorgung, aber auch andere Malignome2
  • Asplenie 
  • Hämolytische Anämie
  • Arzneimittel
    • z. B. Kortikosteroide 

Hereditär

  • Familiäre Thrombozytose (autosomal-dominant oder x-chromosomal rezessiv, sehr selten < 1:1000.000)

Pseudothrombozytose

  • Fragmentozyten
  • Mikrozytäre Erythrozyten
  • Kryoglobuline
  • Bakterien

ICPC-2

  • B04 Blut/Blutsymptomatik/Beschwerden
  • B99 Blut-/Lymph-/Milzerkrankung, andere

ICD-10

  • D47 Sonstige Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes
    • D47.3 Essentielle (hämorrhagische) Thrombozythämie
  • D75 Sonstige Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe
    • D75.9 Krankheit des Blutes und der blutbildenden Organe, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Thrombozyten im peripheren Blut > 450.000/µl 

Anamnese

  • Häufig Zufallsbefund im Routine-Blutbild
  • Symptome einer Grunderkrankung mit reaktiver, sekundärer Thrombozytose?
  • Symptome, die auf primäre Thrombozytose hindeuten können:
    • Mikrozirkulationsstörungen
      • Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel
      • schmerzhafte Überwärmung/Rötung an Handflächen, Fußsohlen, Unterschenkeln (Erythromelalgie)
    • Makrozirkulationsstörungen
      • Symptome venöser oder arterieller Thrombosen/Thrombembolien
    • Blutungsneigung
  • Medikamente (z. B. Kortikosteroide)

Klinische Untersuchung

  • Zeichen einer Grunderkrankung mit möglicher sekundärer Thrombozytose?
  • Mögliche Hinweise für primäre Thrombozytopenie?

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor

Red Flags für primäre Thrombozytose

Klinik

  • Venöse Thrombembolien, insbesondere:
    • atypische Lokalisation
    • multiple Lokalisationen
    • unprovoziert, rezidivierend
  • Arterielle Thrombembolien, insbesondere jüngere Patient*innen ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren
  • Unklare Blutungen
  • B-Symptomatik
  • Splenomegalie
  • Pruritus
  • Vasomotorische Symptome

Blutausstrich

  • Blasten
  • Leukoerythroblastäres Blutbild (kernhaltige Erythrozyten, myeloische Vorstufen)
  • Dysplastische Veränderungen einer oder mehrerer Zellreihen

Diagnostik bei Spezialist*innen

Hämatologie

  • Molekulargenetische Mutationsanalysen,
  • Knochenmarkpunktion,

Weitere Untersuchungen

  • Ergänzende apparative Abklärungen von malignen oder chronisch-entzündlichen Erkrankungen

Algorithmus Basisabklärung

  • Ein Algorithmus zur Basisabklärung einer Thrombozytose kann folgendermaßen aussehen:
  • Klinisches Bild, Basislabor (Blutbild inkl. Blutausstrich, Entzündungsparameter, Eisenstatus)
    • Falls Red Flags für primäre Thrombozytose: Überweisung an Hämatolog*in
  • Keine Red Flags und V. a. sekundäre Thrombozytose
    • Eisenmangel
      • Ursache? Substitution
      • BB nach 4–8 Wochen
    • Infektion/Entzündung
      • Therapie der Grunderkrankung
      • wenn kontrolliert, BB nach 4–8 Wochen
    • Gewebetrauma/Blutung
      • BB nach 4–8 Wochen
    • Hinweis auf soliden Tumor
      • weitere Abklärung
    • Hypo-/Asplenismus (z. B. nach Splenektomie)
      • keine weitere Abklärung, falls ohne Dynamik im Verlauf
  • Keine Red Flags, kein V. a. sekundäre Thrombozytose
    • Kontrolle BB nach 2–3 Monaten
      • bei persistierender Thrombozytose Überweisung an Hämatolog*in
      • bei Normalisierung keine weitere Abklärung

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Red Flags oder anhaltender Thrombozytose ohne Hinweis auf eine sekundäre Genese

Therapie

Primäre Thrombozytosen

Sekundäre Thrombozytosen

  • Die Behandlung besteht in erster Linie aus der Therapie der Grunderkrankung.
  • Bei sekundären Thrombozytosen ist ein Nutzen von ASS nicht belegt, die Thrombozytose per se scheint das Thromboserisiko nicht relevant zu erhöhen.
    • Im Einzelfall kann eine ASS-Gabe bei sehr hohen Thrombozytenzahlen (z. B. > 1.000.000/µl) erwogen werden.4,6

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Abhängig von der Grunderkrankung

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Bleeker J, Hogan W. Thrombocytosis: Diagnostic Evaluation, Thrombotic Risk Stratification, and Risk-Based Management Strategies. Thrombosis 2011; 2011: ID 536062. doi:10.1155/2011/536062 DOI
  2. Bailey SE, Ukoumunne OC, et al. Clinical relevance of thrombocytosis in primary care: a prospective cohort study of cancer incidence using English electronic medical records and cancer registry data. Br J Gen Pract. 2017 Jun;67(659):e405-e413. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Jaishankar D. Secondary thrombocytosis. Medscape, updated Aug 10, 2022. Zugriff 11.12.22. emedicine.medscape.com
  4. Griesshammer M, Bangerter M, Sauer T, et al. Aetiology and clinical significance of thrombocytosis: analysis of 732 patients with an elevated platelet count. J Intern Med 1999;245:295-300. PubMed
  5. Bailey S, Ukoumunne O, Shepard Eet al. How useful is thrombocytosis in predicting an underlying cancer in primary care? a systematic review. Fam Pract. 2017;34:4-10. doi: 10.1093/fampra/cmw100. Epub 2016 Sep 28. Review. PubMed PMID: 27681942. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Harrison CN, Bareford D, Butt N, et al; British Committee for Standards in Haematology. Guideline for investigation and management of adults and children presenting with a thrombocytosis. Br J Haematol. 2010;149:352-375. PubMed
  7. Rumi E, Cazzola M. How I treat essential thrombocythemia. Blood. 2016 Nov 17;128(20):2403-2414. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Tefferi A, Vannucchi AM, Barbui T. Essential thrombocythemia treatment algorithm 2018. Blood Cancer J. 2018 Jan 10;8(1):2. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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