Was ist das Antidepressiva-Absetzsyndrom?
Definition
Bei einem Abbruch der Behandlung mit Antidepressiva oder einer zu schnellen Dosisreduktion kann es meist innerhalb von 1 Woche zum sog. Absetzsyndrom kommen. Die Symptome können denen einer Erkältung ähneln und zudem Schlafstörungen, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Reizempfindlichkeit beinhalten.
Symptome
Es gibt zahlreiche und sehr unterschiedliche Symptome. Manche Symptome, die im Zusammenhang mit (dem Absetzen von) Antidepressiva auftreten, können auch Ausdruck der behandelten Erkrankung (z. B. Depression) sein. Die häufigsten Symptome eines Absetzsyndroms sind z. B.:
- Schwindel/ Benommenheit
- Gleichgewichtsstörungen
- Abgeschlagenheit
- Kopfschmerzen
- Übelkeit, Erbrechen
- Schlaflosigkeit
- Reizbarkeit.
Absetzsymptome mit Ähnlichkeit zu depressiven Symptomen
- Aggression
- Angst
- Appetitlosigkeit
- Bauchschmerzen
- Benommenheit
- Erschöpfung
- Gedrückte Stimmung
- Innere Anspannung
- Kopfschmerzen
- Müdigkeit
- Rasche Stimmungsschwankungen
- Schlafstörungen
- Schwäche
- Schwitzen
- Unruhe
- Weinanfälle
- Zunahme von Suizidgedanken
Absetzsymptome ohne Ähnlichkeit zu depressiven Symptomen
- Gangunsicherheit und Gleichgewichtsstörungen
- Gefühlsstörungen, die sich z. B. wie elektrische Schläge anfühlen.
- Muskelschmerzen
- Tinnitus
- Geschmacksveränderungen
- Optische oder akustische Halluzinationen
- Verschwommenes Sehen
- Juckreiz
- (Muskel-)Zittern
- Verwirrtheit und Gedächtnisstörungen
Häufigkeit
Wie oft das Absetzsyndrom vorkommt, ist nicht ausreichend belegt. Die Häufigkeit schwankt in verschiedenen Studien zwischen 1 % und 86 %.
Ursachen
Die Ursache des Absetzsyndroms ist nicht mit Sicherheit geklärt, es scheint aber einen Zusammenhang mit der Behandlungsdauer und der Art des verwendeten Antidepressivums zu geben:
- Bei einer Einnahmedauer von mehr als 4 Wochen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Absetzsyndrom auftritt, umgekehrt scheint aber eine besonders lange Einnahmedauer (über Jahre) nicht das Risiko für ein Absetzsyndrom zu erhöhen.
- Vor allem Antidepressiva, die sehr kurz wirken, scheinen das Risiko für ein Absetzsyndrom zu steigern.
Untersuchungen
Wenn Sie Antidepressiva einnehmen oder bis vor Kurzem eingenommen haben, kann die Diagnose nach einem ausführlichen Gespräch mit Ihnen gestellt werden, in dem die o. g. Symptome abgefragt werden. Außerdem können sich die Fragen der Ärzt*innen auf folgende Sachverhalte beziehen:
- Wurde die Einnahme ein- oder mehrmalig vergessen?
- Wurde die Dosis des verordneten Antidepressivums reduziert (durch behandelnde Ärzt*innen oder eigenmächtig)?
- Wurde versucht, das Medikament komplett abzusetzen (in Absprache mit den Ärzt*innen oder von Ihnen selbst)?
Das Absetzsyndrom tritt normalerweise innerhalb von etwa 2–4 Tagen nach dem Abbruch oder dem zu raschen Absetzen der Behandlung mit Antidepressiva auf. Entsprechende Phänomene können sich aber bereits innerhalb weniger Stunden nach Wegfall der ersten Dosis zeigen.
Behandlung
In den meisten Fällen kommt es zu leichten Symptomen, die keine Behandlung erfordern. Wichtig ist eine ausführliche Aufklärung und Information über den Verlauf eines Absetzsyndroms.
Aufklärung und Information
Personen, die an einer Depression erkrankt sind, haben häufig den Wunsch, ihre Medikamente abzusetzen, sobald sie sich besser fühlen. Dies kann jedoch, wenn es ohne ärztliche Begleitung erfolgt, zu einem frühen Rückfall in die Depression und/ oder dem Absetzsyndrom führen. Daher sollten behandelnde Ärzt*innen zu Beginn einer Therapie mit Antidepressiva darauf hinweisen, die Medikamente nicht zu früh abzusetzen. Es wird empfohlen, die Symptome so lange zu behandeln, bis es zu einer deutlichen Besserung kommt und mindestens noch ein halbes Jahr bis Jahr darüber hinaus.
Wichtig ist dabei, die Medikamente in regelmäßigen, am besten gleichbleibenden, Abständen einzunehmen, denn selten können die Beschwerden bereits nach einer vergessenen Tablette auftreten. Das Ausschleichen von Antidepressiva sollte daher durch die schrittweise Dosisreduktion des Medikaments nach Angaben und Begleitung von Ärzt*innen beendet werden.
Abschluss der Therapie
Spezialist*innen empfehlen die schrittweise Reduzierung der Dosis über etwa 4 Wochen, um das Risiko für Beschwerden zu verringern.
Es ist möglich, niedrige Dosierungen schneller zu senken, während das Absetzen bei einer Langzeitbehandlung über einen längeren Zeitraum (mindestens 3 Monate) erfolgen sollte.
Medikamentöse Therapie
Tritt das Syndrom auf und können andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, die zu den Symptomen führen, sollten betroffene Personen darüber informiert werden, dass es sich in der Regel um einen vorübergehenden und nicht gefährlichen oder lebensbedrohlichen Zustand handelt, der 1 bis 2 Wochen anhalten kann. Häufig empfehlen Ärzt*innen die Wiederaufnahme der Therapie mit Antidepressiva und anschließend die langsame Herabsetzung der Dosis.
Treten die Beschwerden bei der Dosisreduktion des Antidepressivums auf, sollte in Erwägung gezogen werden, zur ursprünglichen Dosis zurückzukehren und das Medikament langsamer abzusetzen. Kommt es auch bei einer sehr langsamen Reduktion zu Beschwerden, muss eventuell zu einem Medikament mit einer langen Halbwertszeit (z. B. Fluoxetin) gewechselt werden, da dieses auch beim Absetzen noch einige Zeit im Körper verbleibt und so die Symptome eines Absetzsyndroms verhindert.
Prognose
Das Absetzsyndrom tritt meist innerhalb der ersten Woche nach Absetzen auf und bildet sich ohne Behandlung je nach verwendetem Antidepressivum innerhalb von 2 bis 6 Wochen zurück. Es handelt sich überwiegend um mäßige Symptome, die von selbst zurückgehen.
Weitere Informationen
- Depression
- Antidepressiva-Absetzsyndrom – Informationen für ärztliches Personal
Autorin
- Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.
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References
Based on professional document Antidepressiva-Absetzsyndrom. References are shown below.
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