Blutdruckmessung bei orthostatischer Hypotonie

Definitionen

Orthostatische Hypotonie

  • Klassische Definition der orthostatischen Hypotonie (OH): anhaltender Blutdruckabfall innerhalb von 3 min nach dem Hinstellen
    • systolisch ≥ 20 mmHg (≥ 30 mmHg bei Vorliegen eines Liegendhypertonus) und/oder diastolisch ≥ 10 mmHg – oder –
    • absoluter systolischer Blutdruckabfall < 90 mmHg
  • Neben der klassischen Definition zusätzliche Definition von zwei Varianten
    1. initiale OH: vorübergehender Blutdruckabfall innerhalb von 15 sec nach aktivem Hinstellen
      • systolisch > 40 mmHg ‒ und/oder ‒
      • diastolisch > 20 mmHg
    2. verzögerte OH: Blutdruckabfall wie bei klassischer Definition später als 3 min nach dem Hinstellen
  • Die OH beschreibt einen unnatürlichen Abfall des Blutdrucks nach dem Aufstehen, bei hierdurch verursachten Symptomen spricht man von orthostatischer Intoleranz.1

Orthostatische Intoleranz

  • Zunehmende Unverträglichkeit des Stehens durch Benommenheits- oder Schwächegefühl, ggf. mit Auftreten von Nacken- oder Schulterschmerzen oder mit Atembeschwerden oder mit Palpitationen oder mit Übelkeit
    • Dies kann in eine Präsynkope oder Synkope einmünden.

Aufstehtest und Kipptischuntersuchung

Indikationen für einen Aufstehtest (Schellong-Test)

  • Ein klinischer V. a. eine orthostatische Intoleranz bedingt durch orthostatische Hypotonie
    • Der Test ist zur Diagnose einer klinisch relevanten OH insbesondere bei Älteren im Allgemeinen ausreichend.
  • Screening bei älteren Patient*innen vor Beginn einer Medikation, die eine orthostatische Hypotonie verschlechtern und eine Synkope induzieren kann.2

Messung

  • Bei V. a. orthostatische Hypotonie (OH) wird zunächst ein Aufstehtest durchgeführt.
    • Der sog. Schellong-Test ist benannt nach dem deutschen Internisten Fritz Schellong, 1891–1953.3
  • Zur Untersuchung ist eine noninvasive, automatische Erfassung von Blutdruck und Herzfrequenz empfehlenswert.
    • Alternativ kann die Blutdruckmessung durch manuelle Messung von Puls und Blutdruck einmal in der Minute durchgeführt werden.
  • Es gibt kein universelles, standardisiertes Messprotokoll.3
  • Für die Messung empfiehlt sich im Allgemeinen folgendes Vorgehen:3
    • 5–10 min in Rückenlage
    • Stehphase von mindestens 3 min (ideal 5–10 min)
    • Messung von Blutdruck/Puls am Ende der Liegephase sowie in 1-Minuten-Intervallen während des Stehens
  • Wenn Patient*innen nicht in der Lage sind, aus der Rückenlage zügig aufzustehen, kann ein Protokoll vom Sitzen zum Stehen durchgeführt werden.3
    • Dies ist allerdings weniger sensitiv und stellt daher keinen gleichwertigen Ersatz dar.4

Interpretation

  • Eine orthostatische Hypotonie kann
    • asymptomatisch sein
    • orthostatische Intoleranz bewirken
    • eine Ursache von Stürzen durch Synkopen darstellen
  • Klassische OH5
    • Die Symptome sind meist mehr von der absoluten Höhe des Blutdrucks als vom Ausmaß des Blutdruckabfalls abhängig.
    • Das Ausmaß assoziierter Symptome variiert stark zwischen den Patient*innen.
    • Die klassische OH ist assoziiert mit erhöhter Mortalität und erhöhter kardiovaskulärer Morbidität.
    • Das größte Risiko für spätere Stürze, Frakturen oder Synkopen ist, wenn die OH bereits nach 1–2 min auftritt.6
  • Initiale OH
    • Sie gilt als häufig übersehene Ursache von Synkopen.
    • Die verzögerte Blutdruckerholung nach einem initialen Abfall stellt bei Älteren einen negativen prognostischen Faktor dar.5
  • Verzögerte OH5
    • Sie ist nicht selten bei Älteren.
    • Sie kann eine milde Form der klassischen OH darstellen, insbesondere bei M. Parkinson und Diabetes mellitus.
    • Die Abwesenheit einer Bradykardie hilft bei der Abgrenzung zur Reflexsynkope.
  • Auch wenn der Blutdruckabfall etwas geringer ausfällt als in den Definitionen, kann klinisch eine orthostatische Intoleranz bestehen.

Ergänzende Diagnostik (Kipptischuntersuchung)

  • Besteht trotz negativen Stehtests der Verdacht auf eine symptomatische orthostatische Hypotension, kann ergänzend eine Kipptischuntersuchung durchgeführt werden.

Therapie

  • Ein signifikanter Blutdruckabfall hat nur dann therapeutische Konsequenzen, wenn bei den Patient*innen im Alltag Symptome auftreten (orthostatische Intoleranz).
  • Zur Therapie siehe Artikel Orthostatische Hypotonie.

Quellen

Leitlinien

  • European Society of Cardiology. Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Stand 2018. www.escardio.org

Literatur

  1. Brignole M. The syndromes of orthostatic Intolerance. E-Journal of the ESC Council for Cardiology Practice 2007, Vol 6. www.escardio.org
  2. Biaggoni I, Norcliffe-Kaufmann L, Kaufmann H. Orthostatic hypotension. BMJ Best Practice, last updated 01 Jun 2022, Zugriff 08.04.23. bestpractice.bmj.com
  3. Fanciulli A, Campese N, Wenning K. The Schellong test: detecting orthostatic blood pressure and heart rate changes in German‐speaking countries. Clinical Autonomic Research 2019; 29: 363-366. doi:10.1007/s10286-019-00619-7 DOI
  4. Juraschek P, Appel L, Mitchell C, et al. Comparison of supine and seated orthostatic hypotension assessments and their association with falls and orthostatic symptoms. J Am Geriatr Soc 2022; 70: 2310-2319. doi:10.1111/jgs.17804 DOI
  5. European Society of Cardiology. Guidelines for the diagnosis and management of syncope. Stand 2018. www.escardio.org
  6. Juraschek SP, Daya N, Rawlings AM, et al. Association of History of Dizziness and Long-term Adverse Outcomes With Early vs Later Orthostatic Hypotension Assessment Times in Middle-aged Adults. JAMA Intern Med 2017. doi:10.1001/jamainternmed.2017.2937 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Freiburg

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