Allgemeine Informationen
Definition
- Bei einer respiratorischen Insuffizienz können die Partialdrucke der arteriellen Blutgase (paO2 bzw. paCO2) aufgrund von Störungen des Gasaustauschs, der Ventilation oder der pulmonalen Durchblutung nicht mehr im Normbereich gehalten werden.
Klinische Klassifikation
- Klinisch wird unterschieden zwischen:
- Oxygenierungsstörung (alternativ: hypoxämische respiratorische Insuffizienz, respiratorische Insuffizienz Typ I, Partialinsuffizienz)
- isolierter Abfall des paO2 durch Störung von Gasaustausch oder Durchblutung (paCO2 aufgrund der besseren Diffusionseigenschaften kaum betroffen bzw. durch Hyperventilation sogar erniedrigt)
- Ventilationsstörung (alternativ: hyperkapnische respiratorische Insuffizienz, respiratorische Insuffizienz Typ II, Globalinsuffizienz)
- Anstieg des paCO2 und Abfall des paO2 durch Versagen der Atempumpe mit alveolärer Hypoventilation
- Oxygenierungsstörung (alternativ: hypoxämische respiratorische Insuffizienz, respiratorische Insuffizienz Typ I, Partialinsuffizienz)
Häufigkeit
- Zur Gesamthäufigkeit der respiratorischen Insuffizienz liegen keine genauen epidemiologischen Daten vor.1
Ätiologie und Pathogenese
- Die wichtigsten pathogenetischen Mechanismen für eine respiratorische Insuffizienz sind:
- Ventilationsstörungen
- Verteilungsstörungen von Ventilation/Perfusion
- Diffusionsstörungen.
- Diesen Pathomechanismen können jeweils eine Vielzahl von Ätiologien zugrunde liegen.
Ventilationsstörungen
- Eine Ventilationsstörung mit alveolärer Hypoventilation entsteht durch eine Minderfunktion der Atempumpe.
- Die alveoläre Hypoventilation ist gekennzeichnet durch:
- Hyperkapnie und
- Hypoxämie.
- Verschiedene Mechanismen können Ventilationsstörungen verursachen:
- Dämpfung des Atemantriebs
- Medikamente (z. B. Opioide, Sedativa)
- zerebrale Schädigung (z. B. Schlaganfall, zerebrales Schlafapnoe-Syndrom)
- neuromuskuläre Störungen
- multiple Sklerose
- Myasthenia gravis
- Guillain-Barré-Syndrom
- Muskeldystrophie
- u. a.
- restriktive Ventilationsstörungen
- interstitielle Fibrose
- Kyphoskoliose
- schwere Adipositas
- Pleuraerguss
- u. a.
- obstruktive Ventilationsstörungen
- COPD
- Lungenemphysem
- Asthma bronchiale.
- Dämpfung des Atemantriebs
Störungen des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses
- Physiologischerweise sind Ventilation und Perfusion mit einem Verhältnis von V/Q = 0,8 aufeinander abgestimmt.
- Pulmonaler Rechts-Links-Shunt
- Ein Teil der Alveolen wird durchblutet, aber nicht belüftet, z. B. bei:
- Atelektasen
- ARDS
- Abfall von paO2 durch Mischung von oxygeniertem und nicht-oxygeniertem Blut
- Ein Teil der Alveolen wird durchblutet, aber nicht belüftet, z. B. bei:
- Gesteigerte Totraumventilation
- Ein Teil der Alveolen wird belüftet, aber nicht durchblutet, z. B. bei:
- Anstieg von paCO2 kann bis zu einem gewissen Grad durch Hyperventilation kompensiert werden; paO2 bleibt erhalten, solange die Oxygenierung über genügend nicht betroffene Alveolen kompensiert werden kann.
- Ventilatorische Verteilungsstörung
- Eine regionale Zunahme des Atemwegswiderstand oder Abnahme der Lungendehnbarkeit führt zu einer Verteilungsstörung der Ventilation.
- Diese beeinträchtigt die Oxygenierung mit Abfall des paO2, eine Hyperkapnie mit Anstieg des paCO2 kann auftreten.
- Vorkommen vor allem bei obstruktiven, aber auch restriktiven Lungenerkrankungen
Diffusionsstörungen
- Gestörte Diffusion von Sauerstoff in die Alveole durch:
- verlängerte Diffusionsstrecke
- verkleinerte Diffusionsfläche
- verminderte Kontaktzeit des Blutes
- Ursachen für eine Diffusionsstörung sind u. a.:
- Lungenödem
- Pneumonie
- Lungenfibrose
- Lungenemphysem.
- Beeinträchtigt wird vor allem die Oxygenierung mit Abfall des paO2.
- Das Konzept der Diffusionsstörung liefert anschauliche Erklärung für die Hypoxämie, allerdings geht man heutzutage davon aus, dass auch bei diesen Erkrankungen eher Verteilungsstörungen von Ventilation und Perfusion ursächlich sind.
ICD-10
- J96.0 Akute respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert
- J96.00 Akute respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert: Typ I (hypoxisch)
- J96.01 Akute respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert: Typ II (hyperkapnisch)
- J96.09 Akute respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert: Typ nicht näher bezeichnet
- J96.1 Chronische respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert
- J96.10 Chronische respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert: Typ I (hypoxisch)
- J96.11 Chronische respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert: Typ II (hyperkapnisch)
- J96.9 Respiratorische Insuffizienz, nicht näher bezeichnet
- J96.90 Respiratorische Insuffizienz, nicht näher bezeichnet: Typ I (hypoxisch)
- J96.91 Respiratorische Insuffizienz, nicht näher bezeichnet: Typ II (hyperkapnisch)
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Verdachtsdiagnose durch klinisches Erscheinungsbild
- Definitive Diagnosestellung von Hypoxämie und Hyperkapnie durch Blutgasanalyse (BGA)
- Eine Hypoxämie kann bereits durch eine nichtinvasive Messung der Sauerstoffsättigung mittels Pulsoxymetrie (SpO2) festgestellt werden.
Klinisches Erscheinungsbild
- Klinische Zeichen einer drohenden respiratorischen Insuffizienz:
- Tachypnoe (Atemfrequenz ≥ 25/min), Leitsymptom
- Dyspnoe (nicht zwingend vorliegend)
- evtl. Zyanose
- Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
- Zeichen eines erhöhten Sympathikotonus
- Tachykardie
- Schwitzen
- psychomotorische Unruhe
Untersuchungen des Gasaustauschs
Blutgasanalyse (BGA)
- Normwerte der BGA
- pH: 7,36−7,44
- Bikarbonat: 22−26 mmol/l
- paO2: 75−100 mmHg
- paCO2: 35−45 mmHg
- Der Normbereich für paO2 ist dabei altersabhängig und kann in etwa folgendermaßen abgeschätzt werden:
- Im Mittel beträgt der erwartete paO2 = 100−Alter/4
- niedrigster noch normaler paO2 = 86−Alter/4.
- Der Normbereich für paCO2 gilt unabhängig vom Alter.
- Bei Anstieg von paCO2 im Rahmen einer hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz kommt es zur respiratorischen Azidose.
- Im Rahmen einer kompensatorischen Hyperventilation kann es bei der hypoxämischen respiratorischen Insuffizienz auch zum Abfall von paCO2 mit respiratorischer Alkalose kommen.
O2-Sättigung
- Nichtinvasiv kann die arterielle O2-Sättigung (SaO2) mittels Pulsoxymetrie bestimmt werden (SpO2).
- Normwerte
- Bei gesunden Erwachsenen sind Werte der SpO2 ≥ 95 % normal.
- Im Median beträgt die SpO2:
- 98 % für Erwachsene im Alter von 18−64 Jahre
- 96 % bei ≥ 65-Jährigen.
- Der Zusammenhang zwischen arterieller Sauerstoffsättigung (SaO2) und Sauerstoffpartialdruck (paO2)wird durch die Sauerstoffbindungskurve beschrieben.
- Ungefährer Zusammenhang zwischen Sauerstoffsättigung und arteriellem Sauerstoffpartialdruck:
- SaO2 97 % − paO2 91 mmHg
- SaO2 94 % − paO2 71 mmHg
- SaO2 91 % − paO2 60 mmHg
- SaO2 88 % − paO2 55 mmHg.
- Über die Sauerstoffsättigung kann paO2 nur ungefähr abgeschätzt werden, da die Sauerstoffbindungskurve durch verschiedene Parameter (Temperatur, paCO2, pH) nach links oder rechts verschoben werden kann.
- Ungefährer Zusammenhang zwischen Sauerstoffsättigung und arteriellem Sauerstoffpartialdruck:
Indikationen zur stationären Einweisung
- Eine akute respiratorische Insuffizienz mit Hypoxämie oder Hyperkapnie erfordert die stationäre Einweisung.
- Bei einer chronischen Hypoxämie oder Hyperkapnie ergibt sich die Indikation zur ambulanten oder stationären Behandlung aus dem klinischen Gesamtbild.
Therapie
Therapie der hypoxämischen respiratorischen Insuffizienz
Akute Hypoxämie
- Akute Hypoxämie ist mit erhöhter Sterblichkeit verbunden, es gibt allerdings keine genaue wissenschaftliche Evidenz, wann und wie viel O2 verabreicht werden soll.
Einfache Sauerstoffgabe
- Eine O2-Gabe erfolgt zur Behandlung der Hypoxämie, nicht der Atemnot.
- Applikationssysteme für O2-Gabe (FiO2 = erzielbare inspiratorische O2-Konzentration)
- Nasensonde (FiO2 0,2−0,4)
- Nasenbrille (FiO2 0,26−0,54)
- Einfache Maske (FiO2 0,35−0,6)
- Venturimaske (FiO2 0,24−0,6)
- Reservoirmaske (FiO2 0,6−0,9)
- High-Flow-Kanülen (FiO2 0,3−1,0)
- Beatmungsmasken (FiO2 0,25−1,0)
Nichtinvasive Beatmung (NIV)
- Individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung von medizinischer Indikation, klinischem Kontext und Patientenwillen
- Typische Indikation zur NIV ist das kardiale Lungenödem.
- Bei anderen Ursachen einer Hypoxämie ist die Datenlage weniger eindeutig.
- Ein Behandlungsversuch mit NIV kann aber sinnvoll sein, z. B. bei leichtem ARDS oder immunsupprimierten Patient*innen mit erhöhtem Risiko einer invasiven Beatmung.
Invasive Beatmung, extrakorporale Verfahren
- Kann eine akute, schwere respiratorische Insuffizienz nicht mit NIV beherrscht werden, erfolgt die Intubation und invasive Beatmung.
- Bei therapierefraktärer Hypoxämie können extrakorporale Verfahren erwogen werden.
Zielbereiche der O2-Therapie bei Patient*innen ohne bzw. mit Beatmung
- Keine Beatmung, kein Hyperkapnie-Risiko: SaO2 92−96 %
- Keine Beatmung, Hyperkapnie-Risiko: SaO2 88−92 %
- Beatmung (nichtinvasiv oder invasiv, unabhängig vom Hyperkapnie-Risiko): SaO2 92−96 %
Chronische Hypoxämie
- Eine chronische Hypoxämie kann mit Langzeit-Sauerstofftherapie (Long-Term Oxygen Therapy = LTOT) behandelt werden:
- Applikation von O2 für ≥ 15 Stunden/Tag für chronisch hypoxämische Patient*innen mit unterschiedlichen Grunderkrankungen
- Ziele einer LTOT sind:
- Verbesserung der Lebensqualität
- Verbesserung der Leistungsfähigkeit
- Rückgang der Mortalität.
- Insbesondere für die COPD ist bei gegebener Indikation eine Verbesserung des Langzeitüberlebens nachgewiesen.
- Indikationen für eine LTOT
- PaO2 in Ruhe ≤ 55 mmHg
- PaO2 in Ruhe 50−60 mmHg bei Cor pulmonale/Polyglobulie
- PaO2 unter Belastung ≤ 55 mmHg oder Hypoxämie im Schlaf
- Die Indikation zur LTOT soll geprüft werden, wenn in einer stabilen Phase eine chronische Hypoxämie (pulsoxymetrische Sättigung in Ruhe ≤ 92 %) vorliegt.
- Die Indikationsstellung erfordert eine vorgängige Blutgasanalyse zur genauen Bestimmung der Werte für paO2 (mindestens 2 Messungen in stabiler Phase).
- Bei Patient*innen mit nichtinvasiver Beatmung (NIV) zur Behandlung einer chronischen hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz soll vor zusätzlicher LTOT zunächst eine Optimierung der NIV erfolgen.
- Für die häusliche und mobile LTOT stehen ambulante Sauerstoffsysteme zur Verfügung.
- Sauerstoffkonzentratoren
- Absorbieren mittels Kompressor O2 aus der Umgebungsluft.
- stationäre und kleine mobile Geräte verfügbar
- Flüssigsauerstoffsysteme
- O2-Tanks mit Möglichkeit zur Befüllung einer mobilen Einheit
- Ermöglichen höhere Flussraten.
- Sauerstoffdruckflaschen
- kleine Druckflaschen für mobile Patient*innen
- Sauerstoffkonzentratoren
- Insbesondere Flüssigsauerstoffsysteme mit Transporthilfen (Rückentragehilfe/Caddy) sind geeignet zur Anwendung auch während körperlicher Belastung.
Therapie der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz
Akute Hyperkapnie
- Bei der akuten hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz muss die alveoläre Ventilation durch einen partiellen oder kompletten mechanischen Ersatz der Atempumpe gesichert werden.
Nichtinvasive Beatmung (NIV)
- Typische Indikation für eine NIV bei akuter hyperkapnischer Insuffizienz ist die akut-exazerbierte COPD (AE-COPD).
- NIV reduziert die Atemarbeit und kompensiert den intrinsischen positiven endexspiratorischen Druck.
- Bei Patient*innen mit AE-COPD sollte NIV bei pH-Werten ≤ 7,35 trotz adäquater Basistherapie eingesetzt werden.
- NIV ist bei AE-COPD einer Standardtherapie ohne NIV überlegen (weniger Intubationen, kürzerer Intensivaufenthalt, geringere Sterblichkeit).
Invasive Beatmung, extrakorporale Verfahren
- Kann eine akute, schwere respiratorische Insuffizienz nicht mit nichtinvasiver Beatmung (NIV) beherrscht werden, erfolgt die Intubation und invasive Beatmung.
- Bei therapierefraktärer Hyperkapnie können im Einzelfall extrakorporale Verfahren erwogen werden.,
Chronische Hyperkapnie
- Bei chronischer ventilatorischer Insuffizienz kommt eine außerklinische Beatmung in Betracht, vorzugsweise über nichtinvasive Beatmung (NIV).
- Chronische Erkrankungen mit möglicher Indikation zur NIV:
- COPD
- thorakal-restriktive Erkrankungen (z. B. Kyphoskoliose)
- neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. Muskeldystrophie)
- Adipositas-Hypoventilations-Syndrom
- Indikationen für eine NIV bei COPD-Patient*innen sind symptomatische chronische ventilatorische Insuffizienz oder persistierende Hyperkapnie bei Zustand nach akuter NIV-pflichtiger Exazerbation mit Hospitalisation.
- Indikationskriterien der Blutgasanalyse
- chronische Tages-Hyperkapnie mit PaCO2 ≥ 50 mmHg
- nächtliche Hyperkapnie mit PaCO2 ≥ 55 mmHg
- Bei COPD-Patient*innen mit persistierender Hyperkapnie nach Dekompensation verbessert NIV die Prognose hinsichtlich stationärer Wiedereinweisung und Tod.2
- Voraussetzung für eine gut funktionierende Beatmungstherapie ist die Anbindung an ein Beatmungszentrum.
- Die Ersteinstellung einer außerklinischen NIV soll in einem Zentrum für außerklinische Beatmung erfolgen.
- Die Einleitung der NIV erfolgt verantwortlich durch Ärzt*innen, Delegation möglch an Atmungstherapeut*innen, Fachpflegekräfte oder andere speziell geschulte medizinische Assistenzberufe.
Verlaufskontrolle
- Keine wissenschaftliche Evidenz zur Häufigkeit von Kontrollen bei außerklinisch beatmeten Patient*innen
- Erste Kontrolluntersuchung mit nächtlicher Diagnostik innerhalb der ersten 4−8 Wochen nach NIV-Einleitung
- Grundsätzlich Kontrolle mindestens 1−2 x jährlich
- Bei schlechter Therapieadhärenz häufigere Kontrollen, bei mangelnder Effektivität aufgrund dauerhaft schlechter Adhärenz sollte die Beatmung aber beendet werden.
- Kontrollen werden bisher überwiegend stationär durchgeführt (auch wegen nächtlicher Kontrolle der Beatmungseffektivität).
- Sektorenübergreifende Betreuung wünschenswert, diskutiert werden daher zunehmend auch ambulante Kontrollen.
- Kontrolle in NIV-Ambulanzen in Zentren
- Kontrolle im häuslichen Setting durch Ärzt*innen mit entsprechender Expertise
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Kaynar A. Respiratory failure. Medscape, updated: Apr 07, 2020. Zugriff 10.09.21. emedicine.medscape.com
- Murphy B, Rehal S, Arbane G, et al. Effect of Home Noninvasive Ventilation With Oxygen Therapy vs Oxygen Therapy Alone on Hospital Readmission or Death After an Acute COPD Exacerbation: A Randomized Clinical Trial. JAMA 2017; 317: 2177-2186. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.