Phlegmone

Zusammenfassung

  • Definition:Bakterielle Infektion der Haut und des darunter liegenden Bindegewebes. Einteilung nach Notwendigkeit einer chirurgischen Sanierung (nein = begrenzte Phlegmone vs. ja = schwere Phlegmone).
  • Häufigkeit:Inzidenz (gemeinsam mit Erysipel) 180/100.000. Häufigkeit mit dem Alter stark ansteigend.
  • Symptome:Beginn oft nach (Bagatell-)Verletzung, meist an unterer Extremität oder im Gesicht. Lokale Entzündung mit Rötung und Schmerzen.
  • Befunde:Warmes, leicht schmerzhaftes Erythem um Eintrittspforte wie z. B. Ulkus. Befund stärker ödematös als beim Erysipel, von dunklerem Rot und mit weniger scharf abgegrenzten Rändern. Bei schwerer Phlegmone Allgemeinsymptome wie Fieber und schweres Krankheitsgefühl möglich.
  • Diagnostik:Klinische Diagnose. Bei (Übergang zu) schwerer Phlegmone Gewinnung von Gewebeproben zur Erregeridentifizierung.
  • Therapie:Antibiotische Therapie und Hochlagerung des betroffenen Körperteils. Bei schwerer Phlegmone stationäre Therapie mit chirurgischer Sanierung und intravenöser Antibiose.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Begrenzte Phlegmone
    • Teilweise eitrige Infektion der Dermis und Subkutis, die weder ein (Streptokokken-bedingtes) Erysipel noch eine eitrig-nekrotische, bis an die Faszie reichende Infektion (schwere Phlegmone) darstellt.
  • Schwere Phlegmone
    • Invasive, grenzüberschreitende, meist eitrige Infektion mit Notwendigkeit einer dringlichen chirurgischen Versorgung und/oder mit deutlichen Zeichen einer systemischen Reaktion

Häufigkeit

  • Inzidenz von Phlegmonen und Erysipel gemeinsam 180 pro 100.000 Personen1
    • differenzierte Zahlen nicht verfügbar
    • starker Anstieg mit Patientenalter

Ätiologie und Pathogenese

  • Erreger gelangen über eine Läsion der Epidermis in die Kutis und Subkutis, wo sie sich vermehren.
    • mögliche Eintrittspforten z. B. kleine Hautverletzungen, Interdigitalmykosen oder chronische Wunden
  • Häufigste Erreger bei immunkompetenten Patient*innen Staphylococcus aureus

Prädisponierende Faktoren

  • Allgemein2
  • Lokal
    • Barrierestörungen der Haut (Wunden, Ulzera)
    • Infektionen der Zehen (z. B. Fußpilz)
    • Ödeme
    • durchgemachte Phlegmone
    • Xerosis cutis
    • venöse Insuffizienz
    • Z. n. Phlebektomie der V. saphena magna/parva

ICPC-2

  • S76 Hautinfektion, andere

ICD-10

  • L03 Phlegmone
    • L03.0 Phlegmone an Fingern und Zehen
    • L03.1 Phlegmone an sonstigen Teilen der Extremitäten
    • L03.2 Phlegmone im Gesicht
    • L03.3 Phlegmone am Rumpf
    • L03.8 Phlegmone an sonstigen Lokalisationen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Diagnose
    • warmes, leicht schmerzhaftes Erythem um Eintrittspforte wie z. B. Ulkus
    • Befund stärker ödematös als beim Erysipel, von dunklerem Rot und mit weniger scharf abgegrenzten Rändern

Differenzialdiagnose

  • Erysipel
    • überwärmtes, leicht schmerzhaftes hellrotes Erythem mit glänzender Oberfläche, scharf definiertem Rand und zungenartigen Ausläufern
    • Häufigster Erreger ist Streptococcus pyogenes.
    • meist systemische Entzündungsreaktion mit Fieber oder mindestens Frösteln
    • Korrekte klinische Abgrenzung wichtig, da sich Therapie unterscheidet.
  • Nekrotisierende Fasziitis
    • Dramatisches Krankheitsbild, bei dem es zu einer akuten und raschen Ausbreitung einer Infektion über tiefer liegende Faszien hinaus kommt.
      • charakterisiert durch rasch fortschreitende und lebensbedrohliche Nekrosen sowie Schockzustände durch bakterielle Toxine
    • Klinisch stehen häufig stärkste Schmerzen im Vordergrund.
    • Erfordert sofortige chirurgische Sanierung.
  • Erythema migrans
    • schwach rotes, kreisförmiges Erythem nach Zeckenbiss
  • Zoster
    • häufig Schmerzen/Brennen vor dem Ausbruch, Hautausschlag mit (vereinzelten) Bläschen
  • Gasbrand
    • rasch progrediente, toxische Infektion in einem vorgeschädigten Muskel
    • Krepitationen durch Gasbildung
  • Akutes Kontaktekzem
    • Charakteristisch ist Pruritus anstelle von Schmerzen und ein oberflächliches Ödem und Erythem.
  • Impfreaktion
    • Erythem und Verhärtung an der Einstichstelle
  • Akuter Gichtanfall
  • Tiefe Venenthrombose
  • Pyoderma gangraenosum bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung oder anderen systemischen Grunderkrankungen

Anamnese

  • Auslösender Faktor – meist im Anschluss an eine Verletzung oder Bagatelltrauma
  • Lokale Zeichen einer Infektion (s. u.); typische Lokalisationen:
    • Beine
    • periorbital
    • perianal, insbesondere bei Kleinkindern
    • an oberen Extremitäten häufig bei i. v. Drogenabusus.
  • Systemische Infektzeichen (z. B. Fieber) bei begrenzter Phlegmone seltener als bei Erysipel oder schwerer Phlegmone 

Klinische Untersuchung

  • Begrenzte Phlegmone
    • lokale Zeichen:
      Phlegmone
      Phlegmone
      • ödematöse Schwellung
      • Überwärmung
      • matt-livide Rötung
      • Schmerzen
      • nach Eintrittspforte suchen!
      • Blasen
      • unscharfe Abgrenzung zur gesunden Haut.
    • schmerzhaft geschwollene Lymphknoten
    • keine oder nur geringe Allgemeinsymptome
  • Schwere Phlegmone
    • Fortschreiten auf tieferliegende Strukturen (Faszie und/oder Muskel)
    • Eiter
    • Fieber und grippeähnliche Symptome

Weiterführende Diagnostik

  • Bestimmung von Inflammationsparametern (CRP, BSG, Leukozyten) kann bei der Differenzialdiagnose helfen.
    • bei begrenzter Phlegmone meist nicht oder nur marginal erhöht
    • bei Erysipel und Phlegmone oft deutlich erhöht

Diagnostik bei Spezialist*innen/in der Klinik

Erregernachweis

  • Gewebeproben für den kulturellen Nachweis von Erregern
    • Indikationen
      • schwere Phlegmone
      • Begrenzte Phlegmone, die nicht innerhalb von 2–3 Tagen auf ein Staphylococcus-aureus-wirksames Antibiotikum ansprechen.
    • Durchführung
      • Aus dem infizierten Gewebe mit 1–2 cm Abstand vom Wundrand eine Gewebespindel von ca. 1 cm Länge entnehmen, die bis in die Subkutis reicht.
      • Vorher durch gründliche Hautdesinfektion an Entnahmestelle Reduktion des Hautmikrobioms gewährleisten.
      • Nach steriler Entnahme der Gewebeprobe empfiehlt es sich, deren oberen, epidermalen Teil mit einem weiteren, sterilen Skalpell von der unteren Dermis und Subkutis abzutrennen, damit ausschließlich die im Weichgewebe befindlichen Erreger identifiziert werden.
  • Bei Fieber Abnahme von Blutkulturen vor Einleitung der antibiotischen Therapie

Bildgebung

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Krankenhauseinweisung bei:
    • Phlegmone im Gesicht
    • immungeschwächten Patient*innen, z. B. mit Diabetes mellitus
    • gleichzeitigem Vorliegen von Allgemeinsymptomen: Fieber, herabgesetzter Allgemeinzustand
    • schnellem Fortschreiten der lokalen Veränderungen
    • auffallend starken Schmerzen (Verdacht auf Fasziitis)
    • fehlendem Ansprechen auf antibiotische Behandlung.

Therapie

Therapieziele

  • Infektion sanieren.
  • Schmerzen und Symptome lindern.
  • Komplikationen verhindern.
  • Rezidivrisiko senken.

Allgemeines zur Therapie

  • Die begrenzte Phlegmone bedarf in der Regel keiner chirurgischen Versorgung, wohl aber einer antimikrobiellen Behandlung.
  • Bei schwerer Phlegmone sind immer eine intravenöse Antibiotikatherapie und chirurgische Sanierung erforderlich.
  • Zusätzliche Maßnahmen umfassen die Behandlung der Eintrittspforte, der prädisponierenden Faktoren (z. B. Ödem) und Komorbiditäten, Hochlagern des betroffenen Areals und evtl. Thrombose-Prophylaxe.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Körperliche Schonung und Hochlagerung des betroffenen Körperteils

Medikamentöse Therapie

  • Indikationen für die parenterale, allenfalls sequentielle (Oralisierung der Antibiose nach klinischer Besserung) Antibiotikagabe:
    • systemische Infektionszeichen (Leukozytose mit Neutrophilie, Fieber, Anstieg von BSG oder CRP)
    • eingeschränkte Durchblutung oder Resorption
    • oberflächlich ausgedehnte Infektionen
    • ein Übergang in tiefer reichende, schwere Phlegmone
    • eine Lokalisation an den Beugesehnen bzw. im Gesicht.

Unkomplizierte (begrenzte) Phlegmone

  • Als Therapiedauer werden allgemein 5 Tage empfohlen; nur bei ausbleibender Besserung mehr Tage.
  • Mittel der 1. Wahl
    • Cefazolin 4 x 0,5 g oder 2 x 1 g tgl. i. v. – oder –
    • Flucloxacillin 3 x 1 g oder 4 x 1 g tgl. p. o./i. v.
  • Mittel der 2. Wahl
    • Clindamycin 3 x 0,9 g tgl. p. o./i. v.
    • Wenn das Areal um die Eintrittspforte stark kontaminiert oder mit gramnegativen Erregern besiedelt ist: Cefuroxim 3 x 1,5 g tgl. i. v.
  • Bei Penicillin-Allergie
    • 1. Wahl: Clindamycin 3 x 0,9 g tgl. p. o./i. v.
    • 2. Wahl: Clarithromycin 2 x 0,5 g tgl. p. o. für 7–10 Tage

Komplizierte (schwere) Phlegmone

  • Mittel der 1. Wahl neben der chirurgischen Sanierung bei bislang unbehandelter schwerer Phlegmone (z. B. später Behandlungsbeginn einer zunächst begrenzten Phlegmone) und ohne schwere relevante Komorbiditäten2
    • Cefazolin 4 x 0,5 g oder 2 x 1 g tgl. i. v., bei Verdacht auf gramnegative Erreger bis 2 x 2 g tgl. i. v. – oder –
    • Flucloxacillin 3 x 1 g oder 4 x 1 g tgl. i. v., bei lebensbedrohlichen Infektionen bis 12 g Tagesdosis – oder –
    • Cefuroxim 3 x 1,5 g bis 3 x 3 g tgl. i. v.
  • Bei fehlendem Ansprechen, Penicillin-Allergie oder unbehandelten, aber tieferen Phlegmonen
    • Clindamycin 3 x 0,9 g, 4 x 0,6 g oder 3 x 1,2 g i. v.
  • Vor Einleitung der Therapie Gewinnung von Gewebeproben, siehe Abschnitt Gewebeproben im Bereich Diagnostik.
  • Bei Bedarf Schmerztherapie, z. B. durch Ibuprofen
    • Gemäß einer kleinen Studie kann die Gabe von Ibuprofen begleitend zur antibiotischen Behandlung den Heilungsprozess beschleunigen.2

Prävention

  • Regelmäßige Fußpflege, um Eintrittspforten für Keimen und somit Rezidiven vorzubeugen.
  • Behandlung möglicher Hauterkrankungen, wie z. B. Fußpilz
  • Professionelle Wundversorgung bei chronischen Wunden/Ulzera
  • Behandlung eines möglichen Lymphödems, z. B. durch Stützstrümpfe

Verlauf, Komplikationen, Prognose

Verlauf

  • Eine Phlegmone kann sich lokal, hämatogen und lymphogen im Körper ausbreiten.
  • Unbehandelt sind eine rasche Ausbreitung und ein potenziell lebensbedrohlicher Verlauf möglich.
  • Die klinischen Veränderungen können einen sehr schnellen Verlauf nehmen.
    • Gute Kommunikation und der unkomplizierte Zugang zu einer erneuten Untersuchung spielen eine wichtige Rolle.

Komplikationen

  • Systemische Infektionen mit Sepsis und Folgekomplikationen wie Endokarditis2
  • Lokale Nekrose und Abszessbildung
  • Osteomyelitis
  • Thrombophlebitis
  • Lymphangitis mit Obstruktion und Schädigung der Lymphbahnen
    • in der Folge Lymphödeme und erhöhtes Risiko für Rezidive2

Prognose

  • Bei rascher Therapieeinleitung ist die Prognose gut.
  • Die Mortalität bei begrenzter Phlegmone ist sehr niedrig, auch bei hospitalisierten Patient*innen.2
  • Bei schwerer Phlegmone mit systemischer Infektion steigt die Mortalität deutlich.
  • Rezidive sind häufig, etwa 45 % innerhalb von 3 Jahren.2

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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Zeigefinger-Phlegmone (mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Erich Ramstöck)
Phlegmone
Phlegmone
Die Abgrenzung gegen die gesunde Haut ist bei der Phlegmone diffuser als beim Erysipel.

Quellen

Literatur

  1. Goettsch WG, Bouwes Bavinck JN, Herings RMC. Burden of illness of bacterial cellulitis and erysipelas of the leg in the Netherlands. J Eur Acad Dermatol Venereol 2006; 20(7): 834-9. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Raff A, Kroshinsky D. Cellulitis - A Review. JAMA 2016; 316 (3): 325-337. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.

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