Alkoholische Lebererkrankung

Zusammenfassung

  • Definition:Die alkoholische Lebererkrankung umfasst ein weites Spektrum von der asymptomatischen Fettleber über die alkoholische Hepatitis bis hin zur alkoholtoxischen Leberzirrhose.
  • Häufigkeit:Alkohol ist in Europa die häufigste Ursache für eine chronische Leberschädigung.
  • Symptome:Zu Beginn asymptomatisch. Im weiteren Verlauf Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsminderung. Bei fortgeschrittener Erkrankung Symptome einer Leberzirrhose.
  • Befunde:Zunächst unauffälliger klinischer Befund, später Hepatomegalie, Ikterus, Zeichen einer Leberzirrhose, Zeichen der Malnutrition.
  • Diagnostik:Labor, Bildgebung, im Einzelfall Biopsie mit Histologie.
  • Therapie:Entscheidend ist die Alkoholabstinenz. Bei schwerer alkoholischer Hepatitis intensivmedizinische Behandlung, evtl. Kortikosteroide. Behandlung einer Leberzirrhose und ihrer Komplikationen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die alkoholische Lebererkrankung (ALE) umfasst ein weites Spektrum von der asymptomatischen Fettleber über die alkoholische Hepatitis bis hin zur alkoholtoxischen Leberzirrhose.

Häufigkeit

  • Alkohol ist in Europa die häufigste Ursache (ca. 50 %) für eine chronische Leberschädigung.
  • Ca. 15 % der Frauen und 20 % der Männer weisen einen gesundheitlich riskanten Alkoholkonsum oder Alkoholmissbrauch auf (> 10–12 g/d bei Frauen, > 20–24 g/d bei Männern).
    • Die höchste Prävalenz riskanten Alkoholkonsums besteht in der Altersgruppe 45–64 Jahre.
    • Bei Frauen aus oberen Bildungsgruppen ist der riskante Alkoholkonsum häufiger als bei Frauen aus unteren Bildungsgruppen; bei Männern trifft das auf die Altersgruppe ab 65 Jahren zu.
  • Die Leber ist das Organ, das am häufigsten von alkoholbedingten Folgestörungen betroffen ist.
  • Eine Fettleber entsteht bei ca. 90 % der Individuen mit einem Alkoholkonsum > 60 g/d, kann aber auch schon bei geringeren Mengen auftreten.1
  • Im Verlauf der alkoholischen Lebererkrankung entwickeln sich verschiedene Störungen mit etwa folgenden Häufigkeiten:
    • Fettleber: 90–100 %
    • Steatohepatitis: 10–35 %
    • Fibrose: 20–40 %
    • Zirrhose: 8–20 %
    • hepatozelluläres Karzinom: 3–10 %
    • Ein Teil der Patient*innen entwickelt das akute klinische Bild einer alkoholischen Hepatitis.
  • Bei 52 % der stationären Einweisungen wegen Leberzirrhose besteht eine alkoholische Ätiologie.2
  • Die Mortalität durch alkoholbedingte Leberschäden liegt bei ca. 15 Männern und ca. 5 Frauen pro 100.000 Einw.

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursache der ALE ist ein vermehrter chronischer Alkoholkonsum, das Risiko steigt mit der Alkoholmenge.
    • Frauen sind empfindlicher als Männer und entwickeln eine ALE bereits bei geringerem Konsum über einen geringeren Zeitraum.
  • Die Pathogenese der alkoholischen Lebererkrankung ist bislang unvollständig verstanden.
  • Es kommt zu einer Enzyminduktion und sekundär zu einer Kettenreaktion von veränderten metabolischen Prozessen.
  • Diese Mechanismen umfassen u. a.:
    • Erhöhung des hepatischen Redoxpotentials und Änderung von Regulationsproteinen mit Erhöhung der Liponeogenese
    • alkoholbedingte Translokalisation von Endotoxinen aus dem Darm
      mit Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen
    • Zunahme des oxidativen Stresses.
  • Die verschiedenen Prozesse führen letztlich zur Aktivierung von hepatischen Sternzellen mit gesteigerter Kollagenproduktion und Fibrosierung.
  • Der Übergang von der reinen Fettleber zur Steatohepatitis ist ein wesentlicher prognostischer Schritt, da dann auch bei Abstinenz nicht mehr komplette Reversibilität erwartet werden kann.

Fettleber

  • Erhöhter Fettgehalt der Leber, histologisch definiert als Anteil > 5 % des Leberparenchyms

Steatohepatitis

  • Zusätzlich zur Leberverfettung kommen Zeichen der Zellschädigung mit Anstieg der Serumtransaminasen hinzu.
  • Histopathologisch zeigen sich neben der Leberzellverfettung lobuläre Inflammation und Hepatozytenballonierung.

Leberfibrose

  • Bindegewebiger Umbau der Leber, histopathologische Stadieneinteilung von F0 (keine Fibrose) bis F4 (Leberzirrhose)

Leberzirrhose

Leberzellkarzinom

Alkoholische Hepatitis

  • Akute Lebererkrankung auf dem Boden einer Steatohepatitis oder einer Leberzirrhose
  • Typischerweise klinische Präsentation nach Episode mit verstärktem Alkoholkonsum mit Ikterus/rechtsseitigen Oberbauchschmerzen/Fieber, häufig intensivmedizinische Betreuung erforderlich

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • D97 Lebererkrankung NNB

ICD-10

  • K70 Alkoholische Leberkrankheit
    • K70.0 Alkoholische Fettleber
    • K70.1 Alkoholische Hepatitis
    • K70.2 Alkoholische Fibrose und Sklerose der Leber
    • K70.3 Alkoholische Leberzirrhose
    • K70.4 Alkoholisches Leberversagen
    • K70.9 Alkoholische Leberkrankheit, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Alkoholkonsum (evtl. ergänzend fremdanamnestische Angaben)
    • Menge, Häufigkeit, Dauer
    • akuter Alkoholkonsum (Konsum der letzten Stunden und Tage) und chronischer Alkoholkonsum (Konsum der letzten Wochen und Monate)
    • Für das Screening auf riskanten/schädlichen Alkoholkonsum und Alkoholabhängigkeit sollen Fragebogen verwendet werden.
      • Empfohlen wird der AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test) und seine Kurzform AUDIT-C.
  • Symptome einer fortgeschrittenen Lebererkrankung 
    • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsminderung
    • Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen
    • Völlegefühl, Meteorismus, Druckgefühl/Schmerzen im rechten Oberbauch
    • Ikterus
    • Juckreiz
    • gastrointestinale Blutungen
    • neuropsychiatrische Symptome der Alkoholabhängigkeit
  • Sonstige Vorerkrankung der Leber?

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Da in der Frühphase einer Lebererkrankung häufig keine Beschwerden bestehen, spielen das Labor und die Sonografie eine wichtige Rolle.

Labor

  • Kein Laborwert ist spezifisch für eine alkoholtoxische Genese, Konstellationen von Laborwerten können aber eine solche suggerieren.
  • Blutbild
    • MCV-Erhöhung mit Spezifität 85 %, Sensitivität 52 %
  • Ferritin
    • bei ALE häufig erhöht
  • Gamma-GT
    • bei 60–80 % der Personen mit Alkoholabhängigkeit erhöht
    • Nicht spezifisch, kann auch bei anderen Lebererkrankungen erhöht sein.
  • GOT (AST), GPT (ALT) 
    • Bei durch ALE erhöhten Transaminasen liegt der De-Ritis-Quotient GOT/GPT meist > 1, häufig > 2.
  • Leberentgiftungsparameter
  • Lebersyntheseparameter
  • CDT (Carbohydrat-defizientes Transferrin)
    • bei chronischem Alkoholkonsum > 50 g/d Sensitivität 69 % und Spezifität 92 %
    • ähnlich sensitiv wie Gamma-GT, aber spezifischer
    • Wird gegenwärtig als nützlichster Marker eines chronisch erhöhten Alkoholkonsums betrachtet.
      • bei Abstinenz Normalisierung nach ca. 3 Wochen

Sonografie Abdomen

Diagnostik bei Spezialist*innen

Transiente Elastografie

  • Ultraschallverfahren zur Messung der Lebersteifigkeit als Maß für die Leberfibrose
  • Kann frühe von fortgeschrittenen Fibrosestadien unterscheiden.
  • Auch Erfassung des Ausmaßes einer Leberverfettung
  • Keine Kassenleistung

 CT/MRT

  • Option im Einzelfall bei nicht aussagekräftigem Ultraschall

Leberbiopsie/Histologie 

  • Aufgrund der heutzutage bestehenden nichtinvasiven Diagnosemöglichkeiten nur im Einzelfall notwendig, meist zur Abklärung von Differenzialdiagnosen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei diagnostischer Unsicherheit zur Abklärung von Differenzialdiagnosen
  • Akute alkoholische Hepatitis
  • Behandlung von sonstigen Komplikationen (z. B. dekompensierte Leberzirrhose)
  • Entgiftung
  • Qualifizierte Entwöhnung

Therapie

Therapieziele

  • Progression der Erkrankung verhindern.
  • Komplikationen behandeln.

Allgemeines zur Therapie

  • Bausteine der Therapie sind:
    • Lebensstiländerung (Alkoholabstinenz)
    • Behandlung einer Malnutrition
    • ggf. Therapie einer alkoholischen Hepatitis
    • im Einzelfall eine Lebertransplantation bei Leberversagen

Alkolabstinenz

  • Frühe Stadien der ALE wie isolierte Fettleber oder leichte Fibrose können reversibel sein.
    • auch bei Patient*innen mit Leberzirrhose häufig Stabilisierung des weiteren Verlaufs durch Alkoholabstinenz
  • Im Rahmen der hausärztlichen Versorgung sollen Kurzinterventionen (motivierende Gespräche) zur Reduktion problematischen Alkoholkonsums angeboten werden.
  • Zum strukturierten Vorgehen siehe Artikel Alkoholentwöhnung, Kurzintervention
  • Im stationären Rahmen werden bei entsprechender Notwendigkeit durchgeführt:
    • Entgiftung: Behandlung von Alkoholintoxikation und/oder Alkoholentzugssymptomen
      • Eine Entgiftung kann medikamentös unterstützt werden, als Substanzen kommen u. a. in Betracht:
        • Benzodiazepine
        • Clomethiazol
        • Antipsychotika
        • Antikonvulsiva (Prävention von Krampfanfällen).
    • Qualifizierte Entzugsbehandlung: Suchtpsychiatrische bzw. suchtmedizinische Behandlung, die über die körperliche Entgiftung hinausgeht.

Behandlung einer Malnutrition

  • Viele Patient*innen mit ALE sind nicht ausreichend ernährt.
  • Die Unterernährung kann durch eine verminderte Zufuhr essenzieller Nährstoffe oder durch den Alkoholeinfluss auf den Metabolismus bedingt sein.3
  • Auf eine ausreichende Kalorienzufuhr sollte daher geachtet werden.
  • Ein Mangel an Vitaminen und Spurenelementen (Folsäure, Thiamin, Zink, Vitamin D, Vitamin B6 etc.) sollte ausgeglichen werden.

Therapie der alkoholischen Hepatitis

  • Die alkoholische Hepatitis umfasst ein breites Spektrum von oligosymptomatischen Verläufen bis zum Leberversagen.4
  • Klinische Diagnose anhand folgender Kriterien (evtl. ergänzt um Biopsie):4
    • Beginn eines Ikterus in den vergangenen 8 Wochen
    • anhaltender Alkoholkonsum > 6 Monate (> 60 g/d bei Männern, > 40 g/d bei Frauen)
    • GOT > 50 U/l, GOT/GPT >1,5
    • Gesamtbilirubin > 3 mg/dl 
  • Bei schwerem Verlauf ist die alkoholische Hepatitis ein Krankheitsbild mit schlechter Prognose, verschiedene Scores ermöglichen eine Einschätzung.
    • MDF (Maddrey Discriminant Function)
    • MELD (Model for Endstage Liver Disease)
    • GAHS (Glasgow Alcoholic Hepatits Score)
  • Bestandteile der Therapie sind:
    • Alkoholabstinenz4
    • Ernährungstherapie
      • ausreichende Zufuhr von Kalorien und Proteinen1
      • Ausgleich eines Mangels an Vitaminen und Spurenelementen1 
    • Kortikosteroide (Prednisolon 40 mg/d)4
      • Uneinheitliche Studienlage, wahrscheinlich profitieren nur Patient*innen mit schwerer Erkrankung (Maddrey Score > 32).5

Lebertransplantation

  • Option im Einzelfall nach sorgfältiger Evaluation6
  • Voraussetzung für eine Lebertransplantation ist eine mindestens 6-monatige Alkoholabstinenz.
  • Möglicherweise profitieren hochselektionierte Patient*innen mit schwerer alkoholischer Hepatitis ohne Ansprechen auf Kortikosteroide von einer Lebertransplantation.

Prognose

  • Die individuelle Prognose wird vor allem von der Schwere der ALE und möglichen Komplikationen beeinflusst.
  • Im Stadium der Fettleber gute Prognose, sofern der Alkoholkonsum beendet wird, die Veränderungen sind noch voll reversibel.
  • Ca. 35 % der Patient*innen entwickeln eine Steatohepatitis (meist nicht mehr reversibel).
  • Bei 10–20 % der Patient*innen Entstehung einer Leberzirrhose
    • 40 % der Patient*innen mit Leberzirrhose können in der Zirrhose eine alkoholische Hepatitis entwickeln.
    • bei 1–2 % der Patient*innen mit Leberzirrhose Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms
  • Mit einer schlechten Prognose assoziiert sind:
    • fortgesetzter Alkoholkonsum
    • Entwicklung einer Steatohepatitis oder Steatohepatitis mit bereits etablierter Leberzirrhose
    • laborchemischer Abfall der Lebersyntheseparameter und Anstieg des Bilirubins

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Sonografie: Hepatomegalie bei Alkoholabusus (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)
Sonografie: Hepatomegalie bei Alkoholabusus (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)
Sonografie: Äthyltoxische Fettleber mit echoreichem Parenchym und Impedanzsprung zwischen Leber und der Niere (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)
Sonografie: Äthyltoxische Fettleber mit echoreichem Parenchym und Impedanzsprung zwischen Leber und der Niere (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)
Sonografie: Leberzirrhose mit höckeriger Oberfläche, inhomogenem Binnenmuster, Aszites (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)
Sonografie: Leberzirrhose mit höckeriger Oberfläche, inhomogenem Binnenmuster, Aszites (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg)

Quellen

Leitlinien

  • American Association for the Study of Liver Diseases. Diagnosis and Treatment of Alcohol-Associated Liver Diseases. Stand 2019. www.aasldpubs

Literatur

  1. O'Shea RS, Dasarathy S, McCullough AJ et. al. Alcoholic liver disease. Hepatology 2010; 51: 307-28. PubMed
  2. Gu W, Hortlik H, Erasmus H, et al. Trends and the course of liver cirrhosis and its complications in Germany: Nationwide population- based study (2005 to 2018). The Lancet Regional Health - Europe 2022; 12: 100240. doi:10.1016/j.lanepe.2021.100240 DOI
  3. Subramaniyan V, Chakravarthi S, Jegasothy R, et al. Alcohol-associated liver disease: A review on its pathophysiology, diagnosis and drug therapy. Toxicology Reports 2021; 8: 376-385. doi:10.1016/j.toxrep.2021.02.010 DOI
  4. Crabb D, Im G, Szabo G, et al. Diagnosis and Treatment of Alcohol-Associated Liver Diseases: 2019 Practice Guidance From the American Association for the Study of Liver Diseases. Hepatology 2020; 71: 306-333. doi:10.1002/hep.30866 DOI
  5. Pavlov CS, Varganova DL, Casazza G et al. Glucocorticosteroids for people with alcoholic hepatitis. Cochrane-Review. 2017 cochranelibrary-wiley.com
  6. Siddiqi F, Sajja K, Latt N. Current Management of Alcohol-Associated Liver Disease. Gastroenterology & Hepatology 2020; 16: 561-570. www.gastroenterologyandhepatology.net

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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