Zusammenfassung
- Definition:Frauen sind von Haarausfall häufig betroffen. Haarausfall vom weiblichen Typ betrifft in erster Linie die Scheitellinie des Schädels.
- Häufigkeit:Es handelt sich um ein häufiges Phänomen.
- Symptome:Haarausfall ist am häufigsten mittig im oberen Schädelbereich lokalisiert, kann aber auch an anderen Stellen auftreten.
- Befunde:Die Verteilung des Haarausfalls und die Dichte des Haars ermöglicht Rückschlüsse auf die Art des Haarausfalls.
- Diagnostik:Der Einsatz apparativer Diagnostik dient dem Ausschluss ggf. vorliegender Grunderkrankungen. Bluttests, Hormontests, Tests auf Pilzbefall oder dermatoskopische Untersuchung.
- Therapie:Zur Therapie kommen je nach Ursache ggf. Minoxidil, systemische Antiandrogene Kortikosteroide oder Haartransplantationen infrage.
Allgemeine Informationen
Definition
- Bei Frauen ist Haarausfall annähernd so häufig wie bei Männern.
- Häufigste Form ist der Haarausfall vom weiblichen Typ, der mit typischem Ausfallsmuster längs der Scheitellinie des Schädels auftritt, aber auch an anderen Stellen lokalisiert sein oder diffus auftreten kann.1
- Der Verlust des Haars führt gerade bei Frauen zu vermindertem Selbstwertgefühl und Einschränkung der Lebensqualität.1
- Siehe auch den Artikel Haarausfall.
Häufigkeit
- Die Prävalenz des Haarausfalls vom weiblichen Typ steigt mit dem Alter:
- 3. Lebensdekade ca. 3 %
- 5. Lebendsdekade 5–25 %
- 7. Lebendsdekade 10–41 %1
- Frauen europäischer Herkunft sind häufiger betroffen.1
Biologie des Kopfhaars
- Jeder Mensch hat um die 100.000 Kopfhaare, die normalerweise unabhängig voneinander wachsen.
- Jeder Haarfollikel durchläuft immer wieder Phasen des Wachstums und der Ruhe.
- Die Wachstums- oder Anagenphase dauert 2–6 Jahre (80–90 % der Haare).
- Dabei wächst das Haar mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,3 mm pro Tag oder 1 cm pro Monat.
- Von der Dauer der Anagenphase ist die max. Haarlänge abhängig.
- Nach einer kurzen Übergangsphase (Katagen, 1–2 % der Haare) kommt eine 2- bis 4-monatige Ruhephase, das Telogen 10–20 % der Haare), bevor das Haar schließlich ausfällt.
- Die Wachstums- oder Anagenphase dauert 2–6 Jahre (80–90 % der Haare).
- Durch innere oder äußere Einflussfaktoren kann ein synchronisiert vorzeitiger Übergang der Haarfollikel vom Anagen ins Telogen vorkommen und so nach 2–4 Monaten einen spürbar stärkeren Haarausfall auslösen.
- z. B. durch Hormone, Wachstumsfaktoren, Medikamente und Jahreszeiten
Ätiologie und Pathogenese
Androgenetische Alopezie
- Häufigste Form des Haarausfalls
- Ursache scheint nach heutigem Kenntnisststand eine genetisch bedingte erhöhte Androgensensibilität der Haarfollikel zu sein, infolgedessen es zum Ausfall des Haares kommt.
- Neben hormonellen und genetischen Faktoren scheinen mikroinflammatorische Prozesse eine Rolle zu spielen.1
- Tritt ab dem Teenageralter auf, Häufigkeit nimmt mit dem Alter zu und betrifft 40 % der Patientinnen im Alter von 70 Jahren.
- Der Haarausfall betrifft hauptsächlich die Bereiche längs der Scheitellinie des Schädels und spart den Stirnbereich meist aus. Typischerweise ist der oben gelegene Schädelbereich stärker betroffen als der Hinterkopf.
Telogeneffluvium2
- Diffuser Haarausfall ca. 3 Monate nach Auftreten eines Triggers, der einen überdurchschnittlichen hohen Wechsel von Haaren in die Telogenphase bewirkt hat.
- Mehr als 25 % der Haare befinden sich in der Telogenphase.
- Auslösende Faktoren – schwere Erkrankung oder erhebliche Belastungen, wie z. B.:
Telogeneffluvium
- größere Operationen
- Trauma
- chronische Systemerkrankungen
- zurückliegende Entbindung
- rascher Gewichtsverlust
- Unterernährung
- hohes Fieber
- Blutungen
- Hormonstörungen, z. B. Hypo- oder Hyperthyreose
- emotionale Belastungen.
- Beginn der Einnahme bestimmter Medikamente (siehe auch Haarausfall):
- Thyreostatika
- Hormone
- Antiepileptika
- Antikoagulanzien
- Betablocker
- ACE-Hemmer
- Lithium.
- Häufig lässt sich die Ursache nicht eruieren.
- Nach Beseitigung der Ursache kann der Haarausfall noch bis zu 6 Monate andauern.
- Bei chronischem Telogeneffluvium: Haarausfall über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten2
Kreisrunder Haarausfall (Alopecia areata),
- Dritthäufigster Haarausfall nach der androgenetischen Alopezie und diffuser Alopezie
Alopecia areata
- Lebenszeitinzidenz ca. 2 %
- Frauen sind gleich häufig betroffen wie Männer.
- Manifestiert sich in kreisförmigen Flecken mit Haarausfall, die bei multifokalem Auftreten größere Flächen bilden und dann bis zum Verlust von Kopf- oder Körperbehaarung führen können.
- Die Erkrankung ist häufig spontan reversibel, kann aber rezidivieren.
- Die Ursache ist nicht abschließend geklärt, wird jedoch im Bereich der Autoimmunerkrankungen vermutet.
- Typischer klinischer Befund kreisrunder Haarausfälle ohne Narben, Entzündungszeichen oder weitere Befunde
Andere Ursachen
- Trichotillomanie (zwanghaftes Ausreißen der Haare)
- Schwere bakterielle Infektionen
- Tinea capitis
- Vernarbende Alopezien
Prädisponierende Faktoren
- BMI > 26 kg/m2
- Erhöhte Nüchternglukosewerte
- Frühe Menarche
- Wenige Geburten
- Sonnenexposition
- Einnahme oraler Kontrazeptiva1
ICPC-2
- S23 Haarausfall/Kahlheit/Alopezie
ICD-10
- L63.- Alopecia areata
- L64.- Alopecia androgenetica
- L65.- Sonstiger Haarausfall ohne Narbenbildung
- L66.- Narbige Alopezie [Haarausfall mit Narbenbildung]
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Erheblicher Haarausfall
Anamnese
- Seit wann treten die Symptome auf?
- Ist ein Muster zu erkennen?
- Fallen die Haare büschelweise aus? Dies spricht für Alopecia areata oder Telogeneffluvium.
- Wird die Kopfbehaarung spärlicher? Dies ist ein Hinweis auf androgenetische Alopezie.
- Fallen die Haare zusammen mit der Wurzel aus? Dies ist ein Hinweis auf Telogeneffluvium, androgenetische Alopezie oder Alopecia areata.
- Sind die Haare eher abgetrennt als ausgefallen? Dies ist ein Hinweis auf Trichotillomanie und Tinea capitis.
- Werden Gewohnheiten gepflegt, die das Haar schädigen können?
- Werden auch Haare an anderen Körperstellen verloren?
- Kam es in den letzten 3 Monaten zu starkem Stress, zur Einnahme neuer Medikamente oder ähnlichen ggf. relevanten Ereignissen? Dies ist ein Hinweis auf Telogeneffluvium.
- Akne, unregelmäßige Menstruation und Hirsutismus können Hinweise auf einen Androgenüberschuss sein.
- Liegen Anzeichen für eine Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse vor?
Klinische Untersuchung
- Entzündung, Schuppenbildung oder Rötungen?
- Narbenbildung?
Haarausfall vom weiblichen Typ
- Untersuchung der Verteilung des Haarausfalls und der Haardichte
- Ausfallsmuster längs der Scheitellinie (Haarausfall vom weiblichen Typ) spricht für androgenetische Alopezie.
- Durchmesser, Sprödigkeit, Länge und Form der Haare
- Wenn das Haar abrupt endet, wurde es ohne Wurzel abgetrennt.
- Ein gesundes Haar verjüngt sich zum Ende hin.
- Zupftest: Vorsichtig an einigen Haaren zupfen. Fällt positiv aus, wenn sich von 40–60 Haaren über 10 % der Haare lösen.
Apparative Diagnostik in der Hausarztpraxis
- Hb, Leukozyten, CRP
- Ferritin
- In manchen Fällen kann ein Eisenmangel vorliegen.
- TSH
- Eine Störung der Schilddrüsenfunktion sollte ausgeschlossen werden.
- Wenn die Klink dafür spricht: Lues-Serologie (zum Ausschluss Lues II).
Indikationen zur Überweisung
- In die dermatologische Praxis
- bei unklarer Diagnose, zur weiterführenden Diagnostik
- bei Erwägung einer Therapie
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Je nach Ursache, kann bei wahrscheinlicher Spontanreversibilität, zunächst zugewartet werden.
- Bei androgenetischer Alopezie frühzeitiger Therapiebeginn, da nur der Progress verlangsamt werden kann, an schon kahlen Stellen führt die medikamentöse Therapie nicht zu erneutem Haarwachstum.
- Fotodokumentation der Kopfhaut, um später den Therapieerfolg überprüfen zu können.
- Bis die Therapie eine Wirkung zeigt, können 6–12 Monate vergehen.
Medikamentöse Therapie
Minoxidil
- Wirkung
- Mittel der 1. Wahl bei Frauen mit androgenetischer Alopezie3
- Bei ca. 80 % konnte der Haarausfall gestoppt werden, bei ca. 50 % wurden die Haare wieder dichter.
- Nebenwirkungen
- Kontaktdermatitis
- Hypertrichose im Gesicht, die sich in feinem Haarwuchs auf Wangen und Stirn äußert.
- häufige Nebenwirkung
- Klingt nach dem Abschluss der Therapie innerhalb von 4 Monaten ab.
- Kontraindikationen
- Sollte nicht während der Schwangerschaft oder Stillzeit angewendet werden.
- Dosierung: 2-%-Lösung lokal auf die Kopfhaut auftragen.
- Bei Frauen ist die Wirksamkeit der 2-prozentigen Lösung vergleichbar mit der 5-prozentigen.3
Spironolacton4
- Aldosteron-Antagonist mit antiandrogener Wirkung
- Kann Haarausfall bei Frauen mit androgenetischer Alopezie begrenzen, regt jedoch nicht das Nachwachsen der Haare an.
- Zur Behandlung des Haarausfalls off label!
- Nebenwirkungen
- Elektrolytstörung
- Verschlechterung der Nierenfunktion
- Hypotension
Antiandrogene
- Nur bei nachgewiesener hormoneller Dysregulation können systemische Antiandrogene wie Cyproteronazetat, Chlormadinonazetat oder Dienogest erwogen werden.
- Anwendung von Cyproteronacetat in einer Dosierung über 25 mg/d ist mit einem erhöhten Risiko für Meningeome assoziiert.
Stark wirksame topische Kortikoide
- Mittel der 1. Wahl bei der behandlungsbedürftigen Alopecia areata
- Einsatz von sehr starkwirksamen Kortikosteroiden in Salbenform mit Okklusionsbehandlung
- Alternativ intraläsionale Injektion von Triamcinolon-Kristallen
- NW: lokale Hautatrophie
Weitere Therapien
- Haartransplantation3
- Die Eigenhaartransplantation stellt eine ergänzende Maßnahme bei fortgeschrittener androgenetischer Alopezie dar.
- Hierbei werden Haare aus dem okzipitalen, nicht androgensensitiven Bereich entnommen und in betroffene Areale transplantiert.
- Nicht nur bei der männlichen, sondern auch bei der weiblichen androgenetischen Alopezie kann eine Verdichtung durch Haarfollikeltransplantation erzielt werden.
- Von Friseur*innen angepasste (Teil-)Perücken können in einigen Fällen eine Alternative sein.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Je nach Ursache unterschiedlich
- Das Telogeneffluivum und die Alopecia areata sind meist spontan reversibel.
- Bei der androgenetischen Alopezie häufig langsam fortschreitender Verlauf
Prognose
- Unterschiedlich je nach Ursache des Haarausfalls
Patienteninformationen
Patienteninformation in Deximed
Illustrationen

Haarausfall vom weiblichen Typ

Telogeneffluvium

Alopecia totalis: Verlust aller Kopfhaare als Sonderform der Alopecia areata

Alopecia areata
Quellen
Literatur
- Ramos PM, Miot HA. Female Pattern Hair Loss: a clinical and pathophysiological review. An Bras Dermatol. 2015 Jul-Aug;90(4):529-43. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Asghar F, Shamim N, Farooque U, Sheikh H, Aqeel R. Telogen Effluvium: A Review of the Literature. Cureus. 2020 May 27;12(5):e8320. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Kanti V, Messenger A, Dobos G. Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men - short version. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2018 Jan;32(1):11-22. onlinelibrary.wiley.com
- Nestor MS, Ablon G, Gade A, Han H, Fischer DL.Treatment options for androgenetic alopecia: Efficacy, side effects, compliance, financial considerations, and ethics. J Cosmet Dermatol. 2021 Dec;20(12):3759-3781. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren