Wahnhafte Störung

Was ist eine wahnhafte Störung?

Definition

Vorab ist zu betonen, dass es keine allgemeingültige Definition zur Beschreibung einer wahnhaften Störung gibt. Laut einer der gängigsten psychiatrischen Sichtweisen wird Wahn als eine Fehlbeurteilung der Realität bezeichnet, die mit erfahrungsunabhängiger und damit unkorrigierbarer Gewissheit auftritt, und an der mit subjektiver Gewissheit festgehalten wird.

Betroffene Personen sind davon überzeugt, dass ihre Wahninhalte wahr und real sind, selbst wenn sie im Widerspruch zu üblichen Lebenserfahrungen ihrer Mitmenschen stehen und es gegenteilige Beweise für den tatsächlichen Realitätsgehalt gibt. Die Wahnvorstellungen halten im Allgemeinen lange, manchmal lebenslang an.

Symptome 

Personen mit wahnhafter Störung suchen selten medizinische Hilfe auf, da ihnen in der Regel nicht bewusst ist, dass ihre Denkweise von den allgemein üblichen Vorstellungen ihrer Mitmenschen abweicht. Oft sind es Familienmitglieder, Polizei, Arbeitskolleg*innen oder Ärzt*innen, die psychiatrische Hilfe suchen.

Die wahnhafte Störung scheint sich schleichend zu entwickeln, der Übergang von einer paranoiden Persönlichkeitsstörung mit erhöhtem Misstrauen und erhöhter Sensibilität der betroffenen Person ist fließend.

Es ist schwer zu entscheiden, wann die paranoiden Persönlichkeitszüge eine solche Intensität erreichen, dass man von einer psychischen Erkrankung sprechen kann. Häufig ist dies erst dann der Fall, wenn die Person von der Wahrheit ihrer Interpretationen und Fehldeutungen so überzeugt ist, dass für das Umfeld eindeutig eine krankhaft gestörte Realitätseinschätzung vorliegt.

Diagnosekriterien

Folgende Kriterien müssen zur Diagnose einer wahnhaften Störung vorhanden sein:

  • Ein oder mehrere Wahnphänomene müssen mindestens 1 Monat bestehen.
  • Die Wahnphänomene müssen Wahnvorstellungen von Situationen sein, die im Leben tatsächlich auftreten können (z. B. verfolgt, betrogen oder geliebt zu werden).
  • Wesentliche Symptome für eine Schizophrenie dürfen nicht erfüllt sein.
  • Die Leistungsfähigkeit ist nicht wesentlich beeinträchtigt.
  • Die Symptome dürfen nicht auf eine Einwirkung von Drogen, Alkohol oder Medikamenten zurückzuführen sein.
  • Die Symptome dürfen nicht auf eine körperliche Erkrankung zurückzuführen sein.

Inhalte, die die Überzeugung der Person unterstützen, werden von ihr als Beweise angesehen, während solche, die eher für das Gegenteil sprechen würden, ignoriert werden.

Eine wahnhafte Störung kann sich auch nach einem traumatischen Ereignis entwickeln, dann ist sie aber meist nur vorübergehend.

 Typische Erscheinungsformen

  • Die betroffene Person erscheint skeptisch, rechthaberisch und reserviert mit einer selbstherrlichen, besserwisserischen Haltung und führt häufig ein aktives, selbstbezogenes Leben.
  • Solange Personen mit wahnhaften Störungen nicht mit ihren Wahnvorstellungen konfrontiert werden, können sie ehrgeizig anspruchsvollen und qualifizierten beruflichen Tätigkeiten nachgehen.
  • Häufig zeigen betroffene Personen eine überdurchschnittliche Begeisterung für ihre ambitionierten Projekte und zukunftsweisenden Ideen.
  • Sozial neigen von wahnhafter Störung betroffene Personen zur Isolation, sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben.
  • Berufsbezogene oder soziale Probleme resultieren häufig aus dem paranoiden Verhalten, insbesondere in Form von Misstrauen und Wachsamkeit gegenüber möglichen Kränkungen.

Häufige Wahnthemen

Der Inhalt des Wahns lässt sich, wie sein Beginn, oft zur Lebenssituation der betroffenen Person in Beziehung setzen. In der Regel spielt der Bezug zur eigenen Person bei den Wahninhalten eine entscheidende Rolle.

Eifersuchtswahn

Hierbei ist der wesentliche Inhalt der Wahnvorstellung, dass die Betroffenen von ihren Partner*innen betrogen werden. Das kann zu heftigen Anklagen und mitunter auch körperlichen Angriffen führen.

Liebeswahn

Erkrankte sind davon überzeugt, dass eine andere Person (oft von höherem Status, berühmt) in sie verliebt ist. Sie versuchen mitunter, Kontakt zu dieser Person aufzunehmen, indem sie sie anrufen, Briefe oder Geschenke schicken oder sie besuchen.

Größenwahn

Die Überzeugung, über ein großes, unentdecktes Talent zu verfügen, wichtige Entdeckungen gemacht zu haben, eine besondere Beziehung zu einer prominenten Person zu haben oder besondere religiöse Erkenntnisse zu haben.

Verfolgungswahn

Die Person glaubt, dass sie verfolgt wird und dass ihr jemand Schaden zufügen will. Dies kann sich zunächst glaubwürdig anhören, sodass Wahnvorstellungen (zunächst) nicht als solche erkannt werden.

Körperbezogener oder Krankheitswahn

Hierbei sind die Wahnvorstellungen auf körperliche Funktionen und Empfindungen bezogen (z. B. von Insekten oder Parasiten befallen zu sein, einen üblen Geruch auszusondern). Die Patient*innen sind durch nichts davon zu überzeugen, dass ihre Ängste unbegründet sind.

Querulantenwahn

Die Menschen fühlen sich sehr schnell und andauernd hintergangen oder betrogen und haben einen übersteigerten Drang, sich zu beschweren bzw. ihre Rechte zu reklamieren.

Ursachen 

Die genauen Ursachen der wahnhaften Störung sind nicht vollständig geklärt, aber Vererbung und Umwelt scheinen eine wichtige Rolle zu spielen.

In Familien von Personen mit wahnhafter Störung finden sich häufig Misstrauen, starre Regeln, irrationale Einstellungen, Ängstlichkeit, ungelöste Frustrationen und eine Erwartung von Feindseligkeit aus der Umwelt. Das kann sowohl auf erbliche als auch auf Faktoren aus dem Umfeld hinweisen, die die Störung begünstigen.

Möglicherweise spielt auch der Botenstoff Dopamin eine Rolle bei der Entwicklung von wahnhaften Störungen. Ältere Menschen scheinen beispielsweise ein besonders hohes Risiko zu haben, eine wahnhafte Störung zu entwickeln.

Häufigkeit

  • Die wahnhafte Störung tritt selten auf, die Zahl der Neuerkrankungen beträgt ca. 1–3 pro 100.000 Einw. jährlich.
  • Amerikanischen Untersuchungen zufolge ist der Anteil der Bevölkerung, der zu einem bestimmten Zeitpunkt an dieser Störung leidet, bei ca. 0,3 %.
  • Da Menschen mit wahnhaften Störungen selten Hilfe suchen, kann die Erkrankungsrate aber auch höher sein.
  • Die Erkrankung tritt am häufigsten bei Menschen mittleren Alters und bei älteren Menschen auf.
  • Frauen scheinen etwas häufiger an wahnhaften Störungen zu leiden als Männer.

Untersuchungen

Im ausführlichen Gespräch mit Ärzt*innen erscheinen erkrankte Personen häufig unauffällig, gut gekleidet und gepflegt. Die geschilderten Erlebnisse können real sein, sodass die Beurteilung für Untersucher*innen schwierig sein kann, ob tatsächlich eine wahnhafte Störung vorliegt.

Eine Ausnahme bilden mögliche Wahnvorstellungen. Meist wird von betroffenen Personen kaum wahrgenommen, dass ihre Vorstellungen von der gesellschaftlichen Norm abweichen. Dennoch können Erkrankte versuchen, die Ideen, die nicht der üblichen Denkweise ihrer Mitmenschen entsprechen, zu verbergen.

Anhaltende Symptome, die Verstärkung der Symptome und eine gesellschaftliche Ablehnung des Phänomens stützen die Vermutung, dass es sich um einen krankhaften Zustand handelt. Daher kommt auch der Befragung von Angehörigen eine entscheidende Bedeutung zu.

Weitere typische Merkmale in einem Gespräch mit Personen mit paranoider Psychose können z. B. sein:

  • Verwirrung
  • Unruhe
  • Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit und des Denkens (z. B. Wahrnehmung, Handlungsplanung, Urteilsfähigkeit, Kommunikation)
  • körperliche Symptome
  • ausgeprägte Stimmungsschwankungen.

Überweisung zu Spezialist*innen

In der Regel erfolgt eine Überweisung zu Spezialist*innen (Psychiater*innen), hier können weitere Untersuchungen vorgenommen und anschließend eine Behandlung eingeleitet werden.

Einweisung in ein Krankenhaus 

Falls die Erkrankung so stark ausgeprägt ist, dass erkrankte Personen sich oder ihre Mitmenschen akut in Gefahr bringen, erfolgt eine freiwillige oder, wenn nötig, eine unfreiwillige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur weiteren Abklärung.

Behandlung

Die Behandlung ist anspruchsvoll, die größte Herausforderung stellt die Bildung einer Allianz mit betroffenen Personen dar, da diese meist keine Einsicht in ihre Erkrankung zeigen und bei Konfrontation zu Verbergung und Beziehungsabbruch neigen. Gleichzeitig ist aber eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zwischen Behandler*innen und behandelten Personen die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie.

Die Behandlung sollte an die individuellen Bedürfnisse von Personen mit wahnhafter Störung angepasst werden. Im Allgemeinen wird eine Psychotherapie empfohlen, es gibt aber nur wenige Dokumentationen, die eine Wirkung nachweisen. Angehörige sollten über das Krankheitsbild aufgeklärt werden, um ihre erkrankten Familienmitglieder bestmöglich unterstützen zu können.

Medikamente

Medikamente aus der Gruppe der Antipsychotika, wie z. B. Haloperidol, wirken sich vor allem positiv in Bezug auf die Beschwerden und die Anspannung behandelter Personen aus, haben aber auf die Wahnvorstellungen häufig nur einen geringen Einfluss. Wahrscheinlich wirken verschiedene Typen von Antipsychotika bei wahnhaften Störungen vergleichbar gut. Bei allen Arten von Antipsychotika können Störungen des Stoffwechsels und Nebenwirkungen im Herz-Kreislauf-System auftreten.

Psychotherapie

Mitunter helfen Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie. Ein Teil der Behandlung kann auch in dem Versuch bestehen, zu erreichen, dass Personen mit wahnhafter Störung alternative Erklärungen für ihre eingeschränkte Sicht der Dinge annehmen.

Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Psychotherapie bei Personen mit wahnhaften Störungen sind noch nicht ausreichend erforscht.

Was können Sie selbst tun? 

  • Versuchen Sie ärztliche und/oder psychotherapeutische Hilfe anzunehmen, auch wenn Sie vielleicht zunächst der Meinung sind, dass sie keine Hilfe benötigen.
  • Nehmen Sie verordnete Medikamente regelmäßig ein.
  • Nehmen Sie vereinbarte Termine bei Ärzt*innen und/ oder Psychotherapeut*innen regelmäßig wahr.

Prognose

Die wahnhafte Störung kann in ihrem Verlauf, in der Intensität und der Ausprägung schwanken, verläuft aber in der Regel chronisch. Die Wahnvorstellungen beziehen sich fast immer auf das vorherrschende Thema, das die Grundlage dieser psychischen Erkrankung bildet, z. B. dass die betroffene Person verfolgt wird.

Es gibt nur wenige Studien zur Prognose bei der wahnhaften Störung. Bei einer norwegischen Untersuchung mit 26 Personen mit wahnhafter Psychose hatten nach 14 Jahren 13 Personen weiterhin Wahnsymptome, während 8 eine Schizophrenie entwickelt hatten. 

Weitere Informationen

Autorin

  • Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.

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References

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