Allgemeine Informationen
Definition Säure-Basen-Stoffwechsel
- Der Säure-Basen-Stoffwechsel beschreibt
- die Einflüsse von Stoffwechsel-, Verteilungs- und Eliminationsvorgängen auf die Azidität des Bluts (und anderer Körperflüssigkeiten).
- die Modifikation dieser Einflüsse durch Pufferung und Kompensation.
ICD-10
- E87.2 Azidose
- E87.3 Alkalose
- E87.4 Gemischte Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts
- E87.7 Sonstige Störungen des Wasser- und Elektrolytgehaltes, andernorts nicht klassifiziert
Grundlagen
- Eine stabile Konzentration an Wasserstoffionen ist für die normale Regulation metabolischer und enzymatischer Prozesse notwendig.1
- Der pH-Wert des Extrazellulärraums wird daher in engen Grenzen gehalten, da nur so eine optimale Funktion von Zellen, Geweben und Organen gewährleistet ist.
- Die Regulation des pH-Wertes erfolgt über die
- Kontrolle des arteriellen CO2-Druckes (pCO2) über die Lungen (schnell, Reaktionszeit Minuten).
- Kontrolle des Plasmabikarbonats durch die Nieren (langsam, Reaktionszeit Stunden bis Tage).
Herkunft der Säuren
- Säuren entstehen im Rahmen des Stoffwechsels fortlaufend als volatile und nichtvolatile Säuren.
- Kohlensäure über CO2 aus der Glukose- und Fettsäureoxidation (Ruheumsatz und zunehmend bei körperlicher Belastung)
- CO2 wird vorwiegend gebunden in Erythrozyten transportiert und über die Lungen wieder abgeatmet.
- nichtflüchtige Säuren aus Nahrung und Intermediärstoffwechsel mit Ausscheidung über die Niere
- Kohlensäure über CO2 aus der Glukose- und Fettsäureoxidation (Ruheumsatz und zunehmend bei körperlicher Belastung)
Puffersysteme
- Zur Aufrechterhaltung eines optimalen Milieus mit einem weitgehend konstanten pH dienen verschiedene Puffersysteme.
- Bikarbonat-Kohlensäure-Puffer (schnell reagierend) ist mit einem Anteil von ca. 70 % am bedeutendsten.
- Nicht-Bikarbonatpuffer, deren Konzentrationen im Gegensatz zum Bikarbonatpuffer nicht schnell angepasst werden können:
- Hämoglobin
- Plasmaproteine
- Phosphat
Pulmonale und renale Kompensationsmechanismen
Pulmonale Kompensation
- Regulation über Atemzentrum und periphere Chemorezeptoren durch Verschiebungen des pH-Wertes
- Schnelles Einsetzen
- Steigerung der alveolären Ventilation kurzzeitig auf das 10-Fache möglich
- Eine Verminderung der Ventilation ist stärker begrenzt, da eine sich dadurch schließlich ergebende Hypoxämie das Atemzentrum wieder stimuliert.
Renale Kompensation
- Erfolgt sowohl bei respiratorischen als auch metabolischen Störungen.
- Langsames Einsetzen, klinische Wirksamkeit frühestens nach Stunden
- Drei Regelkreise zur renalen Kompensation:
- gesteigerte Rückresorption von Bikarbonat
- gesteigerte Exkretion fixer Säuren über H2PO4-
- gesteigerte Bildung von Ammoniak
Ursachen für Veränderungen des Säure-Basen-Haushaltes
- Störungen des normalen Säure-Basen-Gleichgewichts können verursacht sein durch:
- verstärkten Anfall von H+-Ionen (z. B. Laktatazidose)
- verminderte Elimination von H+-Ionen (z. B. Niereninsuffizienz)
- Verlust an H+-Ionen (z. B. Erbrechen)
- Verlust von Bikarbonat (z. B. Diarrhö)
- verminderte Ausscheidung von Bikarbonat (z. B. bei Chloridmangel)
- verstärkte Zufuhr von Bikarbonat (z. B. Infusionen)
- Anstieg des pCO2 bei alveolärer Hypoventilation
- Abfall des pCO2 bei alveolärer Hyperventilation.
Analyse von Säure-Basen-Störungen
- Die traditionelle Interpretation von Säure-Basen-Störungen beruht auf der Henderson-Hasselbalch-Gleichung, die den Zusammenhang zwischen pH, arteriellem CO2-Partialdruck (pCO2) und Bikarbonat-Ionen (HCO3-) beschreibt.
- Neben diesem konventionellen Säure-Basen-Modell gibt es das neuere Konzept nach Stewart.
- Integrativer Ansatz von Säure-Basen- und Elektrolytstörungen, der allerdings komplexer ist und sich daher in der Routine bislang nicht durchgesetzt hat.
Terminologie
- Im klinischen Alltag wird bei Abweichungen vom normalen pH im Allgemeinen von Azidose oder Alkalose gesprochen.
- Streng genommen handelt es sich bei Blut-pH-Werten < 7,35 um eine Azidämie, bei Blut-pH > 7,45 um eine Alkalämie.
- Azidosen und Alkalosen sind die Prozesse, die zu einer Verschiebung des pH-Wertes führen können (in der Gesamtbilanz aber nicht müssen).
- Zu einem gegebenen Zeitpunkt kann somit
- nur entweder eine Alkalämie oder eine Azidämie oder ein ausgeglichener pH-Wert vorliegen.
- gleichzeitig mehrere Azidosen und Alkalosen nebeneinander bestehen.
Klinische Auswirkungen
- Die Bedeutung von Verschiebungen des pH im Blut besteht letztlich in den pathophysiologischen Auswirkungen.
- Azidämie
- kardiovaskuläres System
- Kontraktilität ↓
- Herzzeitvolumen ↓
- Blutdruck ↓
- Stoffwechsel
- Insulinresistenz ↑
- ZNS
- Bewusstseinsstörung, Koma
- kardiovaskuläres System
- Alkalämie
- kardiovaskuläres System
- arrhythmogen
- Angina pectoris
- Stoffwechsel
- anaerobe Glykolyse ↑
- ZNS
- zerebraler Blutfluss ↓
- erniedrigte Krampfschwelle
- Bewusstseinsstörung, Koma
- kardiovaskuläres System
- Azidämie
Problemstellung für die ärztliche Arbeit
- Störungen des Säure-Basen-Haushalts sind häufig, werden jedoch im Alltag nicht selten übersehen.
- Dies ist auch dadurch bedingt, dass Ärzt*innen die Interpretation des Säure-Basen-Haushalts als aufwändig und kompliziert wahrnehmen.
- An Störungen des Säure-Basen-Haushalts ist z. B. zu denken bei Patient*innen mit:
- Niereninsuffizienz
- Diabetes mellitus
- COPD/Emphysem
- Durchfällen
- häufigem Erbrechen
- Leberzirrhose.
- Mit der Blutgasanalyse besteht ein grundsätzliches einfaches Werkzeug zur zunächst formalen Analyse einer Säure-Basenstörung mit anschließender differenzialdiagnostischer Einordnung.
- Eine Blutgasanalyse steht normalerweise nicht in der Hausarztpraxis zur Verfügung.
Blutgasanalyse (BGA) bei Spezialist*innen
- Basis der Säure-Basen-Diagnostik ist die arterielle BGA (alternativ Kapillarblut aus dem hyperämisierten Ohrläppchen).
- venöses Blut zur Beurteilung nicht geeignet
- Die zentralen Parameter einer BGA sind pH-Wert, Bikarbonat (und Basenabweichung), pCO2 und pO2.
- Die Basenabweichung oder Base Excess (BE) gibt den Überschuss oder Mangel an pufferaktiven Basen an: Menge an Pufferbase (oder Säure), die bei standardisierten Bedingungen (pCO2 40 mmHg, Temperatur 37 °C) zugeführt werden muss, um einen pH-Wert von 7,4 zu erreichen.
- Darüber hinaus werden routinemäßig bestimmt: Elektrolyte (Natrium, Kalium, Chlorid), Glukose, Hämoglobin (Hb) und Laktat.
- Abhängig vom Gerät können weitere Parameter bestimmt werden: vor allem die Anionenlücke sowie Methämoglobin und CO-Hämoglobin.
Normwerte der BGA
- pH: 7,36−7,44
- Standard-Bikarbonat: 22−26 mmol/l (BE ± 2 mmol/l)
- pCO2: 35−45 mmHg
- pO2: 75−100 mmHg
Bestimmung des Säure-Basen-Status
- Die Beurteilung des Säure-Basen-Status beruht primär auf pH, Bikarbonat (BE) und pCO2, für die klinische Gesamtbeurteilung ist aber natürlich auch der pO2 essentiell.
- Systematisches Vorgehen ist hilfreich für eine rasche und zuverlässige Aussage zum Säure-Basen-Status.
- Folgende Fragen sind zu beantworten:
- Ist der pH sauer oder alkalisch?
- Besteht eine primär metabolische oder respiratorische Störung?
- Gibt es eine kompensatorische Gegenregulation?
- Besteht eine kombinierte Störung?
- Bei einfachen (d. h. nicht kombinierten) Säure-Basen-Störungen helfen folgende Grundregeln:
- Bei metabolischen Störungen sind Bikarbonat (BE) und pCO2 gleichsinnig zum pH verändert.
- metabolische Azidose: pH↓, Bikarbonat (BE)↓, pCO2↓ (Kompensation)
- metabolische Alkalose: pH↑, Bikarbonat (BE)↑, pCO2↑ (Kompensation)
- Bei respiratorischen Störungen sind pCO2 und Bikarbonat (BE) gegensinning zum pH verändert.
- respiratorische Azidose: pH↓, pCO2↑, Bikarbonat (BE)↑ (Kompensation)
- respiratorische Alkalose: pH↑, pCO2↓, Bikarbonat (BE)↓ (Kompensation).
- Bei metabolischen Störungen sind Bikarbonat (BE) und pCO2 gleichsinnig zum pH verändert.
- Allerdings können auch kombinierte Störungen vorliegen oder eine fehlende Kompensation, sodass sich weitere Konstellationen ergeben.
- Zur Beurteilung einschließlich auch komplexerer Störungen kann z. B. nach folgendem Schema vorgegangen werden:2-3
Schritt 1: Wie ist der pH?
- Im ersten Schritt wird betrachtet, ob eine Azidose oder Alkalose vorliegt.
- pH ≤ 7,35: Azidose
- pH ≥ 7,45: Alkalose
Schritte 2 und 3: Betrachtung von Bikarbonat (BE) und pCO2
- Zunächst wird durch Betrachtung von Bikarbonat (bzw. BE) die Anzahl der möglichen Störungen weiter eingegrenzt.
- Durch weitere Zuordnung des pCO2-Wertes ergibt sich schließlich die definitive Säure-Basen-Störung.
Azidose (pH ≤ 7,35)
- Bikarbonat (BE)↓
- pCO2↓: metabolische Azidose mit respiratorischer Kompensation
- pCO2 normal: metabolische Azidose ohne Kompensation
- pCO2↑: kombiniert metabolisch-respiratorische Störung
- Bikarbonat (BE) normal
- pCO2↑: respiratorische Azidose
- Bikarbonat (BE)↑
- pCO2↑: respiratorische Azidose mit renaler Kompensation
Alkalose (pH ≥ 7,45)
- Bikarbonat (BE)↑
- pCO2↑: metabolische Alkalose mit respiratorischer Kompensation
- pCO2 normal: metabolische Alkalose ohne Kompensation
- pCO2↓: kombinierte respiratorisch-metabolische Alkalose
- Bikarbonat (BE) normal
- pCO2↓: respiratorische Alkalose
- Bikarbonat (BE)↓
- pCO2↓: respiratorische Alkalose mit renaler Kompensation
Schritt 4: Betrachtung der Anionenlücke
- Die Betrachtung der Anionenlücke ist vor allem für die weitere Eingrenzung von metabolischen Azidosen von Bedeutung.
- Entspricht der Fraktion der nicht messbaren Anionen (z. B. Albumine, Sulfate, Phospate).
- Säuren, die krankheitsbedingt zu einer Vergrößerung der Anionenlücke führen können, sind z. B. Laktat (Milchsäure), Hydroxybuttersäure (Ketone).
- Im Einzelfall kann sie aber auch der einzige Hinweis auf eine Störung des Säure-Basen-Haushaltes sein.
- pH, pCO2 und HCO3 – können u. U. auch bei schweren gemischten Störungen normal sein.
- Die Anionenlücke wird vom Analysegerät häufig automatisch bestimmt, ansonsten kann sie berechnet werden: AG = [K+] + [Na+] – [Cl–] – [HCO3–]
- Normwert: 11–12 mmol/l
Plausibilitätskontrolle
- Es gibt Fehlermöglichkeiten bei Abnahme und Verarbeitung der Blutprobe, z. B. Luftblasen, unzureichende Probendurchmischung, Lagerung der Probe vor der Messung, Hämolyse u. a.
- Vor therapeutischen Entscheidungen sollten die Ergebnisse der BGA daher immer auf ihre Plausibilität im klinischen Kontext überprüft werden.
- Auch hier gilt der Grundsatz: Behandle Patient*innen, keine Laborparameter!
Weitere Differenzialdiagnostik der einzelnen Säure-Base-Störungen
- Im Anschluss an die primäre Eingrenzung der Säure-Basen-Störung erfolgt die weitere ätiopathogenetische Zuordnung.
- Zu weiteren Details hierzu siehe die Artikel:
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Überweisung zur Blutgasanalyse, je nach Grunderkrankung z. B. an Praxis für Pulmologie oder Nephrologie
- Die Entscheidung zur Überweisung/Klinikeinweisung erfolgt im klinischen Kontext.
- Bereits länger bestehende, zumindest teilkompensierte Störungen (z. B. bei chronische Niereninsuffizienz) können auch ambulant weiter abgeklärt und behandelt werden, zumeist steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund.
- Akute Störungen, meistens auf der Basis schwerer akuter Erkrankungen, bedürfen der raschen stationären Einweisung und ggf. auch intensivmedizinischen Behandlung.
Quellen
Literatur
- Seifter J, Chang H. Disorders of Acid-Base Balance: New Perspectives. Kidney Dis 2016; 2: 170-186. doi:10.1159/000453028 DOI
- Cowley N, Owen A, Bion F. Interpreting arterial blood gas results. BMJ 2013; 346: f16. doi:10.1136/bmj.f16 DOI
- Hamilton P, Morgan N, Connolly G. Understanding Acid-Base Disorders. Ulster Med J 2017; 86: 161-166. www.researchgate.net
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.