Peritonsillarabszess

Zusammenfassung

  • Definition:Abszessbildung im Bereich einer Tonsille, häufige Komplikation bei einer Tonsillitis.
  • Häufigkeit:Am häufigsten bei jungen Erwachsenen, ca. 40 Fälle pro 100.000 pro Jahr.
  • Symptome:Fieber, Krankheitsgefühl, Halsschmerzen, Schmerzen beim Schlucken, zunehmende Kieferschmerzen und Kieferklemme, heisere Stimme.
  • Befunde:Kieferklemme, zu einer Seite verschobene Tonsille und Zäpfchen, Wölbung über der Tonsille.
  • Diagnostik:Nicht erforderlich, evtl. intraorale Sonografie oder CT/MRT bei V. a. Abszedierung über den Peritonsillarraum hinaus.
  • Therapie:Überweisung zur HNO-Praxis. Punktion oder Inzision, Antibiose der Wahl Aminopenicillin + Betalaktamase-Inhibitor.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Tiefe Halsinfektion mit Abszessbildung zwischen Tonsille und Tonsillenkapsel
    • Zu trennen von dem Intratonsillarabszess (innerhalb des Tonsillenparenchyms) und dem Parapharyngealabszess (außerhalb der Tonsillenkapsel).
  • Eine frühzeitige Diagnose und eine frühe Einleitung der Behandlung sind wichtig, um mögliche schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden.

Häufigkeit

  • Es gibt keine genauen Daten zur Häufigkeit, aber die Inzidenz wird auf ca. 40 Fälle pro 100.000 Jugendliche oder Erwachsene geschätzt.1
    • Das bedeutet, dass in einer Hausarztpraxis mit 1.000 Patient*innen weniger als 1 Fall pro Jahr vorkommt.
  • Peritonsillarabszesse kommen bei Erwachsenen und Jugendlichen vor, seltener bei Kindern. Die höchste Inzidenz findet sich in der Gruppe der 20- bis 40-Jährigen.
  • Männer zu Frauen = 3:1
  • Peritonsillarabszesse treten am häufigsten im Winter auf, ähnlich wie Streptokokkenpharyngitiden und -tonsillitiden.2

Klinische Anatomie

  • Die beiden Tonsillen liegen an den Seitenwänden des Oropharynx zwischen vorderem und hinterem Gaumenbogen.
  • Die Tonsillen werden in den letzten Monaten der Fetogenese angelegt und wachsen unregelmäßig. Sie erreichen ihre maximale Größe im Alter von 6–7 Jahren.
  • In der Pubertät beginnen die Tonsillen, sich allmählich zurückzubilden, und im Erwachsenenalter bleibt bei den meisten Menschen kaum Tonsillengewebe zurück.3
  • Im gesunden Zustand ragen die Tonsillen medial nicht weiter als bis zum vorderen Gaumenbogen.4
  • Eine Tonsille hat auf der Oberfläche zahlreiche Krypten und ist von einer Kapsel umgeben, die Blutgefäße und Nerven enthält.
  • Ein Peritonsillarabszess bildet sich im Bereich zwischen den Tonsillen und dem umliegenden Gewebe.5
  • Weber-Drüsen
    • Dies ist eine Gruppe von 20–25 mukösen Speicheldrüsen im Bereich direkt oberhalb der Tonsillen im Gaumensegel, die mit der Oberfläche der Tonsillen verbunden sind.
    • Die Drüsen säubern den Bereich der Tonsillen von Verunreinigungen und tragen zur Verdauung von Nahrungspartikeln in den Tonsillenkrypten bei.
    • Einer Theorie nach entstehen Abszesse durch eine Entzündung in den Weber-Drüsen mit lokaler Phlegmone und schließlicher Abszessbildung.

Ätiologie und Pathogenese

  • Bakterielle Superinfektionen sind bei einer Tonsillitis normal, häufig handelt es sich dabei um Mischinfektionen mit anaeroben Bakterien.
  • Mikrobiologie6
    • Die häufigste Ursache ist das Bakterium Fusobacterium necrophorum, das bei ca. 25 % der Patient*innen kultiviert werden kann.
    • Am zweithäufigsten ist Streptococcus pyogenes, Gruppe A (GAS). Das Bakterium kann bei ca. 18 % der Patient*innen kultiviert werden. In manchen Publikationen auch in 50 % der Fälle.6
    • Anaerobe Bakterien kommen ebenfalls häufig vor.7
  • Ein Peritonsillarabszess beginnt in der Regel als eine akute exsudative Tonsillitis, die zu einer Phlegmone voranschreitet und schließlich im Gewebe, das die Tonsillen umgibt, einen Abszess bildet.
  • In einigen Fällen entwickelt sich ein Abszess ohne vorherige akute Tonsillitis, in solchen Fällen ist es möglich, dass der Abszess aus einer primären Infektion in den Weber-Drüsen hervorgeht.8

Prädisponierende Faktoren

  • Aggressiver Bakterienstamm
  • Schwere parodontale Erkrankung8
  • Rauchen8
  • Schlechte Mundhygiene
  • Häufige Infektionen (u. a. auch mit dem Epstein-Barr-Virus
  • Neoplasien

ICD-10

  • J36 Peritonsillarabszess

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Diagnose, evtl. ergänzt durch eine diagnostische Inzision
  • Die typischen Symptome sind Halsschmerzen und Fieber mit einem Kloßgefühl im Hals und heiserer Stimme, im Verlauf Auftreten einer Kieferklemme in unterschiedlichem Ausmaß (Trismus).
  • Die Untersuchung zeigt eine rote Schwellung oberhalb oder seitlich einer Tonsille mit einer Verschiebung der Tonsille zur Mitte hin.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Zu Beginn sind die Symptome wie bei gewöhnlichen Halsschmerzen.
  • Zunehmendes Fieber, Müdigkeit, Hals- und Schluckschmerzen, Ohrenschmerzen, beeinträchtigter Allgemeinzustand
  • Die Halsschmerzen sind auf der betroffenen Seite deutlich stärker und strahlen auf der gleichen Seite häufig auf das Ohr aus.
  • Entwicklung einer Kieferklemme, Foetor ex ore, heisere/kloßige Stimme
  • Das Schlucken ist erschwert, was zur Speichelansammlung in der Mundhöhle und evtl. zum Abfließen von Speichel aus dem Mund führt.
  • Die Erkrankung kann sich auch noch nach dem Beginn der Penicillintherapie aufgrund einer Proliferation in den extrakapsulären Raum verschlechtern.

Klinische Untersuchung

  • Die Patient*innen wirken krank.
  • Untersuchung
    • Kann aufgrund einer Kieferklemme schwierig sein, Trismus.
  • Oropharynx
    • deutliche Asymmetrie der Tonsillen und der Gaumenbögen
    • Das peritonsilläre Gewebe ist vereitert, ödematös, und die Tonsille ist zur gesunden Seite hin verschoben.
    • Das Zäpfchen ist gleichermaßen verschoben.
  • Hals
    • ausgesprochen schmerzempfindliche zervikale Lymphknoten auf der betroffenen Seite

Ergänzende Untersuchungen

  • Für die Diagnose sind keine Laboruntersuchungen nötig.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Punktion zur Probenentnahme
    • Die Aspiration von Eiter bestätigt die Diagnose.5
    • Mikrobiologische Untersuchung zur gezielten antibiotischen Therapie
  • Ultraschall
    • Kann verwendet werden, um zwischen peritonsillären Infektionen und einem Abszess zu unterscheiden.8
    • Durch Anwendung intraoraler Sonografie lassen sich eine unnötige Aspiration oder Inzision vermeiden, bei Bestätigung der Verdachtsdiagnose die Therapieeinleitung beschleunigen oder bei fehlenden Hinweisen auf Abszedierung die ambulante Patientenversorgung unterstützen.
  • CT oder MRT
    • Bildgebung indiziert bei klinischem Verdacht auf Abszedierung über den Peritonsillarraum hinaus.
    • Eine MRT liefert bessere Bilder des Weichteilgewebes und ist auch besser geeignet, um Komplikationen von tiefen Infektionen wie Thrombose in die Jugularvene oder Erosion des Abszesses in die Karotisscheide anzuzeigen.
      • Wegen der Strahlenbelastung vor allem bei Kindern zu bevorzugen.

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei V. a. einen Peritonsillarabszess sollten die Patient*innen in eine HNO-Praxis überwiesen werden.
  • Bei schweren Symptomen oder einer schnellen Progression der Symptome sollte eine Einweisung in die Klinik erfolgen.
  • Bei Dyspnoe, Stridor oder anderen Hinweisen auf eine Verlegung der Atemwege umgehend Krankenhauseinweisung in notärztlicher Begleitung.

Therapie

Therapieziele

  • Schnelle chirurgische Sanierung und antibiotische Therapie, um weitere Abszedierung und Folgekomplikationen zu verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Bei V. a. Peritonsillarabszess sollte eine Überweisung zu Fachärzt*innen für HNO erfolgen.
  • Zur Therapie des Peritonsillarabszesses haben sich Nadelpunktion, Inzisionsdrainage und Abszess-Tonsillektomie (Tonsillektomie à chaud) als wirksam erwiesen.
  • Bei der Auswahl des Therapieverfahrens soll die Kooperationsfähigkeit der Patient*innen berücksichtigt werden.
  • Die simultane Antibiotikatherapie soll durchgeführt werden.
  • Die Abszess-Tonsillektomie ist zu bevorzugen, wenn Komplikationen durch den Peritonsillarabszess eingetreten sind, oder wenn alternative Therapieverfahren erfolglos waren.
  • Die simultane Tonsillektomie auf der Gegenseite sollte nur bei Empfehlung zur Tonsillektomie oder Hinweisen auf einen bilateralen Peritonsillarabszess erfolgen.
  • Der Nadelpunktion/Inzisionsdrainage ist der Vorzug zu geben, wenn Komorbiditäten, erhöhtes OP-Risiko oder Gerinnungsstörungen vorliegen.
  • Eine Intervall-Tonsillektomie sollte nicht erfolgen, da es keine Studien gibt, die einen Vorteil durch die ITE zeigen.
  • Peritonsillarabszess-Rezidive sind nach Nadelpunktion und/oder Inzisionsdrainage selten.

Medikamentöse Therapie

  • Aminopenicillin + Betalaktamase-Inhibitor werden als Mittel der Wahl empfohlen.
    • 3 Einzeldosen/Tag Amoxicillin 500–875 mg + Clavulansäure 125 mg
      • Eine weitere Alternative ist Clindamycin (20 mg/kg KG/d p. o. in 3 Einzelgaben).
      • Alternativen sind Clindamycin, Cephalosporine der 1./2. Generation und Metronidazol.
  • Schmerzstillende Medikamente
  • Aufgrund der Gefahr von Ateminsuffizienz und Aspiration sind Morphinpräparate und Hypnotika kontraindiziert.
  • Evtl. Flüssigkeitszufuhr bei klinisch relevanter Exsikkose durch die mangelnde Fähigkeit zu schlucken.

Steroidtherapie

  • Kortikosteroide können bei einem Peritonsillarabszess erwiesenermaßen die Schmerzen reduzieren und die Heilung beschleunigen.5,8-9
    • Es sind mehrere randomisierte Studien erforderlich, um die Langzeitwirkung und die Nebenwirkungen zu bewerten.

Operative Therapie

Punktion und Inzision

  • Es ist nicht erwiesen, dass die Inzision besser ist als die Punktion.10
  • Eine Drainage ist in Kombination mit Antibiotika in mehr als 90 % der Fälle kurativ.8

Sofortige Tonsillektomie?

  • Eine solche Behandlung hat sich gegenüber der Nadelaspiration oder der Inzision nicht als wirksamer erwiesen und wird als weniger kosteneffizient angesehen.11
  • Andere Studien kommen zum Schluss, dass die akute Chirurgie ihre Vorteile hat.
  • Eine sofortige Tonsillektomie kann bei Patient*innen mit starken Indikationen für eine Tonsillektomie geeignet sein: Schlafapnoe, rezidivierende Tonsillitiden, rezidivierender Peritonsillarabszess, Kinder.8

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Der Verlauf ist abhängig von der Therapie und davon, wie schnell diese erfolgt.

Komplikationen

  • Bei korrekt durchgeführter Therapie kommt es selten zu Komplikationen.
  • Mögliche Komplikationen sind parapharyngeale Ausbreitung, Larynxödem, Spontanperforation, Erstickung, Blutungen (daher kein scharfes Debridement empfohlen), Venenthrombose oder suppurative Thrombophlebitis, nekrotisierende Fasziitis.
  • Es besteht die Möglichkeit einer Ausbreitung auf die Halsgefäße und der Entwicklung eines Lemierre-Syndroms.

Prognose

  • Die Prognose ist in der Regel gut.
  • Peritonsillarabszess-Rezidive nach Nadelpunktion und/oder Inzisionsdrainage sind selten.
  • In sehr seltenen Fällen kann sich ein retropharyngealer Abszess bilden, mit dem Risiko eines Larynxödems und Erstickungsgefahr.
  • Todesfälle sind durch Fremdkörperaspiration, Blutung aus einer Erosion oder septischer Nekrose im Bereich der Karotis möglich.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

PeritonsilarAbsess.jpg
Peritonsillarabszess

Quellen

Literatur

  1. Klug TE, Rusan M, Fuursted K et al. Fusobacterium necrophorum: most prevalent pathogen in peritonsillar abscess in Denmark. Clin Infect Dis 2009; 49: 1467-72. PubMed
  2. Belleza WG, Kalman S. Otolaryngologic emergencies in the outpatient setting. Med Clin North Am 2006; 90: 329-53. PubMed
  3. Berkovitz BK, ed. Pharynx. In: Standring S, ed. Grays Anatomy. The Anatomical Basis of Clinical Practice. 39th ed. New York, NY: Churchill Livingstone, 2005: 623-5.
  4. Khayr W, Taepke J. Management of peritonsillar abscess: needle aspiration versus incision and drainage versus tonsillectomy. Am J Ther 2005; 12: 344-50. PubMed
  5. Galioto NJ. Peritonsillar abscess. Am Fam Physician 2008; 77: 199-202. PubMed
  6. Klug TE, Henriksen J-J, Fuursted K et al. Significant pathogens in peritonsillar abscesses. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2011; 30: 619-27. PubMed
  7. Repanos C, Mukherjee P, Alwahab Y. Role of microbiological studies in management of peritonsillar abscess. J Laryngol Otol. 2009 Aug. 123(8):877-9. www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Herzon FS, Martin AD. Medical and surgical treatment of peritonsillar, retropharyngeal, and parapharyngeal abscesses. Curr Infect Dis Rep 2006; 8: 196-202. PubMed
  9. Hardman JC, McCulloch NA, Nankivell P. Do corticosteroids improve outcomes in peritonsillar abscess? Laryngoscope. 2015 Mar;125(3):537-8. doi: 10.1002/lary.24936 DOI
  10. Chang BA, Thamboo A, Burton MJ, Diamond C, Nunez DA. Needle aspiration versus incision and drainage for the treatment of peritonsillar abscess. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; Issue 12: Art. No.: CD006287 . pmid:28009937 PubMed
  11. Johnson RF, Stewart MG, Wright CG. An evidence-based review of the treatment of peritonsillar abscess. Otolaryngol Head Neck Surg 2003; 128: 332-43. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Heidrun Bahle, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München

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