Zusammenfassung
- Definition:Magen-Darm-Infektion, die durch Noroviren hervorgerufen wird.
- Häufigkeit:Noroviren sind weltweit die häufigste Ursache für Ausbrüche von nicht-bakteriellen Gastroenteritiden.
- Symptome:Zu den typischen Symptomen zählen akut einsetzende Übelkeit, schwallartiges Erbrechen, Bauchschmerzen, wässriger Durchfall und ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl.
- Befunde:Bis auf diskretes Fieber und Dehydratationszeichen gibt es kaum klinische Befunde, die Untersuchung des Abdomens ist blande.
- Diagnostik:In einer Stuhlprobe können die Viren mittels PCR nachgewiesen werden.
- Therapie:Die Erkrankung ist selbstlimitierend, eine spezifische Behandlung ist nicht vorhanden und normalerweise auch nicht erforderlich. Spezielle Hygienemaßnahmen sind zum Vermeiden einer Verbreitung erforderlich.
Allgemeine Informationen
Definition
- Die Norovirus-Gastroenteritis ist eine Durchfallerkrankung, die durch eine Infektion mit Noroviren hervorgerufen wird.
- Übertragung auf fäkal-oralem Weg und durch Tröpfcheninfektion, häufig epidemisches Auftreten
Häufigkeit
- Prävalenz/Inzidenz
- Noroviren sind weltweit die häufigste Ursache für Ausbrüche von nicht-bakteriellen Gastroenteritiden.1
- Sie sind für einen Großteil der nicht-bakteriell bedingten Gastroenteritiden bei Kindern (ca. 30 %) und bei Erwachsenen (bis zu 50 %) verantwortlich.
- Größere Ausbrüche finden meist in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Kinderbetreuungseinrichtungen statt.
- Alter
- Alle Altersgruppen können betroffen sein.
- Die höchste Inzidenz findet sich bei Kindern unter 2 Jahren, gefolgt von der Altersgruppe der über 79-Jährigen.
- Saisonale Schwankungen
- Die virale Gastroenteritis tritt vor allem während der Wintermonate auf, aber auch im Frühjahr und im Sommer wurden bereits Epidemien beobachtet.2
Ätiologie und Pathogenese
- Norovirus
- Noroviren sind einzelsträngige, unbehüllte RNA-Viren mit einem Durchmesser zwischen 26 und 35 nm.
- Das Norovirus gehört zur Familie der Caliciviridae und zeichnet sich durch eine ausgeprägte Genomvariabilität aus.
- Die Infektiosität ist sehr hoch, die minimale Infektionsdosis dürfte bei ca. 10 bis 100 Viruspartikeln liegen.
- Das Virus ist äußerst resistent gegenüber einer Inaktivierung durch Einfrieren, Erhitzen auf 60 °C, Chlorexposition, Alkohol und Reinigungsmitteln. In angetrocknetem Zustand kann es über 3 Wochen lang infektiös bleiben.
- Krankheitsausbruch
- Die Infektion kann sporadisch oder im Rahmen von Ausbrüchen bei Menschen auftreten, die engen Kontakt haben. Dazu zählen u. a. Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Kinderbetreuungseinrichtungen.
- Clostridioides (früher Clostridium) difficile und Noroviren gehören zu den häufigsten Erregern nosokomialer Gastroenteritiden.
- Lokale Epidemien klingen in der Regel spontan innerhalb von 1–2 Wochen ab.
- Übertragung
- Noroviren sind hoch kontagiös und können von Mensch zu Mensch, aber auch durch kontaminierte Speisen oder Wasser übertragen werden.
- Infektionswege
- Indirekte Kontaktinfektion: Schmierinfektion, bei der eine Übertragung auf fäkal-oralem Wege erfolgt, etwa infolge von mangelnder Händehygiene bei der Zubereitung von Speisen oder der Berührung von kontaminierten Oberflächen.
- Tröpfcheninfektion: Eine Infektion ist auch über die orale Aufnahme virushaltiger Tröpfchen aus dem Erbrochenen infizierter Personen möglich.3
- Die Inkubationszeit beträgt ca. 6–50 Stunden.
- Während der akuten Krankheitsphase ist die Ansteckungsgefahr am höchsten, das Virus wird allerdings noch einige Tage, selten sogar noch über mehrere Monate ausgeschieden.
- Immunität
- Kurzzeitige Immunität, die nur wenige Monate andauert.
- Rezidive sind aufgrund der Vielzahl an Erreger-Stämmen häufig.4
Prädisponierende Faktoren
- Es wird angenommen, dass die Infektanfälligkeit zumindest teilweise genetisch bedingt ist.
ICD-10
- A08.1 Akute Gastroenteritis durch Norovirus [Norwalk-Virus]
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typisches klinisches Bild
- Nachweis von Norovirus in Stuhlproben und Erbrochenem
Differenzialdiagnosen
- Andere Ursachen für eine Diarrhö, insbesondere andere virale oder bakterielle Infektionen
Anamnese
- Typische Symptome sind akut einsetzende Übelkeit, schwallartiges Erbrechen, Bauchschmerzen, leichtes Fieber und wässriger Durchfall.
- Häufig gleichartige Symptome bei engen Kontaktpersonen
- Darüber hinaus zeigen viele Erkrankte grippeähnliche Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen sowie Muskel- und Gelenkschmerzen.
- Die Inkubationszeit beträgt in der Regel 6–50 Stunden, kann aber auch kürzer sein. Die Symptome halten normalerweise über 24–48 Stunden an.
- Die Infektion weist einen milden und selbstlimitierenden Krankheitsverlauf auf, bei älteren oder geschwächten Menschen sowie bei Personen mit geschwächtem Immunsystem lassen sich aber auch schwere Verläufe beobachten.
- Bei Neugeborenen kann der akute Brech-Durchfall fehlen, häufig nur aufgeblähtes Abdomen ohne akute Diarrhö, Sepsis-ähnliche Verläufe, nekrotisierende Enterokolitis und/oder Apnoe/Dyspnoe.
- Die Ansteckungsgefahr ist während der akuten Krankheitsphase mit Erbrechen und Durchfall am höchsten, beginnt aber bereits kurz vor Einsetzen der Symptome und dauert anschließend noch einige Tage an.
Klinische Untersuchung
- Häufig kein oder nur leichtes Fieber
- Lebhafte Darmgeräusche
- Möglicherweise sichtbare Zeichen einer Dehydratation
- Müdigkeit, Durst, Oligurie, akuter Gewichtsverlust, trockene Schleimhäute, eingesunkene Augen, verminderter Hautturgor, Tachykardie und niedriger Blutdruck
- mäßige Dehydratation: Verlust von ca. 5 % des Körpergewichts
- starke Dehydratation: Verlust von ca. 10 % des Körpergewichts
- Müdigkeit, Durst, Oligurie, akuter Gewichtsverlust, trockene Schleimhäute, eingesunkene Augen, verminderter Hautturgor, Tachykardie und niedriger Blutdruck
- Zeichen einer vitalen Gefährdung bei Kindern sind:
- eingeschränktes Bewusstsein
- kaltschweißige Haut, extrem eingesunkene Augen oder Fontanelle
- trockene Schleimhäute und fehlende Tränen
- schlaffer Muskeltonus
- verlängerte kapilläre Füllungszeit > 3 sec
- Tachypnoe/Azidose-Atmung
- Anurie.
- Eine normale Urinproduktion spricht zuverlässig gegen eine schwere Dehydratation.
Ergänzende Untersuchungen
- Für den Nachweis von Noroviren im Stuhl stehen derzeit drei verschiedene Nachweismethoden zur Verfügung:
- die Amplifikation viraler Nukleinsäuren (RT-PCR)
- der Nachweis viraler Proteine (Antigen-EIA)
- der elektronenmikroskopische Nachweis von Viruspartikeln.
- Stuhlprobe zum Nachweis von Viren mittels PCR (Goldstandard)
- Die Proben werden ohne Transportmedium und nach Möglichkeit gekühlt verschickt.
- Häufig lassen sich Viren noch mehrere Wochen nach Krankheitsbeginn mittels PCR nachweisen.
- Bei größeren Ausbrüchen müssen nicht alle Personen getestet werden (Nachweis bei 5 Indexfällen).
- Ein Virusnachweis sollte bei typischer Symptomatik angestrebt werden, insbesondere bei Häufungen von Gastroentritiden in Gemeinschaftseinrichtungen.
- Umgebungsuntersuchungen bei asymptomatischen Personen sind nicht angezeigt.
- Evtl. Laboruntersuchungen, um den Wasser-Elektrolyt-Haushalt zu überprüfen. Das Differenzialblutbild ist häufig normal, selten diskrete Leukozytose und/oder Lymphopenie.4
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Großzügige Entscheidung zur Krankenhauseinweisung dehydrierter Kinder oder stark dehydrierter Erwachsener
Therapie
Therapieziele
- Dehydratation verhindern.
- Infektionsausbreitung verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Eine spezifische Therapie existiert nicht.1
- In den meisten Fällen ist keine Behandlung erforderlich, da die Erkrankung selbstlimitierend ist.
- In einigen Fällen kann es allerdings notwendig sein, eine vorliegende Dehydratation oder Elektrolytstörung zu behandeln. Dies geschieht vorzugsweise über eine perorale Flüssigkeitszufuhr, die der intravenösen Rehydratation vorzuziehen ist.5-6
- Antiemetika, Analgetika können zur symptomatischen Behandlung eingesetzt werden. Motilitätshemmende Mittel sollten vermieden werden.4
Empfehlungen für Patient*innen
- Reichliche Flüssigkeitszufuhr wird empfohlen.
- Kohlensäurehaltige Getränke vermeiden.
- Weiterhin altersgemäße Kost in kleineren, aber häufigeren Mahlzeiten, trotz Erbrechen5-6
- Für Kinder von 2–10 Jahren
- Flüssigkeitszufuhr in Form von Wasser oder stark verdünntem Saft erhöhen.
- Apfelsaftschorle (ohne Kohlensäure) hat eine günstigere Wirkung als fertige Elektrolytlösungen.7
- Kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke vermeiden.
- Erbricht das Kind, sollten jeweils nur geringe (5 ml) Mengen an Flüssigkeit gereicht werden, dafür aber umso häufiger.
- Bei Durchfall und Zeichen einer Dehydratation können in der Apotheke auch frei verkäufliche Elektrolytlösungen erworben werden.6
- Alle 4–6 Stunden 50‒100 ml Elektrolytlösung pro kg Körpergewicht verabreichen.
- Empfehlungen zu selbstgemachten Elektrolytlösungen können leicht missverstanden werden. Schon kleine Fehler in der Abmessung können zu einer falschen Osmolarität führen und damit den Krankheitsverlauf verlängern oder sogar verschlimmern.6
- Wenn keine fertigen Elektrolytlösungen erhältlich sind, können Ärzt*innen schriftlich das korrekte Mischungsverhältnis zur Herstellung einer eigenen Lösung festhalten: ½ TL (2,5 ml) Salz und 2 EL (30 ml) Zucker werden in einen Liter Wasser gegeben.
- Erkrankte Kinder sollten ärztlich vorgestellt werden bei:
- Alter < 12 Monate
- Trinkverweigerung > 4 h und persistierendem Erbrechen
- schweren Grunderkrankungen
- Lethargie oder hohem Fieber
- blutigem Durchfall oder starken Bauchschmerzen.
Medikamentöse Therapie
- Der Einsatz von Antiemetika bei Patient*innen mit starkem Erbrechen kann erwogen werden.
- Analgetika zur Linderung von Kopf- oder Gliederschmerzen
- Probiotika
- Bei Kindern mit einer akuten infektiösen Diarrhö kann die Behandlung mit Laktobakterien den Krankheitsverlauf verkürzen und die Anzahl der Darmentleerungen verringern.
- Die Datenlage ist widersprüchlich.8
- Bei Immunsuppression mit möglicher Darmbarrierestörung sind Probiotika relativ kontraindiziert, um systemische Infektionen zu vermeiden.
Prävention
- Korrekte Händehygiene mit häufigem Händewaschen unter fließendem Wasser mit Seife ist am wichtigsten.
- Alkoholbasierte Händedesinfektion kann Händewaschen nicht ersetzen, da Alkohol nur eine begrenzte Wirkung gegen Noroviren hat.
- Strikte Einhaltung der Hygieneregeln im Lebensmittelbereich
- Meldepflicht bei Verdacht auf einen Ausbruch
- Die Entwicklung von Impfstoffen war bislang aufgrund fehlender Tiermodelle zur Testung nicht erfolgreich.1
Maßnahmen bei Ausbrüchen
- Kommt es in Gemeinschaftseinrichtungen zu Ausbrüchen, müssen umgehend entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Bei begründetem Verdacht sollte sofort gehandelt werden, ohne eine Laborbestätigung abzuwarten.
- Isolierung oder ggf. Kohortenisolierung Betroffener in einem Zimmer mit eigenem WC
- Erweiterte Hygienemaßnahmen: Tragen von Handschuhen, Schutzkittel, ggf. geeigneter Atemschutz zur Vermeidung einer Infektion durch Aerosole, konsequente Händehygiene, Desinfektion von patientennahen Flächen, Toiletten, Waschbecken, Türgriffen, Wäsche
- Hände- und Flächendesinfektionsmittel sollte als „begrenzt viruzid PLUS“ oder viruzid gekennzeichnet sein.
- Händedesinfektion vor Verlassen des Isolationszimmer und nach Ablegen der Einweghandschuhe
- Strenge Indikationsstellung bei Verlegungen von Erkrankten innerhalb stationärer Bereiche
- Bei größeren Ausbrüchen genügt ein Erregernachweis bei 5 der betroffenen Personen, bei weiteren Erkrankten wird die Erkrankung aufgrund der typischen Symptomatik diagnostiziert.
- Zur Vermeidung von Ausbrüchen sollte Personal auch bei geringen gastrointestinalen Symptomen freigestellt werden und frühestens 48 Stunden nach Ende der symptomatischen Phase zum Arbeitsplatz zurückkehren.
- Bei Ausbrüchen in Kindertageseinrichtungen sollten symptomatische Kinder frühestens nach 48 Stunden Symptomfreiheit in die Betreuungseinrichtung zurückkehren.
- Personen, die beruflich mit Lebensmitteln zu tun haben, sollten frühestens 48 Stunden nach Ende der symptomatischen Phase zur Arbeit zurückkehren.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Normalerweise ist die Erkrankung innerhalb von 4–6 Tagen selbstlimitierend.
Komplikationen
- Dehydratation
- Störungen des Elektrolythaushalts
- Selten kann eine Norovirus-Infektion tödlich verlaufen. Als krankheitsbedingt verstorben wurden 2020 17 laborbestätigte Norovirus-Erkrankungen übermittelt. Die Letalität der laborbestätigten Norovirus-Gastroenteritis betrug damit 0,06 %.
Verlaufskontrolle
- Kontrolluntersuchungen sind nicht notwendig.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Dolin R. Noroviruses - challenges to control. N Engl J Med 2007; 357: 1072-3. PubMed
- Lopman B, Vennema H, Kohli E, et al. Increase in viral gastroenteritis outbreaks in Europe and epidemic spread of new norovirus variant. Lancet 2004; 363: 682-8. PubMed
- Bonifait L, Charlebois R, Vimont A, et al. Detection and quantification of airborne norovirus during outbreaks in healthcare facilities. Clin Infect Dis 2015. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Khan ZZ. Norovirus. Medscape. Stand Oktober 2015. emedicine.medscape.com
- Guarino A, Albano F, Ashkenazi et. al. European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition/European Society for Paediatric Infectious Diseases evidence-based guidelines for the management of acute gastroenteritis in children in Europe: executive summary. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2008; 46: 619-621. PubMed
- King CK, Glass R, Bresee JS, et al. Managing acute gastroenteritis among children: oral rehydration, maintenance, and nutritional therapy. MMWR Recomm Rep 2003; 52: 1-16. PubMed
- Freedman SB, Willan AR, Boutis K. Effect of Dilute Apple Juice and Preferred Fluids vs Electrolyte Maintenance Solution on Treatment Failure Among Children With Mild Gastroenteritis. A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2016;315(18):1966-1974. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Van Niel CW, Feudtner C, Garrison MM, et al. Lactobacillus therapy for acute infectious diarrhoea in children:a meta-analysis. Pediatrics 2002; 109: 678-84. PubMed
Autor*innen
- Linda Mandel, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Eggenstein