Allgemeine Informationen
Definition
- „Kardiorenales Syndrom“ (CRS) umfasst ein Spektrum von Herz- und Nierenfunktionsstörungen, bei denen die akute oder chronische Dysfunktion eines Organs eine akute oder chronische Dysfunktion des anderen Organs auslöst.1
Terminologie
- Obwohl die Beziehung zwischen den beiden Organen lange bekannt ist, wurde ein CRS erst 2004 formal definiert2
- 2008 erfolgte eine breitere Definition des CRS durch einen Konsens über die Einteilung in zwei Hauptgruppen (kardiorenal und renokardial) mit fünf Subtypen (siehe unten)2
Problemstellung für die hausärztliche Praxis
- Mit höherem Lebensalter steigt der Anteil an Patient*innen, die sowohl eine Herz- als auch eine Niereninsuffizienz aufweisen.
- Unter dem Überbegriff CRS verbirgt sich eine heterogene Pathophysiologie, sowohl die Primär- bzw. Folgeerkrankung als auch den zeitlichen Ablauf betreffend.
- Das CRS ist nicht nur medizinisch, sondern auch gesundheitsökonomisch relevant, auch aufgrund der häufigen Hospitalisierungen.
- Klinisch sind die Patient*innen mit einem CRS vor allem durch rezidivierende hydropische Dekompensationen gekennzeichnet.
- Über 40% der Patient*nnen weisen nach stationärer „Rekompensation" noch Überwässerungszeichen auf.
- Über 30 % der hospitalisierten Patient*innen werden innerhalb von 60 Tagen rehospitalisiert.
Klassifikation
- Um die Heterogenität des CRS abzubilden, erfolgte 2008 eine Einteilung in fünf Subtypen.
- Überschneidungen und fließende Übergange von einem Typ zum anderen sind in der klinischen Praxis allerdings häufig
- Abhängig von Akuität und Sequenz der Organdysfunktion wird das CRS folgendermassen klassifiziert:
Typ I: akutes kardiorenales Syndrom
- Akute Herzinsuffizienz, die ein akutes Nierenversagen verursacht
- Klinisches Beispiel: Kardiogener Schock, dekompensierte Herzinsuffizienz
Typ II: chronisches kardiorenales Syndrom
- Chronische Herzinsuffizienz verursacht chronische Niereninsuffizienz (Situation, die häufig im geriatrischen Umfeld zu finden ist)
- Klinisches Beispiel: Periphere Minderperfusion ("low output")/Ischämie, Makro-/Mikrovaskulopathie
Typ III: akutes renokardiales Syndrom
- Durch Überwasserung, Urämie und metabolische Störungen im Rahmen einer akuten Niereninsuffizienz wird eine akute Herzinsuffizienz ausgelöst
- Klinisches Beispiel: akute Glomerulonephritis mit urämischer Perikarditis
Typ IV: chronisches renokardiales Syndrom
- Wird verursacht durch die chronische Niereninsuffizienz, die sekundär eine Kardiomyopathie mit Linksherzhypertrophie und Herzinsuffizienz bedingt
- Klinisches Beispie: beschleunigte Koronarsklerose, linksventrikuläre Hypertrophie/ Remodeling
Typ V: sekundäres kardiorenales Syndrom
- Gleichzeitige Herz- und Niereninsuffizienz
- Klinisches Beispiel: Sepsis, Autoimmunerkrankungen, Amyloidose
Häufigkeit
- Da die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren sowohl Herz als auch Niere betreffen, besteht eine hohe Koinzidenz von Herz- und Niereninsuffizienz.
- Epidemiologische Daten spezifisch zum CRS liegen allerdings kaum vor.
- Ca. 40-60% der etwa 3 Mio Patient*innen mit chronischer Herzinsuffizienz weisen auch eine chronische Nierenerkrankung auf,
- Umgekehrt sind die knapp 9 Millionen Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung durch ein hohes kardiovaskuläres Risiko gekennzeichnet
- In Studien weisen – vermutlich deutlich unterschätzt – 15 % der Patient*innen mit Niereninsuffizienz auch eine Herzinsuffizienz auf
Ätiologie und Pathogenese
- Pathophysiologisch besteht ein Wechselspiel zwischen Herz, pulmonalvaskulärem System und Nieren:1
- Durch vermindertes Herzzeitvolumen bei Herzinsuffizienz resultiert eine verminderte renale Perfusion.
- Hierdurch Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) mit Kochsalzretention sowie renaler Vasokonstriktion
- Abfall des glomerulären Filtrationsdrucks, vermehrte Wasserretention und Ödembildung
- Pulmonale Überwässerug führt zu verminderter Oxygenierung.
- Lange unterschätzt wurden das Rückwärtsversagen mit erhöhten Füllungsdrücken/pulmonaler Hypertonie und dadurch renalvenöser Stauung.
- Systemische inflammatorische Prozesse schädigen die Tubuluszellen der Nieren.
- Metabolische Azidose bei Niereninsuffizienz führt zu Vasokonstriktion und Druckerhöhung im Lungenkreislauf.
- eine pulmonale Hypertonie liegt bei ca. 20–40 % der Patient*innen mit einer chronischen Nierenkrankheit vor
- Verschlechterte Entgiftungsfunktion der Niere führt zum Anfall toxischer Zytokine mit Verschlechterung der Myokardfunktion.
- Bei fortgeschrittenen Niereninsuffizienz Entwicklung einer urämischen Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Hypertrophie und begleitender Fibrose
Klinisches und laborchemisches Bild
- Häufige Zeichen und Befunde beim CRS sind2,3
- periphere Ödeme
- (Belastungs-) Dyspnoe, pulmonale Überwässerung
- arterielle Hypertonie
- Kreatininanstieg, Abfall der eGFR
- Hyperkaliämie
- Anämie
ICD-10
- I50.- Herzinsuffizienz
- N18.- Chronische Nierenkrankheit
- N19 Nicht näher bezeichnete Niereninsuffizienz
Diagnose
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnosestellung erfolgt in der Zusammenschau von Ausprägung sowie zeitlicher Abfolge von Herz- und Nierenfunktionsstörungen
- Dabei beruht die Diagnosestellung auf4
- Anamnese und klinischer Untersuchung
- Labordiagnostik/Biomarkern
- Bildgebung
Anamnese und klinische Untersuchung
- Dabei ist besonders auf Symptome und Zeichen der Volumenüberladung zu achten
- Zu Details siehe chronische Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, chronische Nierenkrankheit
Diagnostik
Labor
Blut
- Blutbild (Anämie)
- Nierenfunktionsparameter: Kreatinin, eGFR, Harnstoff
- Elektrolyte (Hyperkaliämie)
- Albumin (Hypalbuminämie)
- NT-proBNP, BNP (Herzinsuffizienz)
- Blutgasanalyse (Hypoxämie, Azidose)
Urin
- Urinstatus: Urinteststreifen, Urinsediment (Hinweise auf Nierenschädigung)
- Albuminurie: Albumin-Kreatinin-Ratio (Ausmass der Nierenschädigung)
Bildgebung
Echokardiografie
- Kardiale Dimensionen, ventrikuläre Funktion, Hypertrophie, Klappenfunktion
- Abschätzung einer pulmonalen Hypertonie
- Perikarderguss
- Vena cava inferior (Volumenstatus)
Sonografie Abdomen
- Nieren, ableitende Harnwege
- Vena cava inferior (Volumenstatus)
- Pleurarerguss, Aszites
Erweiterte Bildgebung
- Farbduplex-Sonografie der Nieren: Beurteilung der renalen Perfusion
- CT, MRT: Alterantive zur Echokardiografie bei unzureichenden Schallbedingen, nichtinvasive Koronardiagnostik(CT), Beurteilung des Myokards (MRT)
- Herzkatheteruntersuchung: Quantifizierung einer pulmonalen Hypertonie, Bestimmung der Füllungsdrucke, Koronardiagnostik
Therapie
Behandlungsziel
- Schwerpunkt der Betreuung der Patient*innen mit CRS ist die Kontrolle des Flüssigkeitsstatus, um eine hydropische Dekompensation zu vermeiden.
- Weitere Ziele sind Kontrolle und Optimierung von Herz- und Nierenfunktion
- Hospitalisationen sollten dadurch möglichst vermieden werden, diese sind mit einer Prognoseverschlechterung assoziiert
Allgemeines zur Behandlung
- Bestandteile der Therapie sind
- Allgemeinmaßnahmen
- medikamentöse Therapie
- im Einzelfall Nierenersatzverfahren
Allgemeinmaßnahmen
- Bei Volumenüberladung Trinkmengenrestriktion
- Eine Gabe grosser Flüssigkeitsmengen zur Verbesserung der Nierenfunktion ist nicht sinnvoll.
- auch keine zeitgleiche Gabe von Flüssigkeit und Schleifendiuretika zur „Nierenspülung“
- Kochsalzrestriktion
- Tägliche Kontrolle des Körpergewichts
- Vermeiden nephrotoxischer Medikation (z.B. NSAR)
Medikamentöse Behandlung
- Zu den allgemeinen Behandlungsprinzipien der Funktionsstörungen von Herz und Niere siehe Artikel Herzinsuffizienz sowie Niereninsuffizienz und chronische Nierenkrankheit
- Die bei einer Herzinsuffizienz evidenzbasiert prognostisch relevanten Medikamente sollten – wenn klinisch vertretbar – auch bei CRS weiter verabreicht werden.
- Daneben können einige spezielle Überlegungen zum kardiorenalen Syndrom berücksichtigt werden:
Diuretika
- Diuretikaktherapie ist Eckpfeiler bei der Behandlung einer Volumenüberladung.
- Der therapeutische Pfad ist allerdings schmal und das Ziel ohne gleichzeitige Trinkmengenrestriktion/Kochsalzrestriktion schwierig zu erreichen.
- Eine zu niedrig angesetzte Therapie erhöht das Risiko einer erneuten kardialen Dekompensation in den nächsten Monaten.
- Zudem beeinträchtigt eine unzureichend behandelte Volumenüberladung die Nierenfunktion durch Erhöhung des venösen Rückstaus.
- Andererseits ist Überdiuretisierung ein häufiger Grund für eine Verschlechterung der Nierenfunktion im Sinne eines prärenalen Nierenversagens.
- Substanzen der 1. Wahl sind Schleifendiuretika.1
- Wird damit keine ausreichende Diurese erreicht, spricht man von Diuretikaresistenz.
- Bei nicht mehr ausreichender Wirkung der Schleifendiuretika sollte bei stabiler Nierenfunktion eine sequenzielle Nephronblockade eingeleitet werden: zusätzliche Gabe von Thiaziden oder Mineralokortikoidantagonisten.5
- Auch bei chronisch höhergradig eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR <30 ml/min) kann eine sequenzielle Nephronblockade unter Kontrolle der Laborparameter versucht werden.
- Bei eGFR <15 ml/min sollten ausschließlich Schleifendiuretika gegeben werden.
SGLT-2-Inhibitoren
- SGLT-2-Inhibitoren sind ein neuer, innovativer Therapieansatz für Patient*innen mit CRS.
- Sie weisen auch unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes mellitus sowohl kardio- als auch nephroprotektive Effekte auf
- SGLT-2-Inhibitoren werden daher vermutlich in Zukunft eine der therapeutischen Säulen in der Therapie des CRS sein.
- Kombination mit RAAS-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor möglich.
RAAS-Inhibitoren
- Die Inhibition des Reninin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern ist Standardtherapie sowohl bei Herz- als auch Niereninsuffizienz.
- Allerdings kann eine RAAS-Inhibition bei Niereninsuffizienz mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion und insbesondere bei Patienten mit einer eGFR < 30 ml/min auch mit erhöhtem Hyperkaliämerisiko verbunden sein.
- Bei eGFR zwischen 15 und 25 ml/min müssen die Dosierungen halbiert, bei eGFR <15 ml/min sollten die Substanzen ganz abgesetzt werden.
- Bei einer einer Abnahme der eGFR um 50 Prozent innerhalb von 72 Stunden ist ebenfalls die Dosierung zu halbieren.
- Bei einem Kalium zwischen 5,5 und 6 mmol/l sollten die Dosierungen halbiert werden, bei einem Kalium > 6 mmol/l müssen RAAS-Hemmer abgesetzt werden.
Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI)
- ARNI sind vor allem für Herzinsuffizienz-Patient*innen eine Option, die unter maximaler RAAS-Inhibitor-Therapie weiter symptomatisch sind.
- Die Inhibition von Neprilysin weist aber auch auch im Hinblick auf renale Endpunkte positive Effekte auf.
Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA)
- Eine Intensivierung der Herzinsuffizienztherapie durch einen MRA (Spironolakton, Eplerenon) scheint auch bei Niereninsuffizienz Stadium 1–3 vorteilhaft zu sein.
- Mittlerweile steht mit Finerenon ein neuer, nichtsteroidaler, selektiver MRA mit höherer Rezeptorspezifität als Spironolakton und Eplerenon zur Verfügung.
- Bei chonischer Nierenerkrankung und Diabetes verlangsamt Finerenon die Progression der Nephropathie und senkt die Rate kardiovaskulärer Ereignisse.
- Zu berücksichtigen ist das Hyperkaliämierisiko, bei einem Kalium von 5,5-6 mmol/L sollte die Dosierung halbiert, bei einem Kalium > 6 mmol/l müssen MRA abgesetzt werden.
- Bei niedrigen Kaliumwerten besteht keine Notwendigkeit für ein Absetzen bei Verschlechterung der Nierenfunktion.
Behandlung einer Hyperkaliämie
- Zur Behandlung einer Hyperkaliämie wurden in den vergangenen Jahren zwei neue Kationenaustauscher zugelassen:,
- Patiromer
- Natriumzirconiumcyclosilicat
- Beide Substanzen liegen als Pulver vor und werden zur Einnahme in Wasser suspendiert.
Eisensubstitution
- Patienten mit CRS weisen häufig eine Anämie oder einen Eisenmangel ohne Anämie auf.
- Orale Eisengabe ist nicht empfehlenswert, da bei CRS oft eine chronische Inflammation mit erhöhten Hepcidinspiegeln und damit verminderter Resorption vorliegt.
- Die Eisengabe sollte daher i.v. erfolgen.
- Der optimale Ferritinspiegel bei kardiorenalem Syndrom ist nicht bekannt, wird aber im höheren Bereich akzeptiert (bis zu 500 ng/ml).
Therapiepause bei akuter Erkrankung - Sick Day Rule Card
- Bei Patient*innen mit Herz- und Niereninsuffizienz kann die Aushändigung von sogenannten Sick Day Rule Cards helfen, das Risiko einer zusätzlichen Nierenschädigung bei akuter Erkrankung zu verringern.
- Die Patient*innen werden instruiert, bei akuten Störungen wie Fieber, Schüttelfrost, Diarrhöen oder Erbrechen eine medikamentöse Therapie mit RAAS-Inhibitoren, ARNI, SGLT2-Inhibitoren oder Diuretika passager zu pausieren.
- Wiederaufnahme der Therapie nach Besserung des Befindens, zum Beispiel 24–48 Stunden nach Beginn einer normalen Nahrungsaufnahme
Weitere Behandlungsformen
Dialyse und Ultrafiltration
- Ein routinemäßiger Einsatz von Nierenersatzverfahren (Ultrafiltration, Hämofiltration, Hämodialyse, Peritonealdialyse) zum Volumenmanagement kann derzeit nicht empfohlen werden (kein Mortalitätsvorteil).
- Im Einzelfall kann eine peritoneale Ultrafiltration die letzte Therapieoption für ein selbstbestimmtes Leben außerhalb des Krankenhauses darstellen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Kardiale Dekompensation
- Progression der Niereninsuffizienz
- Wiederholte Hospitalisierungen
Verlauf und Prognose
- Das kardiorenale Syndrom ist mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden.
- Für chronisch herzinsuffiziente Patient*innen ist die akute oder chronische Niereninsuffizienz der stärkste negative Prognosefaktor.
- Im Umkehrschluss ist auch die Herzinsuffizienz ein ungünstiger Prädiktor bei niereninsuffizienten Patient*innen.
- Die Hospitalisierungsrate der Patient*innen mit kardiorenalem Syndrom beträgt >40% im ersten Jahr.
- Berücksicht werden sollte bei Therapie- und Versorgungsentscheidungen auch, dass nicht selten bereits eine palliative Situation vorliegt.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Rangaswami J, Bhalla V, Blair J, ez al. Cardiorenal Syndrome: Classification, Pathophysiology, Diagnosis, and Treatment Strategies: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation 2019; 139: e840-e878. doi:10.1161/CIR.0000000000000664 DOI
- Junho C, Trentin-Sonoda M, Panico K, et al. Cardiorenal syndrome: long road between kidney and heart. Heart Fail Rev 2022; 27: 2137–2153. doi:10.1007/s10741-022-10218-w DOI
- Pliquett, R. Cardiorenal Syndrome: An Updated Classification Based on Clinical Hallmarks. J Clin Med 2022;11:2896. https://doi.org/10.3390/ jcm11102896.
- Mitsas A, Elzawawi M, Mavrogeni S, et al. Heart Failure and Cardiorenal Syndrome: A Narrative Review on Pathophysiology, Diagnostic and Therapeutic Regimens—From a Cardiologist’s View. J Clin Med. 2022;11:7041. https://doi.org/ 10.3390/jcm11237041
- Ajibowo A O, Okobi O E, Emore E, et al. Cardiorenal Syndrome: A Literature Review. Cureus 2023;15: e41252. DOI 10.7759/cureus.41252
Autor
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.