Parenterale Ernährung

Allgemeine Informationen

Definition

  • Parenterale Ernährung ist eine Form der Ernährungstherapie durch intravenöse Verabreichung von Nährstoffen wie Aminosäuren, Glukose, Lipide, Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente.1
  • Die parenterale Ernährung kann kategorisiert werden in:1
    • totale parenterale Ernährung
    • ergänzende parenterale Ernährung (ein Teil der Ernährung erfolgt enteral oder oral).
  • Allgemein umfasst die künstliche Ernährung im ambulanten Bereich die:

Ziele der heimparenteralen Ernährung (HPE)

  • Ziele einer HPE sind:
    • Verbesserung des Ernährungszustands bzw. das Vermeiden einer Verschlechterung
    • Verbesserung des Krankheitsverlaufs und der Prognose durch Deckung des Nährstoffbedarfs
    • Verbesserung des funktionellen Status
    • Verbesserung oder Stabilisierung der subjektiven Lebensqualität.
  • Die Aspekte Prognose, Lebensqualität und Ethik haben im ambulanten Bereich einen besonders hohen Stellenwert.

Voraussetzungen für die Durchführung

  • Voraussetzungen für die Durchführung einer HPE sind:1
    • stabiler Metabolismus unter ambulanten Bedingungen
    • detaillierte Erläuterung von potenziellem Nutzen und Risiken durch Ärzt*innen oder entsprechend geschulte Ernährungsfachkräfte
    • aktiver Wunsch der Patient*innen, Einverständniserklärung
    • Wahl eines für die ambulante Durchführung geeigneten Zugangs
    • Sicherstellung der fachgerechten Pflege
    • Betreuung möglichst durch ein Ernährungsteam.

Indikationsstellung

  • Eine künstliche Ernährung im ambulanten Bereich soll durchgeführt werden, wenn
    • Mangelernährung nachgewiesen ist bzw. droht.
    • die orale Nahrungsaufnahme relevant eingeschränkt ist.
    • innerhalb der zu erwartenden Lebenszeit eine Verschlechterung in folgenden Bereichen droht:
      • Ernährungszustand
      • Prognose
      • Lebensqualität.
    • eine drohende Verschlechterung nicht durch andere Maßnahmen (z. B. Behandlung der Grunderkrankung) behoben werden kann.
  • Eine parenterale Ernährung ist indiziert, wenn orale und/oder enterale Ernährung voraussichtlich länger als 3 Tage unmöglich oder länger als 10 Tage unzureichend sind.
    • auch für eine begrenzte Zeit zur Überbrückung kritischer Situationen mit geringer Zufuhr oder hohem Bedarf an Nahrung
  • Die Indikation muss durch Ärzt*innen gestellt werden.

Patientenkollektive für HPE

  • In folgenden Situationen kann sich die Notwendigkeit einer heimparenteralen Ernährung ergeben:1
    • chronische gastrointestinale Insuffizienz bei
      • benignen Erkrankungen (z. B. Kurzdarmsyndrom nach Resektion oder funktionellem Verlust von > 50 % der Dünndarmlänge)
      • malignen Erkrankungen
    • palliative Situationen in der Endphase schwerer Erkrankungen
    • Behandlung/Vermeidung einer Malnutrition bei Patient*innen, die keine enterale Ernährung wünschen.

Kontraindikationen

  • Eine künstliche Ernährung im ambulanten Bereich soll nicht durchgeführt werden, wenn
    • die Lebenserwartung voraussichtlich geringer als ein Monat ist.
    • die Maßnahme durch Patient*innen oder deren gesetzliche Betreuer*innen abgelehnt wird.
    • wenn unzureichende Compliance zu erwarten ist.
    • wenn nicht überwindbare organisatorische bzw. logistische Einschränkungen bestehen.

Organisation und Überwachung

  • Einleitung und Durchführung einer HPE sollte möglichst durch ein interdisziplinäres Ernährungsteam erfolgen.
    • bessere Qualität
    • weniger Komplikationen
    • Verbesserung der Lebensqualität der Patient*innen
    • kosteneffizienter
  • Die Beauftragung eines interdisziplinäres Ernährungsteams soll durch behandelnde Ärzt*innen (Krankenhaus oder ambulant tätig) erfolgen und in Zusammenarbeit mit der zuständigen Hausärzt*in fortgesetzt werden.
  • Die Hausärzt*innen sollten über die Therapie und die beteiligten Institutionen (z. B. Ernährungsteam, Homecare-Provider, Pflegedienst) von Anfang an informiert werden.
  • Ein großer Teil des Monitorings (klinische und Laborkontrollen) kann durch die Hausärzt*innen durchgeführt werden.
  • Im Verlauf sollten mindestens alle 3 Monate überprüft werden:
    • Ernährung/Körpergewicht
    • Zugangsstelle
    • Hydratationszustand
    • wichtige Laborwerte (Blutbild, Glukose, Elektrolyte, Nieren- und Leberfunktionsparameter, Triglyzeride, Protein, Albumin, CRP).

Zugangswege

  • Abhängig von der voraussichtlichen Dauer der HPE sollten der Kathetertyp, die Zugangstechnik und die Katheterposition mit dem geringsten Komplikationsrisiko (infektiös und nicht infektiös) gewählt werden.1
  • Für eine längerfristige HPE sollten subkutan tunnelierte Katheter oder implantierte Portsysteme verwendet werden.

Subkutan getunnelte Katheter

  • Broviac- und Hickman-Katheter sind implantierbare venöse Silikonkatheter (Spitze in der V. cava superior), die perkutan ausgeleitet werden.
  • Sie verlaufen zwischen kutaner und venöser (V. subclavia, V. jugularis interna) Eintrittsstelle über mehrere Zentimeter subkutan („getunnelt“).
  • Vor der Austrittsstelle ist der Katheter von einer Halterung aus Kunststoff umgeben, in diese wächst Körpergewebe ein und verhindert das Eindringen von Bakterien.

Portsysteme

  • Total implantierbare venöse Silikon- oder Polyurethankatheter mit subkutan versenkter Reservoirkammer aus Titan oder Keramik
  • Die Portmembran (Silikonmebran) darf nur mit speziellen Portkanülen (nicht stanzenden Nadeln) punktiert werden.

Weitere Zugangswege

  • Periphere Venenkanüle
    • kurzfristige Option bei einer erwarteten Dauer der intravenösen Ernährung von wenigen Tagen
    • Gute periphere Venen sind eine Voraussetzung, es sollten nur Lösungen mit einer Osmolarität von < 800 mosm/l verabreicht werden.
  • Zentraler Venenkatheter (ZVK)
    • Auch wenn herkömmliche ZVK nicht die 1. Wahl für eine längerfristige HPE sind, kann die Verwendung bei einer voraussichtlichen Dauer < 6 Monate erwogen werden.

Pflege der Zugangswege

  • Die Pflege der Zugangswege sollte durch geschultes Pflegefachpersonal erfolgen.
  • Bei HPE über ein Portsystem sollte der Portnadelwechsel bei täglicher parenteraler Ernährung alle 3–7 Tage erfolgen.
  • Gut abgeheilte Eintrittsstellen von getunnelten Kathetern benötigen keinen Verband, bei nässender Einstichstelle sollte vorzugsweise ein Gazeverband verwendet werden.
  • Zur Abdeckung der Eintrittsstelle von ZVK sollen sterile Gazen bzw. Mull oder sterile, semipermeable Folien verwendet werden.
  • Nicht benutzte Katheter- oder Portsysteme sollen vor und nach Applikation der Ernährung mit isotoner NaCl-Lösung gespült werden.
    • Heparinhaltige Lösungen sollten dafür nicht verwendet werden.

Applikation und Art der Ernährung

Applikation 

  • HPE kann grundsätzlich per Tropfenzähler appliziert werden.
  • Alternativ kann die Verabreichung mit Infusionspumpen erfolgen (z. B. bei langen Laufzeiten, Verwendung mobiler Systeme).
    • Für die HPE stehen Rucksäcke zur Verfügung, die den Beutel und die Infusionspumpe beinhalten.
    • Bei insulinpflichtigen Patient*innen ist der Einsatz einer Infusionspumpe zur Überwachung der Glukosezufuhr sicherer als die Schwerkraftapplikation.
  • Die Infusionsgeschwindigkeit liegt bei max. 0,25 g Glukose/kg KG/h bzw. bei max. 0,125 g Fett/kg KG/h.
    • Bei Überschreitung dieser Grenzen drohen metabolische Entgleisungen.

Medikamentengabe

  • Nährmischungen sollten nicht als Träger für Medikamente verwendet werden.

Art der Ernährung

  • Zur HPE sollten „All-in-One-Nährmischungen“ verwendet werden.
    • sicher, effektiv und risikoarm
  • In der Regel können für die HPE-Standardlösungen verwendet werden.
    • vereinfacht die Verschreibung
    • verbessert Patientensicherheit und Behandlungseffizienz
  • Dreikammerbeutel enthalten alle Makronährstoffe und Elektrolyte in drei abgeteilten Kompartimenten, die unmittelbar vor Applikation gemischt werden.
    • Vitamine und Spurenelemente werden zugespritzt oder getrennt intravenös infundiert.
  • Gegen Ende der Infusion sollte die Infusionsrate verringert werden, um den Insulinbedarf zu reduzieren und damit das Risiko einer Rebound-Hypoglykämie (z. B. halbe Infusionsrate über die letzte halbe Stunde).1

Energie und Flüssigkeitsbedarf

  • Bei älteren Menschen besteht ca. folgender Energiebedarf:
    • Ruheenergiebedarf 20 kcal/kg KG
    • Gesamtenergiebedarf 27–30 kcal/kg
      • Kann durch Inaktivität reduziert bzw. durch Krankheitswirkungen (z. B. Entzündungen) erhöht sein.
    • bei Untergewicht 34–38 kcal/kg KG
  • Für die einzelnen Substrate besteht ca. folgender Bedarf:
    • Glukose: 2–3,5 g/kg KG/d (max. 4 g/kg KG/d)
      • Zufuhr > 4 g/kg KG/d nicht empfohlen wegen des erhöhten Komplikationsrisikos (z. B. Infektionen, Leberschädigung)
    • Fett: 0,7–1,5 g/kg KG/d (max. 2 g/kg KG/d)
      • bei Triglyceriden > 400 mg/dl Reduktion der Fettzufuhr
    • Aminosäuren: 0,8–1,5 g/kg KG/d
      • bei Harnstoffanstige > 30 mg/dl Reduktion der Aminosäurenzufuhr (gilt nicht bei Niereninsuffizienz)
  • Der normale Flüssigkeitsbedarf beträgt 30–40 ml/kg KG/d
    • ggf. Anpassung, z. B. bei Fieber, Schwitzen, Diarrhö

Hyperglykämie, Diabetes mellitus

  • Ca. 50 % der Patient*innen mit parenteraler Ernährung entwickeln eine Hyperglykämie.2
  • In der Frühphase einer parenteralen Ernährung und bei Patient*innen mit Diabetes mellitus wird in der Regel ein Blutzuckertagesprofil (3–4 Messungen tgl.) durchgeführt.
  • Für die meisten Patient*innen mit Diabetes ist ein Blutzuckerziel von 140–180 ml/dl sinnvoll.3
  • Das zu bevorzugende Insulinregime im Rahmen einer HPE ist bislang nur in wenigen Studien untersucht worden und daher nicht definiert.3-4
  • Vorgeschlagene Möglichkeiten der Insulinverabreichung sind u. a.:5
    1. Gabe von Normalinsulin zur Ernährungslösung
      • 7–10 IE/100 g Glukose bei bekanntem Diabetes mellitus
      • ergänzend alle 4–6 h weitere Korrektur s. c. mit Normalinsulin
    2. Beibehaltung des Basalinsulins
      • Korrektur mit s. c. Normalinsulin
      • Gabe von z. B. 2/3 des Korrekturinsulins am Folgetag in die Infusion. 

Fortsetzung einer heimparenteralen Ernährung

  • Die Indikation für die Fortsetzung der HEE sollte regelmäßig überprüft werden, die zeitlichen Abstände sind abhängig von der Grunderkrankung und deren Verlauf.
  • Eine quartalsweise Überprüfung ist sinnvoll.
  • Eine HPE kann beendet werden bzw. auf HEE umgestellt werden, wenn der Energiebedarf oral oder enteral gedeckt werden kann.

Ethische und rechtliche Aspekte

Einwilligung

  • Eine künstliche Ernährung bedarf der Einwilligung der informierten Patient*innen bzw. der Vertretungsberechtigten.
  • Der Wille einwilligungsfähiger Patient*innen ist zu berücksichtigen.
  • Eine Patientenverfügung ist direkter Ausdruck des Patientenwillens und für Ärzt*innen verbindlich, sofern sie hinreichend konkrete Festlegungen enthält.
  • Bei nicht einwilligungsfähigen Patient*innen entscheiden die Vertretungsberechtigten unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Patient*innen.
  • Entscheidungen auf Basis des mutmaßlichen Willens sollen möglichst im Konsens der Beteiligten getroffen werden.
  • Bei Dissens ist die Einschaltung eines Gerichtes die letzte Option, die nur in Ausnahmefällen erforderlich sein sollte.

Erleichterung der Pflege

  • Eine künstliche Ernährung darf nicht allein der Verringerung des Pflegeaufwands dienen.
  • In besonderen Konstellationen kann eine künstliche Ernährung eine legitime pflegerische Erleichterung darstellen, dabei muss gewährleistet sein, dass
    • andere Möglichkeiten einer bedarfsgerechten natürlichen Nahrungsaufnahme ausgeschöpft sind.
    • eine medizinische Indikation und ein therapeutisches Ziel besteht.
    • ein Nutzen für die betroffenen Patient*innen besteht, z. B. eine Versorgung im eigenen Zuhause ermöglicht wird.

Lebensende

  • Freiwilliger Verzicht auf Ernährung kann als Ausdruck selbstbestimmten Sterbens gesehen werden, darf aber nicht mit krankheitsbedingter Inappetenz verwechselt werden.
  • Die Rechtfertigung einer künstlichen Ernährung muss im Spannungsfeld Lebensverlängerung oder Leidensverlängerung immer wieder kritisch überprüft werden.
  • Die Entscheidung bezüglich einer Fortsetzung bzw. Beendigung einer künstlichen Ernährung sollen die betreuenden Ärzt*innen gemeinsam mit den Patient*innen und den Angehörigen treffen.

Quellen

Leitlinien

  • European Society for Clinical Nutrition and Metabolism. ESPEN guideline on home parenteral nutrition. Stand 2020. www.espen.org

Literatur

  1. European Society for Clinical Nutrition and Metabolism. ESPEN guideline on home parenteral nutrition. Stand 2020. www.espen.org
  2. Jones S, Honnor M, Castro E, et al. Management of people with diabetes receiving artificial nutrition: A review. Journal of Diabetes Nursing 2017; 21: 179–83 diabetesonthenet.com
  3. Olveira G, Abuín J, Lopez R, et al. Regular insulin added to total parenteral nutrition vs subcutaneous glargine in non-critically ill diabetic inpatients, a multicenter randomized clinical trial: INSUPAR trial. Clinical Nutrition 2020; 39: 388-394. doi:10.1016/j.clnu.2019.02.036 DOI
  4. Mc Culloch, Bansiya V, Woodward J. The addition of insulin to home parenteral nutrition for the control of hyperglycaemia: A case series. Clin Nutr ESPEN 2019; 30: 204-207. doi:10.1016/j.clnesp.2018.11.014 DOI
  5. Yu K, Tsao H, Lin S, et al. Quantitative analysis of insulin in total parenteral nutrition bag in Taiwan. J Food Drug Anal 2016; 24: 214-219. doi:10.1016/j.jfda.2015.08.003 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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