Binge Eating

Was ist Binge Eating?

Definition

Die Binge-Eating-Störung ist durch häufige Essattacken gekennzeichnet, bei denen innerhalb eines begrenzten Zeitraums (z. B. 2 Stunden) große Mengen Lebensmittel verzehrt werden, ohne dass sie, im Gegensatz zur Bulimie, wieder erbrochen werden. Während der Essattacke haben betroffene Personen das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, das heißt, sie können nicht mehr aufhören zu essen.

Symptome

Typische Symptome der Binge-Eating-Störung können sein:

  • In einem abgegrenzten Zeitraum, z. B. innerhalb eines zweistündigen Zeitabschnitts, wird eine Nahrungsmenge gegessen, die eindeutig größer ist als das, was die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitabschnitt und unter ähnlichen Umständen verzehren würden.
  • Essattacken
    • Mit dem Gefühl, das Essen nicht beenden zu können, oder nicht bestimmen zu können, was und wie viel gegessen wird.
    • mindestens einmal pro Woche innerhalb von mindestens 3 Monaten
  • Sehr schnelles Essen von großen Nahrungsmengen, ohne Hunger zu verspüren.
  • Unangenehmes Völlegefühl nach dem Essen
  • Alleine essen aus Scham vor den Mitmenschen
  • Gefühle von Scham, Schuld und Ekel im Anschluss an die Attacken und dadurch Leidensdruck.

Im Unterschied zum einfachen „Überessen“ sind die Symptome der Binge-Eating-Störung viel schwerer und der Leidensdruck der Betroffenen ist größer.

Folgeerkrankungen

Die häufigste Folge einer Binge-Eating-Störung ist Übergewicht. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruckhohe Blutfettwerte (Hyperlipidämie), Herzerkrankungen, Typ-2-Diabetes, Erkrankungen von Leber und Galle, Sodbrennen und das Schlafapnoe-Syndrom.

Ursachen

Die Essattacken können als ein Versuch angesehen werden, mit Stress und emotionalen Problemen umzugehen. Das Essverhalten selbst, die psychische Motivation für die Essattacken (z. B. Stressbewältigung, Beruhigung), der Kontrollverlust und die Folgen wie Adipositas sorgen für ein Aufrechterhalten bzw. eine Verschlimmerung der Erkrankung. Sehr wenig bekannt sind die Ursachen, die Entstehung der Erkrankung und der Zusammenhang zwischen Essattacken und Übergewicht.

Häufigkeit

In Industrieländern leiden etwa 0,1 % der Erwachsenen an einer Binge-Eating-Störung. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Lebens eine Binge-Eating-Störung zu entwickeln, beträgt ca. 2 %. Männer scheinen ähnlich häufig betroffen zu sein wie Frauen, und die Binge-Eating-Störung ist bei Jungen und Männern häufiger als andere Essstörungen.

Binge Eating kommt in den höheren Altersgruppen (um die 40 Jahre) häufiger vor als andere Essstörungen, und das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 23 Jahren.

Viele Betroffene (50–80 %) leiden gleichzeitig unter anderen psychischen Problemen wie spezifischer Phobie (37 %), sozialer Phobie (32 %) und anderen Angststörungen, Depression (32 %), posttraumatischer Belastungsstörung (26 %), PersönlichkeitsstörungenAlkoholmissbrauch (21 %) und Drogenabhängigkeit.

Untersuchungen

Anamnesespräch

In einem ausführlichen Gespräch können Ihnen Ärzt*innen Fragen zu folgenden Themen stellen:

  • Verlieren Sie die Kontrolle über die Menge bei der Nahrungsaufnahme?
  • Tendieren Sie generell dazu zu große Mengen zu verzehren?
  • Versuchen Sie nach einem Essanfall das Gegessene durch Erbrechen oder durch Abführmittel wieder los zu werden?
  • Haben Sie depressive Verstimmungen oder Unzufriedenheit in Bezug auf Ihr Aussehen bzw. Gewicht?
  • Wie hat sich Ihr Gewicht in der letzten Zeit/in den letzten Jahren verändert?
  • Wie ernähren Sie sich?
  • Wie sind Ihre aktuellen Essgewohnheiten?
  • Wie und wann läuft ein Essanfall ab?
  • Wie oft und wie stark haben sie einen Essanfall und wie sehr leiden Sie darunter?
  • Sind Sie körperlich aktiv?

Spezielle Fragebögen können den Verdacht auf eine Essstörung oder eine gleichzeitig auftretende psychische Störung bestätigen.

 Körperliche Untersuchung

Zusätzlich zu einer ausführlichen körperlich-neurologischen Untersuchung, bei der u. a. Größe, Gewicht, Puls und Blutdruck erfasst werden, können Blutuntersuchungen und ein EKG durchgeführt werden. In begründeten Fällen kann auch eine Ultraschalluntersuchung vom Bauch gemacht werden.

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung werden Ärzt*innen ebenfalls nach Hinweisen auf o. g. mögliche Folgeerkrankungen schauen und bei Bedarf weitere Untersuchungsschritte einleiten.

Überweisung zu Spezialist*innen

Nach Möglichkeit werden betroffene Personen in der Regel zur weiteren Abklärung und Behandlung zu Psychotherapeut*innen überwiesen, im Idealfall arbeiten diese mit entsprechend geschulten Ernährungsberater*innen zusammen.

Behandlung

Ziele der Behandlung sind:

  • Reduktion der Häufigkeit von Essattacken. 
  • Vermeidung oder Reduzierung von Übergewicht.
  • Weitere bestehende psychische Erkrankungen zu vermindern bzw. verhindern.
  • Besorgnis in Bezug auf das eigene Körperbild abbauen.

Psychotherapie

Die Therapie der Wahl zur Behandlung der Binge-Eating-Störung ist eine Psychotherapie.  Die bevorzugte Therapiemethode ist die kognitive Verhaltenstherapie, die sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie stattfinden kann. Die Behandlung führt bei ca. 50–70 % der Patient*innen zu einem guten Erfolg, der mindestens zwei Jahre bestehen bleibt. Angeleitete Selbsthilfe nach Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie kann als vereinfachte Therapieform etwa gleich gute Ergebnisse erzielen. Kindern und Jugendlichen wird eine Psychotherapie unter Einbeziehung der Eltern empfohlen.

Gewichtsreduktion

Bei vorliegendem Übergewicht stehen zur Gewichtsreduktion spezielle Programme als Kombination aus Ernährungsberatung, Anleitung zu Bewegung und Verhaltensänderung zur Verfügung, für diese sind gute Erfolge nachgewiesen.

Medikamente

Aktuell sind keine Medikamente zur Behandlung einer Binge-Eating-Störung zugelassen. Bei Bedarf ist es jedoch möglich, die Behandlung unter sorgfältiger Aufklärung über Risiken, Nutzen und Nebenwirkungen medikamentös zu unterstützen, v. a. wenn eine alleinige Psychotherapie nicht zum Erfolg führt oder diese von betroffenen Personen abgelehnt wird.

Als mögliche Medikamente kommen infrage: Antidepressiva, bestimmte Medikamente zur Behandlung der ADHS, bestimmte Medikamente zur Behandlung von Epilepsie.

Einweisung in ein Krankenhaus

Wenn eine ambulante Behandlung nicht ausreicht, die Störung sehr ausgeprägt ist, weitere psychische oder körperliche Erkrankungen oder das Umfeld einen ambulanten Therapieerfolg verhindern, kann in seltenen Fällen eine Behandlung in einem Krankenhaus eingeleitet werden.

Was können Sie selbst tun?

  • Überprüfen Sie sorgfältig, ob sie wirklich Hunger haben oder ob es vielleicht ein anderes Gefühl (z. B. Kummer, Einsamkeit, innere Leere) ist, das Sie (große Mengen) essen lässt!
  • Stabilisieren oder reduzieren Sie Ihr Gewicht!
  • Essen sie regelmäßig 3 Mahlzeiten am Tag!
  • Ernähren Sie sich gesund (eine Ernährungsberatung kann Sie dabei unterstützen):
    • ballaststoffreich und kalorienarm
    • hoher Anteil an Obst und Gemüse
    • möglichst wenig Zucker
    • Milchprodukte mit geringen Fettanteilen
    • mehr ungesättigte Fette als gesättigte.
  • Sorgen Sie für ausreichend Bewegung!

Prognose

Über den natürlichen Verlauf der Erkrankung ist wenig bekannt. Sie kann sich von alleine bessern oder chronisch verlaufen. Eine Psychotherapie kann in recht kurzer Zeit eine Reduktion von Essattacken bewirken. Auch nach 12 Jahren haben zwei Drittel der Behandelten keine Essstörung mehr.

Rückfälle scheinen besonders in Zeiten von Stress und psychischer Belastung aufzutreten, und betroffene Personen scheinen generell die Tendenz zu haben, große Mengen zu essen.

Weitere Informationen

Autoren

  • Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.

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References

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