Allgemeines
Definition
- Bei der Fremdkörperaspiration kommt es zur Einatmung von Fremdkörpern in die Atemwege: Larynx, Trachea oder Bronchien.
- Abzugrenzen ist die Fremdkörperingestion, hier kommt es zum Verschlucken von Fremdkörpern in den Verdauungstrakt: Hypopharynx, Ösophagus, Magen oder Dünndarm (siehe auch Artikel Verschluckter Fremdkörper).
Klassifikation gemäß Symptombeginn nach Aspiration
- Akut: < 24 h
- Subakut: > 24 h
- Chronisch (Wochen, Monate)
Häufigkeit
- Alter
- Fremdkörperaspiration ist am häufigsten bei Kleinkindern zwischen 6 Monaten und 4 Jahren.
- ca. ¾ der Fälle bei Kindern, ca. ¼ bei Erwachsenen1
- Geschlecht
- Jungen zu Mädchen ca. 2:1
Ätiologie und Pathogenese
- Aspirierte Objekte
- überwiegend Nahrungsmittel (v. a. Nüsse, Weintrauben, Karotten)
- Teile von Spielzeugen
- Gebrauchsgegenstände (z. B. Knöpfe)
- Einfluss der Größe des Objekts
- große Fremdkörper mit Verlegung der Atemwege im Bereich des Oropharynx oder der Trachea
- Können wegen einer Asphyxie unmittelbar lebensbedrohlich sein.
- kleinere Fremdkörper mit Verlegung weiter distal gelegener Atemwege
- große Fremdkörper mit Verlegung der Atemwege im Bereich des Oropharynx oder der Trachea
- Lokalisation
- Das rechte Bronchialsystem ist häufiger betroffen als das linke Bronchialsystem aufgrund des steileren Abgangs.
- Art der Atemwegsverlegung
- inkomplett (häufiger)
- komplett
Prädisponierende Faktoren
- Niedriges Alter (Säuglinge, Kleinkinder)
- Intoxikationen (Alkohol, Drogen)
- Neurologische Erkrankungen (Schlaganfall, Parkinson-Krankheit)
- Atemwegserkrankungen
- Geistige Einschränkungen, Demenz
Differenzialdiagnosen
- Asthma bronchiale
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Pneumothorax
- Lungenembolie
- Krupp-Syndrom(Pseudokrupp)
- Epiglottitis
- Bronchiolitis
ICD-10
- T17.- Fremdkörper in den Atemwegen
Diagnostik
Klinisches Bild
Klinisch akut manifeste Aspiration
- Typische Anamnese
- Kleinkind, das mit Nahrungsmitteln oder Kleinteilen spielt.
- evtl. Schilderung des Ereignisses durch Patient*innen oder Angehörige
- Das eigentliche Aspirationsereignis wird von den Eltern oder Betreuenden allerdings häufig nicht wahrgenommen.
- Akute Beschwerden
- plötzlich einsetzende Hustenattacken
- Können im Verlauf nachlassen oder verschwinden trotz fortbestehender Verlegung.
- Atemnot, Erstickungsangst
- pfeifende Atmung, Stridor
- inspiratorischer Stridor bei extrathorakaler Lage
- exspiratorischer Stridor bei intrathorakaler Lage
- Ein biphasischer Stridor zeigt meist eine lebensbedrohliche Situation an.
- fehlende Lautäußerung trotz Bemühens
- plötzlich einsetzende Hustenattacken
- Hautkolorit
- Zyanose
- marmorierte Haut
- Auskultationsbefund
- abgeschwächtes Atemgeräusch, einseitiges Atemgeräusch
- Ein normaler Auskultationsbefund schließt eine Aspiration nicht aus.
Primär unbemerkte Aspiration
- Geschieht die Aspiration unbemerkt, spricht man von einer „okkulten bronchialen Fremdkörperaspiration“ (OBFBA = Occult Bronchial Foreign Body Aspiration).
- Die Symptomatik ist meist nur wenig ausgeprägt.
- trockener Husten
- thorakale Schmerzen
- Hämoptysen
- faulig-riechendes Sputum
- Dyspnoe
- Fieber
- Langfristige Komplikationen
- rezidivierende Pneumonien
- Stenosenbildung
- Atelektasen
- Bronchiektasen
- Mediastinitis, Empyem
- Diagnosestellung einer OBFBA häufig erst durch Komplikationen und nachfolgende Bronchoskopie
Körperliche Untersuchung
Untersuchung nach ABCDE-Schema
- Bei akutem Ereignis Untersuchung gemäß den Empfehlungen des German Resuscitation Council (GRC)
- Airway
- offen und sicher
- gefährdet
- verlegt
- Breathing
- Atemfrequenz
- Trend informativer als einzelne Messwerte
- Atemarbeit
- Einziehungen, Stöhnen, Nasenflügeln
- Atemfrequenz
- Circulation
- Herzfrequenz
- Blutdruck
- Disability
- neurologische Beurteilung
- Vigilanz
- Exposure
- Entkleiden
- vollständige körperliche Untersuchung
Pädiatrisches Beurteilungsdreieck bei Kindern mit Aspiration
- In der pädiatrischen Notfallmedizin hat sich das Pädiatrische Beurteilungsdreieck („Pediatric Assessment Triangle“, PAT) etabliert, kritisch kranke Kinder sollen durch Beurteilung von drei Kriterien (Allgemeinzustand, Atmung, Haut) rasch erfasst werden.
- Vor allem der visuelle und auditive Eindruck entscheidet, keine aufwändige Ausrüstung erforderlich.
- Die meisten Befunde können bereits in gewisser Distanz erhoben werden.
- Beeinträchtigung eines der drei Kriterien gilt als Alarmzeichen, bei Beeinträchtigung von zwei oder drei Kriterien gilt das Kind als kritisch krank.
- Allgemeinzustand
- verminderte Wachheit und Interaktion
- abnormaler Muskeltonus
- Sprachauffälligkeiten
- Atmung/Atemarbeit
- abnorme Atmung: Stridor, Giemen, Jammern, Stöhnen
- Einziehungen: jugulär, subkostal, supraklavikulär
- Nasenflügeln bei Inspiration (Hinweis auf Dyspnoe bei Säuglingen)
- Hautperfusion
- Blässe
- Zyanose
- marmoriertes Hautkolorit
Ergänzende Diagnostik
Rö-Thorax
- V. a. Aspiration ist eine Indikation für eine konventionelle Röntgenaufnahme in einer Ebene (p. a. oder a. p.).
- Ein negativer Röntgenbefund schließt eine Aspiration aber nicht aus, da nur röntgendichte Gegenstände dargestellt werden.
- Eine Röntgenaufnahme in zwei Ebenen und Schnittbildverfahren kommen nur bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz.
- bei klarer Anamnese und Klinik direkte Durchführung einer Endoskopie
Endoskopie
- Bei anamnestischem und/oder klinischem Verdacht auf eine Fremdkörperaspiration soll diese mittels Tracheobronchoskopie verifiziert oder ausgeschlossen werden.
Notfallbehandlung
- Die größte Erfolgsaussicht auf eine spontane Fremdkörperentfernung besteht durch den Schutzreflex Hustenreiz.
- Sofortige aktive Maßnahmen durch Ersthelfer*innen sind notwendig, wenn
- der Husten ausbleibt oder das Husten erfolglos bleibt.
- eine zunehmende Atemnot mit Bewusstlosigkeit besteht.
Fremdkörperaspiration bei Kindern
- Eine Fremdkörperverlegung ist wahrscheinlich, wenn
- der Symptombeginn plötzlich ist
- andere Krankheitszeichen fehlen
- es passende anamnestische Hinweise gibt, z. B. unmittelbar zuvor gegessen oder gespielt mit kleinen Gegenständen
- Bei effektivem Husten (voll ansprechbar, lauter Husten, Luftholen vor dem Husten, Weinen oder Sprechen):
- kein Eingreifen erforderlich
- Kind zum Weiterhusten ermuntern
- Bei ineffektivem Husten (möglichst Beseitigung des Fremdkörpers mit einem Stoß, ansonsten Maßnahmen jeweils im Wechsel):
- Kinder
- 5 Schläge auf den Rücken
- 5 abdominelle Kompressionen
- Säuglinge
- 5 Schläge auf den Rücken
- 5 thorakale Kompressionen
- Kinder
- Falls der Fremdkörper erfolgreich ausgestoßen wurde.
- Beurteilung des klinischen Zustands, möglicherweise ist ein Teil des Fremdkörpers noch in den Atemwegen.
- Im Zweifel oder wenn das Kind mit abdominellen Kompressionen behandelt wurde, ist eine dringende medizinische Nachsorge obligatorisch.
- Bei Bewusstlosigkeit CPR entsprechend dem pädiatrischen BLS-Algorithmus
- Siehe auch BLS bei Kindern.
Fremdkörperaspiration bei Erwachsenen
- Ziehen Sie einen Erstickungsanfall durch eine Fremdkörperverlegung der Atemwege in Betracht, wenn jemand plötzlich würgt und nicht mehr sprechen kann, insbesondere beim Essen.
- Fordern Sie den Betroffenen zum Husten auf.
- Bleibt das Husten wirkungslos, schlagen Sie ihm bis zu 5-mal auf den Rücken:
- Beugen Sie den Betroffenen hierzu vornüber.
- Schlagen Sie mit der Handwurzel 5-mal zwischen die Schulterblätter.
- Sind Schläge auf den Rücken unwirksam, drücken Sie bis zu 5-mal auf den Oberbauch:
- Stellen Sie sich hinter den Betroffenen und legen Sie beide Arme um seinen Oberbauch.
- Lehnen Sie den Betroffenen vornüber.
- Ballen Sie eine Faust und legen Sie sie zwischen Nabel und Brustkorb.
- Fassen Sie Ihre Faust mit der anderen Hand und ziehen Sie ruckartig nach
innen und oben.
- Wenn der Erstickungsanfall nach 5 Oberbauchkompressionen nicht beseitigt ist, fahren Sie abwechselnd mit 5 Schlägen auf den Rücken und 5 Oberbauchkompressionen fort, bis Zustandsbesserung oder Bewusstlosigkeit.
- Bei Eintreten der Bewusstlosigkeit mit CPR beginnen.
- Siehe auch BLS bei Erwachsenen.
Therapie
- Fremdkörperentfernung möglichst im interdisziplinären Team (Pneumologie/HNO/Anästhesie)
- Darstellung und Entfernung des Fremdkörpers durch Bronchoskopie
- Abhängig von Alter und Lokalisation Durchführung einer flexiblen oder starren Bronchoskopie1-3
Prognose
- Lebensbedrohliche Aspiration insbesondere bei laryngealer oder trachealer Lage
- Die meisten Todesfälle im Rahmen einer Aspiration geschehen in dieser Akutphase außerhalb des Krankenhauses.
- Die Mortalität ist ereignisnah am höchsten und liegt insgesamt bei 3,4 %.
Abbildungen
- Maßnahmen bei Verdacht auf Ersticken, Heimlich-Handgriff (© German Resuscitation Council, GRC, und Austrian Resuscitation Council, ARC, 2021)
Quellen
Literatur
- Hewlett J, Rickman O, Lentz R, et al. Foreign body aspiration in adult airways: therapeutic appro. J Thorac Dis 2017; 9: 3398-3409. doi:10.21037/jtd.2017.06.137 DOI
- Sarkar A, Murthy V. Foreign body aspiration: a review of current strategies for management. Shanghai Chest 2021; 5: 25. shc.amegroups.org
- Jang G, Song J, Kim HJ, et al. Foreign-body aspiration into the lower airways in adults; multicenter study. PLoS ONE 2022;17: e0269493. journals.plos.org
Autor
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.