Tinea capitis – Pilzinfektion der Kopfhaut

Zusammenfassung

  • Definition:Tinea capitis ist eine Pilzinfektion der Kopfhaut.
  • Häufigkeit:Sie ist die häufigste Pilzinfektion bei Kindern.
  • Symptome:Die Symptome sind schuppige, kahle Stellen (Haarausfall) mit oder ohne Entzündung.
  • Befunde:Stellenweise Alopezie, Schuppung, Entündung in sehr variablem Ausmaß.
  • Diagnostik:Die Diagnose sollte durch direkte Mikroskopie und/oder die Anlage einer Kultur bestätigt werden, ggf. PCR.
  • Therapie:Bei Tinea capitis wird eine kombinierte topische und perorale Therapie mit Antimykotika empfohlen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Tinea capitis ist eine Pilzinfektion der behaarten Kopfhaut, Wimpern und Augenbrauen.
  • Tinea capitis tritt vor allem bei Kindern auf.1
  • Die Klinik ist abhängig vom Erreger und dem Immunstatus der betroffenen Person sehr unterschiedlich.
  • Siehe auch den Artikel Pilzinfektionen der Haut (Dermatomykosen).

Häufigkeit

  • Tinea capitis ist bei Kindern die weltweit häufigste Pilzinfektion, meist bei Kindern unter 10 Jahren.1
  • Bei Erwachsenen seltener, Tendenz aber zunehmend.

Ätiologie und Pathogenese

  • Dermatophyten sind aerobe Pilze, die in drei Hauptgattungen unterteilt werden:
    1. Trichophyton (Favus, Flechtengrind)
    2. Microsporum und
    3. Epidermophyton.
  • Tinea capitis und Tinea barbae werden meist durch zoophile Pilzarten verursacht.
    • Microsporum (M.) canis ist in Europa der am häufigsten bei Tinea capitis (TC) isolierte Dermatophyt.
      • Übertragung durch Katzen, Hunde, Pferde, Affen und Kaninchen.
    • Weitere zoophile Erreger in Europa: Trichophyton (T.) mentagrophytes, T. verrucosum, T. benhamiae.
  • Anstieg anthropophiler Spezies (M. audouinii, T. tonsurans, T. violaceum, T. soudanense) als Erreger einer Tinea capitis.
    • Durch Migration aus den Endemiegebieten, insbesondere in Afrika.
  • Die Erkrankung ist sehr ansteckend, von Mensch zu Mensch übertragbar und verursacht kleine Epidemien in Kindergärten und ähnlichen Institutionen.
    • Die Organismen können in Kämmen, Bürsten oder auf Laken lange lebensfähig bleiben.
  • Eine berufliche Infektion mit Trichophyton verrucosum (Kälberflechte) kann bei Landwirt*innen auftreten und relativ schwer verlaufen.
    • Hauptreservoir sind Rinder, seltener Übertragung durch Hunde, Schweine, Schafe, Katzen, Ziegen oder Pferde.

Prädisponierende Faktoren

  • Bei Erwachsenen:
    • hormonelle Störungen
    • Immunsuppression
    • Autoinokulation und Übertragung durch erkrankte Kinder.

ICPC-2

  • S74 Dermatophytose

ICD-10

  • B35 Dermatophytose [Tinea]
    • B35.0 Tinea barbae und Tinea capitis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose wird oft klinisch gestellt.
  • Um eine sichere Diagnose stellen zu können, sollte ein Abstrich zur direkten Mikroskopie und vorzugsweise eine Probe zur Anlage einer Pilzkultur entnommen werden.
  • Vor Beginn der systemischen Therapie sollte immer eine Kultur angelegt werden.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Beginn als kleine erythematöse Papel um einen Haarschaft.
    • Im Laufe einiger Tage wird die rote Papel blasser und schuppig
    • das Haar wird spröde und bricht.
    • Die Läsion breitet sich aus und bildet weitere Papeln, die eine typische Ringform aufweisen. 
  • Meist besteht nur geringer Juckreiz, bei einigen Patient*innen kann der Juckreiz jedoch stark ausgeprägt sein.
  • Stellenweiser Haarausfall.
  • Mögliche zoophile Infektionsquellen wie Nagetieren, Katzen, Hunden, Rindern usw. erfragen.
  • Weitere Erkrankungsfälle in der Umgebung, Auslandsaufenthalte erfragen.

Klinische Untersuchung

  • Die Infektion führt zu unterschiedlich schweren Entzündungen.2
  • Die Infektion führt zu stellenweiser Alopezie; es werden sechs verschiedene Formen unterschieden:
    1. grauer Typ: kreisförmige, stellenweise Alopezie mit ausgeprägter Schuppung
    2. „mottenzerfressene Alopezie“: stellenweise Alopezie mit allgemeiner Schuppung
    3. Kerion Celsi: Maximalform der Tinea capitis.
      • tief infiltrierende und abszedierende Infektion, stark entzündete, eiternde, bienenwabenartige Läsion. 
      • Auslöser sind meist zoophile Dermatophyten, auch bei Kälberflechte, hierbei auch furunkuloide Knoten.
      • häufig gleichzeitig Lymphadenopathie oder Fieber.
    4. schwarze Flecken: stellenweise Alopezie mit abgebrochenen Haarstoppeln
    5. Diffuse Schuppung: Weit verbreitete Schuppung, die kopfschuppenartig aussieht.
    6. pustulöse Form: Alopezie mit verstreuten Pusteln, häufig auch mit Lymphadenopathie
  • Bei der klinischen Verdachtsdiagnose Tinea capitis sollte eine Ganzkörperinspektion auf weitere Manifestationen einer Hautpilzerkrankung erfolgen.
  • Familienmitglieder und andere Personen, die engen Kontakt zu den Betroffenen hatten, sollten ebenfalls untersucht werden.
Kerion celsi

Untersuchungen bei Spezialist*innen

  • Trichoskopie (Dermatoskopie der Kopfhaut)
    • Black dots (kadaverisierte Haare in den Follikelöffnungen), perifollikuläre Schuppung, Komma- sowie Korkenzieherhaare
    • Spezifität gering
  • Wood-Licht
    • Durch die Gattung Microsporum verursachte Tinea fluoresziert grün, Trichophyton fluoresziert nicht.3
      • Sensitivität gering
  • Mikroskopie
    • Nativmikroskopie und Fluoreszenzmikroskopie.
    • Die direkte Mikroskopie mit 10–20 % Kalilauge erleichtert den Nachweis von Hyphen und Pilzmyzel.
    • Falsch negative Befunde sind häufig.1
  • Pilzkultur: Goldstandard
    • Schuppen und/oder Haarstümpfe sollten aus den Läsionen mittels Skalpell (stumpfe Seite), steriler Pinzette, Bürste oder Abstrich, möglichst mit einer Kombination der Methoden, gewonnen werden.
    • Proben sollten besonders aus der Übergangszone zwischen krankem und gesundem Gewebe entnommen werden.
    • Eine routinemäßige Resistenztestung ist nicht erforderlich.
    • Kulturen müssen bis zu 5 Wochen beobachtet werden, weil einige Erreger (T. verrucosum, T. violaceum, T. soudanense) sehr langsam wachsen.
  • PCR
    • höhere Sensitivität und kürzere Wartezeit auf das Ergebnis
  • Hautbiopsie
    • Kann bei schwierigem Erregernachweis, z. B. bei Kälberflechte, hilfreich sein.

Indikationen zur Überweisung

  • Zur Sicherung der Diagnose
  • Personen mit Kerion celsi
  • Kinder mit Tinea capitis sollten, wenn möglich, von Spezialist*innen behandelt werden.

Therapie

Therapieziele

  • Pilzinfektion entfernen (mykologische Heilung)
  • Rückfälle verhindern
  • Vernarbende Alopezien verhindern
  • Verhinderung weiterer Übertragung bzw. Unterbrechung von Infektionsketten

Allgemeines zur Therapie

  • Bei Tinea capitis wird immer eine kombinierte topische und systemische Therapie mit Antimykotika empfohlen. Eine topische Therapie allein ist in der Regel nicht wirksam und wird daher nicht empfohlen.
  • Die Auswahl des oralen Antimykotikums ist abhängig vom Erreger.
    • Terbinafin ist effektiver gegenüber Trichophyton spp. (insbes. T. tonsurans, T. violaceum, T. soudanense).
    • Itraconazol bzw. Griseofulvin (in Deutschland außer Handel) ist effektiv gegenüber Microsporum/Nannizzia spp. (insbes. M. canis, M. audouinii, N. gypsea).
    • Fluconazol bzw. Voriconazol für spezielle bzw. therapierefraktäre Fälle.
  • Bei Vorliegen eines Kerion Celsi oder bei hochgradigem klinischen Verdacht (Schuppung, Lymphadenopathie, Haarverlust) kann die Behandlung auch unmittelbar und vor dem Vorliegen des mykologischen Kulturbefundes begonnen werden, sofern eine Schnelldiagnostik mittels PCR nicht verfügbar und/oder der mikroskopische Befund nicht eindeutig ist. 
    • Eine zügige Therapieeinleitung ist beim Kerion Celsi notwendig, um eine persistierende vernarbende Alopezie zu vermeiden.
  • Die mögliche Infektionsquelle (infiziertes Haustier) suchen und behandeln.
  • Die Möglichkeit einer Infektion im Kindergarten oder in der Schule sollte beachtet werden.

Medikamentöse Therapie

Topische Therapie

  • Topische Therapie
    • Eingesetzt werden z. B. Selen(di)sulfid Shampoo 1 %, 2 % Ketoconazol- oder Clotrimazol-haltige oder 1 % Ciclopirox-haltige Shampoos.
      • Shampoos sollten über 5 min 2 x wöchentlich für 2–4 Wochen appliziert werden.
      • Eine antimykotisch wirksame Lösung (z.B. Clotrimazol 1% Lösung) sollte hiermit mit einmal täglicher Anwendung über 1 Woche kombiniert werden.
    • Lokalbehandlung des gesamten Kopfhaars in seiner vollen Länge, nicht nur auf den umschriebenen befallenen Herd.
    • Eine topische Kombinationstherapie aus Glukokortikosteroiden und Antimykotika initial für einen begrenzten Zeitraum von etwa 7 Tagen kann zu einem schnelleren Rückgang der Entzündung und der subjektiven Beschwerden führen.
    • Schwangerschaft und Stillzeit: Für eine lokale Therapie ist Clotrimazol zu bevorzugen.

Systemische Therapie: Erwachsene

  • Terbinafin 250 mg/d 1 x tgl. für ca. 4–6 Wochen
    • Bei Trichophyton-Arten ist Terbinafin aufgrund seiner hohen Wirksamkeit und fehlender Erregerlücken Mittel der Wahl.
    • Terbinafin sollte nicht bei Leberfunktionsstörungen eingenommen werden.
    • Treten unter der Therapie Leberwerterhöhungen auf (eine Kontrolle sollte nach 4–6 Wochen erfolgen), ist die Behandlung abzubrechen.
  • Itraconazol 100–200 mg 1 x tgl. direkt nach einer Hauptmahlzeit für ca. 4 Wochen.
    • Alternative, v.a. bei Microsporum/Nannizzia spp.
    • Beachte zahlreiche Wechselwirkungen.
  • Fluconazol: Alternative in therapie-refraktären bzw. besonderen Fällen, nicht Mittel der 1. Wahl.
  • Behandlungsdauer
    • Die Behandlung sollte bis zur vollständigen Heilung fortgesetzt werden. Ab der 4. Behandlungswoche sollte 14-tägig eine mykologische Untersuchung erfolgen und die Therapie ggf. verlängert werden. Dies kann je nach Pilzart 1–3 Monate dauern.
  • Schwangerschaft und Stillzeit: 
    • Schwangerschaft:
      • Eine systemische antimykotische Therapie sollte nur bei zwingender Indikation und möglichst nicht im 1. Trimenon erfolgen. Im Einzelfall sollte abgewogen werden, ob der therapeutische Nutzen für die Mutter das potentielle Risiko für das ungeborene Kind überwiegt. Dies gilt für Itraconazol, Fluconazol und Terbinafin.
      • Fluconazol nur Kurzzeittherapie bei zwingender Indikation
    • Stillzeit:
      • Bevorzugtes systemisches Antimykotikum ist lt. embryotox.de Fluconazol, jedoch nur bei zwingender Indikation, Einzelfallentscheidung.
      • keine Anwendung von Terbinafin systemisch in der Stillzeit
      • Bei wiederholter Anwendung von Fluconazol wird vom Stillen abgeraten.

Systemische Therapie: Kinder

  •  Griseofulvin (10-20 mg/kg KG/d für 8 Wochen)
    • Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass die neueren Antimykotika wie Terbinafin und Itraconazol höhere Ansprechraten, eine größere Therapiesicherheit und eine höhere Kosteneffektivität als Griseofulvin haben.
  • Fluconazol, Itraconazol oder Terbinafin können bei Tinea capitis bei Kindern nur als individueller Heilversuch (Off-Label-Use) verordnet werden.
    • In den USA ist Terbinafin für Kinder ab 4 Jahren zugelassen.
    • Dosierung von Terbinafin bei Kindern
      • 12–19 kg: 1 x 62,5 mg
      • 20–40 kg: 1 x 125 mg
      • > 40 kg: 1 x 250 mg
    • Itraconazol
      • 5 mg/kg KG, 1 x tgl. zusammen mit der Hauptmahlzeit; Suspension (nüchtern; 1 Stunde keine Nahrungsaufnahme) oder
      • bei < 20 kg KG 50 mg/d
      • bei > 20 kg KG, 100 mg/d
    • Fluconazol
      • 6 mg/kg KG tgl.
      • Fluconazol sollte nicht zur Behandlung einer Tinea capitis angewendet werden, da in der Studie, die der Fachinformation zugrunde liegt, keine Überlegenheit gegenüber Griseofulvin nachweisbar war.

 Weitere Maßnahmen

  • Bürsten und Kämme und andere Utensilien der persönlichen Hygiene sind auszutauschen.
  • Bettwäsche, Mützen etc. sind zu waschen.
  • Zurückschneiden bzw. die Rasur der Haare kann die Behandlungsdauer 
    erheblich verkürzen.
  • Kinder, die eine geeignete systemische und adjuvante topische Therapie erhalten, können Schule oder Kindergarten nach einer einwöchigen Karenz bei Infektionen durch anthropophile Erreger (T. tonsurans, T. violaceum, T. Soudanense, M. audouinii) wieder besuchen, bei allen anderen Erregern sofort.
  • Bei Zoonosen (wie der Kälberflechte) Feststellung der Infektionsquelle und möglichst Mitbehandlung, Hygienemaßnahmen in Ställen.
  • Bei anthropophilem Erreger Screening aller Familienmitglieder und enger Kontaktpersonen und im positiven Fall deren Behandlung.
    • Die Gabe systemischer Antimykotika bei Zeichen einer manifesten Tinea capitis.
    • Bei asymptomatischen Kontaktpersonen topische Therapie mit antimykotisch wirksamen Shampoos.
    • Wiederholte mykologische Kontrollen (alle zwei Wochen) sind wünschenswert.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Ab der 4. Behandlungswoche sollte 14-tägig eine mykologische Untersuchung erfolgen und die Therapie ggf. verlängert werden.
  • Bei klinischer Besserung und weiterhin positivem Erregernachweis sollte die Therapie für 2-4 Wochen fortgesetzt werden, bei fehlendem klinischen Ansprechen Wechsel auf Second-line Therapie (s.o.).

Komplikationen

  • Kerion Celsi: persistierende vernarbende Alopezie.

Prognose

  • Die Therapieresultate sind nur mäßig; eine Verlaufskontrolle ist notwendig.
  • Gründe für ein Therapieversagen können sein:
    • mangelnde Adhärenz
    • Unterdosierung
    • Resistenzentwicklung
    • Reinfektion, z. B. durch fehlende Behandlung symptomatischer bzw. asymptomatischer Familienmitglieder
    • eingeschränkte Immunkompetenz der betroffenen Person.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Tinea capitis
Tinea capitis
Tinea capitis profunda

Quellen

Literatur

  1. Andrews MD, Burns M. Common tinea infections in children. Am Fam Physician 2008; 77: 1415-20. www.aafp.org
  2. Lacarrubba F, Micali G, Tosti A. Scalp Dermoscopy or Trichoscopy. Curr Probl Dermatol. 2015 Feb. 47:21-32. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Mounsey AL, Reed SW. Diagnosing and treating hair loss. Am Fam Physician 2009; 80: 356-62. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren.

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