Mastozytose

Zusammenfassung

  • Definition:Die Mastozytose umfasst eine Gruppe seltener heterogener Neoplasien, gekennzeichnet durch Infiltration abnormaler Mastzellen in verschiedenen Organen oder Geweben.
  • Häufigkeit:Seltene Erkrankung, Prävalenz ca. 1:10.000, jährliche Inzidenz ca. 1:100.000. Bei Erwachsenen überwiegend systemische Mastozytose, bei Kindern kutane.
  • Symptome:Vielfältige u. a. kutane, gastrointestinale, respiratorische, kardiozirkulatorische Symtpome. Stark erhöhtes Risiko für anaphylaktische Reaktionen (v. a. nach Hymenopterenstichen, aber auch andere Auslöser).
  • Befunde:Bei kutaner Beteiligung makulopapuläses Exanthem. Bei fortgeschrittener systemischer Mastozytose Hepatosplenomegalie, Zeichen der Malabsorption.
  • Diagnostik:Erhöhte Tryptase i. S. Knochenmarksuntersuchung, Nachweis einer KIT-Mutation.
  • Therapie:Symptomatische Basistherapie mit Antihistaminika. Bei fortgeschrittener Erkrankung zytoreduktive medikamentöse Therapie. Supportive Maßnahmen wie Vermeidung von Triggerfaktoren, Ausstattung mit Anaphylaxie-Notfall-Set.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Mastozytose umfasst eine Gruppe seltener heterogener Neoplasien, gekennzeichnet durch Infiltration abnormaler Mastzellen in verschiedenen Organen oder Geweben.
    • Der überwiegende Teil erwachsener Patient*innen leidet an einer systemischen Mastozytose.
  • Vielfältige klinische Symptome, es besteht ein erhöhtes Anaphylaxie-Risiko.

Klassifikation nach WHO 2022

  • Die Mastozytose umfasst unterschiedliche klinische Manifestationen.
  • Grundsätzlich wird sie in drei Hauptgruppen unterteilt mit verschiedenen Unterformen.
  • Systemische Mastozytose
    • indolente systemische Mastozytose
    • schwelende („smouldering“) systemische Mastozytose
    • Knochenmark-Mastozytose
    • aggressive systemische Mastozytose
    • systemische Mastozytose mit einer begleitenden hämatologischen Neoplasie
    • Mastzellleukämie
  • Kutane Mastozytosen
    • Urticaria pigmentosa/makulopapulöse kutane Mastozytose
      • monomorphe Form
      • polymorphe Form
    • diffuse kutane Mastozytose
    • kutanes Mastozytom
    • isoliertes Mastozytom
    • multilokalisiertes Mastozytom
  • Mastzellsarkom (Rarität)

Häufigkeit

  • Prävalenz und Inzidenz
    • seltene Erkrankung, Prävalenz ca. 1:10.000, jährliche Inzidenz ca. 1:100.000
  • Geschlecht
    • bei Frauen und Männern ungefähr gleich häufig
  • Alter
    • Kann in jedem Alter auftreten.
    • Erwachsene ca. 40 % der Fälle
      • überwiegend systemische Mastozytosen
    •  Kinder ca. 60 % der Fälle
      • überwiegend kutane Mastozytosen

Ätiologie und Pathogenese

  • Mastzellen stammen von hämatopoetischen Knochenmarkszellen ab, sie sind wichtige Effektorzellen des Immunsystems (Abwehr von Viren, Pilzen, Bakterien).
  • Mastzellen befinden sich in fast allen Geweben des Körpers, insbesondere in der Nähe von epithelialen Oberflächen, Blut- und Lymphgefäßen und peripheren Nerven.
  • Ausreifung zu gewebetypischen Phänotypen (z. B. kutane Mastzellen oder mukosale Mastzellen)
  • Stimulation des Tyrosinkinase-Rezeptors KIT bewirkt eine Aktivierung und Differenzierung von Mastzellen.
  • Bei Erwachsenen mit Mastozytose lässt sich in > 90 % der Fälle die krankheitsinitiierende KIT-Mutation nachweisen mit pathologischer Vermehrung der Mastzellen.
  • Nach Stimulation werden verschiedene Mediatoren freigesetzt wie Histamin, Leukotriene, Chemokine und Zytokine.
  • Hierdurch Auslösung von lokalen und systemischen entzündlichen Reaktionen bis hin zur Anaphylaxie
  • Die systemische Erkrankung tritt ganz überwiegend bei Erwachsenen auf mit meist chronischem Verlauf.
    •  kutane Formen meist im Kindesalter mit gutartigem Verlauf
  • Mastzellen können durch viele verschiedene Signale aktiviert werden.
    • Am besten untersucht ist die IgE-vermittelte Aktivierung bei Allergien.
    • Zahlreiche Mechanismen können auch nicht-allergisch zu einer Mastzellaktivierung führen, z. B.:
      • physikalische Faktoren (Hitze, Kälte, Druck, Vibration, UV-Strahlung)
      • Infektionen
      • emotionaler Stress
      • Alkohol
      • Medikamente (Codein, Morphin, ASS und andere nichtsteroidale Antiphlogistika, Kontrastmittel, Anästhetika u. a.)
  • Die am häufigsten genannten Symptome sind:
    • Juckreiz
    • Urtikaria
    • Flush-Episoden
    • Übelkeit/Erbrechen
    • abdominelle Schmerzen
    • Diarrhö
    • muskuloskelettale Schmerzen
    • allgemeine Abgeschlagenheit
    • anfallsartige Kopfschmerzen
    • Konzentrationsstörungen
  • Desweiteren besteht ein erhöhtes Risiko für schwere Anaphylaxien.
    • häufigster Auslösung durch begleitenden Sensibilisierung gegenüber Insektengiften (Wespe/Biene)
    • aber auch andere Auslöser
  • Prognostisch und therapeutisch sind zwei Gruppen mit unterschiedlichen Krankheitsverläufen zu unterscheiden:
    1. Der überwiegende Anteil erwachsener Patient*innen ist von einer indolenten systemischen Mastozytose (ISM) betroffen.
      • gute Prognose, normale Lebenserwartung
    2. Ca. 5–10 % gehören zur Gruppe der fortgeschrittenen („advanced“) systemischen Mastozytose (AdvSM).
      • aggressive systemische Mastozytose (ASM)
      • systemische Mastozytose mit begleitender hämatologischer Neoplasie (SM-AHN)
      • Mastzellleukämie (MCL)

ICD-10

  • D47.0 Histiozyten- und Mastzelltumor unsicheren oder unbekannten Verhaltens
    • Umfasst u. a.:
      • indolente systemische Mastozytose
      • Mastozytom
  • Q82.2 Mastozytose (angeboren)

Diagnostik

  • Die folgenden Angaben zu Diagnostik und Therapie beziehen sich auf die bei Erwachsenen weit überwiegend auftretenden systemischen Mastozytosen.

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose „systemische Mastozytose (SM)“ wird anhand von Haupt- und Nebenkriterien gestellt, die Histologie (i. d. R. Knochenmark) spielt eine entscheidende Rolle.
    • Diagnosestellung bei Nachweis von dem Haupt- und mindestens einem Nebenkriterium oder von drei Nebenkriterien
  • Hauptkriterium
    • Histologischer Nachweis multifokaler, dichter Infiltrate von Mastzellen im Knochenmark oder dem extramedullären Organ (≥ 15 Mastzellen in Aggregaten)
  • Nebenkriterien
    • > 25 % aberrante Mastzellen (spindelförmig, unreif)
    • Nachweis einer aktivierenden (Gain-of-Function-)Mutation im KIT-Gen
    • Expression eines aberranten Immunphänotyps der Mastzellen
    • Serumtryptasespiegel > 20 ng/ml

Anamnese und klinische Untersuchung

  • Aufgrund des heterogenen Erscheinungsbildes und der fehlenden Erfahrung außerhalb von Schwerpunktzentren erfolgt die Diagnosestellung oft verzögert.
  • Ca. 50 % der erwachsenen Patient*innen weisen anaphylaktische Reaktionen unterschiedlichen Schweregrades in der Vorgeschichte auf.
  • Eine Mastozytose kann vor Diagnosestellung als idiopathische Anaphylaxie imponieren.
  • Beim klinischen Bild der bei Erwachsenen dominierenden systemischen Mastozytose ist vor allem zu unterscheiden zwischen:
    • der häufigen indolenten systemischen Mastozytose (ISM) und
    • der seltenen fortgeschrittenen Mastozytose (AdvSM).

Charakteristika der indolenten systemischen Mastozytose (ISM)

  • Haut
    • Juckreiz, Flush, Urtikaria, makulöses/makulopapulöses Exanthem
  • Gastrointestinaltrakt
    • Übelkeit, Erbrechen, Ulzera, Diarrhö, abdominelle Krämpfe, Nahrungsmittelunverträglichkeit (v. a. histaminhaltige Nahrungsmittel wie Käse, Rotwein, Schokolade, Nüsse etc.)
  • Respiratorisches System
    • Schwellung von Nasen-Rachen-Raum und Kehlkopf, Atemnot, Stridor
  • Herz/Kreislauf
    • Schwindel, Palpitationen, Tachykardie, Synkope, Kreislaufschock bei schwerer Anaphylaxie (v. a. nach Bienen- und Wespenstichen)
  • Neurologie
  • Knochen
    • Knochenschmerzen, Osteopenie, Osteoporose (Frakturen v. a. der Wirbelsäule)
  • Konstitutionell

Charakteristika der fortgeschrittenen systemischen Mastozytosen (AdvSM)

Hautbeteiligung

  • Ein Großteil der Patient*innen mit ISM, hingegen nur ca. 40 % der Patient*innen mit AdvSM, weisen eine Hautbeteiligung auf:,
  • Variables Bild: von minimalem, asymptomatischem Befall bis zu subtotalem Hautbefall mit ausgeprägtem Juckreiz, Rötung, Schwellung
  • Makulöses oder makulopapulöses, kleinfleckiges Pigmentexanthem mit positivem Darier-Zeichen
    • Darierzeichen: Erythem- und Quaddelbildung der Läsionen durch mechanische Irritation
  • Oft beginnend an den Oberschenkeln mit allmählicher Ausbreitung auf Rumpf und Extremitäten

Differenzialdiagnosen der systemischen Mastozytose

Mastzellaktivierungssyndrom

  • Neben den primären Mastozytosen gibt es auch sekundäre (z. B. bei Allergien, chronisch-entzündlichen und autoimmunen Erkrankungen, Neoplasien, physikalischer Urtikaria, Überempfindlichkeitsreaktionen) und idiopathische Mastzellaktivierungssyndrome ohne Monoklonalität von Mastzellen.
  • Diagnostische Kriterien sind:
    • typische Symptome
    • Anstieg der Tryptase i. S. mindestens um 20 % des Basalwertes plus 2 ng/ml innerhalb von 4 h nach einer Episode
    • Besserung unter Antihistaminika oder Cromoglicinsäure
  • In letzter Zeit wird diskutiert, ob und inwieweit eine Mastzellaktivierung zur Symptomatik bei Post-COVID-Patient*innen beiträgt.1
  • Bei Post-COVID mit V. a. begleitendes Mastzellaktivierungssyndrom ist ein medikamentöser Therapieversuch (H1-/H2-Antagonisten, evtl. ergänzt um Mastzellstabilisator wie Cromoglicinsäure) vertretbar.
    • Trägt auch zur Erhärtung bzw. Widerlegung des V. a. Mastzellaktivierungssyndrom bei.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor

  • Tryptase i. S.
    • Für das initiale Screening empfiehlt sich die Bestimmung der relativ spezifischen Serumtryptase.
    • Tryptase > 20 ng/ml ist eines von vier Nebenkriterien zur Diagnose der systemischen Mastozytose; liegt bei der Mehrzahl der erwachsenen Patient*innen vor.
      • Ein negativer Befund schließt eine Mastozytose aber nicht völlig aus.
  • Allgemeines Labor

Sonografie

  • Nachweis bzw. Ausschluss von Hepatosplenomegalie, Aszites,

Diagnostik bei Spezialist*innen

Labor

  • Mittels PCR ist ein Nachweis der KIT-Mutation im peripheren Blut mit hoher Sensitivität möglich.
    • Sensitivität bei ISM im peripheren Blut etwas geringer als im Knochenmark, bei AdvSM in beiden Kompartimenten gleich gut erfassbar
  • Der Nachweis einer KIT-Mutation im peripheren Blut zusammen mit erhöhter Tryptase ist hoch prädiktiv für das Vorliegen einer systemischen Mastozytose.
  • Weitere Laborparameter im Rahmen von Diagnostik und Staging

Knochenmarkspunktion/-biopsie

  • Bei V. a. systemische Mastozytose ist eine Knochenmarksuntersuchung indiziert:
    • Zytologie
    • Histologie
    • Immunhistochemie
    • Durchflusszytometrie
    • KIT-Mutationsanalyse

Hautbiopsie/Histologie

  • Bei Biopsie einer typischen Hautläsion zeigt sich deutliche Vermehrung der dermalen Mastzellen.

Osteodensometrie

  • Nachweis oder Ausschluss von Osteopenie, Osteoporose oder Osteosklerose
  • Bei bis zu 30 % der Patient*innen besteht eine Osteoporose mit oder ohne Osteolysen oder Knochenfrakturen.

Weitere Untersuchungen

  • Je nach Klinik sind ergänzende Untersuchungen indiziert, z. B.:
    • allergologische Diagnostik
    • Endoskopie des Gastrointestinaltrakts
    • gezieltes Röntgen zum Ausschluss von Knochenfrakturen

Diagnostisches Vorgehen bei V. a. systemische Mastozytose

  • Der V. a. auf eine systemische Mastozytose ergibt sich häufig bei unerklärten anaphylaktischen Reaktionen. Folgender Untersuchungsgang wird empfohlen:
    • Hautinspektion
    • Bestimmung der Tryptase i. S.
    • falls Tryptase > 20 ng/ml (oder starker klinischer Verdacht): Knochenmarkuntersuchung
    • Ausschluss von Differenzialdiagnosen
    • falls Mastozytose: Staginguntersuchungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei V. a. auf die Erkrankung

Therapie

Therapieziele

  • Symptome lindern.
  • Lebensqualität verbessern.
  • Einzige kurative Option in schweren Fällen ist eine allogene Stammzelltransplantation.

Allgemeines zur Therapie

  • Bestandteile der medikamentösen Behandlung sind:
    • Basistherapie
    • erweiterte Basistherapie
    • zytoreduktive Therapie
  • Zudem sollten supportive Maßnahmen ergriffen werden.

Spezielle Therapie

Medikamentöse Basistherapie

  • H1- und H2-Blocker
    • H1-Blocker: Wirkung vorwiegend kutan und zentralnervös, z. B.:
      • Cetirizin 10 mg
      • Loratadin 10 mg
    • H2-Blocker: Wirkung überwiegend im GI-Trakt, z. B.:
      • Famotidin 2 x 20 mg
    • Die Dosierungen der H-Blocker werden nach Wirksamkeit und Verträglichkeit angepasst, die für Symptomlinderung erforderliche Dosis geht häufig weit über dier zugelassene Höchstdosis.
  • Biphosphonate bei ausgeprägter Osteopenie/Osteoporose
  • Vitamin D bei Vitamin-D-Mangel

Erweiterte medikamentöse Basistherapie

  • Mastzellstabilisatoren (Cromoglicinsäure)
  • Leukotrienantagonisten (Montelukast)
  • Kortikosteroide (möglichst vorübergehend)
  • Omalizumab

Zytoreduktive medikamentöse Therapie

  • Bei Patient*innen mit AdvSM sollte eine zytoreduktive Therapie erwogen werden.
    • Seit 2017 steht der Multikinaseinhibitor Midostaurin zur Verfügung.
    • Seit 2022 ist Avapritinib als spezifischerer KIT-Inhibitor zugelassen.

Supportive Maßnahmen

  • Vermeidung von Trigger-Faktoren, z. B. bestimmte Nahrungsmittel, Medikamente, Sport, Stress etc.
  • Histaminarme Diät
  • Hyposensibilisierung (Bienen/Wespengift)
  • Notfallset (H1-Blocker, Glukokortikosteroide, Adrenalin-Pen) und Notfallausweis

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Anaphylaxie bei ca. der Hälfte der Patient*innen
    • erhöhtes Risiko für schwergradige Reaktionen v. a. nach Hymenopterenstichen, auch bei Nicht-Allergiker*innen
  • Leukämische Transformation einer AdvSM

Verlauf und Prognose

  • Die Prognose bei Patient*innen mit Mastozytose ist variabel und hängt von der Krankheitsform ab.
  • Patient*innen mit ISM haben eine normale Lebenserwartung.
    • Eine Progression zur AdvSM ist selten.
  • Bei Patient*innen mit AdvSM ist die Lebenserwartung reduziert, das Überleben beträgt je nach Subtyp 0,5–4 Jahre.

Verlaufskontrolle

  • Patient*innen mit ISM sollten 1 x pro Jahr kontrolliert werden.
  • Bei Patient*innen mit AdvSM kürzere Intervalle, individuelle Entscheidung

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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Mastozytose, urtikariaartige Effloreszenzen
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Mastozytose

Quellen

Literatur

  1. Weinstock L, Brook J, Walters A, et al. Mast cell activation symptoms are prevalent in Long-COVID. Int J of Infect Dis 2021; 112: 217-226. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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