Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Eine Zwangsstörung wird definiert als eine Erkrankung mit immer wiederkehrenden Zwangsvorstellungen und/oder -handlungen.

Was sind Zwangsstörungen?

Zwangsvorstellungen (Obsessionen) sind unerwünschte, aufdringliche, sich wiederholende und unausweichliche Gedanken, Gefühle, Ideen oder Empfindungen. Im Allgemeinen werden sie als schrecklich, abscheulich, furchteinflößend und/oder bedrohlich erlebt. Die Gedanken tauchen plötzlich im Bewusstsein auf, und man kann sie nicht wieder loswerden, ganz gleich was man auch probiert.

Zwangshandlungen (Kompulsionen) sind Handlungen, die eine Person sich ständig gezwungen sieht auszuführen, auch wenn er oder sie weiß, dass sie nicht notwendig sind. Man kann es also nicht lassen, die Handlung zu wiederholen. Ein typisches Beispiel ist, wenn Sie noch einmal prüfen müssen, ob die Tür auch tatsächlich abgeschlossen ist, obwohl Sie absolut sicher sind, sie abgeschlossen zu haben.

Minder schwerwiegende Zwangshandlungen sind normal: 15–30 % der Bevölkerung haben dieses Problem. 2–3,5 % haben so große Schwierigkeiten, dass sie als Krankheit charakterisiert werden.

Die meisten bemerken die Symptome etwa im Alter von 20 Jahren, doch können sie schon in der Kindheit auftreten. Weil es vielen peinlich ist, über solche Beschwerden zu sprechen, gibt es wohl mehr Menschen als wir glauben, die diese Probleme bereits in der Kindheit bemerken, sie allerdings verbergen. Normalerweise dauert es viele Jahre, bevor man es wagt, einen Arzt aufgrund solcher Probleme zu konsultieren.

Etwa doppelt so viele Jungen wie Mädchen leiden vor der Pubertät an Zwangsstörungen, während sich das Verhältnis nach der Pubertät umkehrt. Das zwanghafte Verhalten kann in einigen Fällen so schlimm werden, dass man den Alltag nicht bewältigt.

Ursachen

Über die Ursache dieser Krankheit gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, man weiß aber, dass eine Kombination aus Vererbung (Genetik) und dem Umfeld, in dem man aufwächst, ausschlaggebend ist. Oft kommt die Krankheit in der unmittelbaren Familie gehäuft vor. Belastende Faktoren in der Familie und dem Umfeld, in dem man aufwächst, können dazu beitragen, die Symptome auszulösen oder fortdauern zu lassen.

Wenn man bescheiden und perfektionistisch veranlagt ist, besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Zwangsstörung, doch müssen diese charakterlichen Merkmale nicht vorliegen, damit sich die Erkrankung einstellt. Betont werden muss auch, dass es einen fließenden Übergang gibt zwischen einer Krankheit und normalen Veränderungen. In der normalen Entwicklung ist bei den meisten Kindern vorübergehend zu beobachten, dass sie viele Rituale benötigen. Die Notwendigkeit dieser normalen Rituale verschwindet in der Regel im Alter von acht Jahren. Beispiele für mildere und in der Regel vorübergehende Rituale in der Kindheit sind:

  • eine Glückszahl
  • Rituale vor dem Schlafengehen
  • zu vermeiden, auf Striche zu treten

Kinder mit einer Zwangsstörung haben oft auch andere psychische Probleme. Viele sind depressiv. Bei Mädchen können Essstörungen auftreten. Angststörungen wie generalisierte Angst, Trennungsangst und Phobien kommen häufig vor. Das Tourette-Syndrom ist häufig bei Kindern mit Zwangsstörungen zu beobachten.

Diagnostik

Die Diagnose wird vor dem Hintergrund von Informationen sowohl des Kindes als auch der fürsorgepflichtigen Personen gestellt. Kinder berichten oft nicht von ihren Zwangssymptomen, entweder weil sie als peinlich oder irrational empfunden werden, oder weil sie sich unsicher sind, ob das entsprechende Symptom zwangsbedingt ist. Manche Kinder haben Angst davor, „für verrückt gehalten zu werden“, andere können ein zwanghaftes Ritual haben, wobei sie scheuen, die Symptome zu benennen, aus Angst davor, dass sie sich bewahrheiten können. Ein Befragungstechnik, bei der man Beispiele von Zwangssymptomen anderer Kinder benutzt, kann es dem Kind erleichtern, seine eigenen Symptome zu erkennen und zu beschreiben.

Eine Diagnose auf Zwangsstörung setzt voraus, dass eine oder mehrere dieser Bedingungen erfüllt sind:

  • Es liegen massive, zeitraubende Zwangsvorstellungen und/oder -handlungen vor.
  • Die Symptome stören und behindern den alltäglichen Ablauf.
  • Die Betroffenen erleben die Situation als für ihren normalen Lebensweg hinderlich.

Zwei Kontrollfragen, die die Kernsymptome der Erkrankung betreffen, haben sich bewährt, um Kinder mit dieser Diagnose auszumachen:

  1. Sind bestimmte Gedanken nicht aus dem Kopf zu bekommen?
  2. Werden bestimmte Handlungen wieder und wieder wiederholt?

Symptome und Anzeichen

Häufige Zwangsvorstellungen sind:

  • Übermäßige Besorgnis vor Schmutz, Bakterien und giftigen Substanzen
  • Angst vor Krankheiten, Unglücken und Tod
  • Sexuelle, moralische oder religiöse Grübeleien

Häufige Zwangshandlungen sind:

  • Waschzwang: Man muss sich sehr häufig oder auf besondere Weise waschen.
  • Kontrollzwang: ob der Ofen abgeschaltet, die Tür abgeschlossen ist usw.
  • Andere Wiederholungszwänge: Alltägliche Handlungen müssen immer und immer wiederholt werden, oft ausgehend von einer bestimmten Zahl, der eine besonders magische Bedeutung zukommt.
  • Die Anordnung in einer Reihenfolge
  • Zählen

Unbehagen und Angst zu verspüren ist normal, wenn man Zwangssymptome aufweist. Wer daran leidet, ist oft verzweifelt, traurig und depressiv, und es ist normal, dass diejenigen ängstlich sind. Schließlich entdecken die Betroffenen, dass bestimmte Situationen die Symptome auslösen, weshalb diese Situationen vermieden werden. Dann erkrankt die Person plötzlich, was einen Einschnitt bedeutet und hinderlich für den normalen Lebensweg ist. Bei vielen führt das zur sozialen Isolation.

Behandlung

Es gibt mehrere Behandlungsformen, die Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen helfen können. Man sollte Kenntnisse über die Erkrankung erwerben, um einen besseren Einblick zu haben, worin die Auslöser bestehen und was getan werden könnte, um die Situation zu verbessern. In Zusammenarbeit mit dem Hausarzt und Spezialisten kann ein geeignetes Behandlungsprogramm bestimmt werden. Die Eltern sind wichtige Partner bei der Behandlung. Es ist hilfreich, die ganze Familie aufzuklären.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie ist zentraler Bestandteil der Behandlung. Dies bedeutet, dass man zusammen mit den Eltern und dem Therapeuten herauszufinden versucht, worin die Zwangsvorstellungen und -handlungen bestehen. Welche Gedanken lösen Gefühle einer bevorstehenden Katastrophe aus? Dann wird der Therapeut Übungen aufzeigen, mit denen man sich der die Zwangsvorstellungen auslösenden Situation aussetzt – z. B. einen schmutzigen Türgriff anfassen –, und dann probiert man, Alternativen zu dem Zwang zu finden bzw. die Zwangshandlung aufzuschieben, sie abzuändern oder zu verkürzen. Das Ziel besteht darin, feste Denkmuster aufzubrechen. Die Übungen werden zu Hause durchgeführt, oft mit Unterstützung der Eltern. Wichtig ist, dass man selbst den Nutze darin sieht und die Behandlung die Ängste nicht verstärkt. Tatsächlich funktioniert die Behandlung so, dass man vorübergehend verstärkt Angst empfindet, wenn eine bestimmte Übung durchgeführt wird, doch nach einiger Zeit nimmt die Angst ab und man erträgt die Situation viel besser als zuvor. Daher ist es wichtig, dass man an der Planung teilnimmt und sagt, was man kann und was nicht.

Das Resultat einer Verhaltenstherapie ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Kinder mit einer leichten bis mittleren Zwangsstörung scheinen am meisten von der psychologischen Behandlung zu profitieren, vor allem dann, wenn die Motivation zur Bekämpfung der Symptome hoch ist.

Medikamentöse Therapie

Eine medikamentöse Behandlung kommt erst nach dem 7. Lebensjahr in Betracht. Forscher sehen eine Erklärung für die Zwangsstörung in einer Veränderung des Neurotransmitters Serotonin, der im Gehirn vorkommt. Serotonin ist wichtig für die Signalübertragung von einem Nerv zum anderen. Bei vielen Menschen mit einer Zwangsstörung jedoch funktioniert das nicht richtig. Es ist erwiesen, dass eine neuere Art Antidepressiva – die sogenannten SSRI-Präparate, die den Serotoninspiegel im Gehirn beeinflussen – wirksam sein kann bei Zwangsstörungen.

Die Wirkungen tritt nicht unmittelbar ein. Die Dosis wird nach und nach erhöht. In vielen Fällen können bis zu zwei Monate vergehen, ehe eine Wirkung eintritt. Daher sollte man die Therapie nicht abbrechen, bevor man das Medikament nicht mindestens zwei Monate eingenommen hat. Nur wenige gesunden durch diese Behandlung, doch wird angegeben, man fühle sich 25–50 % besser. Wird die medikamentöse Behandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie kombiniert, ist von einer 75%-igen Verbesserung auszugehen – einige werden tatsächlich gesund. Wie lange das Medikament genommen werden sollte, ist nicht gesichert, aber wenn die Behandlung anschlägt, empfehlen viele Experten, dass die Behandlung für mindestens 1–2 Jahre fortgesetzt werden sollte, bevor man sie ausschleichen lässt.

Prognose

Je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto besser stehen die Chancen auf einen Erfolg. Elementar ist, dass die behandelnde Person motiviert ist.

Es gibt nur wenige Langzeitstudien von Kindern mit Zwangsstörungen. Aber eine dänische Studie mit einer Beobachtungszeit von 6–22 Jahren stellte fest, dass etwa 50 % auch im Erwachsenenalter noch eine Zwangsstörung hatten, entweder als chronische oder episodische Erkrankung. Eine Verbindung zwischen dem Alter beim ersten Auftreten und einem bestimmten Resultat konnte nicht festgestellt werden.

Weiterführende Informationen

Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit

References

Based on professional document Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. References are shown below.

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Zwangsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-017, Stand 2013. awmf.org
  2. Krebs G, Heyman I. Obsessive-compulsive disorder in children and adolescents. Arch Dis Child . doi:10.1136/archdischild-2014-306934 DOI
  3. Valleni-Basile LA, Garrison CZ, Jackson KL, Waller JL, KcKeown RE, Addy CL et al. Frequency of obsessive-compulsive disorder in a community sample of young adolescents. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1994; 33: 782-91. PubMed
  4. Geller DA. Obsessive–compulsive and spectrum disorders in children and adolescents. Psychiatric Clinics of North America, 2006; 29: 353–370.
  5. Rosenberg DR, Keshavan MS. AE Bennett Research Award. Toward a neurodevelopmental model of obsessive-compulsive disorder. Biol Psychiatry 1998; 43: 623-40. PubMed
  6. Pittenger, C., M.H. Bloch, and K. Williams, Glutamate abnormalities in obsessive compulsive disorder: Neurobiology, pathophysiology, and treatment. Pharmacol Ther 2011. 132(3): p. 314-32.
  7. Swedo SE. PANDAS: is there a new "species" of pediatric OCD? 4th International Obsessive Compulsive Disorder Conference, St. Thomas, USA, February 2000: 6-7.
  8. Ivarsson, T., K. Melin, and L. Wallin, Categorical and dimensional aspects of co-morbidity in obsessive-compulsive disorder (OCD). European Child and Adolescent Psychiatry, 2008; 17(1): 20-31.
  9. Bejerot S, Nylander L, Lindstrom E. Autistic traits in obsessive-compulsive disorder. Nord J Psychiatry 2001; 55: 169-76. PubMed
  10. Evans DW, King R, Leckman JF. Tics disorders. I: Mash E, Barkley R, red. Guilford, NY: Child Psychopathology, 1995: 436-54.
  11. Turner, C.M., Cognitive-behavioural theory and therapy for obsessive-compulsive disorder in children and adolescents: current status and future directions. Clin Psychol.Rev., 2006; 26(7): 912-938.
  12. Watson, H.J. and C.S. Rees, Meta-analysis of randomized, controlled treatment trials for pediatric obsessive-compulsive disorder. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 2008; 49(5): 489-498.
  13. Rettew, D.C., et al., Obsessions and compulsions across time in 79 children and adolescents with obsessive-compulsive disorder. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 1992; 31(6): 1050-1056.
  14. Stahl, S.M., Stahl's Essential Psychopharnacology: Neuroscientific Basis and Practical Applications. Vol. 3. 2008, Cambridge: Cambridge University Press.
  15. Thomsen PH. Obsessive-compulsive disorder in children and adolescents. Clinical guidelines. European Child and Adolescent Psychiatry, 1998; 7: 1-11.
  16. O'Kearney RT, Anstey K, von Sanden C, Hunt A. Behavioural and cognitive behavioural therapy for obsessive compulsive disorder in children and adolescents. Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 4. Art. No.: CD004856. Cochrane (DOI)
  17. Whittington CJ, Kendall T, Fonagy P, Cottrell D, Cotgrove A, Boddington E. Selective serotonin reuptake inhibitors in childhood depression: systematic review of published versus unpublished data. Lancet 2004, 363: 1341-5.
  18. Pediatric OCD Treatment Study (POTS) Team. Cognitive-behavior therapy, sertraline, and their combination for children and adolescents with obsessive-compulsive disorder: the Pediatric OCD Treatment Study (POTS) randomized controlled trial. JAMA 2004; 292: 1969-76. PubMed
  19. Geller DA, Biederman J, Stewart SE, Mullin B, Martin A, Spencer T, Faraone SV. Which SSRI? A meta-analysis of pharmacotherapy trials in pediatric obsessive-compulsive disorder. Am J Psychiatry 2003; 160: 1919-28. PubMed
  20. March JS, Frances A, Carpenter D et al. Treatment of obsessive-compulsive disorder. J Clin Psychiatry 1997; 58: 1-72. PubMed
  21. Denys D, Zohar J, Westenberg HG. The role of dopamine in obsessive-compulsive disorder: preclinical and clinical evidence. J Clin Psychiatry 2004; 65(suppl 14): 11-7.
  22. Thomsen PH. Children and adolescents with obsessive-compulsive disorder. Eur Child Adolesc Psychiatry 1994; 3: 82-96. PubMed
  23. Micali, N., et al., Long-term outcomes of obsessive-compulsive disorder: follow-up of 142 children and adolescents. The British Journal of Psychiatry, 2010; 197: 128-134.
  24. Sørensen CB, Kirkeby L, Thomsen PH. Quality of life with OCD. Nord J Psychiatry 2004; 58: 231-6. PubMed