Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe
Red Flags |
Abwendbar gefährlicher Verlauf |
Stridor (Hypersalivation, kloßige Sprache) |
Stich/Biss im Bereich des Rachens oder der oberen Atemwege: Schwellung der Atemwege, Verlegung der Atemwege, Glottisödem, Anaphylaxie |
Dyspnoe |
Stich/Biss im Bereich der oberen Atemwege: Schwellung der Atemwege, Verlegung der Atemwege, Glottisödem, Anaphylaxie, Asthmaanfall |
Husten |
Stich/Biss im Bereich der Atemwege: Schwellung der Atemwege, Verlegung der Atemwege, Glottisödem, Asthmaanfall |
Schwellung im Kopfbereich, vor allem:
Dysphagie |
Stich/Biss im Bereich Rachens oder der oberen Atemwege: Schwellung der Atemwege, Verlegung der Atemwege, Glottisödem, Angioödem, Anaphylaxie, Asthmaanfall. |
Blutdruckabfall, Synkope |
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Gastrointestinale Symptome:
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Lokalisation des Stichs:
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Schwellung der Atemwege, Verlegung der Atemwege, Glottisödem |
Sich rasch ausdehnende, progrediente lokale Reaktion |
Infektion, Anaphylaxie |
Generalisierter Ausschlag mit Pruritus |
Urtikaria bei Anaphylaxie |
Bekannte schwergradige Allergien auf:
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Allgemeine Informationen
Definition
- In Mitteleuropa vorkommende Insektenstiche sind fast nur durch Bienen, Hornissen und Wespen bedingt.
- Zecken stechen auch, aber sind keine Insekten, sondern Spinnentiere.
- Alle anderen relevanten Insekten beißen.
- u. a. Moskitos, Flöhe, Bettwanzen und Kriebelmücken
- „Large Local Reaction“: ausgeprägte Rötung und Schwellung im Bereich des Insektenstichs/-bisses1
Ätiologie und Pathogenese
- Insektenstiche
- Ziel der Insekten: Selbstverteidigung bei vermuteter Gefahr
- Vorgehen: Injektion von Gift
- Pathophysiologie: Das Gift an sich ist eher harmlos für Menschen (Ausnahme: kumulative Giftdosis bei Vielzahl von Stichen), jedoch sind häufig anaphylaktische Reaktionen möglich.
- Das Vollbild der Anaphylaxie entwickelt sich bereits innerhalb von 15 min nach Insektenstich (bei Nahrungsmitteln etwa 30 min), sodass eine schnelle Therapie notwendig ist.2
- Insektenbisse
- Ziel der Insekten: Aufnahme von Blutbestandteilen
- Vorgehen: Injektion von Speichel in die Wunde
- Pathophysiologie: Speichel enthält allergene Substanzen, wie z. B. Enzyme und Antikoagulanzien, die lokale Abwehrreaktion auslösen.
- anaphylaktische Reaktionen selten
Häufigkeit
- Insektenstiche und -bisse sind weit verbreitet und insbesondere in den Sommermonaten zu beobachten.
- Eine „Large Local Reaction“ tritt bei etwa 10 % der gestochenen bzw. gebissenen Personen auf.1
- Anaphylaktische Reaktionen sind bei Insektenstichen im Vergleich zu Insektenbissen deutlich häufiger.3
- Treten bei bis zu 3 % aller Insektenstiche auf.
Prädisponierende Faktoren
- Aufenthalt im Freien
- Kurze Kleidung
- Enger Kontakt mit Tieren
- Haustiere
- beruflicher Kontakt, z. B. bei Tierzucht
ICPC-2
- S12 Insektenbiss /-stich
ICD-10
- T14.0 Insektenstiche
- T14.03 Oberflächliche Verletzung an einer nicht näher bezeichneten Körperregion: Insektenbiss oder -stich, ungiftig
- T63.4 Gift sonstiger Arthropoden inkl.: Insektenbiss oder -stich, giftig
Diagnostik
Diagnostische Überlegungen
- Identifizierung des Insekts möglich?
Bettwanzenstiche
- Besteht der Anhalt für eine anaphylaktische Reaktion, sodass eine notfallmäßige Therapie notwendig ist?
- Ist eine symptomatische Akuttherapie ausreichend oder ist eine längere systemische Therapie, ggf. mit Behandlung der Umgebung, indiziert?
- Beispiele für aufwendige Therapie bei Skabies oder Bettwanzen
Differenzialdiagnosen
- Erysipel
- Entscheidend für die Differenzialdiagnose der ausgeprägten Lokalreaktion zu einem Erysipel ist die Zeit zwischen Biss und Beschwerdebeginn.
Flohbisse
- Die Lokalreaktion beginnt innerhalb weniger Stunden, beim Erysipel vergehen Tage.3
- Cave: sekundäre Superinfektion der Bissstelle im Behandlungsverlauf jederzeit möglich!
- Entscheidend für die Differenzialdiagnose der ausgeprägten Lokalreaktion zu einem Erysipel ist die Zeit zwischen Biss und Beschwerdebeginn.
- Skabies
- Oft ist auch das Umfeld mit engem körperlichem Kontakt betroffen.
- Flohbiss
- Bettwanzen
- Kopf- oder Filzläuse
Anamnese
- 1. Frage: bekannte Anaphylaxie?
- In diesem Fall sofort Notfallmedikamente vorbereiten.
- Verursachendes Insekt identifiziert?
- Falls Insekt unklar:
- Kontakt zu Tieren?
- Hinweis auf Flöhe oder andere Parasiten
- Unterkunft mit geringem hygienischem Standard?
- Hinweis auf Bettwanzen
- Kontakt zu Tieren?
- Zeitpunkt des Stichs/Bisses
- Bereits durchgeführte Therapiemaßnahmen
- Asthma
- Grad des Asthmas korreliert direkt mit Schweregrad der Bronchokonstriktion bei anaphylaktischen Reaktionen4
- Einnahme von Medikamenten
- Betablocker und ACE-Hemmer können den Schweregrad einer Anaphylaxie verstärken.4
Klinische Untersuchung
- Typischerweise Rötung, Schwellung und Schmerzen um die Biss-/Stichstelle
- manchmal, besonders nach Kriebelmückenbissen, starke Lokalreaktion mit Blasenbildung möglich (Culicosis bullosa)
- Bei „Large Local Reaction“ kann das betroffene Areal Durchmesser von 10 cm und mehr annehmen und über 1–2 Tage stark geschwollen und gerötet sein.
- Kleidung und Haut der Patient*innen nach weiteren Insekten absuchen und ggf. entfernen.3
- Auskultation der Lunge (Bronchokonstriktion?) und Erfassung der Vitalparameter zum Ausschluss einer anaphylaktischen Reaktion
- Herzfrequenz
- Blutdruck
- Sauerstoffsättigung
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- In Akutsituation nicht notwendig
- Zur Verlaufskontrolle evtl. Sonografie, um bei ausgeprägten Befunden beginnende Phlegmone zu erkennen.5
- Bei schwerer allergischer Reaktion/Anaphylaxie im Verlauf allergologische Diagnostik.
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Patient*innen mit schweren (z. B. Adrenalinautoinjektor-pflichtigen) anaphylaktischen Reaktionen sollten stationär aufgenommen und wegen des Risikos einer zweigipfligen Reaktion für 24 h stationär überwacht werden.4
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Für die Therapie einer anaphylaktischen Reaktion siehe Artikel Anaphylaxie, Erste Hilfe.
- Die Therapieempfehlungen für Insektenstiche und Insektenbisse beziehen sich auf diese Referenz.3
- Reinigung der betroffenen Stelle mit Leitungswasser und Seife sowie lokale Kühlung
- Hochlagerung der betroffenen Extremität
- Zur Analgesie NSAR
- z. B. Ibuprofen 400 mg bei Bedarf
- Bei starkem Juckreiz orales Antihistaminikum
- Beispiel Cetirizin: Kinder > 12 Jahre und Erwachsene 10 mg 1 x tgl.; Kinder 6–12 Jahren 5 mg (halbe Tablette) 2 x tgl.
Therapie von Insektenstichen
- Stachel so schnell wie möglich entfernen.
- Insekt bzw. Stachel von der Haut schnipsen.
- Abhängig von Stärke der Schwellung entsprechend starke Kortisoncreme (s. u. Therapie von Insektenbissen für Beispiele von schwach und mittelstark wirksamen Cremes)
- Bei sehr starker Schwellung stark wirksame Kortisoncreme (Klasse III)
- Beispiel Betamethason Creme 0,1 %: 1–2 x tgl. dünn auf die erkrankte Hautstelle auftragen.
- Ggf. zusätzlich orales Glukokortikoid
- z. B. 1 mg Prednisolon/kg Körpergewicht, aber nicht mehr als 50 mg pro Tag
Therapie von Insektenbissen
Leichte lokale Reaktionen
- Bei starkem Juckreiz schwach wirksame Kortisoncreme (Klasse I)
- Beispiel Hydrokortisonacetat Creme 0,5 %: 2–3 x tgl. dünn auf die befallenen Hautpartien auftragen; ab dem vollendeten 6. Lebensjahr.
Schwere lokale Reaktionen („Large Local Reaction“)
- Bei starkem Juckreiz und/oder Schwellung mittelstark wirksame Kortisoncreme (Klasse II)
- Beispiel Clobetasonbutyrat Creme 0,05 %: 2 x tgl. dünn auf die erkrankte Haut auftragen.
- In besonders schweren Fällen orales Glukokortikoid
- z. B. 1 mg Prednisolon/kg Körpergewicht, aber nicht mehr als 50 mg pro Tag.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Insektenbisse verursachen meist nur selbstlimitierende lokale Reaktionen, während bei bis zu 3 % der Insektenstiche anaphylaktische Reaktionen auftreten.3
- Bei einer „Large Local Reaction“ nehmen Schwellung und Rötung meist für 1–2 Tage weiter zu und bilden sich anschließend über 5–10 Tage zurück.1
Komplikationen
- Bakterielle Superinfektion
- Anaphylaxie
Prognose
- Bei Insektenbissen sehr gute Prognose, in der Regel nur lokale, selbstlimitierende Beschwerden
- Bei Insektenstichen sind vital gefährdende anaphylaktische Reaktionen möglich.
- Todesfälle durch kumulative Giftwirkung bei gesunden Erwachsenen sind sehr selten.3
- Eine „Large Local Reaction“ bedeutet nicht, dass bei einem erneuten Stich/Biss anaphylaktische Reaktionen auftreten müssen.1
- Das Risiko für eine anaphylaktische Reaktion liegt bei 5–10 %.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen



Quellen
Literatur
- Freeman T. Patient education: Bee and insect stings (Beyond the Basics). UpToDate, Stand Juli 2022. Letzter Zugriff 03.08.22. www.uptodate.com
- Bischoff M. Wer braucht wann welches Notfallset?. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 21. link.springer.com
- Just J, Weckbecker K. Insektenbisse und -stiche. hautnah dermatologie 2019; 35: 14-15. link.springer.com
- Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie. Anaphylaxie, Akuttherapie und Management. AWMF-Leitlinie Nr. 061-025, Stand 2021. www.awmf.org
- Oberhofer E. Schlimmer Finger: Insektenstich mit Folgen. MMW - Fortschritte der Medizin 2022; 164: 21. link.springer.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.