Dyspepsie

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Begriff Dyspepsie (griechisch: dys = schlecht, pepsis = Verdauung) fasst einen Beschwerdekomplex zusammen, der durch die Patient*innen im Oberbauch zwischen Umbilicus und Processus xiphoideus lokalisiert wird.1 
    • epigastrische Schmerzen und Brennen (60–70 %)
    • postprandiales Völlegefühl (80 %)
    • frühe Sättigung (60–70 %)
    • Blähgefühl im Oberbauch (80 %)
    • Übelkeit (60 %) und Erbrechen (40 %)
  • Bleibt die Diagnostik ohne organisches Korrelat (ca. 50–70 % der Patient*innen), liegt eine funktionelle Dyspepsie vor (früher auch als „Reizmagen“ bezeichnet).

Klassifikation der funktionellen Dyspepsie (Rom-IV-Kriterien)

  • Gemäß der Rom-IV-Kriterien ist eine funktionelle Dyspepsie definiert durch:1-2
    • eine über mehr als 3 Monate innerhalb der letzten 6 Monate persistierende bzw. rezidivierende Dyspepsie
    • Keinen Nachweis einer organischen Ursache bei der endoskopischen Abklärung, die die Beschwerden erklären könnte.
  • Es erfolgt eine weitere Einteilung der funktionellen Dyspepsie in 2 Untergruppen.1
    • Das postprandiale Distress-Syndrom (PDS) ist häufiger als der epigastrische Schmerz (EPS), nicht selten allerdings überlappende Symptomatik beider Gruppen.
    1. postprandiales Distress-Syndrom (PDS)
      • Völlegefühl
      • frühes Sättigungsgefühl
      • Übelkeit
      • Brechreiz, Erbrechen
      • Appetitlosigkeit
    2. epigastrischer Schmerz (EPS)
      • Oberbauchschmerzen
      • Bauchkrämpfe

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • Bei ca. 20 % der europäischen Bevölkerung bestehen dyspeptische Beschwerden.1
    • Ca. 10–15 % davon weisen eine so große Lebensbeeinträchtigung auf, dass sie ärztlichen Rat suchen.1
  • Geschlecht
    • Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.
  • Alter
    • Abnahme der Häufigkeit dyspeptischer Beschwerden mit dem Alter

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursachen sind heterogen und multifaktoriell, als Mechanismen der funktionellen Dyspepsie werden u. a. diskutiert:1,3
    • Störungen der Magenmotilität (Relaxation, Entleerung)
    • viszerale Hypersensitivität auf mechanische und chemische Stimuli
    • Störungen der intestinalen Schleimhautbarriere mit erhöhter Permeabilität
    • Immunaktivierung, lokale Mikroinflammation
    • verändertes Mikrobiom (z. B. durch H. pylori)
      • nach bisheriger internationaler Übereinkunft Einschluss der H.-pylori-positiven Dyspepsie in den Formenkreis der funktionellen Dyspepsie
    • psychosoziale Faktoren
    • genetische Prädisposition

Prädisponierende Faktoren

  • Risikofaktoren für eine funktionelle Dyspepsie
    • Medikamente (z. B. Schmerzmittel und Antirheumatika)
    • Alkoholkonsum
    • Essgewohnheiten, die sich negativ auf die Magenentleerung auswirken: ungenügendes Kauen, hastige und unregelmäßige Nahrungszufuhr, fettreiche Speisen.
    • Besiedelung mit Helicobacter pylori (H. pylori)

ICPC-2

  • D02 Bauchschmerzen, epigastrische
  • D03 Sodbrennen
  • D07 Dyspepsie/Verdauungsstörung
  • D08 Flatulenz/Blähungen
  • D09 Übelkeit
  • D10 Erbrechen
  • D87 Magenfunktionsstörung

ICD-10

  • F45 Somatoforme Störungen
    • F45.31 Somatoforme autonome Funktionsstörung Oberes Verdauungssystem
  • K30 Funktionelle Dyspepsie
  • R10 Bauch- und Beckenschmerzen
    • R10.1 Schmerzen im Bereich des Oberbauches
  • R11 Übelkeit und Erbrechen
  • R12 Sodbrennen
  • R14 Flatulenz und verwandte Zustände

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnosestellung der funktionellen Dyspepsie stützt sich auf:
    • Beschwerdebild und Anamnese
    • Ausschluss organischer Erkrankungen des oberen Magen-Darm-Traktes.
  • Empfohlen werden im Rahmen der Abklärung:

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Gastrointestinale Kardinalsymptome der funktionellen Dyspepsie
    • frühes Sättigungsgefühl
    • postprandiales Völlegefühl
    • epigastrische Schmerzen
    • epigastrisches Brennen
  • Nicht gastrointestinale Begleitbeschwerden1
    • Schwitzneigung
    • Kopfschmerzen
    • Schlafstörungen
    • Muskelverspannungen
  • Sonstige typische anamnestische Merkmale einer funktionellen Dyspepsie1
    • lange wechselnde Anamnesedauer
    • variable Beschwerden ohne wesentliche Progredienz
    • diffuse und wechselnde Schmerzlokalisation
    • fehlender unbeabsichtigter Gewichtsverlust
    • Stressabhängigkeit der Beschwerden
  • Evtl. Symptome eines Reizdarms
    • 30 % der Patient*innen mit funktioneller Dyspepsie leiden gleichzeitig an einem Reizdarmsyndrom.
  • Medikamente
  • Familienanamnese 
  • Psychische Störungen

Alarmsymptome

Klinische Untersuchung

  • Der klinische Befund bis auf einen möglicherweise vorhandenen epigastrischen Druckschmerz in der Regel unauffällig.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Blut

Stuhl

Nichtinvasive Diagnostik auf H. pylori

  • Bei Abklärung dyspeptischer Beschwerden soll eine H.-pylori-Testung erfolgen, abhängig vom individuellen Risikoprofil kann die Diagnostik endoskopisch-bioptisch oder nichtinvasiv erfolgen.
  • Nichtinvasive Tests (für Details siehe Helicobacter-pylori-Infektion)
    • Antigen-Stuhltes
    • Harnstoff-Atemtest

Laborbefunde, die gegen eine rein funktionelle Dyspepsie sprechen

  • Erhöhung des CRP
  • Nachweis von okkultem Blut im Stuhl
  • Anämie, Leukozytose, Thrombozytose
  • Erhöhung von Pankreas- oder Leberenzymen, Cholestaseparametern, Nierenretentionswerten
  • Hinweise auf Schilddrüsenfehlfunktion
  • Erhöhung von Calprotectin im Stuhl

Abdomensonografie

  • Ausschluss von Erkrankungen im Bereich:
    • Gallengänge, Gallenblase
    • Pankreas.

Diagnostik bei Spezialist*innen

Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD)

  • Inspektion der Schleimhaut von Ösophagus, Magen, Duodenum
  • Biopsien: jeweils 2 Biopsien aus Antrum und Corpus, Biopsie für den Ureaseschnelltest, Duodenalbiopsien
    • Eine H.-pylori-Infektion verursacht nur bei einer Minderheit chronische dyspeptische Beschwerden ohne Läsionen, sollte aber erfasst werden.

Sonstige apparative Untersuchungen

  • Nur im Einzelfall sind zu erwägen:1
    • Koloskopie
    • Impedanz-pH-Metrie
    • CT/MRT
      • V. a. Tumorerkrankung
    • Atemtests
      • Ausschluss Kohlenhydratmalabsorption, bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung, Magenentleerungsstörung
    • Magenentleerungsszintigrafie
      • Nachweis von Magenentleerungsstörung, Gastroparese

Indikationen zur Überweisung

  • Persistierende dyspeptische Beschwerden
    • Die Durchführung einer Gastroskopie führt unabhängig vom erhobenen Befund zu einer erhöhten Zufriedenheit der Patient*innen.4
  • Vorliegen von Alarmsymptomen

Therapie

Therapieziele

  • Ziele der Behandlung sind nach Ausschluss der relevanten Differenzialdiagnosen:
    • Symptomlinderung
    • Verbesserung der Krankheitsbewältigung und der Lebensqualität.

Allgemeines zur Therapie

  • Eine kausale Therapie existiert nicht.
  • Wichtigste Maßnahme ist die einfache und verständliche Aufklärung der Patient*innen über das Wesen der Beschwerden und deren Behandlungsmöglichkeiten.
    • Die Erläuterung der Ergebnisse der Ausschlussdiagnostik sind dabei wichtiger Bestandteil der Therapie.
  • Weitere Bestandteile der Behandlung sind:
    • Allgemeinmaßnahmen
    • medikamentöse Therapie (schwache Evidenz).
  • Jede Behandlung sollte zunächst als probatorisch betrachtet werden, das individuelle Ansprechen ist nicht vorhersehbar.
  • Schließen eines therapeutischen Bündnisses für die Langzeitbehandlung1

Allgemeinmaßnahmen

  • Eruierung und Vermeidung von Triggerfaktoren
  • Ansprechen von Ängsten und möglicher anderer psychologischer Belastungen, Konfliktklärung in psychosozialen Bereichen
  • Entspannungsübungen (z. B. Yoga, autogenes Training, progressive Relaxation)
  • Körperliche Aktivität, Sport
  • Ernährungsberatung
    • Es existiert keine spezifische Diät.
    • Identifizierung von unverträglichen Speisen durch die Patient*innen (Beschwerdetagebuch)
    • regelmäßige Mahlzeiten in ruhiger Atmosphäre, Vermeiden zu großer Mahlzeiten
    • Meiden von Alkohol und Kaffee
    • Vermeidung fettreicher und scharf gewürzter Speisen
  • Normalisierung von Übergewicht

Medikamentöse Therapie

  • Medikamentöse Therapie in erster Linie als flankierende Maßnahme in beschwerdereichen Intervallen
  • Grundprinzipien einer medikamentösen Therapie1
    • bei überwiegender Oberbauchschmerzsymptomatik initiale Therapie mit einem PPI, gefolgt von Phytotherapeutika bei Nichtansprechen
    • bei überwiegenden Dysmotilitätssymptomen primär Phytotherapeutika
    • Bei begleitender H.-pylori-Infektion kann eine Eradikationstherapie empfohlen werden.
    • In therapierefraktären Fällen können nach Screening auf psychische Belastung (Angst, Depression, Stress) Antidepressiva und psychotherapeutische Interventionen erwogen werden.

Protonenpumpeninhibitoren (PPI)

  • Signifikanter Effekt von PPI im Vergleich zu Placebo, NNT ca. 151
  • PPI-Effekte begrenzt auf epigastrischen Schmerz oder dyspeptische Beschwerden mit begleitenden Refluxbeschwerden, kein Ansprechen bei Dysmotilitätssymptomen im Sinne eines postprandialen dyspeptischen Syndroms1
  • Ein Therapieversuch sollte 4 Wochen andauern.
  • Absetzen von PPI kann im Einzelfall zum Säurerebound mit dyspeptischen Beschwerden führen, dies sollte im Vorfeld besprochen werden.,
    • Ein schrittweises Ausschleichen kann hilfreich sein.,
  • Trotz positiver Studienlage sind PPI für die Indikation funktionelle Dyspepsie in Deutschland nicht zugelassen.1
  • Empfohlen zur Behandlung der Dyspepsie wird die Gabe von Standarddosierungen.1
  • Standarddosierungen verschiedener PPI:
    • Esomeprazol 40 mg
    • Omeprazol 20 mg
    • Lansoprazol 30 mg
    • Pantoprazol 40 mg
    • Rabeprazol 20 mg.

H2-Rezeptor-Blocker

  • Können alternativ zu PPI zur Säuresuppression verabreicht werden, sind aber weniger effektiv.5
    • z. B. Famotidin 40 mg/d

H.-pylori-Eradikation

  • Eine Eradikation (siehe Helicobacter-pylori-Infektion) bei H.-pylori-positiver funktioneller Dyspepsie führt bei ca. 10–15 % der Patient*innen langfristig zur Symptomfreiheit, während bei den übrigen Patient*innen die Beschwerden anhalten oder zurückkehren.
  • Wichtige, da potenziell kurative Behandlungsmöglichkeit bei ansonsten fehlenden kausalen Therapieoptionen6
  • In aktuellen Leitlinien wird eine individuelle Entscheidung empfohlen, wobei neben subjektivem Leidensdruck und Wunsch der Patient*innen folgende Aspekte berücksichtigt werden sollten:
    • Fehlen therapeutischer Alternativen
    • Karzinomprävention
    • Reduktion von Arztbesuchen und Endoskopien
    • Wahrscheinlichkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen durch die Eradikationsbehandlung (ca. 10–25 %, meist nur passager) 

Phytotherapeutika

  • Spasmolytisch tonisierende und sedierende Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt
  • Positive Effekte auf die funktionelle Dyspepsie im Vergleich zu Placebo
  • Meist Kombinationspräparate (verwendet werden u. a. Pfefferminze, Kümmelöl, Bauernsenf, Wermut, Enzian, Angelikawurzel, Kamille, Melisse)
  • Die größte Evidenz besteht zu STW5 , allerdings ist bei Präparaten mit Schöllkraut Vorsicht geboten aufgrund der potenziell hepatotoxischen Wirkung.,,
    • z. B. STW5 3 x 20 Tropfen1

Prokinetika

  • Prokinetika sind in ihrer Wirksamkeit belegt.
  • Allerdings ist die Anwendung von Metoclopramid und Domperidon wegen Nebenwirkungen bei Langzeittherapie weitestgehend eingeschränkt, Cisaprid wurde wegen Nebenwirkungen vom Markt genommen.

Antidepressiva

  • Antidepressiva werden bei Therapieversagen nach initialem medikamentösem Therapieversuch eingesetzt.1
  • Trizyklische Antidepressiva mit gesicherter Wirksamkeit (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer nicht),
    • z. B. Amitryptilin 25 mg/d1
  • Wirksam insbesondere bei im Vordergrund stehenden abdominellen Schmerzen und/oder psychischer Komorbidität

Sonstige Maßnahmen

  • Psychotherapie
    • Psychologische Interventionen sollen bei lang anhaltenden Beschwerden und Therapieresistenz in Betracht gezogen werden.1
    • insbesondere auch bei psychischer Komorbidität
  • Akupunktur
    • in kontrollierten Studien heterogene Effekte, derzeit nicht empfohlen1
  • Probiotika
    • derzeit keine Evidenz

Verlauf, Komplikationen und Prognose 

Komplikationen

  • Keine

Verlauf und Prognose

  • Quoad vitam gute Prognose ohne erhöhte Mortalität
  • Allerdings oft chronischer Verlauf mit fluktuierender Symptomatik und Beeinträchtigung der Lebensqualität
  • Nach 2 Jahren sind ca. 15 %, nach 5 Jahren ca. 50 % der Patient*innen beschwerdefrei.
  • Verschiebung der Symptomatik zu anderer funktioneller Erkrankung, insbesondere zum Reizdarmsyndrom, möglich

Verlaufskontrolle

  • Langfristige ärztlichen Betreuung, Basis ist die verständliche Aufklärung über Wesen und Harmlosigkeit funktioneller Erkrankungen.
  • Ineffektive Therapien sollten nach ausreichend langem und konsequentem Therapieversuch, spätestens aber nach 3 Monaten abgesetzt werden.
  • Solange keine relevante Symptomänderung und/oder Warnsymptome vorliegen, sollten wiederholte Endoskopien vermieden werden.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Madisch A, Andresen V, Enck P, et al. The diagnosis and treatment of functional dyspepsia. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 222-232. doi:10.3238/arztebl.2018.0222 DOI
  2. Stanghellini V, Chan F, Hasler W, et al. Gastroduodenal Disorders. Gastroenterology 2016; 150: 1380-1392. doi:10.1053/j.gastro.2016.02.011 DOI
  3. Du L, Chen B, Kim J, et al. Micro-inflammation in functional dyspepsia: a systematic review and meta-analysis. Neurogastroenterol Motil 2018;30:e13304. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Rabeneck L, Wristers K, Souchek J et al. Impact of upper endoscopy on satisfaction in patients with previously uninvestigated dyspepsia. Gastrointest Endosc 2003; 57: 295-9. PubMed
  5. Masuy I, van Oudenhove L, Tack J. Review article: treatment options for functional dyspepsia. Aliment Pharmacol Ther 2019; 49: 1134-1172. doi:10.1111/apt.15191 DOI
  6. Ford A, Tsipotis E, Yuan Y, et al. Efficacy of Helicobacter pylori eradication therapy for functional dyspepsia: updated systematic review and meta-analysis. Gut 2022. doi:10.1136/gutjnl-2021-326583 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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