Arzneimittelinduzierte Hautreaktionen

Zusammenfassung

  • Definition:Unerwünschte Arzneimittelwirkung in Form einer Hautreaktion.
  • Häufigkeit:Ca. 1–10 % der behandelten Patient*innen. Gehäuft bei Frauen und älteren Menschen.
  • Symptome und Befunde:Bei Sofortreaktionen Urtikaria, Angioödem bis hin zur Anaphylaxie. Bei Spätreaktionen Exantheme bis hin zu schweren Hautreaktionen (toxische epidermale Nekrolyse).
  • Diagnostik:Evtl. Eosinophilie im Blut. Im Rahmen einer allergologischen Abklärung Hauttest (Pricktest, Intradermaltest, Epikutantest), Provokationstest, Test auf spezifische IgE-Antikörper.
  • Therapie:Absetzen des auslösenden Medikaments als wichtigste Maßnahme. Supportive Medikation durch Glukokortikoide, Antihistaminika. Bei schweren Hautreaktionen intensivmedizinische Behandlung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Unerwünschte Hautreaktion auf ein Arzneimittel, die die Struktur oder Funktion von Haut, Hautanhangsgebilden oder Schleimhäuten betrifft.1

Allgemeine Einteilung unerwünschter Arzneimittelreaktionen

  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) werden gegliedert in Typ A (pharmakologisch-toxisch) und Typ B (Überempfindlichkeit).
  • Typ A („augmented“)
    • dosisabhängig voraussehbare pharmakologisch-toxische Wirkung eines Arzneimittels
  • Typ B („bizarre“)
    • individuell nicht vorhersehbare Reaktion, Auftreten nur bei Prädisponierten
    • Zwei Formen können unterschieden werden:
      • Arzneimittel-Allergie
        • immunologische Reaktion (Typen I–IV nach Coombs u. Gell)
      • nichtimmunologische Arzneimittelüberempfindlichkeit (Hypersensitivität)
        • kein immunologischer Mechanismus nachweisbar

Problemstellung

  • Beinahe jedes Arzneimittel kann Hautreaktionen auslösen, bei einigen Substanzklassen wie Antibiotika und Antikonvulsiva beträgt die Häufigkeit bis 1–5 %.2
  • Typ-B-Reaktionen sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von individuellen Faktoren der Patient*innen im Allgemeinen nicht vorhersehbar.
  • Meist lässt die Art des Exanthems keine eindeutigen Rückschlüsse auf das verantwortliche Medikament zu.
  • Auch wenn die meisten Hautreaktionen leichteren Grades sind, gibt es auch schwere und potenziell lebensbedrohliche Verläufe.2
  • Wichtig ist daher:
    • die Einteilung in milde und schwere Formen, um eine adäquate Therapie einzuleiten.
    • die Unterscheidung in allergische/nichtallergische Genese, da bei allergischen Reaktionen eine erneute Exposition fatal verlaufen kann.

Häufigkeit

  • Hautreaktionen sind die häufigste Form von UAW.3
  • Prävalenz
    • Unterschiedliche epidemiologische Daten, betroffen sind ca. 1–10 % der ambulanten Patient*innen.4-5
  • Geschlecht
    • Frauen zu Männern ca. 2:1
  • Alter 
    • häufiger bei Älteren4
    • bei geriatrischen Patient*innen 2–3 x häufiger auf als bei Patient*innen < 30 Jahre

Ätiologie

  • Grundsätzlich kann jedes Medikament jede unerwünschte Arzneimittelreaktion verursachen.

Häufige Auslöser verschiedener Hautreaktionen

  • Makulöse/makulopapulöse Exantheme
    • Penizilline, Sulfonamide, Allopurinol, Antiepileptika
  • Fixe Arzneimittelexantheme
    • Tetrazykline, Sulfonamide, NSAR
  • Urtikarielle Exantheme
    • Penizilline, NSAR
  • Dermatosen-imitierende Exantheme
    • lichenoide Exantheme: Thiazide, Captopril, Gold, Betablocker
    • psoriasiforme Exantheme: Gold, Lithium, Betablocker, Kalziumantagonisten
    • Akneiforme Exantheme: Steroidhormone, Lithium
  • Phototoxische/photoallergische Reaktion
    • Tetrazykline, Gyrasehemmer, Diuretika
  • Schwere Hautreaktionen
    • DRESS (Drug Reaction with Eosinophilia and Systemic Symptoms): Carbamazepin, Phenytoin, Allopurinol, Sulfonamide 
    • SJS (Stevens-Johnson-Syndrom), TEN (toxische epidermale Nekrolyse: Allopurinol, Sulfonamide, Antiepileptika

Pathogenese

  • Spezifisches Merkmal immunologischer Reaktionen ist eine pathologische Aktivierung des erworbenen Immunsystems, hingegen können Teile des angeborenen Immunsystems bei allen Typ-B-Reaktionen beteiligt sein.

Immunologische Reaktionen

  • Eine Sensibilisierungsphase ist Voraussetzung für die Aktivierung des adaptiven Immunsystems und Auslösung einer Immunreaktion bei erneutem Kontakt.
  • Nach Coombs und Gell können vier immunologisch vermittelte Reaktionen unterschieden werden:4
    • Typ I (IgE-vermittelt): Urtikaria, Angioödem, Anaphylaxie
      • Reaktionszeit: 0–6 Stunden (selten bis 12 Stunden)
    • Typ II (zytotoxisch): Purpura, hämolytische Anämie
    • Typ III (immunkomplex-vermittelt): Vaskulitis
    • Typ IV (T-Zell-vermittelt): verschieden Formen von Exanthemem, Kontaktdermatitis, photoallergische Reaktion.
  • Typ 1- und Typ 4- Reaktionen treten am häufigsten auf.6
  • Siehe auch Artikel Arzneimittelinduzierte allergische Reaktionen.

Nichtimmunologische Reaktionen

  • Nichtimmunologische Reaktionen beruhen auf direkter Komplement- oder Zellaktivierung, entzündlichen Signalkaskaden oder Enzymhemmung.
  • Da gleiche Effektormechanismen und klinische Symptome wie bei immunologischen Typ-B-Reaktionen auftreten können, wird manchmal auch von Pseudoallergie gesprochen.
  • Nichtimmunologischen Pathomechanismen sind:
    • Histaminfreisetzung
    • Komplementaktivierung
    • Enzyminhibition.
  • Reaktionszeit: 0–6 Stunden (selten bis 12 Stunden)

Wichtige Auslöser von immunologischen und nichtimmunologischen Reaktionen

  • Auslöser immunologischer Reaktionen (Beispiele)
    • Penizilline
    • Cephalosporine
    • Insuline
    • Heparine
    • Pyrazolone
    • Muskelrelaxanzien
    • Biologika7
  • Auslöser nichtimmunologischer Reaktionen (Beispiele)
    • Sulfonamide und andere Nicht-Beta-Laktam-Antibiotika
    • Lokalanästhetika
    • NSAR
    • ACE-Hemmer
    • Antiepileptika
    • Opiate

Allgemeines zur klinischen Manifestation

Zeitabhängigkeit

Zeitintervall bis zur Hautreaktion
  • Bei bereits überempfindlichen Patient*innen
    • Sofortreaktion („immediate“): sofort bis 60 min
    • verzögerte Reaktion („non-immediate“) > 1 Stunde bis mehrere Wochen
      • ca. 80 % der kutanen Hautreaktionen
  • Bei Neusensibilisierung unter Therapie: typische Sensibilisierungslatenz 5–10 Tage
Manifestation abhängig vom zeitlichen Auftreten
  • Abhängig vom zeitlichen Aufreten können unterschieden werden:

Häufigkeit verschiedener Hautreaktionen

  • Die häufigsten benignen Hautreaktionen sind:5,8
    • makulopapulöses Exanthem5
    • fixes Arzneimittelexanthem
    • Urtikaria
  • Seltenere arzneimittelinduzierte Hautreaktionen
    • Dermatosen-imitierende Reaktionen
    • Vaskulitis
    • photochemische Reaktionen
    • schwere arzneimittelinduzierte Hautreaktionen

Spezielle klinische Manifestationen

Makulopapulöses Exanthem

  • Häufigste Form der kutanen Arzneimittelreaktion
  • Folge einer Spättyp-Reaktion (Typ-IV-Allergie)
  • Häufige Auslöser: Antibiotika (insbesondere Beta-Laktam-Antibiotika und Sulfonamide), Antikonvulsiva, Allopurinol und NSAR
  • Auftreten meist 8–10 Tage nach Einnahme (Beginn auch nach Absetzen noch möglich)
  • Üblicherweise Beginn an Stamm und Nacken, zentrifugale Ausbreitung über die Extremitäten
    • Ausgespart sind im Allgemeinen Kopf, Handflächen/Fußsohlen und Schleimhäute.

Urtikaria

  • Urtikaria kann sowohl immunologisch als auch nichtimmunologisch ausgelöst werden.
  • Häufige Auslöser sind Beta-Laktam-Antibiotika und NSAR
  • Auftreten meist innerhalb von Minuten bis zu 1 h nach Arzneimittelaufnahme
  • Juckende Quaddeln unterschiedlicher Größe, die einzelne Quaddel besteht nicht länger als 24 h.
  • Evtl. gleichzeitiges Auftreten von Angioödemen
  • Auftreten im Rahmen einer Anaphylaxie bis hin zum anaphylaktischen Schock möglich (siehe auch Anaphylaxie, Erste Hilfe)

Fixes Arzneimittelexanthem

  • Verzögerte immunologische Reaktion vom Typ IV, typische Auslöser sind Antibiotika (insbesondere Cotrimoxazol) und Analgetika (NSAR, Paracetamol).
  • Beginn meist innerhalb von 2 Wochen nach Exposition
  • Auftreten gewöhnlich als einzelne oder mehrere, gut abgrenzbare Makulä oder Plaques; Größe der Läsionen ca. 1–10 cm
  • Häufig akrale Lokalisation (Hände, Füße, Lippen, Genitale), aber auch an Extremitäten, Rumpf, Kopf und Schleimhäuten,
  • Bei erneuter Exposition Auftreten an derselben Stelle, schnelle Reaktivierung innerhalb 12 Stunden möglich,

Dermatosen-imitierende Reaktionen

  • Arzneimittelreaktionen können Dermatosen imitieren, die Abgrenzung ist häufig schwierig und die Nomenklatur uneinheitlich.
    • Manche Arzneimittel können sowohl eine bestehende Dermatose verschlechtern als auch eine Arzneimittelreaktion auslösen (z. B. TNF-Alpha-Blocker: Psoriasis bzw. psoriasiformes Exanthem).
  • Auslöser sind zahlreiche klassische aber auch neue (Biologika) Substanzen.7
  • Ausgelöst werden u. a.:
    • pityriasiformes Exanthem
    • psoriasiformes Exanthem
    • lichenoides Exanthem
    • Arzneimittelinduzierte Varianten, die formal zu den Dermatosen gezählt werden:

Vaskulitis

  • Typ-III-Reaktion mit Ablagerung von Immunkomplexen2
  • Auslöser sind u. a. Penicilline, Sulfonamide, NSAR und Thiazide.
  • Präsentation häufig als Purpura im Bereich der Beine, weitere Manifestationsformen sind erythematöse Makulä, hämarrhagische Blasen oder Ulzerationen.2

Photosensitivität

  • Phototoxizität9
    • Symptome sind sonnenbrandähnlich und auf die sonnenexponierten Bereiche beschränkt.
    • Auftreten in Minuten bis Stunden
    • Zahlreiche auslösende Medikamente, z. B. Diuretika, ACE-Hemmer, Ca-Antagonisten, u. v. a.
  • Photoallergie9
    • Symptome ähnlich einem Kontaktekzem
    • Auftreten 24–72 h nach Exposition
    • Überwiegend sind sonnenexponierte Areale betroffen, Ausdehnung auf den nicht exponierten Bereich ist möglich.
  • Siehe auch Artikel Lichtdermatosen.

Schwere Hautreaktionen

  • Schwere Hautreaktionen sind T-Zell-vermittelt (Typ-IV-Reaktion).
  • Seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Reaktionen (vor allem SJS/TEN, jährliche Inzidenz 1–2/1.000.000), im Einzelnen können unterschieden werden:
  • AGEP (akute, generalistierte exanthematische Pustulose) 
    • rasches Auftreten von Dutzenden bis Hunderten stecknadelkopfgroßen Pusteln (betont in den Beugen) auf diffusem Erythem, akut häufig Fieber über 38 °C, gelegentlich Schleimhaut- und Organbeteiligung
  • DRESS (Drug Reaction with Eosinophilia and Systemic Symptoms)
    • variierendes Bild, häufig makulo-papulöses Exanthem bis hin zur Erythrodermie
    • begleitend Fieber, Gesichtsödem, Lymphadenopathie, Bluteosinophilie, Organbeteiligungen (v. a. Leber, Niere, Lunge)
  • SJS (Stevens-Johnson-Syndrom), TEN (toxische epidermale Nekrolyse)
    • Erytheme mit Übergang in z. T. ausgedehnte Blasenbildung, ähnlich einer großflächigen zweitgradigen Verbrennung oder Verbrühung, erosive Schleimhautveränderungen, Fieber
    • definitionsgemäß Hautablösung bei SJS < 10 %, bei TEN > 30 %, Übergangsform 10–30 %
    • Medikamente mit hohem Risiko sind u. a. Allopurinol, Antiepileptika (Carbamazepin, Phenytoin, Lamotrigin), Sulfonamide (Cotrimoxazol).

Prädisponierende Faktoren

Patient*innen

  • Alter
    • häufiger bei Älteren
  • Geschlecht
    • Frauen sind häufiger betroffen.
  • Allergische Disposition
  • Chronische Erkrankungen
  • Alkoholismus
  • Infektionen (z. B. HIV)

Medikation

  • Substanz
  • Polypharmazie
  • Applikationsform
    • Das Risiko einer Arzneimittelreaktion nimmt in folgender Reihenfolge zu:
      • peroral
      • intravenös
      • intramuskulär
      • subkutan
      • topisch

ICPC-2

  • A85 Unerwünschte Wirkung eines Medikaments
  • S99 Hautkrankheit, andere

ICD-10

  • L27.- Dermatitis durch oral, enteral oder parenteral aufgenommene Substanzen
    • L27.0 Generalisierte Hauteruption durch Drogen oder Arzneimittel
    • L27.1 Lokalisierte Hauteruption durch Drogen oder Arzneimittel
    • L27.2 Dermatitis durch aufgenommene Nahrungsmittel
    • L27.8 Dermatitis durch sonstige oral, enteral oder parenteral aufgenommene Substanzen
    • L27.9 Dermatitis durch nicht näher bezeichnete oral, enteral oder parenteral aufgenommene Substanz

Sonstige

  • L10.5 Arzneimittelinduzierter Pemphigus
  • L23.3 Allergische Kontaktdermatitis durch Drogen oder Arzneimittel bei Hautkontakt
  • L24.4 Toxische Kontaktdermatitis durch Drogen oder Arzneimittel bei Hautkontakt
  • L25.1 Nicht näher bezeichnete Kontaktdermatitis durch Drogen oder Arzneimittel bei Hautkontakt
  • L50.- Urtikaria
  • L56.0 Phototoxische Reaktion auf Arzneimittel
  • L56.1 Photoallergische Reaktion auf Arzneimittel
  • L51.2 Toxische epidermale Nekrolyse
  • T78.4 Allergie, nicht näher bezeichnet
  • T88.7 Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer Droge

Diagnostik

  • Eine allergologische Diagnostik ist nur bei allergischen oder nicht allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen (Typ-B-Reaktionen) sinnvoll.
    • nicht sinnvoll bei pharmakologisch-toxischen Arzneimittelnebenwirkungen (Typ-A-Reaktionen)

Diagnostische Kriterien

  • Die Zuordnung zu einem Medikament als Auslöser kann als ausreichend gesichert angesehen werden bei:
    • typischer Anamnese und Symptomatik einer Hautreaktion und
    • eindeutigen Befunden validierter Haut- und/oder Labortests (bei nicht sicher aussagekräftigen Tests evtl. kontrollierte Provokationstestung).
  • Ein sicherer Ausschluss einer Arzneimittelüberempfindlichkeit ist auch bei Anwendung aller verfügbaren Testverfahren nicht immer möglich, jedoch bessere Risikoeinschätzung. 

Differenzialdiagnosen

Anamnese und Untersuchungsbefunde

Anamnese

  • Medikation
    • Substanz(en), Dosierung
    • Dauermedikation, kurzzeitig eingenommene Medikation
    • Art der Anwendung (oral, s. c., topisch)
    • Verträglichkeit bei früherer Anwendung
  • Hautreaktion
    • zeitlicher Abstand zwischen Medikation und Hautreaktion (Sofortreaktion, Spätreaktion)
    • Art des Ausschlags 
    • Lokalisation
    • Dauer 
    • Änderungen im Verlauf
    • Juckreiz
  • Weitere Symptome
  • Vorerkrankungen
  • Kofaktoren für allergische Reaktion
    • Infektion
    • Stress
    • Nahrungsaufnahme
    • Alkohol
    • körperliche Anstrengung
    • Sonnenexposition

Klinische Untersuchung

  • Klinisch-morphologischer Befund (evtl. Fotodokumentation)
    • Haut
    • Schleimhäute
  • Kreislauf (bei V. a. Anaphylaxie)
    • RR/Puls
  • Atemwege (bei V. a. Anaphylaxie)
    • auskultatorisch Obstruktion
  • Körpertemperatur

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor

Karenzversuch

  • Kann bei Besserung der Symptomatik einen Hinweis (jedoch keinen Beweis) auf möglichen Auslöser geben.
    • Zuvor sollte geklärt werden, ob das Präparat verzichtbar ist, bzw. ob auf ein nicht strukturverwandtes Medikament ausgewichen werden kann.

Red Flags

  • Warnzeichen für einen schweren Reaktionsverlauf:5-6
    • bullöse Hautreaktion
    • schmerzhafte Hautveränderungen
    • Beteiligung von Gesicht und Schleimhäuten
    • Allgemeinsymptome wie Fieber > 38,5 °C
    • Lymphadenopathie
    • Dyspnoe

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Eine allergologische Klärung möglichst innerhalb von 4 Wochen bis 6 Monaten nach Abheilung der Symptome ist anzustreben.
  • Der Verzicht auf eine Diagnostik kann einerseits schwere Reaktionen bei erneuter Exposition zur Folge haben, andererseits zu ungerechtfertigter Einschränkung der Therapiemöglichkeiten führen.
  • Eine allergologische Diagnostik bei Patient*innen ohne Vorgeschichte einer Arzneimittelüberempfindlichkeit („prophetische Testung“) ist nicht sinnvoll.

Hauttests

  • Geeignet zur Diagnostik immunologischer Arzneimittelreaktionen
    • Sofortreaktionen: vorwiegend Pricktest, Intrakutantest (Ablesung nach 20 min)
      • Bei Exanthemen sollte bei Prick- und Intrakutantests auch eine Spätablesung nach 48 und 72 Stunden erfolgen (z. B. Abklärung eines Amoxicillin-Exanthems).
    • Spätreaktionen: vorwiegend Epikutantest (Ablesung nach 48–72 h)
  • Pricktest
    • Methode der 1. Wahl zur Abklärung von Sofortreaktionen
    • Durchführung an der Volarseite der Unterarme (alternativ am oberen Rücken)
    • Jeweils ein Tropfen der Testlösung wird mit einer Pipette aufgebracht, durch den Tropfen wird die Haut oberflächlich angestochen.
  • Intrakutantest
    • sensitiver als der Pricktest, Durchführung vor allem bei unauffälligem Pricktest
    • Die Testlösung wird streng intrakutan injiziert, Ziel ist eine ca. 3mm große Quaddel.
    • Nachteile sind Schmerzhaftigkeit, höherer Aufwand und höheres Risiko systemischer Reaktionen.
  • Epikutantest („Pflastertest“)
    • Wird eingesetzt zur Diagnostik T-Zell-mediierter Arzneimittelreaktionen (Typ IV), z. B. makulopapulöses Exanthem.
    • Durchführung frühestens nach einem Monat nach Abheilung einer nicht IgE-vermittelten unerwünschten Reaktion
    • Aufbringen der Testallergene auf dem Rücken, Expositionsdauer von zwei Tagen (Erhöhung der Sensitivität), Ablesen nach 48 h und 7 2h (oder 96 h)

Spezielle Laboruntersuchungen

  • Können hilfreich sein bei negativen Hauttests sowie lebensbedrohlichen Reaktionen mit Gefährdung durch Hauttest (z. B. anaphylaktische Reaktionen auf Beta-Laktam-Antibiotika)
  • Tests zur Messung spezifischer IgE-Antikörper auf verschiedene Arzneimittel werden angeboten, allerdings stehen nur für wenige Substanzen validierte Tests zur Verfügung (z. B. Beta-Laktam-Antibiotika). 
  • Interpretation immer im Zusammenhang, sicherer Nachweis oder Ausschluss einer Arzneimittelüberempfindlichkeit allein durch In-vitro-Tests ist nicht möglich.

Provokationstest

  • Test mit der größten diagnostischen Aussagekraft
  • Durchführung nach kritischer Nutzen-Risiko-Analyse, Bedeutung z. B. bei dringender Notwendigkeit des verdächtigen Medikaments oder zur Überprüfung einer Verträglichkeit möglicher Ausweichmedikamente
  • Testsubstanzen sollten in der Form verabreicht werden, die zur Überempfindlichkeitsreaktion geführt hat.
  • Durchführung stationär mit Möglichkeit zur Notfallversorgung durch erfahrenes Personal

Biopsie/Histologie

  • Im Rahmen einer erweiterten Abklärung, z. B. zur Abgrenzung von Arzneimittelreaktionen gegen Dermatosen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Patient*innen mit SJS/TEN müssen intensivmedizinisch behandelt werden (evtl. auf einer Verbrennungseinheit).

Therapie

Therapieziele

  • Unerwünschte Arzneimittelreaktionen vermeiden
  • Symptome lindern
  • Komplikationen behandeln

Allgemeines zur Therapie

Absetzen des Medikaments

  • Wichtigste Maßnahme ist – wenn möglich – das Absetzen des auslösenden Medikaments.10
    • Verabreichung alternativer Präparate mit andersartiger chemischer Struktur

Sofortreaktionen

  • Medikamente mit Sofortreaktionen dürfen im Allgemeinen nicht mehr verabreicht werden.
  • Bei unverzichtbaren Präparaten kann evtl. eine Toleranzinduktion durchgeführt werden (z. B. ASS).
    • rasche Dosissteigerung (innerhalb weniger Stunden bis Tage) von initial sehr geringer bis zur therapeutischen Dosis
    • Toleranz besteht nur für die Dauer der Applikation, bei zwischenzeitlicher Pausierung muss erneute Toleranzinduktion erfolgen!
  • Zu Details der Notfalltherapie siehe Anaphylaxie, Erste Hilfe

Spätreaktionen

  • Die Reaktion kann nur supportiv und nicht kausal behandelt werden.6
  • Therapeutische Optionen sind:5
    • topische Glukokortikoide
    • systemische Glukokortikoide
      • z. B. 0,5–0,75 mg/kg Prednisolonäquivalent
    • Antihistaminika
  • Sehr leichte Verläufe
    • Bei mangelnder Alternativmedikation kann auch ein Durchbehandeln erwogen werden unter engmaschiger Kontrolle.
    • begleitende Therapie mit Glukokortikoiden und/oder Antihistaminika zur Symptomlinderung
  • Leichte bis mittelgradige Verläufe
    • Absetzen des Arzneimittels
    • je nach Symptomatik Therapie mit topischen/systemischen Glukokortikoiden sowie Antihistaminika

Schwere arzneimittelinduzierte Hautreaktionen

  • Bei Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und toxischer epidermaler Nekrolyse (TEN) ist eine intensivmedizinische Therapie erforderlich (evtl. Spezialeinheit für Verbrennungen).
  • Medikamentöse Behandlung
    • Glukokortikoide scheinen bei SJS/TEN nicht zuverlässig anzusprechen.6
    • Weitere therapeutische Optionen sind u. a.:11
      • intravenöse Immunglobuline
      • Cyclosporin A
      • TNF-Alpha-Inhibitoren
      • Plasmapherese

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

Verlauf und Prognose

  • Die meisten Hautreaktionen nehmen einen benignen Verlauf.5
  • In der Mehrzahl der Fälle klingen die Symptome nach Absetzen eines Medikaments innerhalb von 1–2 Wochen ab.10
  • Ca. 2 % der Reaktionen nehmen einen schweren oder sogar lebensbedrohlichen Verlauf.3
    • Mortalität des SJS bei 1–5 %, TEN bei 25–35 %

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Allergie_Hilbert.png
Arzneimittelexanthem (mit freundlicher Genehmigung von Bernadett Hilbert)
Arzneimittelinduzierte Hautreaktion mit generalisiertem makulopapulösem Exanthem
Arzneimittelinduzierte Hautreaktion mit generalisiertem makulopapulösem Exanthem
Makulopapulöses Arzneimittelexanthem
Makulopapulöses Arzneimittelexanthem
Arzneimittelexanthem
Arzneimittelexanthem
Arzneimittelexanthem
Arzneimittelexanthem
Photochemische Reaktion
Photochemische Reaktion
Arzneimittelinduzierte Hautreaktion
Arzneimittelinduzierte Hautreaktion
Stevens-Johnson-Syndrom
Stevens-Johnson-Syndrom
Toxische epidermale Nekrolyse
Toxische epidermale Nekrolyse

Quellen

Literatur

  1. Common cutaneous drug reactions. BMJ Best Practice. Last updated 20 May 2020. Zugriff 15.12.22. bestpractice.bmj.com
  2. Lee A. Adverse drug reactions - Chapter 5: Drug-induced skin reactions. London - Chicago: Pharmaceutical Press, 2005.
  3. Farshchian M, Ansar M, Zamanian M, et al. Drug-induced skin reactions: a 2-year study. Clinical, Cosmetic and Investigational Dermatology 2015; 8: 53-56. doi:10.2147/CCID.S75849 DOI
  4. Blume J. Drug eruptions. Medscape, updated July 07, 2022. Zugriff 15.12.22. emedicine.medscape.com
  5. Hoetzenecker W, Nägeli M, Nehra W, et al. Adverse cutaneous drug eruptions: current understanding. Semin Immunopathol 2016; 38: 75-86. doi:10.1007/s00281-015-0540-2 DOI
  6. Böhm R, Proksch E, Schwarz T, et al. Drug hypersensitivity—diagnosis, genetics, and prevention. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 501–12. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0501 www.aerzteblatt.de
  7. Pasadyn S, Knabel D, Fernandez A, et al. Cutaneous adverse effects of biologic medications. Clevel Clin J Med 2020; 87: 288-289. doi:10.3949/ccjm.87a.19119 DOI
  8. Goutham S, Rajendran N. Patterns of Cutaneous Drug Reactions: A Review. Journal of Basic, Clinical and Applied Health Science 2019. doi:10.5005/jp-journals-10082-02223 DOI
  9. Zuba E, Koronowska S, Osmola-Mankowska A, et al. Drug-induced Photosensitivity. Acta Dermatovenerol Croat 2016; 24: 55-64. pmid:27149132 PubMed
  10. Riedl M, Casillas A. Adverse Drug Reactions: Types and Treatment Options. Am Fam Physician 2003; 68: 1781-1790. www.aafp.org
  11. Zhang J, Zixian L, Xu C, et al. Current Perspectives on Severe Drug Eruption. Clinical Reviews in Allergy & Immunology 2021; 61: 282-298. doi:10.1007/s12016-021-08859-0 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit