Paronychie

Zusammenfassung

  • Definition:Entzündung des Weichteilgewebes um einen Finger- oder Zehennagel mit akutem oder chronischem Verlauf.
  • Häufigkeit:Häufige Erkrankung, die in jedem Lebensalter auftreten kann und vermehrt Frauen betrifft (Verhältnis Frauen:Männer = 3:1).
  • Symptome:Berührungsempfindlichkeit und Schmerzen um den Nagel, häufig nach Bagatelltrauma, z. B. bei Mani- oder Pediküre.
  • Befunde:Rötung und Schwellung im Bereich des Nagelwalls.
  • Diagnostik:Blickdiagnose.
  • Therapie:Abhängig von Ausmaß der Entzündung. Bei geringer Infektion warme Seifenbäder. Bei fortgeschrittener Infektion oder Risikofaktoren (Immunsuppression) Antibiose. Bei Eiteransammlung Inzision. Bei chronischer Form Meidung der Irritanzien und topische Kortikosteroide.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonym: Umlauf
  • Entzündung des Weichteilgewebes um einen Finger- oder Zehennagel1-2
    • akut
      • meist durch bakterielle Infektion, sehr schmerzhaft
      • bei eitriger Einschmelzung Übergang zu Panaritium
    • chronisch
      • Dauer > 6 Wochen
      • Entzündung auf irritativer Grundlage oder durch Pilzbefall1
  • Nagelwall/Paronychium: Haut­fal­te, die den Nagel seitlich und proximal um­gibt

Häufigkeit

  • Ca. 50 % aller Nagelerkrankungen sind Infektionen.3
    • Paronychie ist die häufigste Ursache und macht etwa 35 % aller Infektionen der Hand aus.
  • Alter und Geschlecht1
    • Tritt in jedem Lebensalter auf.
    • Frauen sind häufiger als Männer betroffen (Verhältnis 3:1).

Ätiologie und Pathogenese

Akute Paronychie

  • Bakteriell bedingte Entzündung des Nagelwalls
    • meist durch Bagatelltrauma ausgelöste Eintrittspforte für Erreger, z. B. bei Maniküre durch Manipulation am Nagelhäutchen
    • Die häufigsten Erreger sind Staphylokokken.

Chronische Paronychie

  • Im Gegensatz zur akuten Paronychie spielen mikrobielle Erreger in der Regel keine Rolle.
    • Bei infektiöser Genese ist oft Candida albicans ursächlich.1
  • Auslöser ist meistens ein beruflich bedingter Kontakt mit Irritanzien wie Säuren, Laugen und anderen Chemikalien oder ein intensiver Kontakt mit Feuchtigkeit.
  • Typisch ist der Verlust des Nagelhäutchens als Eintrittspforte für irritative Substanzen.

Prädisponierende Faktoren

  • Künstliche Fingernägel
    • sind stärker mit Pilzen und Bakterien besiedelt als natürliche Fingernägel.3
  • Diabetes mellitus3
  • Psoriasis3
  • Immunsuppression3

Vor allem für chronische Paronychie

  • Wiederholter und intensiver Kontakt mit Feuchtigkeit
    • Tätigkeiten im Haushalt wie Abspülen oder Waschen
    • Berufe: Köchin/Koch, Reinigungskräfte, Gartenbau
    • Schwimmen
    • Daumenlutschen, Nägelkauen
    • Hyperhidrose
  • Raynaud-Syndrom1
  • Medikamenteneinnahme
    • Retinoide
    • Proteaseinhibitoren
    • Antikörper gegen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR-Inhibitoren)
    • Vielzahl an Chemotherapeutika, z. B. Taxane

ICD-10

  • L03.0 Phlegmone an Fingern und Zehen inkl. Paronychie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische klinische Befunde

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Dauer der Symptomatik 
  • Vorherige Episoden und deren Behandlung
  • Vorerkrankungen
  • Medikamente 
  • Angewohnheiten
    • Nägelkauen
    • Fingerlutschen
    • Maniküre mit Schneiden des Nagelhäutchens
  • Berufliche Tätigkeit
    • Kontakt mit irritierenden Stoffen (Säuren, Laugen, Chemikalien)
    • intensiver Wasserkontakt

Akute Paronychie

  • Leitsymptom: akut aufgetretene, schmerzhafte Rötung und Schwellung um einen Nagel
    • häufig nach Bagatelltrauma, Nägelkauen oder Nagelpflege
  • In der Regel ist nur ein Nagel beteiligt.

Chronische Paronychie

  • Oft mehr als ein Nagel beteiligt
  • Schmerzen über mehr als 6 Wochen, insbesondere bei versehentlichem Druck auf den erkrankten Nagel
  • Chronische Paronychien können zur Einschränkung der Feinmotorik infolge der Schmerzhaftigkeit führen.3

Klinische Untersuchung

Akute Paronychie

  • Der betroffene Bereich ist rot und geschwollen, und die proximalen und/oder lateralen Nagelwälle schmerzen.
    Panaritium (eitrige Paronychie)
    Panaritium (eitrige Paronychie)
  • Bei Eiterbildung spricht man von einem Panaritium.
  • Bei Bläschenbildung sollte an eine Herpes-Infektion gedacht werden.

Chronische Paronychie

  • Entzündeter und verdickter proximaler Nagelwall sowie häufig auch eine verdickte, in ihrem Aufbau gestörte Nagelplatte
  • Typisch ist der Verlust des Nagelhäutchens.

Ergänzende Untersuchungen 

  • Bei chronischer Paronychie ist ggf. eine mikrobiologische Untersuchung (Bakterien, Pilze) sinnvoll, falls sich bei Druck auf den entzündeten proximalen Nagelwall eine Sekretabsonderung zeigt.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei unzureichendem Ansprechen auf die konservative Behandlung Überweisung an Chirurg*in

Therapie

Therapieziel

  • Abheilen der Entzündung

Allgemeines zur Therapie

  • Die Wahl der Behandlung hängt von dem Ausmaß der Infektion ab.1

Therapie der akuten Paronychie

  • In jedem Stadium sollten warme Seifenbäder 3–4 x tgl. erfolgen1 und 2–3 x tgl. topische Antibiotika aufgetragen werden.4
    • z. B. 2 % Bacitracin, 2 % Mupirocin oder 2 % Fusidinsäure
  • Die Reifung entzündliche Prozesse kann durch Zugsalbe (Wirkstoff Ammoniumbituminosulfonat) gefördert werden.
    • Dies wird in der Leitlinie für Haut- und Weichgewebeinfektionen nur als Expertenmeinung für Furunkel und Karbunkel genannt.
    • Anwendung: 50 % Zugsalbe messerrückendick auf die zu behandelnde Hautpartie auftragen und mit Verband abdecken. Bei jedem Verbandwechsel sollen die auf der Haut verbliebenen Salbenreste zuerst abgewaschen werden, bevor ein neuer Verband angelegt wird. Als Dauerverband ist ein Verbandwechsel nach 3 Tagen vorgesehen.
  • Bei ausgedehnter Infektion oder Vorerkrankungen (z. B. Immunsuppression, Diabetes mellitus) systemische antibiotische Therapie1
    • z. B. Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg 1–0–1 für 5 Tage  – oder – Clindamycin 450 mg 1–1–1 für 5 Tage
  • Bei Eiterbildung Inzision und Drainage1
    • Der Verband nach der Inzision kann nach 2 Tagen entfernt werden, und es kann mit warmen Bädern 3–4 x tgl. begonnen werden.1
  • Es empfehlen sich Verlaufskontrollen bis zum vollständigen Rückgang der Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerzen, Überwärmung).
  • Bei Herpes-Infektion orale antivirale Therapie
    • z. B. Aciclovir 400 mg 3 x tgl. oder 200 mg 5 x tgl. für 7–10 Tage4

Therapie der chronischen Paronychie

  • Wasser- und Chemikalienkontakt auf das absolut notwendige Mindestmaß reduzieren.
  • Potenziell auslösende Medikamente absetzen, sofern dies klinisch möglich ist.
  • Nägel warm und trocken halten.
  • Behandlung der irritativen Dermatitis mit antiinflammatorischen Substanzen wie topischen Kortikosteroiden (ggf. in Kombination mit Antimykotikum) oder Calcineurininhibitoren
    • z. B. Methylprednisolonaceponat 0,1 % – oder – Flupredniden 0,1 % + Miconazol 2 % morgens und abends für 6–8 Wochen
    • Tacrolimus-Salbe nur als Off-Label-Use
  • Bei unzureichendem Ansprechen auf die konservative Therapie chirurgische Entfernung des Nagels und proximalen Nagelwalls5
    • Bei Therapieresistenz auch an Ausschluss maligner oder seltener infektiöser Ursachen (z. B. Syphilis, nicht-tuberkulöse Mykobakterien) denken.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Unbehandelt kann die Paronychie zu ernsthaften Infektionen führen.1
  • Bei rezidivierenden akuten Paronychien an Herpes-Infektionen denken.

Komplikationen

  • Infektionsausbreitung (Panaritium, Osteomyelitis oder Handphlegmone)
  • Dauerhafte Wachstumsstörungen der Nägel
  • Onchyolyse (Nagelablösung)

Prognose

  • Bei schnellem Behandlungsbeginn ist die Prognose gut.1
  • Bei chronischer Paronychie kann sich die Behandlung sehr lange hinziehen.2
  • Wenn der Kontakt zu den Irritanzien (Wasser, Chemikalien) nicht gemieden wird, ist eine Abheilung unwahrscheinlich.

Anerkennung als Berufskrankheit

  • Tritt eine chronische Paronychie (oft zusammen mit einem chronischen Handekzem) immer wieder nach Kontakt mit schädigenden Substanzen während der beruflichen Tätigkeit auf, kann diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden.
  • Es wird eine ausführliche Arbeits- und Gefährdungsanamnese erhoben, und ein Gutachten entscheidet über die Anerkennung als Berufskrankheit.
  • Dann können bestimmte Maßnahmen durchgeführt werden:
    • Ersatzstoffprüfungen
    • geeignete Schutzvorrichtungen
    • spezielle therapeutische Maßnahmen
    • Einstellung der gefährdenden Tätigkeit
    • Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zur Zahlung einer Rente
  • Manchmal muss die Tätigkeit erst vollständig aufgegeben werden, damit die Anerkennung als Berufskrankheit erfolgen kann.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Das Nagelhäutchen nicht schneiden.
  • Fußnägel nicht rund schneiden.
  • Nägel kurz halten.
  • Nägelkauen und Lutschen an den Fingern unterlassen.
  • Tätigkeiten in feuchten Umgebungen vermeiden.
  • Bei Verletzungen des Nagelwalls konsequente antiseptische Lokaltherapie, z. B. mit Polyvidon-Jod-Salbe

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Panaritium (eitrige Paronychie)
Panaritium (eitrige Paronychie)

Quellen

Literatur

  1. Billingsley EM. Paronychia. Medscape, last updated May 10, 2022. emedicine.medscape.com
  2. Rigopoulos D, Larios G, Gregoriou S, Alevizos A. Acute and chronic paronychia. Am Fam Physician 2008; 77: 339-46. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Wollina U, Nenoff P, Haroske G, et al. The diagnosis and treatment of nail disorders. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 509–18. www.aerzteblatt.de
  4. BMJ Best Practice. Paronychia (letzter Zugriff 30.03.23). bestpractice.bmj.com
  5. Grover C, Bansal S, Nanda S, Reddy BS, Kumar V. En bloc excision of proximal nail fold for treatment of chronic paronychia. Dermatol Surg 2006; 32: 393-8. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster

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