Depression

Zusammenfassung

  • Definition:Depressive Episoden können einmalig oder rezidivierend entweder im Rahmen einer unipolaren oder bipolaren affektiven Störung auftreten. Davon abzugrenzen sind anhaltende depressive Störungen wie die Dysthymie.
  • Häufigkeit:25 % der Frauen und 12 % der Männer entwickeln im Laufe ihres Lebens einmal eine behandlungsbedürftige Depression. Die Depression ist die häufigste psychische Störung bei Patient*innen in der Hausarztpraxis.
  • Symptome:Gedrückte Stimmungslage, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebslosigkeit oder schnelle Ermüdbarkeit.
  • Untersuchung:Evtl. fallen Konzentrationsstörungen, psychomotorische Verlangsamung oder ängstliche Agitiertheit auf.
  • Diagnostik:Depressionstests, evtl. Laboruntersuchungen, Schwangerschaftstest, EKG und weitere Untersuchungen zum Ausschluss organischer Ursachen, Begleiterkrankungen oder Kontraindikationen hinsichtlich der geplanten Behandlung.
  • Therapie:Richtet sich nach der Schwere der Depression und umfasst in der Regel psychosomatische Grundversorgung, Psychotherapie und/oder Antidepressiva. Auch Lichttherapie, Wachtherapie, Elektrokonvulsionstherapie und andere somatische Behandlungen können unter bestimmten Voraussetzungen angezeigt sein.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Depressive Episode (Major Depression) gekennzeichnet durch:
    • gedrückte Stimmungslage
    • Verlust von Interessen
    • Freudlosigkeit 
    • Antriebslosigkeit
    • schnelle Ermüdbarkeit.
  • Rezidivierende depressive Episoden
  • Anhaltende affektive Störung
    • Dysthymie: Über mehrere Jahre anhaltende Stimmungsstörung, bei der die Symptome in der Regel nicht ausreichend schwer sind, um die Kriterien einer depressiven Episode zu erfüllen.
  • Depressive Episode im Rahmen eines bipolaren Verlaufs
    • Bei einer bipolaren affektiven Störung treten depressive Episoden im Wechsel mit manischen Episoden auf.

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
  • Prävalenz
    • Etwa 25 % der Frauen und 12 % der Männer entwickeln im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine Depression.
    • Anstieg der Diagnoseprävalenz (Häufigkeit der Diagnose Depression im Verhältnis zu allen anderen Diagnosen) in den letzten 15 Jahren.
    • Bei 60–75 % aller Betroffenen folgt nach einer ersten depressiven Episode mindestens eine weitere.
      • Bei rezidivierenden Depressionen treten durchschnittlich 6 Episoden über die Lebensdauer auf.
      • Bei 2 von 3 Patient*innen tritt nach der medikamentösen Behandlung der Depression innerhalb von 10 Jahren eine erneute depressive Episode auf.
    • Die Punktprävalenz (der Anteil der Erwachsenen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erkrankt sind) wurde in verschiedenen Bevölkerungsuntersuchungen auf 3–5 % geschätzt.
  • Erkennung durch die Hausärzt*innen
    • 10–11 % aller Patient*innen in Hausarztpraxen erfüllen die diagnostischen Kriterien für eine depressive Episode.
    • Damit ist die Depression die häufigste psychische Störung und die fünfthäufigste Erkrankung bei Patient*innen, die bei ihren Hausärzt*innen in Behandlung sind.
    • Etwa 60 % aller Depressionsdiagnosen werden von Hausärzt*innen gestellt, weitere 15 % nach Überweisung zu Spezialist*innen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Depressionen sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die vermutlich auf einer Wechselwirkung aus biologischen und psychosozialen Faktoren beruhen.
  • Die Bedeutung der verschiedenen Faktoren kann von Patient*in zu Patient*in erheblich variieren.
  • Eine depressive Episode kann durch verschiedene soziale Ereignisse wie etwa dem Verlust nahestehender Menschen, Unfälle oder existenzielle Krisen ausgelöst werden.
  • Vermutlich existiert eine Vulnerabilität gegenüber Depressionen, die auf genetische oder andere Faktoren zurückzuführen sein kann.

Prädisponierende Faktoren

Personengruppen mit einem erhöhten Depressionsrisiko

  • Personen, die früher schon eine depressive Episode durchgemacht haben.
  • Familienangehörige von depressiv oder bipolar Erkrankten
  • Suizidversuche in der eigenen oder familiären Vorgeschichte
  • Personen mit Suchterkrankungen
  • Personen mit körperlichen Erkrankungen, die zu einem Funktionsverlust führen.
  • Personen mit chronischen Schmerzen
  • Personen mit belastenden Lebensereignissen, z. B.:
    • Verlusterfahrungen
    • Personen, die Traumata wie sexuellem Missbrauch in der Kindheit oder im Erwachsenenalter ausgesetzt waren.
  • Personen mit anderen psychischen Störungen
  • Personen mit mangelnder sozialer Unterstützung, z. B. geflüchtete und asylsuchende Menschen

ICPC-2

  • P03 Depressives Gefühl
  • P71 Organ. Psychosyndrom, anderes
  • P73 Affektive Psychose
  • P76 Depressive Störung
  • P82 Posttraumatische Stressstörung

ICD-10

  • F32 Depressive Episode
    • F32.0 Leichte depressive Episode
    • F32.1 Mittelgradige depressive Episode
    • F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome
    • F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen
    • F32.8 Sonstige depressive Episoden
    • F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet
  • F33 Rezidivierende depressive Störung
    • F33.0 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode
    • F33.1 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode
    • F33.2 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome
    • F33.3 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen
    • F33.4 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert
    • F33.8 Sonstige rezidivierende depressive Störungen
    • F33.9 Rezidivierende depressive Störung, nicht näher bezeichnet
  • F34 Anhaltende affektive Störungen
    • F34.0 Zyklothymia
    • F34.1 Dysthymia
    • F34.8 Sonstige anhaltende affektive Störungen
    • F34.9 Anhaltende affektive Störung, nicht näher bezeichnet
  • F38 Andere affektive Störungen
    • F38.0 Andere einzelne affektive Störungen
    • F38.1 Andere rezidivierende affektive Störungen
    • F38.8 Sonstige näher bezeichnete affektive Störungen
  • F39 Nicht näher bezeichnete affektive Störung

Diagnostik

Diagnostischer Stufenplan

  • Hauptsymptome: Veränderung von Stimmung und/oder Antrieb?
  • Differenzialdiagnostik: Ist diese Veränderung in Stimmung und Antrieb eher einer depressiven Symptomatik, einer anderen psychischen Störung oder primär körperlichen Erkrankungen zuzuordnen?
  • Ausschlussdiagnostik
    • Hirnorganische Ursache?
    • Andere somatische Ursache?
    • Psychotrope Substanzen?
  • Zusatzsymptome und bisheriger Verlauf: Klassifikation der depressiven Störung durch genaue Erhebung des psychopathologischen Befundes

Diagnostische Kriterien

  • Die Symptome bestehen seit mindestens 2 Wochen, halten über den größten Teil des Tages an und sind nicht direkt auf eine somatische Erkrankung oder einen Substanzmissbrauch zurückzuführen.

Depressionskriterien nach ICD-10

  • Mindestens 2 Hauptsymptome:
    • depressive Stimmung
    • Freudlosigkeit und Verlust von Interessen
    • Antriebslosigkeit oder schnelle Ermüdbarkeit.
  • Weitere Symptome:
    • eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit
    • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
    • Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle
    • von Traurigkeit geprägte, pessimistische Zukunftsperspektive
    • Planung oder Ausführung von Selbstverletzungen oder Suizid
    • Schlafstörungen
    • Ab- oder Zunahme des Appetits.

Leichte depressive Episode

  • 2 Hauptsymptome und mindestens 2 weitere Symptome, wobei keines eine schwere Ausprägung erreicht.
  • Die Patient*innen sind im Allgemeinen davon beeinträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten sozialen und beruflichen Aktivitäten fortzusetzen.

Mittelgradige depressive Episode

  • 2 Hauptsymptome und mindestens 4 weitere Symptome, mehrere davon mit schwerer Ausprägung
  • Die Patient*innen haben meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen.

Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome

  • Eine depressive Episode mit mehreren oben angegebenen, quälenden Symptomen
  • Typischerweise mit Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühlen von Wertlosigkeit und Schuld
  • Meist liegen einige somatische Symptome vor.

Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen 

  • Schwere depressive Episode wie oben beschrieben, bei der aber Halluzinationen, Wahnideen, psychomotorische Hemmung oder ein Stupor so schwer ausgeprägt sind, dass alltägliche soziale Aktivitäten unmöglich sind und Lebensgefahr durch Suizid und mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bestehen kann.
  • Halluzinationen und Wahn sind häufig, wenn auch nicht immer, depressiv gefärbt.

Rezidivierende depressive Störung

  • Wiederholte depressive Episoden ohne manische Episoden
  • Möglicher Subtyp: saisonale depressive Störung (Winterdepression)
    • Rezidivierende depressive Episoden, die jedes Jahr etwa zur gleichen Zeit einsetzen und wieder abklingen.
    • Häufig entwickelt sich eine „atypische“ Depression mit gesteigertem Appetit oder Gewichtszunahme, einem erhöhten Schlafbedürfnis und Heißhunger.
    • hoher Anteil jüngerer Patient*innen
    • in nördlichen Regionen häufiger
  • Die Abgrenzung zwischen leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episoden ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich und stützt sich nicht auf wissenschaftliche Belege. Die Schwere der einzelnen Symptome und das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung sind dabei maßgeblich.

Dysthymie

  • Über mehrere Jahre chronisch gedrückte Stimmung
  • Die einzelnen Episoden sind nicht so schwer oder lang andauernd, dass sie die Kriterien einer leichten, mittelgradigen oder schweren rezidivierenden depressiven Störung erfüllen.
  • Die beschwerdefreien Phasen dauern nicht länger als einige Wochen.
  • Double Depression: In 10–25 % der Fälle ist die Dysthymie mit wiederholt auftretenden voll ausgeprägten depressiven Episoden kombiniert.

Persistierende depressive Störung 

  • Abweichend vom ICD-10 fasst der US-amerikanische Diagnosenkatalog DSM-5 die Dysthymie und die chronische Major Depression zum Oberbegriff persistierende depressive Störung zusammen.
  • Damit ist eine über mindestens 2 Jahre anhaltende depressive Störung gemeint.

Depressionen mit peripartalem Beginn

  • Wochenbettdepression (postpartale, -natale Depression)
    • 2–3 Tage nach der Geburt erleben 50–80 % der Patientinnen eine Phase mit einer veränderten Gefühlslage, die umgangssprachlich als „Heultage“ oder „Post-Partum-Blues“ bezeichnet wird. In dieser Phase können eine Neigung zum Weinen, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Traurigkeit und Appetitlosigkeit auftreten. Bei den meisten Patientinnen klingen die Beschwerden innerhalb von 2 Wochen ab.
    • Bei 8–15 % der gebärenden Frauen münden sie in eine Wochenbettdepression, d. h. in eine depressive Episode.
    • Wochenbettpsychosen sind selten, je 1.000 Geburten treten höchstens einige wenige Fälle auf.3
  • Antepartale Depression
    • Etwa die Hälfte aller peripartalen Depressionen beginnen bereits während der Schwangerschaft.
    • Die Prävalenz depressiver Störungen ist peripartal nicht höher als in anderen Lebensabschnitten.4

Differenzialdiagnosen

  • Chronische somatische Erkrankungen
    • Beispielsweise können maligne Erkrankungen, schwere Infektionen, endokrine Erkrankungen, hämatologische Erkrankungen, Diabetes gleichzeitig mit einer Depression einhergehen (hohe Komorbidität).
    • Die Symptome von Müdigkeit und Erschöpfung, die bei somatischen wie depressiven Krankheitsbildern führend sein können, können zu Verwechslungen führen.
  • Andere psychische Störungen, z. B.:
  • Trauerreaktion, z. B. nach Verlust eines nahestehenden Menschen
    • Die Grenze zwischen unbewältigter Trauer und einer depressiven Verstimmung ist nicht immer eindeutig. Für eine Trauerreaktion spricht:
      • Die Symptome lassen meist innerhalb von 2 Monaten nach einem schweren Verlust nach.
      • Grundsätzliche Ansprechbarkeit für positive Ereignisse ist erhalten (Schwingungsfähigkeit).
      • Negative Gefühle kommen üblicherweise in Wellen, oft unterbrochen durch positive Erinnerungen an die verstorbene Person. Bei Depressionen sind Stimmung und Gedanken häufiger durchgehend negativ.
      • Trauerreaktionen sind gewöhnlich nicht mit vegetativen Symptomen verbunden, wie Gewichtsabnahme oder frühmorgendliches Erwachen.
      • in der Regel keine Anzeichen für andauernde, schwere Selbstzweifel oder starke Schuldgefühle
      • Suizidabsichten sind eher selten.
      • Sie geht meist nicht mit mehr als 3 Monate anhaltender Unfähigkeit zu sozialer oder beruflicher Rollenerfüllung einher.
  • Alkohol- und Drogensucht
  • Arzneimittelnebenwirkungen wie von:
    • Antihypertonika: Betablocker, Clonidin, selten ACE-Hemmer
    • Immuntherapeutika wie Interferon
    • Benzodiazepinen, trizyklischen Antidepressiva, Neuroleptika
    • Antihistaminika (Müdigkeit)
    • Opiaten
    • Parkinson-Medikamenten.
  • Akute Belastungsreaktion
  • Posttraumatische Belastungsstörung

Anamnese

Allgemeines

  • Das persönliche Gespräch mit der ärztlichen Haltung des Zuhörens und der respektvollen Annahme des geklagten Leids ist die Basis der Diagnose.
  • Differenzialdiagnostisch wichtige Symptome, die die Patient*innen nicht von sich aus benennen, aktiv erfragen. Dabei berücksichtigen, dass
    • das klinische Bild der Depression bei einer Person von Episode zu Episode variieren kann.
    • ältere Menschen atypische Symptome aufweisen können (näheres siehe Artikel Depression im Alter).
    • Angst und eine verminderte Gedächtnisleistung das Bild prägen können, sodass die gedrückte Stimmungslage weniger auffallend in Erscheinung tritt.

Zwei-Fragen-Test

  • Einfacher Zwei-Fragen-Test, um Personen mit einer depressiven Störung zu identifizieren:
    • „Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?“
    • „Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?“
  • Beantworten die Patient*innen eine dieser Fragen mit ja, kann nachgefragt werden, ob sie deswegen Hilfe in Anspruch nehmen möchten.

Fragen zu Kontext und Verlauf

  • Beeinträchtigungen im Alltagsleben sowie den psychosozialen Kontext der Beschwerden erfragen:
    • „Was sagen andere zu Ihren Beschwerden?“ (soziale, berufliche und wirtschaftliche Situation)
    • Die Frage nach dem Beginn der Beschwerden („Seit wann?“) und Nachfragen („Was hat sich da in Ihrem Leben geändert?“) liefern Hinweise auf diesen Kontext.
  • Aktiv erfragen:
    • frühere depressive Episoden
    • weitere psychische Erkrankungen
    • psychische Erkrankungen in der Familie
    • somatische Erkrankungen
    • Alkohol- und Drogenprobleme
    • eingenommene Medikamente
    • Sichtweise der betroffenen Person in Bezug auf die Ursache ihre Symptome
    • persönliche Ressourcen
    • soziale Unterstützung durch Angehörige, Freund*innen, Kolleg*innen.

Fremdanamnese

  • Die Fremdanamnese durch Angehörige oder sonstige enge Bezugspersonen oder auch durch das Praxisteam liefert häufig wichtige Zusatzinformationen zu diesen Fragen:
    • Beginn depressiver Episoden: Zeitpunkt und Umstände?
    • Frühere Episoden?
    • Psychotische Zustände: „Was sagen andere zum Verhalten der Patient*innen?“
    • Weitere Begleitsymptome?
    • Gibt es entsprechende Erkrankungen in der Familie?
  • Die biografische und krankheitsspezifische Familienanamnese ist nicht nur für die Diagnosestellung wichtig, sondern gibt Hinweise auf Ressourcen der Betroffenen und auf das, was sie bereits gut bewältigt haben.

Allgemeine Merkmale

  • Körperliche Beschwerden sind oft der Anlass für den Arztbesuch.
  • Angst
  • Schlafstörungen
    • gestörter Tag-Nacht-Rhythmus
    • frühes Erwachen
    • Ein- oder Durchschlafstörungen
    • bei manchen Patient*innen auch vermehrter Schlaf
  • Veränderungen des Appetits
    • meist Appetitlosigkeit
    • bei manchen Patient*innen gesteigerter Appetit und Gewichtszunahme, oft in Kombination mit verlängertem Schlaf
  • Kognitive Störungen
    • Häufig ausgeprägte Konzentrationsschwäche mit Schwierigkeiten, zu lesen oder einem Gespräch zu folgen.
    • Gedächtnisstörungen
  • Verminderte Libido
  • Initiativlosigkeit: Viele Patient*innen werden passiv und verlieren das Interesse und ihre Gefühle gegenüber nahestehenden Personen.
  • Psychomotorische Verlangsamung oder Agitiertheit
  • Die Betroffenen fühlen sich oft schuldig, unbedeutend, minderwertig und empfinden Scham.
  • Einige Patient*innen haben das Gefühl, kein Recht zu leben zu haben, und dass es am besten wäre, sie wären tot.
  • Suizidgedanken spielen eine wesentliche Rolle, und die Suizidgefahr steigt mit dem Schweregrad der Depression.

Beurteilung des Suizidrisikos

  • Näheres dazu im Artikel Suizid und Suizidversuch
  • Bei allen an einer depressiven Störung Erkrankten soll Suizidalität regelmäßig, bei jedem Gespräch mit der betroffenen Person klinisch eingeschätzt und ggf. exploriert werden.
  • Die Abschätzung des Suizidrisikos sollte durch Erfragen von Risikomerkmalen vorgenommen werden:
    • „Haben Sie in letzter Zeit daran denken müssen, nicht mehr leben zu wollen?“
    • „Häufiger?“
    • „Haben Sie auch daran denken müssen, ohne es zu wollen? Haben sich Suizidgedanken aufgedrängt?“
    • „Konnten Sie diese Gedanken beiseiteschieben?“
    • „Haben Sie konkrete Ideen, wie Sie es tun würden?“
    • „Haben Sie Vorbereitungen getroffen?“
    • „Umgekehrt: Gibt es etwas, was Sie davon abhält?“
    • „Haben Sie schon mit jemandem über Ihre Suizidgedanken gesprochen?“
    • „Haben Sie jemals einen Suizidversuch unternommen?“
    • „Hat sich in Ihrer Familie oder Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis schon jemand das Leben genommen?“
  • Beurteilung des Suizidrisikos und Kurzanleitung zur Auswertung durch qualifizierte Personen
  • Bei akuter Suizidalität umgehende Einweisung in eine psychiatrische Klinik

Fragebögen

  • In der Praxis können einfache und kurze Fragebögen einen zusätzlichen Beitrag zur Früherkennung sowie zur Verlaufskontrolle einer depressiven Störung leisten.
  • Sie kommen besonders bei Personengruppen mit erhöhtem Depressionsrisiko infrage.
  • Kein „Massenscreening“: Der routinemäßige Einsatz bei allen Patient*innen im Sinne eines systematischen Screenings ist nicht zu empfehlen, da der zeitliche Aufwand in einer ungünstigen Relation zum Nutzen steht.
  • Einfach, wenig zeitaufwendig und rasch auswertbar sind:
    • WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden
    • Gesundheitsfragebogen für Patienten PHQ-D
      • Kurzfassung: PHQ9-Fragebogen
    • Allgemeine Depressionsskala ADS
    • Zwei-Fragen-Test
  • Zur Diagnostik postpartaler Depressionen:
    • Edinburgh Depressions-Fragebogen nach der Geburt (EPDS)

Klinische Untersuchung

Herangehensweise

  • Bei Verdacht auf eine Depression ist auf die im Abschnitt Diagnostische Kriterien aufgeführten Symptome zu achten und ein psychischer Befund zu erheben. Dieser beschreibt die Stimmung, den Antrieb, mnestische Funktionen, psychotische Symptome wie Wahn und Halluzinationen und Suizidalität.

Äußeres Erscheinungsbild und interaktionelles Verhalten

  • Veränderte Mimik, Gestik und Körperhaltung?
  • Verändertes Sprechverhalten (Klang, Tempo, Modulation)?
  • Sprachlicher Ausdruck und Sprachverständnis beeinträchtigt?
  • Psychomotorische Verlangsamung?

Körperliche Untersuchung

  • Klinisch nach Berücksichtigung der anamnestisch erhobenen Symptomatik
  • Neurologische Untersuchung zum Ausschluss von ZNS-Erkrankungen

Labordiagnostik in der Hausarztpraxis

  • Ziele
    • Abklärung etwaiger somatischer Differenzialdiagnosen
    • Ausschluss von Kontraindikationen gegen die evtl. geplante medikamentöse Therapie
  • Ggf. indizierte Laboruntersuchungen: Blutzucker, Blutbild, Hb, CRP, Vitamin B12, GOT, GPT, Gamma-GT, Kreatinin, evtl. Kreatinin-Clearance, Folsäure, Na, K, Ca, TSH, Ferritin, Leberwerte
  • Evtl. Urinstatus bei V. a. Harnwegsinfektion, Tumorsuche
  • Evtl. Schwangerschaftstest (z. B. vor Lithiumgabe)
  • Evtl. EKG (z. B. vor der Gabe von Antidepressiva mit kardialen Nebenwirkungen)
  • Vitamin D?
    • Es gibt eine Assoziation mit einem geringen Vitamin-D-Spiegel und Depression, aber eine Behandlung mit Vitamin D hat keinen Effekt auf das Auftreten einer Depression oder Symptome einer bereits bestehenden Depression.5

Indikationen zur Überweisung

Hausärztliche Beobachtung genügt

  • Nur wenige Symptome (vgl. Abschnitt Diagnostische Kriterien)
  • Keine Depression in der Anamnese der Patient*innen oder der Familie
  • Soziale Unterstützung vorhanden.
  • Periodisch wiederkehrende Symptome oder Symptome, die seit weniger als 2 Wochen bestehen.
  • Kein Suizidrisiko
  • Kaum eine funktionelle Beeinträchtigung

Aktive Therapie erforderlich

  • Aktuelle depressive Episode
  • Frühere depressive Episoden
  • Depression bei Familienangehörigen
  • Wenig soziale Unterstützung
  • Suizidgedanken
  • Funktionelle Beeinträchtigung

Konsultation und Überweisung zu Spezialist*innen

  • Konsultation empfohlen:
    • immer bei schwerer Depression
    • bei fehlender Besserung unter psychotherapeutischer Behandlung nach max. 3 Monaten
  • Konsultation erwägen:
    • bei fehlendem oder unvollständigem Therapieerfolg unter hausärztlicher Behandlung innerhalb von max. 6 Wochen
    • Unsicherheit über den Schweregrad (Psychiater*in oder psychologische/ärztliche Psychotherapeut*in)
  • Überweisung/Mitbehandlung empfohlen:
    • unklare psychische und/oder somatische Differenzialdiagnostik
    • Therapieresistenz
    • Probleme bei der Pharmakotherapie und/oder in einer Psychotherapie
    • Interaktionen der Antidepressiva mit anderen Medikamenten
    • akute Selbst- und Fremdgefährdung
    • psychotische Symptome oder depressiver Stupor
    • Komorbidität einer depressiven Störung
      • mit einer anderen schweren, psychischen Störung
      • mit anderen schweren körperlichen Erkrankungen
    • Wenn ein multiprofessionelles Team zur Behandlung notwendig ist.
    • zur ergänzenden psychodiagnostischen und testpsychologischen Abklärung (ärztliche Spezialist*in oder psychologische/ärztliche Psychotherapeut*in)
  • Weitere Faktoren
    • Eine Überweisung zu/Mitbehandlung durch Spezialist*innen kann ebenfalls erforderlich werden bei:

Überweisung zur Psychotherapie

  • In der Regel zur Durchführung einer indizierten Richtlinienpsychotherapie. Darüber hinaus:
    • Konsultation erwägen bei fehlendem oder unvollständigem Therapieerfolg unter hausärztlicher Behandlung innerhalb von max. 6 Wochen (ärztliche Spezialist*in oder psychologische/ärztliche Psychotherapeut*in).
    • Überweisung ist empfohlen
      • zur psychotherapeutischen Mitbehandlung bei schwerer Symptomatik, z. B. im Rahmen einer Kombinationstherapie.
      • bei mittelschwerer Depression als gleichwertig einer medikamentösen Behandlung.
      • zur psychotherapeutischen Behandlung bei Komorbidität mit einer anderen schweren psychischen Störung oder mit chronischen körperlichen Erkrankungen.
      • zur ergänzenden psychodiagnostischen und testpsychologischen Abklärung.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

Indikationen

  • Folgende Bedingungen begründen die Behandlung in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik oder, wenn vorrangig psychotherapeutisch behandelt werden soll, in einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Klinik.
    • schwere psychosoziale Defizite, z. B. Gefahr der depressionsbedingten Isolation
    • Soziales Milieu oder sonstige Lebensumstände behindern massiv den Therapieerfolg.
    • Therapieresistenz gegenüber ambulanten Therapien
    • hohes Chronifizierungsrisiko
    • Schwere Krankheitsbilder, bei denen die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht ausreichen. 

Stationäre Rehabilitationsbehandlung

  • Indiziert zur
    • Festigung von Behandlungserfolgen
    • Behandlung von Krankheitsfolgen
    • Verbesserung des Umgangs mit der Erkrankung
    • Verbesserung oder Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit.

Notfallindikationen für stationäre psychiatrische Versorgung

Therapie

Therapieziele

  • Sollten partizipativ vereinbart werden.
  • Symptomlinderung und letztlich eine vollständige Remission
  • Mortalität, insbesondere durch Suizid, verhindern.
  • Berufliche und psychosoziale Leistungsfähigkeit und Teilhabe wiederherstellen.
  • Seelisches Gleichgewicht wieder erreichen.
  • Rezidivrisiko reduzieren.

Pharmakotherapie der unipolaren Depression

Therapie bei leichter depressiver Episode

  • Psychotherapie
    • Soll angeboten werden,
      • wenn die Symptomatik trotz Nutzung von Interventionen mit geringer Intensität fortbesteht und/oder
      • wenn sie in der Vergangenheit gut auf eine Psychotherapie angesprochen hat und/oder
      • wenn das Risiko für Chronifizierung oder die Entwicklung einer mittelgradigen oder schweren Depression besteht (z. B. frühere depressive Episoden, psychosoziale Risikofaktoren) und/oder
      • wenn sie niedrigschwelligere Verfahren ablehnen oder in der Vergangenheit nicht gut auf sie angesprochen haben.
  • Antidepressiva
    • Sollten bei leichten depressiven Episoden nicht zur Erstbehandlung eingesetzt werden.
    • Sollten unter besonders kritischer Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses und eingebunden in ein therapeutisches Gesamtkonzept angeboten werden,
      • wenn die Symptomatik trotz niedrigintensiver Interventionen fortbesteht und/oder
      • wenn sie in der Vergangenheit gut auf eine medikamentöse Therapie angesprochen haben und/oder
      • wenn bei ihnen das Risiko für Chronifizierung oder die Entwicklung einer mittelgradigen oder schweren Depression besteht (z. B. frühere depressive Episoden, psychosoziale Risikofaktoren) und/oder
      • wenn sie niedrigintensive oder psychotherapeutische Interventionen ablehnen oder in der Vergangenheit nicht gut auf sie angesprochen haben.
  • Johanniskraut
    • Wenn eine medikamentöse Therapie erwogen wird, kann nach Aufklärung über spezifische Nebenwirkungen und Interaktionen ein erster Therapieversuch mit einem als Arzneimittel zugelassenen Johanniskrautpräparat angeboten werden.

Therapie bei mittelgradiger depressiver Episode

  • Psycho- und/oder Pharmakotherapie
    • Es soll gleichwertig eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie angeboten werden.
  • Johanniskraut s. o.
  • Benzodiazepine und Z-Substanzen
    • Sollten bei mittelschweren depressiven Episoden nicht eingesetzt werden, außer im begründeten Einzelfall zusätzlich zu einer Behandlung mit Antidepressiva oder Psychotherapie
      • bei Patient*innen mit stark belastenden Schlafstörungen oder starker Unruhe und ohne Suchterkrankungen in der Vorgeschichte und
      • unter Beachtung der Risiken und
      • für eine Dauer von 2 (max. 4) Wochen.
  • Internet- und mobilgerätebasierte Interventionen
    • Können zusätzlich zu einer Behandlung mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie angeboten werden.
    • Sofern sie in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet sind, sollen sie als alternativer Behandlungsansatz angeboten werden, wenn die Betroffenen sowohl Psychotherapie als auch Antidepressiva ablehnen.

Therapie bei schwerer depressiver Episode 

  • Kombination Psycho- und Pharmakotherapie
    • Soll empfohlen werden.
    • Wenn diese abgelehnt wird, sollen Psychotherapie oder medikamentöse Therapie gleichwertig als Monotherapie angeboten werden.
  • Benzodiazepine und Z-Substanzen
    • Können in der Akutbehandlung schwerer depressiver Episoden in begründeten Fällen zusätzlich zu einer Behandlung mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie angeboten werden
      • bei Patient*innen mit stark belastenden Schlafstörungen oder starker Unruhe und ohne Suchterkrankungen in der Vorgeschichte und
      • unter Beachtung der Risiken und
      • für eine Dauer von 2 (max. 4) Wochen.
  • Internet- und mobilgerätebasierte Interventionen
    • Können zusätzlich zu einer Behandlung mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie angeboten werden.

Chronische Depression (Dysthymie und Double Depression)

  • Bei bislang nicht behandelten chronischen Depressionen soll nach den schweregradspezifischen Empfehlungen für die akute depressive Episode (s. o.) vorgegangen werden.
  • Depressionen, die trotz Behandlung chronifizieren, sollen gemäß den Empfehlungen zu Maßnahmen bei Nichtansprechen oder Therapieresistenz behandelt werden.

Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe

  • Antidepressiva sollen 6–12 Monate über die Remission einer depressiven Episode hinaus empfohlen werden. In dieser Erhaltungsphase soll die gleiche Dosierung wie in der Akutphase fortgeführt werden.
  • Patient*innen mit 2 oder mehr depressiven Episoden mit bedeutsamen funktionellen Einschränkungen in letzten 5 Jahren sollten empfohlen werden, das Antidepressivum mindestens 2 Jahre lang zur Langzeitprophylaxe einzunehmen. Dabei sollte die gleiche Dosierung verabreicht werden, die bei der Akuttherapie wirksam war.
  • Wenn die Indikation für eine Rezidivprophylaxe besteht, sollte bei suizidgefährdeten Patient*innen zur Reduzierung suizidaler Handlungen eine Medikation mit Lithium angeboten werden.

Beendigung der Therapie

  • Sofern keine Indikation für eine längerfristige Gabe im Sinne einer Rezidivprophylaxe besteht, soll das Antidepressivum nach Ende der Erhaltungstherapie ausgeschlichen werden.

Hausärztliche Behandlung depressiver Patient*innen im Rahmen einer gestuften und kooperativen Versorgung

Beziehung zwischen Patient*in und Ärzt*in

  • Ein wichtiger Wirkfaktor, wenn die Beziehung Akzeptanz, Fürsorge und Entwicklung von Selbstkompetenz ermöglicht.6
  • Zuhören, Benennung von Gefühlen, gemeinsame Suche nach kritischen Lebensereignissen und belastenden Problemen und Orientierung auf die Ressourcen der Patient*innen
  • Psychoedukation
    • Vermittlung eines biopsychosozialen Modells der Depression und Beratung über den Verlauf und Behandlungspfade. Ziel ist die Entlastung der Patient*innen von Schuldgefühlen und Stärkung einer positiven Sichtweise.
    • Im sozialen Umfeld/Familie Verständnis für die Erkrankung und therapeutische Begleiterscheinungen schaffen, sofern die Betroffenen damit einverstanden sind.
    • Schriftliche Patienteninformationen und weitere Hilfen zum Selbstmanagement für Betroffene und Angehörige bereitstellen.
  • Ressourcenorientierte Interventionen zur Förderung der Selbstkompetenzen der Patient*innen
  • Würdigung der Lebensleistung der Patient*innen und des bisherigen Bewältigungsmusters, z. B.:
    • „Es ist Ihnen gelungen, schlechte Erfahrungen in Gutes umzuwandeln.“
    • „Sie setzen sich ein für andere. Was tun Sie für sich?“
  • Ermutigen und konstruktive Erinnerungen stärken, z. B.:
    • „Wo ist es Ihnen schon einmal gelungen, etwas zu verändern?“
    • „Wo waren Sie schon einmal mutig?“
  • Positive Bilder benutzen und kleine Schritte zur Änderung stärken. In der Betreuung von Patient*innen mit komorbiden somatischen Erkrankungen beschämende oder ängstigende Interventionen vermeiden.
  • Problemlösestrategien
  • Ziele klären, auch ihre Änderung im Verlauf und realistische Ziele und Behandlungswege entsprechend der Vorgehensweise der partizipativen Entscheidungsfindung vereinbaren ( „Wofür würde es sich lohnen, wieder gesund zu werden?“). Dabei sind die übertriebenen Anforderungen depressiver Patient*innen an sich selber zu beachten und zu korrigieren.
  • Zeitliche Struktur weiterer Termine vereinbaren.
  • Psychosoziale Maßnahmen, insbesondere Maßnahmen zum Selbstmanagement, dabei generell aktive gegenüber passiven therapeutischen Maßnahmen bevorzugen:
    • Anregung zu regelmäßiger Bewegung besonders in Gruppen
    • Anregung einer achtsamen Haltung gegenüber sich selbst (sich jeden Tag etwas Gutes gönnen) und
    • zur Pflege guter Beziehungen bzw. zur Aufnahme sozialer Kontakte (örtliche Selbsthilfegruppen und sozialpsychiatrische Angebote, Nachbarschaftshilfe)7
    • Psychosoziale Therapien (Ergo- und Soziotherapie und psychoedukative Gruppen) und psychosoziale Hilfsangebote und Angebote zur Selbsthilfe vermitteln.
    • Angebote zur Entlastung: Krankschreibung, Haushaltshilfe, Kinderbetreuung; ggf. (teil-)stationäre Behandlung oder Reha. Längere Arbeitsunfähigkeitszeiten können als ein die Prognose erschwerender Faktor wirken. Die Aufträge an die Hausärzt*innen als Anwält*innen der Interessen und Bedürfnisse der Betroffenen (Einzelfallbezug) und als Gutachter*innen über Krankenrolle und Sozialversicherungsleistungen in einem verrechtlichten System der sozialen Sicherung (Systembezug) können Paradoxien sichtbar werden lassen.
  • Naturheilkundliche Maßnahmen können erwogen werden.
  • Medikamentöse Therapie (siehe dort)

Allgemeines zur Therapie

  • Die therapeutische Beziehung ist von großer Bedeutung für den Erfolg der Behandlung.
    1. Einigkeit bezüglich der angestrebten Ziele
    2. Einigkeit bezüglich der angewandten Methoden und Techniken
    3. Emotionale Bindung und Verhältnis, das von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist.
  • Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Therapeut*innen
    • Kann das Therapieergebnis verbessern.
    • Verantwortlichkeiten klar verteilen.
  • Körperliche Aktivität
    • Kann helfen, Depressionen vorzubeugen und depressive Symptome zu mindern.
    • Um eine Wirkung zu erzielen, ist eine halbe Stunde Aktivität an den meisten Tagen ausreichend.
    • Die antidepressive Wirkung macht sich oft erst nach Wochen bemerkbar und kann über mehrere Monate weiter zunehmen.
    • Strukturierte Trainingsprogramme können sinnvoll sein.
    • In einer Metaanalyse finden sich Anhaltspunkte dafür, dass sich Depressionssymptome durch körperliche Aktivität besser mindern lassen als ohne Behandlung. Einige wenige Studien deuten darauf hin, dass körperliche Aktivität nicht wirksamer ist als eine Psychotherapie oder Antidepressiva.8

Psychotherapie

  • Bildet die Grundlage der Behandlung.
  • Kooperation von Therapeut*in und Patient*in
    • aktive und unterstützende Rolle der Therapeut*innen
    • Wissen vermitteln und Wege zum Umgang mit der Erkrankung aufzeigen.
    • Neu gelernte Problembewältigungsstrategien können die Patient*innen auch über das Therapieende hinaus anwenden.
  • Unterschiedliches Setting
    • ambulant oder stationär
    • Einzel-, Paar- oder Gruppentherapie
  • Verfahren mit nachgewiesener Wirksamkeit
    • kognitive Verhaltenstherapie
    • psychodynamische Kurzzeittherapie
    • analytische Langzeitpsychotherapie
    • interpersonelle Psychotherapie
    • Gesprächspsychotherapie nach Rogers, auch „klientenzentrierte Psychotherapie“

Rehabilitation und Wiedereingliederung

  • Bei vielen depressiven Patient*innen besteht phasenweise eine Arbeitsunfähigkeit, nach Abklingen der Depression können die meisten ihre normale Tätigkeit jedoch wieder aufnehmen.
  • Um den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern, können eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, etwa in einer psychosomatischen Klinik, und eine stufenweise Wiedereingliederung sinnvoll sein.

Psychosoziale Therapien

  • Zentrale Ziele sind die weitgehende Unabhängigkeit und Selbständigkeit sowie Teilhabe der Patient*innen in Alltag und Beruf.
  • Interprofessionelles Team im stationären und teilstationären Bereich, z. B. aus:
    • Ergotherapeut*innen
    • Sozialarbeiter*innen
    • Physiotherapeut*innen.
  • In der ambulanten ärztlichen Versorgung: Verordnung im Rahmen der Heilmittelrichtlinie

Ergotherapie

  • Im Regelfall können bis zu 40 Behandlungseinheiten verordnet werden.
  • Einzel- oder Gruppentherapie
  • Alltagsbezogener und handlungsorientierter Ansatz
  • Eine psychisch-funktionelle Behandlung dient der gezielten Therapie krankheitsbedingter Störungen der psychosozialen und sozioemotionalen Funktionen und der daraus resultierenden Fähigkeitsstörungen im Verhalten, in der zwischenmenschlichen Interaktion und Kommunikation, der Kognition sowie der Beweglichkeit und Geschicklichkeit.
  • Wiederherstellung und Erhalt von Handlungsfähigkeit, Teilhabe und Lebensqualität in für die einzelne Person wichtigen Lebensbereichen (z. B. Selbstversorgung, Haushaltsführung, Wirtschaftliche Eigenständigkeit, Beruf, Ausbildung und Freizeit).

Soziotherapie

  • Eine definierte ambulante Versorgungsleistung für Patient*innen mit schweren psychischen Störungen
  • Verordnungsfähig bei individuell zu beurteilender medizinischer Notwendigkeit, die sich aus Diagnose, Schweregrad und Dauer der Erkrankung sowie den krankheitstypischen Fähigkeitsstörungen ergibt.
  • Voraussetzungen sind eine positive Prognose und Therapiefähigkeit sowie die Erfordernis, dadurch Klinikaufenthalte zu vermeiden, zu verkürzen oder zu ersetzen, falls diese nicht durchführbar sind.
  • Durchgeführt von Sozialarbeiter*innen/Sozialpädagog*innen oder Pflegefachkräften für Psychiatrie.
  • Unterstützung und Handlungsanleitung für chronisch psychisch kranke Menschen zur Überwindung krankheitsspezifischer Defizite und daraus entstehender Beeinträchtigung im sozialen Umfeld
  • Patient*innen mit schwerer Depression sind häufig nicht in der Lage, Leistungen, auf die sie Anspruch haben, selbständig in Anspruch zu nehmen. Soziotherapie soll ihnen die Inanspruchnahme ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen ermöglichen.
  • Wesentliches Ziel soziotherapeutischer Behandlung ist die Unterstützung der Therapieadhärenz.

Häusliche psychiatrische Krankenpflege

  • Gemeindeorientiertes Versorgungsangebot
  • Bestandteil der häuslichen Krankenpflege
  • Kann nur bei Vorliegen einer schwereren Depression verordnet werden.
  • Die Diagnose muss nach den Richtlinien des G-BA fachärztlich gesichert sein, d. h. durch Fachärzt*innen für Psychiatrie/Neurologie.
  • Die Dauer der Verordnung ist auf bis zu 4 Monate begrenzt.
  • HKP soll dazu beitragen, dass psychisch kranke Menschen ein würdiges, eigenständiges Leben in ihrem gewohnten Lebenszusammenhang führen können.
  • Durch die Pflege vor Ort soll das Umfeld beteiligt und die soziale Integration gewährleistet werden.

Medikamentöse Therapie – Nutzen-/Risiko-Relation

  • Metaanalysen zeigen, dass die Überlegenheit von Antidepressiva über Placebo bei leichten Depressionen kein klinisch bedeutsames Ausmaß erreicht.9-10
    • Über 80 % der Wirkung sind auf den Placeboeffekt zurückzuführen.
    • Für die aus diesen Studien abgeleitete Vermutung, dass die Wirksamkeit wenigstens bei schwereren Depressionen etwas größer ist, gibt es weiterhin keine konsistenten Belege (Stand Oktober 2022).
    • Ob Antidepressiva überhaupt zur Behandlung unipolarer Depression eingesetzt werden sollen, ist angesichts des erheblichen Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzials dieser Medikamente umstritten.
  • Umfassende Aufklärung der Betroffenen über:
    • die erwarteten Wirkungen
    • Risiken und Nebenwirkungen
    • mögliche Absetzeffekte
    • die geplante Behandlungsdauer.
  • Es kann bis zu 4 Wochen dauern, bis die volle pharmakodynamische Wirkung eines Antidepressivums eintritt.
    • Nebenwirkungen sind in der Anfangsphase der Behandlung am häufigsten.
  • Patient*innen mit begleitender Angststörung scheinen noch weniger auf die Behandlung anzusprechen, als Patient*innen mit einer Depression allein (Ib).

Empfehlungen für Patient*innen

  • Durch körperliche Aktivität lässt sich bei leichten und mittelgradigen Depressionen eine mäßig starke Wirkung erzielen.8
  • Soziale Isolation verstärkt die Depression und führt damit in eine Abwärtsspirale. Durch aktive Pflege sozialer Kontakte können Betroffene entscheidend gegensteuern.
  • Die Patient*innen sollten aufgefordert werden, bei einem Rückfall oder bei Auftreten einer neuen Episode ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  • Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Alkohol und andere psychotrope Substanzen
    • Nach übermäßigem Gebrauch können sich depressive Symptome verstärken.
    • Konsum kann zu Wechselwirkungen mit manchen Antidepressiva führen und sollte ggf. ganz unterbleiben.
    • Unabhängig von der Medikation sollten auch alle depressiven Patient*innen mit bestehender oder drohender Suchterkrankung auf Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial verzichten, ggf. nach einer qualifizierten Entgiftungsbehandlung.
  • Internetbasierte Selbsthilfeprogramme auf der Basis einer kognitiven Verhaltenstherapie liefern laut einer Metaanalyse gute Ergebnisse.11

Medikamentöse Therapie

Indikationen

  • Fraglicher Nutzen und möglicherweise generell ungünstige Nutzen/Risikorelation bei unipolarer Depression (siehe Abschnitt Medikamentöse Therapie – Nutzen/Risiko-Relation)
  • Bei mittelgradigen und schweren Depressionen kann eine medikamentöse Therapie indiziert sein.
  • Bei einer schweren depressiven Episode ist eine medikamentöse Behandlung als Ergänzung zu psychotherapeutischen Maßnahmen angezeigt.
  • Bei schwerer chronischer Depression und bei Double Depression ist  die Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie der Monotherapie überlegen.
  • Hat eine pharmakologische Therapie bereits in der Vergangenheit eine gute Wirkung gezeigt, kann sie möglicherweise erneut indiziert sein.
  • Bei Dysthymie haben sich sowohl Psychotherapie als auch Antidepressiva als wirksam erwiesen.
  • Nur 1/3 der Patient*innen mit einer Depression spricht voll auf die Therapie mit Antidepressiva an.12

Patientenaufklärung

  • Engmaschige Betreuung in den ersten 4 Wochen (Näheres siehe Abschnitt Verlaufskontrolle)
  • Intensive Vorab-Aufklärung zu folgenden Themen:
    • Bedenken gegenüber Antidepressiva erkennen und besprechen.
      • Sucht- und Toleranzentwicklung
      • Persönlichkeitsveränderungen
    • biologische Wirkmechanismen
    • Wirklatenz
    • mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
    • Nebenwirkungen
    • Behandlungsdauer begründen.
    • Evtl. Angehörige und Selbsthilfegruppen einbeziehen.

Antidepressiva, allgemein

  • Wahl des Präparats
    • Hat eine pharmakologische Therapie bereits bei einer früheren depressiven Episode Wirkung gezeigt, sollte erneut das gleiche Präparat gewählt werden.
    • Es gibt keine gesicherten Belege für Unterschiede bei der Wirksamkeit verschiedener Antidepressiva, die Nebenwirkungen und Wechselwirkungen unterscheiden sich bei den verschiedenen Gruppen jedoch deutlich.
    • Sedierende Komponente gezielt verwenden?
      • Einige trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Doxepin), aber auch einige neuere Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) haben sedierende Eigenschaften, was den Einsatz bei agitierten und schlafgestörten Patient*innen nahelegt. Ob bei Patient*innen mit agitierter Depression sedierende Antidepressiva und bei gehemmt depressiven Erkrankten eher aktivierende Antidepressiva tatsächlich Vorteile aufweisen, ist jedoch nicht belegt, sodass dieses Auswahlkriterium nur in Abhängigkeit von der individuellen Situation der behandelten Person einschließlich ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer Präferenzen berücksichtigt werden kann (siehe auch Abschnitt TZA).
  • Zeitlicher Ablauf
    • Symptomatik und Schweregrad bei Behandlungsbeginn sorgfältig evaluieren und dokumentieren.
    • Ab Erreichen der Standarddosierung sollten 4 Wochen, bei älteren Patient*innen 6 Wochen abgewartet werden, bis gemeinsam mit den Betroffenen beurteilt wird, ob sie auf die Behandlung ansprechen.
    • Bei vielen Antidepressiva sollte schrittweise bis zur Standarddosierung aufdosiert werden. Diese Aufdosierungsphase sollte so lange sein, wie es die Verträglichkeit erfordert, aber so kurz wie möglich, da diese Zeit nicht zur Wirklatenz hinzu gezählt werden kann.
    • Während der Aufdosierungsphase und der Beobachtung der Wirklatenz: Nebenwirkungen sorgfältig überwachen (siehe auch Abschnitt Verlaufskontrolle)
  • Vorübergehende Verstärkung von Agitiertheit und Suizidrisiko
    • Es ist nicht auszuschließen, dass Antidepressiva, möglicherweise eher SSRI als andere, zu Beginn der Therapie das Risiko für Suizidgedanken und -versuche vor allem bei jüngeren Menschen erhöhen (siehe auch Abschnitt SSRI).
    • Allen Patient*innen, die mit Antidepressiva behandelt werden, sollte zu Beginn der Behandlung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden und Symptome, die auf ein erhöhtes Suizidrisiko hindeuten, z. B. verstärkte Angst, Agitiertheit oder impulsives Verhalten, beobachtet werden.
    • Wenn Patient*innen unter Gabe von SSRI in der Frühphase der Behandlung vermehrte Agitiertheit entwickeln, ist es sinnvoll, sie darüber aufzuklären, dass es sich dabei möglicherweise um eine Nebenwirkung handelt. Falls die Betroffenen dies wünschen, ist das Antidepressivum zu wechseln (siehe auch Abschnitt SSRI).
    • Eine kurzzeitige überlappende Behandlung mit einem Benzodiazepin kann in solchen Fällen erwogen werden, sollte aber innerhalb von 2 Wochen überprüft werden.
  • Aufdosierung bei unzureichendem Ansprechen:
    • Bei zahlreichen Antidepressiva (z. B. trizyklische Antidepressiva, Venlafaxin, Tranylcypromin) ist das eine sinnvolle Maßnahme, soweit sie im Einklang mit den Anwendungsempfehlungen des Herstellers steht.
    • Dies gilt nicht für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) (fehlender Nachweis einer Dosis-Wirkungsbeziehung)
    • Liegen die Serumspiegel bereits im therapeutischen Bereich, dann ist eine Dosissteigerung generell nicht ratsam.
  • Anpassung der Therapie bei Nicht-Ansprechen trotz adäquater Dosierung
    • Bei 70 % von allen Patient*innen, die eine Besserung erfahren, tritt diese bereits innerhalb der ersten beiden Wochen der Behandlung ein.
    • Werden hingegen in den ersten beiden Wochen der Behandlung keinerlei Zeichen einer Besserung beobachtet, so sinkt die Wahrscheinlichkeit eines therapeutischen Ansprechens auf unter 15 %.
    • Nach 3 Wochen ohne Besserung liegt diese Wahrscheinlichkeit bereits unter 10 %.
    • Spätestens nach 4 Wochen unter Standarddosierung sollte die Behandlung modifiziert werden. Nur so kann eine unnötig lange und letztlich nicht zielführende Behandlung mit u. U. vielen unerwünschten Nebenwirkungen vermieden werden.

SSRI: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

  • Wirkstoffe
    • Citalopram
    • Escitalopram
    • Fluoxetin
    • Fluvoxamin
    • Paroxetin
    • Sertralin
  • Siehe Tabelle SSRI – Dosierung, Plasmaspiegel, Monitoring.
  • Unterschiede zwischen einzelnen Substanzen betreffen überwiegend das Nebenwirkungs- und Interaktionsspektrum.
  • Besonders zu Beginn der Therapie mit SSRI ist auf Folgendes zu achten (Ib/B):
    • Serotonin-Syndrom: Ein erhöhtes Risiko besteht besonders bei Kombination von SSRI mit anderen serotonergen Substanzen. Nicht mit SSRI zu kombinieren sind z. B.:
      • MAO-A-Hemmer
      • Clomipramin
      • Tramadol
      • Tryptophan
      • Oxitriptan
      • Carbamazepin
      • Lithium.
    • Das Serotonin-Syndrom kann einhergehen mit:
      • Fieber
      • Schwitzen
      • gastrointestinale Beschwerden
      • Tremor
      • Rigidität
      • Myoklonien
      • epileptischen Anfälle
      • Hyperreflexie
      • Agitiertheit, Verwirrtheit
      • Delir.
    • Tremor/Frösteln
    • Schwitzen
    • Veränderungen des Blutdrucks
    • Myoklonus
    • Mydriasis
    • Blutungsneigung
      • am häufigsten gastrointestinale Blutungen
      • besonders bei gleichzeitiger Gabe von NSAR oder – auch niedrig dosierter – Acetylsalicylsäure
      • erhöhtes Risiko bei hohem Patientenalter und vorausgehenden Blutungsereignissen
    • Hyponatriämie vor allem bei älteren Patient*innen (SIADH = vermehrte Produktion oder Wirkung des antidiuretischen Hormons ADH)
    • Diarrhö
    • Suizidgedanken
    • erhebliche Zunahme von:
      • motorischer Unruhe
      • Angst
      • Agitiertheit.
    • Die Patient*innen sollten auf die Möglichkeit solcher Symptome zu Beginn der medikamentösen Behandlung hingewiesen werden und bei deren Auftreten umgehend ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Weitere Beispiele für spezifische Nebenwirkungen unter SSRI
    • Risiko für eine QTc-Zeit-Verlängerung
      • unter Citalopram, Escitalopram und Fluoxetin
      • Risiko tödlicher Torsade-de-Pointe-Arrhythmien bei Dosierungen oberhalb der Standarddosis
      • EKG-Kontrollen sind unverzichtbar.
    • Übelkeit, Erbrechen
    • sexuelle Dysfunktion
      • verzögerte Ejakulation
      • Orgasmusstörungen bei Männern und Frauen
      • reversible Beeinträchtigung der Spermienqualität
    • Osteoporose?13
    • allergische Reaktionen
  • Wechselwirkungen
    • Serotonin-Syndrom bei Kombination serotonerger Substanzen, s. o.
    • je nach Wirkstoff Einfluss auf unterschiedliche CYP-Isoenzyme
      • Nebenwirkungsverstärkung bei Kombination mit Johanniskrautpräparaten
      • Die CYP-inhibierende Wirkung von Sertralin, Escitalopram und Citalopram ist deutlich schwächer als die von Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin.
      • Fluvoxamin hemmt den CYP1A2-abhängigen Metabolismus von Arzneistoffen (z. B. einige TZA, Clozapin, Melatonin, Theophyllin, Zotepin); ggf. sind Dosisreduktionen erforderlich.
      • Fluoxetin und Paroxetin hemmen den CYP2D6-abhängigen Metabolismus einiger anderer Arzneistoffe (z. B. trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika vom Phenothiazin-Typ, Metoprolol, Klasse-Ic-Antiarrhythmika, Codein).
      • Enzyminduktoren wie Phenytoin, Rifampicin oder Phenobarbital können den Abbau von SSRI beschleunigen.
  • Kontraindikationen

TZA: tri- und tetrazyklische Antidepressiva

  • Wirkstoffe
    • Amitriptylin
    • Amitriptylinoxid
    • Clomipramin
    • Doxepin
    • Imipramin
    • Maprotilin
    • Nortriptylin
    • Tianeptin
    • Trimipramin
  • Siehe Tabelle TZA – Dosierung, Plasmaspiegel, Monitoring.
  • Klassenspezifische Nebenwirkungen, z. B.:
    • Mundtrockenheit
    • Miktionsstörungen
    • Akkommodationsstörungen
    • Obstipation
    • verminderte Schweißsekretion (Hypohidrose)
    • Ileus
    • Glaukomanfall
    • Gewichtszunahme: Gewichtskontrollen sind notwendig.
    • Sedierung
    • Ödeme
    • Blutbildungsstörungen
    • Erhöhung der Leberwerte.
  • Kardiovaskuläre Nebenwirkungen
    • Bei älteren Patient*innen und kardialer Komorbidität besonders zu beachten.
    • dosisabhängiges Risiko
    • orthostatische Hypotonie
      • durch Blockade peripherer Alpha-1-Rezeptoren
      • unter Nortriptylin eher selten
    • Erregungsleitungsstörungen mit ventrikulären Tachykardien
      • durch chinidinartige (Typ IA-) antiarrhythmische Eigenschaften der TZA
      • Verlängerung der PQ-, QRS- und QT-Intervalle
      • EKG-Kontrollen vor und unter der Behandlung
  • Serotonin-Syndrom (siehe Abschnitt SSRI)
    • bei Kombination stark serotonerger TZA (besonders Clomipramin) mit anderen Serotoninagonisten (z. B. mit SSRI oder nichtselektiven MAO-Hemmern)
  • Weitere Wechselwirkungen
    • Verstärkung der anticholinergen oder sedierenden Effekte bei Kombination mit anderen Anticholinergika oder zentral-dämpfenden Stoffen:
      • Antihistaminika
      • Parkinson-Mittel
      • Hypnotika/Sedativa
      • Tranquilizer
      • Neuroleptika
      • Anästhetika
      • Alkohol (pharmakodynamische Interaktionen).
    • verminderte antihypertensive Wirkung von Methyldopa oder Clonidin
    • Wirkungsverstärkung von Sympathikomimetika, z. B. Blutdruckkrisen oder Arrhythmien bei sympathomimetikahaltigen Lokalanästhetika
    • Kombination mit nichtselektiven MAO-Hemmern vermeiden (hypertone Krisen, Hyperpyrexie, Krampfanfälle).
    • Wirkungsverstärkung von oralen Antikoagulanzien (pharmakokinetische Interaktionen)
    • Wirkungsverstärkung durch:
      • bestimmte SSRI: Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin
      • einige Neuroleptika: Levomepromazin, Melperon, Thioridazin
      • Cimetidin.
    • Wirkungsabschwächung (Enzyminduktion) durch:
  • Erkrankungen, bei denen TZA aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nicht zu empfehlen sind.
  • Weitere Kontraindikationen
    • akute Intoxikationen mit zentral dämpfenden Stoffen einschließlich Alkohol
    • akuter Harnverhalt
    • paralytischer Ileus
    • schwere Leberschäden
    • Störung der Blutbildung
    • zerebrovaskuläre Störungen
  • Die geringe Überdosierungssicherheit von TZA im Vergleich zu SSRI und anderen neueren Antidepressiva kann bei multimedizierten und bei hirnorganisch oder kardial vorgeschädigten Patient*innen zu lebensbedrohlichen Nebenwirkungen führen, z. B. Delir oder Herzrhythmusstörungen.
  • TZA scheinen in einem Dosisbereich von 75–100 mg pro Tag gleich wirksam, aber besser verträglich zu sein als in der üblichen Standarddosis von 150 mg.

SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

  • Wirkstoffe
    • Venlafaxin
    • Duloxetin
    • Milnacipran
  • Siehe Tabelle SNRI – Dosierung, Plasmaspiegel, Monitoring.
  • Die Wirksamkeit von SNRI in der Behandlung depressiver Episoden scheint mit der anderer Antidepressivaklassen vergleichbar zu sein.
  • Möglicherweise sind SNRI mit einem höheren Suizidrisiko verbunden als SSRI.
  • Die häufigsten Nebenwirkungen unter Venlafaxin:
    • Appetitlosigkeit
    • Übelkeit
    • sexuelle Funktionsstörungen
    • Hyponatriämie
    • bei höheren Dosierungen:
      • innere Unruhe
      • Schlafstörungen
      • Blutdrucksteigerung.
  • Unter Venlafaxin besteht ein dosisabhängiges Risiko für eine QT-Zeit-Verlängerung. EKG-Kontrollen sollten vor und unter der Behandlung durchgeführt werden.
  • Die Überdosierungssicherheit von Venlafaxin ist geringer als die von SSRI.
  • Die häufigsten Nebenwirkungen unter Duloxetin:
    • Übelkeit
    • trockener Mund
    • Obstipation
    • Schlafstörungen
    • Diarrhö
    • Harnverhalt
    • Schwindel
    • Müdigkeit
    • Blutdruckveränderungen.
  • Wechselwirkungen: ähnlich wie bei SSRI

Alpha2-Rezeptor-Antagonisten

  • Wirkstoffe
    • Mirtazapin
    • Mianserin (wird nur noch selten eingesetzt)
  • Siehe Tabelle Alpha2-Rezeptor-Antagonist – Dosierung, Plasmaspiegel, Monitoring.
  • Mirtazapin führt möglicherweise schneller zu einer angstlösenden Wirkung und einer Besserung von Schlafstörungen sowie zu weniger sexuellen Funktionsstörungen als SSRI, scheint aber als Zusatz zu SSRI/SNRI bei therapieresistenter Depression keinen zusätzlichen Nutzen zu haben.14
  • Nebenwirkungen
    • Sedierung: Kann bei Agitiertheit oder Schlafstörungen von Vorteil sein.
    • Benommenheit
    • Gewichtszunahme: Gewichtskontrollen sind notwendig.
    • Mundtrockenheit
    • Orthostase
    • Ödeme
    • Agranulozytose unter Mianserin
    • Leberfunktionsstörungen
    • dosisabhängige QT-Zeit-Verlängerung: EKG-Kontrollen sind notwendig.
  • Wechselwirkungen
    • Verstärkung der zentral dämpfenden Wirkung anderer Arzneimittel (z. B. Benzodiazepine) oder von Alkohol
    • keine gleichzeitige Therapie mit MAO-Inhibitoren, Sibutramin, Triptanen!
    • Wirkungsverminderung durch Enzyminduktoren, z. B.:
      • Carbamazepin
      • Phenytoin
      • Rifampicin.
    • Wirkungsverstärkung durch Enzyminhibitoren, z. B.:
      • HIV-Proteasehemmer
      • Azol-Antimykotika
      • Erythromycin
      • Clarithromycin.
  • Kontraindikationen
    • schwere Leber- oder Niereninsuffizienz
    • kardiale Erkrankungen

Antidepressiva mit anderen Wirkmechanismen

  • Monoaminoxidase(MAO)-Inhibitoren
    • Wirkstoffe
      • Moclobemid
      • Tranylcypromin
    • Siehe Tabelle MAO-Inhibitoren – Dosierung, Plasmaspiegel, Monitoring.
    • Wechselwirkungen
      • Wegen der Gefahr des Serotonin-Syndroms, keine Kombination mit serotonergen Substanzen (Näheres auch im Abschnitt SSRI).
    • Die Wirkung direkter und indirekter Sympathikomimetika kann verstärkt werden.
    • Um potenziell lebensbedrohliche Blutdruckkrisen zu verhindern, sind unter Tranylcypromin tyraminhaltige Nahrungsmittel streng zu meiden, z. B.:
      • lange gereifter Käse
      • Sauerkraut
      • Bananen
      • Hefeextrakte.
  • Trazodon
    • Trazodon ist ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und 5-HT2-Rezeptorantagonist. Er verstärkt somit die 5-HT1A-vermittelte serotonerge Neurotransmission.
    • Cave!
      • Schwindel
      • Blutdruckabfall
        • verstärkt durch Phenothiazine, z. B. Chlorpromazin, Fluphenazin, Levomepromazin, Perphenazin
      • Herzrhythmusstörungen
  • Bupropion
    • Bupropion ist ein selektiver Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Inhibitor.
    • Cave!
      • Dosisabhängig besteht bei Bupropion das Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung. EKG-Kontrollen sind angeraten.
      • Schwindel
      • erhöhter arterieller Blutdruck
      • epileptische Anfälle
    • Wechselwirkungen
      • Nicht mit MAO-Hemmern kombinieren!
      • Nicht mit anderen bupropionhaltigen Medikamenten (z. B. zur Raucherentwöhnung) kombinieren.
      • Bupropion kann die Plasmaspiegel verschiedener Arzneistoffe erhöhen, z. B.:
      • Imipramin
      • Risperidon
      • Thioridazin
      • Metoprolol
      • Propafenon
      • Flecainid.
    • Kontraindikationen
  • Agomelatin
    • Agomelatin ist ein melatonerger Agonist (MT1- und MT2-Rezeptoren) und ein 5-HT2C-Antagonist.
    • Cave!
      • Schwindel
      • Leberfunktionsstörungen
        • bei allen Patient*innen Leberfunktionstests vor Beginn der Behandlung sowie nach etwa 3, 6, 12 und 24 Wochen
        • nach Dosiserhöhung erneute Transaminasen-Kontrollen in derselben Häufigkeit
        • Bei einem Transaminasenanstieg über das Dreifache des oberen Normbereichs sollte Agomelatin abgesetzt werden.
    • Wechselwirkungen
      • CYP1A2-Inhibitoren hemmen den Abbau von Agomelatin.
      • Agomelatin sollte nicht mit starken CYP1A2-Inhibitoren kombiniert werden, z. B.:
        • Fluvoxamin
        • Ciprofloxacin.
      • Bei gleichzeitiger Anwendung von Agomelatin mit mäßigen CYP1A2-Inhibitoren ist Vorsicht geboten, da dies zu einer erhöhten Agomelatin-Exposition führen könnte. Mäßige CYP1A2-Inhibitoren sind z. B.:
        • Propranolol
        • Grepafloxacin
        • Enoxacin
        • Östrogene.
    • Kontraindikationen
      • eingeschränkte Leberfunktion
      • um mehr als das Dreifache des oberen Normbereichs erhöhte Transaminasewerte
      • Demenz

Johanniskraut (Hypericum perforatum)

  • Unsicherheit bezüglich des Wirkmechanismus und des verantwortlichen Wirkstoffes
  • Dosierung
    • unsicher wegen schwankender Wirkstoffkonzentrationen der pflanzlichen Zubereitung
    • Angeboten werden 500–1.000 mg Trockenextrakt.
  • Scheint bei leichter und mittelgradiger depressiver Symptomatik wirksam und gut verträglich zu sein.
  • Für schwere oder chronisch verlaufende Depressionen sind keine Effekte belegt.
  • Nebenwirkungen
    • Hautreaktionen
      • allergische
      • Phototoxische: Werden zwar oft als Nebenwirkung angeführt, es existieren jedoch nur vereinzelte Berichte dazu.
    • gastrointestinale Beschwerden
    • Müdigkeit
    • Unruhe
  • Wechselwirkungen
    • Johanniskraut induziert verschiedene CYP-Isoenzyme. Dadurch kann es zur Wirkungsbeeinträchtigung von Medikamenten kommen. Beim Absetzen kann eine erhöhte Toxizität zahlreicher Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite hervorgerufen werden.
    • Beispiele für Medikamente, bei denen es zu pharmakokinetischen Interaktionen mit Johanniskraut kommen kann:
      • Ciclosporin
      • Tacrolimus
      • Digoxin
      • Theophyllin
      • Antidepressiva, wie Amitriptylin, Nortriptylin, Paroxetin, Sertralin
      • orale Antikoagulanzien wie Phenprocoumon
      • Antikonvulsiva, wie Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital
      • Anti-HIV-Medikamente: Proteaseinhibitoren, z. B. Indinavir, evtl. auch Efavirenz und Nevirapin
      • orale Kontrazeptiva
      • Alprazolam.
    • Serotonin-Syndrom bei Kombination mit SSRI
  • Nachteile gegenüber synthetischen Antidepressiva
    • Unsicherheiten über die richtige Dosierung
    • variable Zusammensetzung der Extrakte
    • mögliche schwere Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Absetzsyndrom

  • Ein abruptes Absetzen oder vergessene Einnahmen können zu Parästhesien, „elektrischen Schlägen“, Schwindel, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Übelkeit und Reizbarkeit führen.
  • Absetzsymptome wurden unter TZA, Monoaminoxidase-Hemmern (MAO-Hemmer) und SSRI berichtet.
  • Um Absetzsyndrome oder Rezidive zu vermeiden, ist eine schrittweise Verringerung der Dosis über einen Zeitraum von 4 Wochen zu empfehlen.15

Übergang in eine manische Episode

  • In seltenen Fällen kann es bei depressiven Patient*innen im Rahmen der Therapie mit Antidepressiva zu einem Umschlagen in eine manische Episode kommen. In diesem Fall werden die Antidepressiva abgesetzt und die Manie behandelt. Es sollten Ärzt*innen für Psychiatrie konsultiert werden.
  • Informationen zur medikamentösen Therapie finden Sie im Artikel Bipolare affektive Störungen.

Weitere Medikamente

  • Benzodiazepine
    • Haben praktisch keine antidepressive Wirkung und sind für die Behandlung der Depression nicht zugelassen.
    • Sollten wegen ihres Abhängigkeitspotenzials nicht länger als 2 Wochen gegeben werden.
    • Risiken
      • Sedierung
      • psychomotorische und kognitive Beeinträchtigung
      • Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
      • Abhängigkeitspotenzial
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
    • ggf. bei Patient*innen mit wahnhafter Depression
    • Bei suizidgefährdeten Patient*innen mit Merkmalen einer psychotischen Depression
    • Bewirken eine Besserung von Wahn und Halluzinationen sowie eine Angstlösung, Dämpfung von Unruhe und Verbesserung von Schlafstörungen.
    • Ggf. als Augmentation bei Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen (im Rahmen einer fachärztlich psychiatrischen Behandlung).
  • Lithium16-17
    • zur Rezidivprophylaxe bei suizidgefährdeten Patient*innen
    • Ggf. als Augmentation bei Patient*innen, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen (im Rahmen einer fachärztlich psychiatrischen Behandlung).
    • Initial und im Verlauf der Behandlung zu kontrollieren:

Psychotherapie

  • Grundlage jeder psychotherapeutischen Intervention sollte die Entwicklung und die Aufrechterhaltung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung sein, deren Qualität in der Regel zum Behandlungserfolg beiträgt.

Wirksamkeitsbelege

  • Eine große Zahl von Studien belegt die Wirksamkeit depressionsspezifischer psychotherapeutischer Verfahren, wobei jedoch die Effektivität mit Schweregrad, Chronizität und Symptomausgestaltung der Depression variiert.
  • Die Studien zur alleinigen Behandlung mit Psychotherapie wurden vorwiegend im ambulanten Rahmen bei nicht psychotischen und nicht suizidalen Patient*innen durchgeführt.
  • Der Effekt von Psychotherapie scheint zu einem beträchtlichen Teil auf nicht für das jeweilige Psychotherapieverfahren spezifischen Faktoren – wie z. B. der therapeutischen Beziehung – zu beruhen.

Psychotherapeutische Basisbehandlung depressiver Störungen

  • Intensiviertes Gesprächsangebot im Rahmen der ambulanten Behandlung, in der Hausarztpraxis etwa im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung oder der fachgebundenen Psychotherapie
  • Aktiv, flexibel und stützend vorgehen, ermutigen und Hoffnung vermitteln.
  • Empathisch Kontakt aufnehmen, eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen.
  • Subjektives Krankheitsmodell der Patient*innen explorieren, ihre aktuellen Motivationen und Therapieerwartungen klären.
  • Verständnis für die Symptome, ihre Behandelbarkeit und Prognose sowie ein „biopsychosoziales Krankheitsmodell“ vermitteln, um die Patient*innen von Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen und Versagensgefühlen zu entlasten.
  • Aktuelle äußere Problemsituationen klären, von überfordernden Pflichten und Ansprüchen am Arbeitsplatz und in der familiären Situation entlasten.
  • Depressionsbedingte Wünsche nach überstürzter Veränderung der Lebenssituation verhindern, die Patient*innen dabei unterstützen, konkrete, realistische Ziele zum Wiedergewinnen von Erfolgserlebnissen zu formulieren und zu erreichen (positive Verstärker).
  • Einsicht in die individuelle Notwendigkeit adäquater Therapien erreichen, z. B. Antidepressiva, Richtlinien-Psychotherapie.
  • Angehörige einbeziehen, Ressourcen stärken.
  • Suizidgedanken und -impulse ansprechen, Krisenmanagement erarbeiten.

Weitere Therapien

Allgemeines

  • Durch körperliches Training lässt sich bei leichten und mittelgradigen Depressionen eine mäßig starke Wirkung erzielen.8
    • Laut einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) ist die Bewegungstherapie (Verhaltensaktivierung) genauso wirksam wie die kognitive Verhaltenstherapie. Die Bewegungstherapie ist aber kosteneffektiver.18
  • Kurse zur Depressionsbewältigung (Psychoedukation)
    • Psychoedukative Angebote für Betroffene und Angehörige sollen zur Verbesserung des Informationsstands, der Akzeptanz und der Patientenmitarbeit im Rahmen einer Gesamtbehandlungsstrategie als sinnvolle Ergänzung angeboten werden.
  • Entspannungs- und Mindfulness-Übungen
    • Hinweise auf Wirksamkeit existieren, bedürfen aber der Überprüfung in geeigneten Studien.
    • Viele asiatische Meditationstechniken dienen dazu, eine entspannte, wache und nicht bewertende Haltung zu entwickeln. Dafür steht der komplexe Sanskrit-Begriff „Sati“, der sehr vereinfachend ins Englische meist als „Mindfulness“, ins Deutsche als „Achtsamkeit“ übersetzt wird. Entsprechende Übungen sind fester Bestandteil einiger Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie, z. B. der Mindfulness Based Cognitive Therapy (achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie).
    • Tai Chi oder Qigong scheinen ebenfalls positive Effekte auf depressive Symptome aufzuweisen. Sie kombinieren körperliche Aktivität mit Elementen aus Meditation und Entspannungsverfahren.19-20

Wachtherapie (Schlafentzugstherapie)

  • Sollte im Gespräch mit der betroffenen Person erwogen werden.
    • Partieller Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte bzw. vollständiger Schlafentzug ist die einzige antidepressive Intervention mit ausgeprägten und sichtbar positiven Wirkungen noch am gleichen Tag.
    • Eine Schlafdeprivation, bei der Patient*innen für bis zu 40 Stunden wach gehalten werden, kann depressive Symptome nachweislich bessern.
    • Bei etwa 60 % der Patient*innen kommt es zu einer kurzfristigen Besserung der depressiven Symptomatik.
    • Besonders Patient*innen, die eine innerhalb eines Tages oder von Tag zu Tag variierende Stimmung aufweisen, profitieren von dieser Behandlungsmethode.
    • Die Therapie ist leicht durchzuführen und hat kaum Nebenwirkungen.
    • Als zusätzlicher Nutzen der Therapie kann eine Verbesserung des Schlafs und eine Stabilisierung des Tagesrhythmus erzielt werden.
    • Der antidepressive Effekt ist jedoch gewöhnlich nicht anhaltend, sodass die meisten Patient*innen sogar nach einer Nacht des Schlafens wieder einen Rückfall erleiden.
    • Bis zu 15 % der Patient*innen zeigen jedoch eine anhaltende Response nach völligem Schlafentzug.
    • Üblicherweise führt man einen partiellen Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte einmal wöchentlich unter stationären Bedingungen durch, bis eine deutliche Remission eingetreten ist.
    • Eine weitere Strategie, den antidepressiven Effekt zu verstetigen, besteht in einer Kombination aus Schlafentzug und anderen Formen der Behandlung, z. B. Antidepressiva, Lithium oder Lichttherapie.

Lichttherapie

  • Bei Depressionen mit saisonalem Muster anbieten, ggf. auch Therapieversuch bei Depressionen ohne saisonales Muster
  • Mit Lichttherapie behandelte Patient*innen, die auf diese Therapieform ansprechen, können die Lichttherapie den gesamten Winter über fortsetzen.
    • Die Therapie besteht in der Anwendung von 10.000 Lux mindestens 30 Minuten täglich über 2–4 Wochen.
    • In der Regel findet die Therapie am Morgen statt. Besonders bei Betroffenen, die dazu neigen, morgens lang zu schlafen, ist das ratsam.
    • Kann mit einer medikamentösen Therapie und Psychotherapie kombiniert werden.
  • Wirksamkeit21
    • Die bisherigen kontrollierten Studien sprechen für die Wirksamkeit der Methode, sind wegen methodischer Schwachstellen allerdings in ihrer Aussagekraft begrenzt.
    • 60–90 % der Patient*innen sprechen innerhalb von 2–3 Wochen auf die Therapie an.
    • Die meisten Patient*innen zeigen eine rasche Wiederkehr der depressiven Symptome nach dem Absetzen der Lichttherapie.
    • Bei nichtsaisonal abhängigen depressiven Störungen zeigte die Lichttherapie eine zwar bescheidene, aber nachweisbare Wirksamkeit.
  • Verträglichkeit und Sicherheit
    • Es existieren keine Kontraindikationen für Lichttherapie oder Hinweise darauf, dass sie mit Augen- oder Retinaschäden assoziiert wäre. Jedoch sollten Patient*innen mit Risikofaktoren für die Augen vor der Behandlung augenärztlich untersucht werden.
    • Die häufigsten Nebenwirkungen einer Lichttherapie in klinischen Studien sind:
      • überanstrengte Augen
      • Sehstörungen
      • Kopfschmerzen
      • Agititiertheit
      • Übelkeit
      • Sedierung
      • sehr selten: hypomanische oder manische Symptome.
    • Diese Nebenwirkungen treten nur vorübergehend auf und sind meist nur mild ausgeprägt; sie nehmen mit der Zeit ganz ab oder verringern sich mit der Abnahme der Lichtdosis.
    • Bei einer Kombinationsbehandlung sollten mögliche photosensibilisierende Wirkungen von Phenothiazinneuroleptika (z. B. Perazin), TZA, Lithium und Johanniskraut berücksichtigt werden.

Elektrokonvulsive Therapie (EKT)

  • Therapieprinzip
    • Über Oberflächenelektroden an der Kopfhaut wird mit einer Folge rechteckförmiger Stromimpulse ein generalisierter Krampfanfall ausgelöst, der infolge der medikamentösen Relaxierung äußerlich kaum in Erscheinung tritt und nach 30–90 Sekunden selbständig sistiert.
    • Die Behandlung erfolgt unter Allgemeinanästhesie.
  • Indikationen
    • Die EKT wird heute bei Patient*innen mit schweren und therapieresistenten Depressionen angewendet.
    • Die EKT kann lebensrettend sein, wenn eine schnelle Wirkung erforderlich ist, etwa bei schwerer Suizidalität.
  • Wirksamkeit
    • In Metaanalysen randomisiert kontrollierter Studien erwies sich die EKT im Vergleich zu Placebo-EKT, MAO-Hemmern und TZA als signifikant wirksamer.
    • Die maximale Ansprechrate liegt bei 60–80 % und wird nach 2–4 Wochen erzielt.
    • Bei Patient*innen mit psychotischen Symptomen liegt die Ansprechraterate bei etwa 90 % innerhalb von 2 Wochen.
    • Es gibt Hinweise, dass das Suizidrisiko durch EKT rasch reduziert wird.
  • Die Ansprechrate unter EKT gilt als besser, wenn es Hinweise darauf gibt, dass biologische Aspekte der Erkrankung überwiegen.22
    • hohe Erkrankungsraten innerhalb der Familie
    • gut abgrenzbare depressive Phasen
    • melancholische Merkmale (schwere Niedergeschlagenheit, Verlust der emotionalen Schwingungsfähigkeit, Betroffene berichten, dass sie nichts mehr fühlen können)
  • Ältere Patient*innen profitieren von einer EKT-Behandlung deutlicher als jüngere.23
    • Vorsicht bei hirnorganisch vorgeschädigten Patient*innen: erhöhtes Risiko für eine Verstärkung kognitiver Defizite!
    • Weiteres im Artikel Depression im Alter.
  • Sicherheit
    • Die Gesamtmortalität lag in einer texanischen Fallserie mit 166.711 EKT-Behandlungen in den Jahren 1998 bis 2013 bei 2,4 von 100.000 für den Tag der Behandlung und bei 18 von 100.000 Behandlungen für die 14 Tage danach. Dabei sind auch Todesfälle berücksichtigt, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der EKT standen, etwa Suizide oder Unfälle.24
    • relative Kontraindikationen, z. B.:
    • Besonders sorgfältige Abklärung und Vorsichtsmaßnahmen bei speziellen Konstellationen, z. B.:
    • mögliche Komplikationen
      • Herzrhythmusstörungen
      • Blutdruckdysregulationen
      • prolongierte epileptische Anfälle
  • Nebenwirkungen
    • Kopfschmerzen
    • Schwindel
    • Muskelkater
    • selten: hypomanische Symptome
    • Nach der Behandlung treten nicht selten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen auf.
      • Unter EKT ließen sich in einer Vielzahl von Untersuchungen keine strukturellen Hirnschäden darstellen.

Depressionen bei Patient*innen mit körperlichen Erkrankungen

  • Sowohl pharmakologische als auch psychotherapeutische Interventionen scheinen depressive Symptome bei einer Reihe somatischer Erkrankungen wirksam zu reduzieren.

Koronare Herzkrankheit (KHK)

  • Bei KHK und komorbider depressiver Störung soll eine Psychotherapie angeboten werden.
  • Bei KHK und komorbider mittelgradiger bis schwerer depressiver Störung soll eine Pharmakotherapie vorzugsweise mit SSRI angeboten werden.
  • Bei KHK und komorbider depressiver Störung sollen TZA wegen ihrer kardialen Nebenwirkungen nicht verordnet werden.

Schlaganfall

  • Patient*innen mit einer Depression nach Schlaganfall sollte eine antidepressive Pharmakotherapie mit nicht-anticholinergen Substanzen angeboten werden. Empirische Hinweise auf Wirksamkeit und Verträglichkeit liegen für die SSRI Fluoxetin und Citalopram vor.
  • Patient*innen mit einem akuten ischämischen oder hämorrhagischen Infarkt ohne aktuelle Diagnose einer depressiven Episode sollten keine regelhafte antidepressive Prophylaxe erhalten, allerdings ein regelmäßiges Monitoring auf depressive Syndrome zum Zweck der Reevaluation.

Tumorerkrankungen

  • Bei einer Komorbidität von depressiver Störung und Tumorerkrankung sollte eine Psychotherapie angeboten werden.
  • Bei einer Komorbidität von mittelgradiger bis schwerer depressiver Störung und Tumorerkrankung kann eine Pharmakotherapie mit einem Antidepressivum, insbesondere einem SSRI angeboten werden.

Diabetes mellitus

  • Bei einer Komorbidität von Diabetes mellitus und depressiver Störung soll eine Psychotherapie zur Verringerung der Depressivität und zur Verbesserung des allgemeinen Funktionsniveaus angeboten werden.
  • Bei der Pharmakotherapie der Depression bei Diabetes mellitus sollten substanzspezifische Effekte auf den Diabetes beachtet werden, z. B. der reduzierte Insulinbedarf bei SSRI sowie eine Gewichtszunahme unter Mirtazapin, Mianserin und sedierenden TZA.
  • Wenn bei einer Komorbidität von Diabetes mellitus und depressiver Störung eine Pharmakotherapie vorgesehen ist, sollen SSRI angeboten werden.
  • Bei einer Komorbidität von Diabetes mellitus mit diabetischer sensomotorischer schmerzhafter Neuropathie und depressiver Störung kann eine Pharmakotherapie mit einem TZA oder Duloxetin angeboten werden, da diese auch analgetische Wirkung haben. Allerdings können mit TZA eine Gewichtszunahme und eine Verschlechterung der glykämischen Kontrolle verbunden sein.

Chronische Schmerzerkrankungen

  • Eine Psychotherapie kann Patient*innen mit einer Komorbidität von depressiver Störung und chronischem Schmerz zur Reduzierung der depressiven Symptome angeboten werden.
  • Wenn eine Pharmakotherapie der Depression bei Komorbidität mit einer chronischen Schmerzerkrankung begonnen wird, sollten bevorzugt TZA aufgrund ihrer analgetischen Eigenschaften angeboten werden:
    • Amitriptylin
    • Imipramin
    • Clomipramin.

Demenz

  • Keine anticholinergen Antidepressiva, wegen
    • möglicher Induktion eines Delirs
    • weiterer Verschlechterung der kognitiven Funktionen.

Parkinson-Krankheit

  • Eine Psychotherapie bei depressiver Episode und komorbider Parkinson-Erkrankung kann als Therapieversuch angeboten werden. Empirische Belege liegen insbesondere für Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie vor.
  • Die Studienlage kann derzeit keine Empfehlung in Richtung einer antidepressiven Pharmakotherapie bei komorbider Depression und Morbus Parkinson stützen. Auch kann keine antidepressive pharmakologische Substanzgruppe in Bezug auf mögliche antidepressive Effekte bevorzugt empfohlen werden.

Prävention

  • Bei mindestens der Hälfte der Patient*innen mit Depressionen treten im Laufe des Lebens mehrere Depressionsepisoden auf.
    • Nur wenige Patient*innen werden angemessen behandelt.
    • In der Folge kommt es zu zahlreichen Suizidversuchen, Suiziden, wiederholten stationären Aufnahmen und häufig zur Berufsunfähigkeit.
  • Es ist wichtig, frühe Anzeichen eines Rezidivs zu erkennen.
  • Es gibt gute Belege dafür, dass körperliche Aktivität – selbst in geringem Umfang – Depressionen vorbeugen kann.25

Psychotherapie

  • Diese kann bei Patient*innen mit rezidivierenden Depressionen nachweislich zur Prävention erneuter Episoden beitragen.
  • In der Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe ist die Wirksamkeit interpersoneller Psychotherapie und kognitiver Verhaltenstherapie einschließlich mindfulnessbasierter Varianten am besten belegt.
  • Zur Stabilisierung des Therapieerfolgs sowie zur Senkung des Rückfallrisikos soll im Anschluss an eine Akutbehandlung eine angemessene psychotherapeutische Nachbehandlung (Erhaltungstherapie) angeboten werden.
  • Längerfristige stabilisierende Psychotherapie (Rezidivprophylaxe) soll Patient*innen mit einem erhöhten Risiko für ein Rezidiv angeboten werden.

Medikamentöse Rezidivprophylaxe

  • Siehe auch oben Pharmakotherapie der unipolaren Depression.
  • Eine medikamentöse Prophylaxe ist bei rezidivierenden und bei chronischen Depressionen indiziert (diese machen 10 % der Patient*innen mit Depression aus).
  • Bei Patient*innen, die bereits früher auf eine akute antidepressive Therapie angesprochen haben, lässt sich durch eine Fortsetzung der Therapie mit dem Antidepressivum das Rezidivrisiko unabhängig von der Dauer der Therapie senken.
  • Zur medikamentösen Rezidivprophylaxe kommen die bereits in der Akuttherapie und Erhaltungstherapie wirksamen Antidepressiva und Dosierungen infrage.
  • Studien zeigen, dass die Beibehaltung der in der Akuttherapie wirksamen Dosierung mit einem rezidivprophylaktischen Effekt verbunden ist, während es umgekehrt für eine Dosisreduzierung keine empirischen Nachweise gibt.
  • Vitamin D?
    • Eine Studie deutet auf einen Zusammenhang zwischen einem Vitamin-D-Mangel und Depressionen bei jüngeren Frauen hin, dies ist jedoch nicht gut belegt.26

Auf Gruppen- und Gesellschaftsebene

  • Psychosoziale Interventionen im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans sind wirksam.27 Dazu kann z. B. Folgendes zählen:
    • Bemühungen, soziale Ungleichheiten zu reduzieren und die Integration Benachteiligter in die Gesellschaft zu verbessern.
    • präventive Maßnahmen in Bezug auf das Arbeits-, Schul- und persönliche Umfeld
    • Selbsthilfegruppen für Menschen, die belastende Ereignisse erlebt haben.
    • Gruppenaktivitäten, um Einsamkeit entgegenzuwirken, etwa bei älteren Menschen oder Migrant*innen.
    • Das Risiko einer postpartalen Depression kann durch eine Psychotherapie in der späten Phase der Schwangerschaft oder innerhalb von 6 Wochen nach der Entbindung oder auch durch unterstützende psychosoziale Maßnahmen wie Hausbesuche gesenkt werden. Die Wirksamkeit von Psychotherapie ist für die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Psychotherapie am besten belegt.28-29
  • Die Planung, Koordination und Vermittlung von Hilfsangeboten sowie die Durchführung von Basisinterventionen kann in der Hausarztpraxis erfolgen, etwa im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Unbehandelt dauert eine Episode einer schweren Depression in der Regel 6 Monate bis 2 Jahre.
  • Erneute Episoden werden häufig durch psychische Traumata, den Verlust eines geliebten Menschen, Unfälle oder eine körperliche Erkrankung ausgelöst.
  • Bei 75–85 % der Patient*innen treten rezidivierende depressive Episoden auf. Bei 10–30 % kommt es nach einer depressiven Phase nicht zu einer vollständigen Besserung, sodass eine chronische Depression oder Dysthymie eintritt.

Komplikationen

Prognose

  • Die Prognose im Hinblick auf die einzelne depressive Episode ist in der Regel gut, bei mehr als der Hälfte der Patient*innen kommt es im weiteren Verlauf des Lebens jedoch zu erneuten depressiven Episoden.
  • Je schwerer die Depression, desto schlechter ist die Prognose.
  • Die Prognose ist bei älteren Patient*innen mit rezidivierenden oder chronischen Depressionen besonders ungünstig.
  • Bei einzelnen Episoden ist bei leitliniengerechter Behandlung davon auszugehen, dass bei 60–80 % der Betroffenen innerhalb von 6 Wochen der Therapie eine deutliche Besserung der Symptome eintritt.
  • Komorbidität
    • Bei Patient*innen mit Diabetes, Epilepsie oder einer ischämischen Herzkrankheit, die gleichzeitig an einer Depression leiden, ist die Prognose ungünstiger als bei Patient*innen ohne Depression.
    • Bei depressiven Patient*innen besteht eine erhöhte Sterblichkeit infolge von Suizid, Unfällen, Herzkrankheiten, Atemwegserkrankungen und Schlaganfällen.

Verlaufskontrolle

Allgemeines

  • Patient*innen mit Depression können in der Regel hausärztlich betreut werden, etwa im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung.
  • Durch regelmäßige Verlaufskontrollen kann rechtzeitig auf auftretende Probleme reagiert werden, z. B. mit:
    • Dosisanpassung oder Wechsel der Medikation
    • Neuentscheidung über die Aufnahme einer Psychotherapie
    • einer erneuten methodenselektiven Indikationsstellung im Rahmen einer begonnenen Psychotherapie.
  • Fragebögen zur standardisierten Verlaufskontrolle können hilfreich sein.
  • Zu allen Monitoringparametern Referenzbefund vor Therapiebeginn erheben!

Verlaufsparameter

  • Ansprechen auf die Behandlung?
  • Therapietreue?
  • Werden die Therapieziele zunehmend erreicht?
  • Motivation der behandelten Person zur Fortführung der Behandlung?
  • Komplikationen?
  • Psychosoziale Situation und Teilhabebedarf?
  • Suizidalität?
  • Nebenwirkungen?

Kontrolle der medikamentösen Therapie

Kontrollintervalle

  • Im ersten Behandlungsmonat wöchentlich
  • Spätestens nach 4 Wochen: genaue Wirkungsprüfung und ggf. Wechsel oder Ergänzung der Behandlungsstrategie
  • Im 2. und 3. Monat alle 2–4 Wochen
  • Danach längere Intervalle

Unter trizyklischen Antidepressiva (TZA)

  • Laboruntersuchungen
  • EKG
    • vor Behandlungsbeginn und nach 1 Monat, danach halbjährlich
  • Blutdruck, Puls
    • im ersten Vierteljahr monatlich, danach vierteljährlich
  • Körpergewicht
    • vierteljährlich

Unter anderen Antidepressiva

  • Laboruntersuchungen
  • EKG
    • vor Behandlungsbeginn und nach 1 Monat
    • nur notwendig bei:
      • Citalopram, Escitalopram oder Venlafaxin – oder –
      • Herz-Kreislauf-Erkrankungen – oder –
      • erhöhtem kardiovaskulärem Risiko.
  • Blutdruck, Puls
    • Monate 1 und 6 sowie nach allen Dosisänderungen
    • unter SNRI in hoher Dosierung häufiger (in seltenen Fällen anhaltend erhöhte Werte)
  • Körpergewicht
    • vierteljährlich
    • häufigere Kontrollen unter Mianserin oder Mirtazapin
    • bei langfristig gleichbleibendem Gewicht seltenere Kontrollen ggf. ausreichend

Plasmaspiegelkontrollen

  • Indiziert bei:
    • Behandlung mit der Maximaldosis
    • Verträglichkeitsproblemen
    • multimedizierten oder komorbiden Patient*innen
    • Symptomverschlechterung bei dosisstabiler Medikation
    • Nichtansprechen
    • Verdacht auf mangelnde Mitarbeit der Patient*innen
    • Behandlung mit Lithium
  • Nicht für alle Antidepressiva sind Plasmaspiegelkontrollen als Laborleistung verfügbar.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

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Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg

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