Allgemeine Informationen
- Parenterale Gabe eines flüssigen Arzneimittels in den Skelettmuskel mit Spritze und Kanüle
- Die intramuskuläre Injektion ist eine invasive Maßnahme.
- Eine Einwilligung der Patient*innen muss vorliegen.
- Injektion durch die Ärzt*innen selbst oder Übertragung auf Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte mit entsprechender Kompetenz
Indikationen
Impfungen
- Die meisten heute zugelassenen Impfstoffe werden intramuskulär verabreicht.
- Die bevorzugte Impfstelle ist der M. deltoideus. Solange dieser Muskel nicht ausreichend ausgebildet ist (z. B. bei Säuglingen und Kleinkindern), wird empfohlen, in den M. vastus lateralis (anterolateraler Oberschenkel) zu injizieren.
Durchführung
- Vor Schutzimpfungen besteht eine Aufklärungspflicht über:
- den Nutzen der Impfung und die zu verhütende Krankheit
- mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Komplikationen
- Beginn und Dauer des Impfschutzes
- die zu verhütende Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten
- das Verhalten nach der Impfung
- mögliche UAW und Impfkomplikationen
- die Notwendigkeit und die Termine von Folge- und Auffrischimpfungen.
- Vor der Impfung sollte eine Anamnese und Impfanamnese (Vorliegen möglicher Kontraindikationen) erhoben werden, akute Erkrankungen sollten ausgeschlossen werden.
- Impfstoffe sollen in Kühlschrank bei +2 °C bis +8 °C gelagert werden und erst kurz vor der Verabreichung herausgenommen werden.
- Nach Desinfektion der Haut sollte mit einer trockenen Kanüle mit ausreichender Nadellänge (bei Säuglingen unter 2 Monaten 15 mm, bei älteren Säuglingen und Kleinkindern 25 mm und bei Jugendlichen und Erwachsenen 25–50 mm) ohne Aspiration geimpft werden.
- Ausnahme ist die Impfung mit COVID-19-Impfstoffen: Hier wird die Aspiration empfohlen.
- Zur Schmerzstillung können Eissprays, lidocainhaltige Schmerzpflaster oder Cremes unter einem Okklusionsverband bei Kindern ab dem Alter von 0 Monaten (Fachinformationen beachten) benutzt werden, um die Schmerzen bei der Injektion zu reduzieren.
- Die Impfung sollte mit Chargen-Nummer, Bezeichnung des Impfstoffs (Handelsname), Datum sowie der Krankheit, gegen die geimpft wurde, ärztlichem Stempel und Unterschrift in den Impfausweis oder die Impfbescheinigung eingetragen werden.
Komplikationen
- Unterschieden wird zwischen üblichen Impfreaktionen und gesundheitlicher Schädigung durch eine Impfung.
Übliche Impfreaktionen
- Schmerzen, Rötung, Verhärtung und Schwellung an der Impfstelle
- Kurzzeitiges Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten
- Impfkrankheit, v. a. 1–3 Wochen nach Lebendimpfungen mit leichter Parotisschwellung, kurzzeitigen Arthralgien oder einem flüchtigen Exanthem oder milden gastrointestinalen Beschwerden
Nebenwirkung bei nicht korrekt durchgeführter intramuskulärer Injektion
- Injektion in das subkutane Fettgewebe
- schmerzhafte Entzündungen und Bildung von Granulomen oder Zysten
- nicht ausreichender Impferfolg
- Sehr selten länger andauernde Schmerzen mit eingeschränkter Beweglichkeit im Schultergelenk (Schulterverletzung nach Impfung – SIRVA, Shoulder Injury Related to Vaccine Administration)
- Injektion nicht in den oberen Bereich des M. deltoideus, (Risiko einer versehentlichen Verletzung der Bursa subacromialis)
Kontraindikationen für eine Impfung
- Akute schwere Erkrankung (Ausnahme postexpositionelle Impfung)
- Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs
- Nicht dringend indizierte Impfungen sollten während einer Schwangerschaft nicht durchgeführt werden.
- Eine i. m. Impfung ist unter oraler Antikoagulation oder therapeutischer Heparinisierung nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. unter Cumarinen offiziell kontraindiziert.
- Meist gibt es für alle Impfstoffe Präparate, die mit gleicher Wirkung subkutan verabreicht werden können, sodass Impfungen möglich sind.
- Ausnahme Tollwut: Hier sollte bei zwingender Indikation mit feiner Kanüle, 2–5 min nach Impfung mit festem Druck ohne Reiben, Aufklärung und Einwilligung der Patient*innen und guter Überwachung auch unter Antikoagulation i. m. geimpft werden.
- Ausnahme COVID-19-Impfstoffe
- nur intramuskuläre Injektion möglich
- Injektion mit sehr feine Injektionskanüle (z. B. 23 oder 25 Gauge) und einer anschließenden festen Komprimierung der Einstichstelle über mindestens 2 min
Intramuskuläre Injektion von Medikamenten
Allgemeines
- I. m. Injektion nur, wenn eine alternative Applikation (oral, rektal, nasal, i. v. etc.) eines Medikamentes nicht indiziert oder möglich ist.1
- Arzneimittel zur i. m. Applikation sind als Fertigspritzen erhältlich oder müssen hergestellt werden durch Mischen von z. B. Lösung/Pulver und einer Verdünnungslösung (z. B. Kochsalzlösung).
- Bei Depotinjektionen ist das Arzneimittel in Öl gelöst oder liegt als Suspension vor.
Kontraindikationen
- Schock (verzögerte Resorption)
- Thoraxschmerz mit V. a. Myokardinfarkt oder Lungenembolie
- CK-Anstieg auch durch i. m. Injektion möglich
- erforderliche Lysetherapie u. U. nicht mehr durchführbar
- Hämorrhagische Diathese
- Einnahme von Antikoagulanzien (z. B. Phenprocoumon)
- Heparintherapie
- Keine i. m. Injektion auf Plegie- oder Pareseseiten, Verbrennungen, Verletzungen oder Hautinfektionen
Komplikationen
- Septischer oder aseptischer Spritzenabszess
- Häufigkeit: 1:10.000–1:12.000
- Nekrotisierende Fasziitis, Septikämie
- Häufigkeit: 1:1.000.000
- Muskelfibrose
- Aseptische Muskelnekrose
- Fettgewebsatrophie
- Nervenschäden
- N. ischiadicus v. a. bei dorsoglutealer Injektion1-2
- Zerebrale Mikroembolien
- Lungenembolie
- Versehentliche subkutane oder intrakutane Injektion
- Gewebe kann gereizt und geschädigt werden – abhängig von der Art des Arzneimittels.
- verzögerter oder ausbleibender Wirkeintritt
- Stichverletzungen beim medizinischen Personal, siehe Nadelstichverletzungen.
- Anaphylaxie
Wichtige Medikamente, die i. m. verabreicht werden
Adrenalin
- Notfallbehandlung bei Anaphylaxie
- Sofortige Injektion von Adrenalin 1 mg/ml i. m. in die Oberschenkelaußenseite in folgender Dosierung (Injektionsstelle massieren):
- Erwachsene und Kinder über 12 Jahre: 0,3–0,5 mg ab 30–50 kg KG (0,3–0,5 ml Adrenalin 1 mg/ml)
- Kinder 6–12 Jahre: 0,3 mg (0,3 ml Adrenalin 1 mg/ml)
- Kinder unter 6 Jahren: 0,15 mg (0,15 ml Adrenalin 1 mg/ml).
- Da die Adrenalin-Dosierung vom Gewicht abhängig ist und das Alter nur einen ungefähren Richtwert darstellt, gilt die folgende gewichtsabhängige Dosierung: 0,01 mg/kg KG i. m. (1 mg/ml).
- Sofortige Injektion von Adrenalin 1 mg/ml i. m. in die Oberschenkelaußenseite in folgender Dosierung (Injektionsstelle massieren):
- Tritt keine Besserung ein oder verschlimmern sich die Symptome, kann eine erneute Dosis alle 5–10 min verabreicht werden.
Schmerzmittel, Kortikoide, Lokalanästhektika
- NSAR (z. B. Diclofenac)
- Zur intramuskulären Anwendung nur zugelassen, wenn eine andere Applikation (oral oder rektal) nicht möglich ist und nur als einmalige Injektion zur Therapieeinleitung.
- Die Patient*innen sollten über Nebenwirkungen aufgeklärt werden.
- Es muss eine funktionstüchtige Notfallausrüstung vorhanden sein und eine einstündige Überwachung in der Praxis erfolgen.
- unter NSAR sehr selten Ausbildung einer nekrotisierenden Fasziitis
- Das Risiko eines schweren anaphylaktischen Schocks nach i. m. Injektion eines NSAR ist etwa um den Faktor 100 höher als bei oraler Einnahme.
- Auch die intramuskuläre Gabe von Kortikoiden kann zu anaphylaktischen Reaktionen oder schweren Abszedierungen führen.3
- Intravenös, muskulär oder subkutan applizierbare Schmerzmittel, Lokalanästhetika, Glukokortikoide und Mischinfusionen sollen nicht zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden.
Injektionsstellen
Vordere Gesäßmuskulatur (ventrogluteale Injektion)
- Vorteile der Injektion in die vordere Gesäßmuskulatur:
- kein Risiko einer Schädigung des Ischiasnervs2
- weniger schmerzhaft als die Injektion in den M. gluteus maximus (dorsogluteale Injektion).
- Die Injektionsstelle lässt sich am besten lokalisieren, wenn die Patient*innen in Seitenlage liegen.
Methode nach Arthur von Hochstetter
- Die Patient*innen liegen auf der Seite, vorzugsweise der injizierenden Person abgewandt, das obere Bein ist zur Muskelentspannung leicht gebeugt.
- Vorgehen
- linkes Gesäß rechte Hand, rechtes Gesäß linke Hand
- Die Hand wird so aufgelegt, dass die Finger Richtung Oberkörper der zu impfenden Person zeigen.
- Zeigefinger auf Crista iliaca anterior superior legen.
- Mittelfinger gleitet am Darmbeinkamm entlang bis zur Eminentia cristae iliacae.
- Mittelfinger gleitet ca. 2 cm nach unten, bis der Handballen auf dem Trochanter major liegt.
- Injektionsstelle: untere Hälfte des V-förmigen Ausschnitts zwischen Zeige- und Mittelfinger2
- linkes Gesäß linke Hand, rechtes Gesäß rechte Hand
- Wie oben, aber Mittelfinger liegt auf der Crista iliaca anterior superior.
- Zeigefinger liegt an der Eminentia cristae iliacae.
Methode nach Sachtleben (Crista-Methode)
- Patient*in liegt in Seitenlage von der injizierenden Person abgewandt.
- Rechtes Gesäß linke Hand
- Linke Hand liegt in der Flanke der zu impfenden Person.
- Linker Zeigefinger liegt an oberer Kante des rechten Darmbeines an.
- Spitze des linken Zeigefingers liegt auf der Crista iliaca anterior superior.
- Eine gedankliche Linie zwischen dem Trochanter major und dem Mittelfingergelenk des linken Zeigefingers ziehen.
- Injektionsstelle auf der Linie nach unten (distal):
- bei Erwachsenen 7,5 cm, ca. 3–4 Querfinger
- bei Jugendlichen 5 cm, ca. 2–3 Querfinger
- bei Kindern 2,5 cm, ca. 1–2 Querfinger.
- Die Crista-Methode kann auch in Bauchlage erfolgen.
Oberschenkelmuskel
- Bei Patient*innen unter 2 Jahren ist dieser Muskel die 1. Wahl.
- Keine öligen oder kortikoidhaltige Lösungen sowie Antibiotika und Antirheumatika in den Oberschenkelmuskel injizieren.
- Lokalisation
- Patient*in liegt auf dem Rücken.
- Außenrotation vermeiden.
- Injektionsstelle im mittleren Drittel zwischen Trochanter major und Kniescheibe.
Deltamuskel
Empfehlungen
- Für Impfungen 1. Wahl, nur bei kleinen Kindern bevorzugt M. vastus lateralis
- Empfohlenes Volumen
- max. 2 ml für Erwachsene und Kinder
- Bei Volumina > 2 ml sollte eine andere Injektionsstelle gewählt werden.
- Beachten:
- relativ schmerzhafte Injektionsstelle
- erhöhtes Risiko für Nerven- und Gefäßverletzung
- kurze Kanüle wählen wegen geringer Muskelmasse
- keine öligen Substanzen oder gewebereizenden Medikamente injizieren
Lokalisation
- Patient*in sitzt oder steht.
- Injektion ca. 3–4 Querfinger (ca. 5 cm) unterhalb des Akromions in die höchste Erhebung des M. deltoideus
Großer Gesäßmuskel (dorsogluteale Injektion)
- Die dorsogluteale Injektion sollte nicht mehr verwendet werden.1
Injektionstechnik
Wahl von Spritze und Nadel
- Die Größe der Spritze richtet sich nach dem Volumen, das injiziert werden soll. Je kleiner die Spritze ist, desto genauer kann dosiert werden.
- Die Wahl der Kanüle richtet sich nach der Injektionsstelle und der Dicke des Subkutangewebes.
- Die Nadel sollte lang genug sein, um in den Muskel einzudringen.
- je nach Dicke des subcutanen Fettgewebes
-
- Bei übergewichtigen Patient*innen ggf. eine längere Kanüle wählen.
- Bei sehr dünnen Patient*innen kürzere Kanüle wählen.
-
- Frauen verfügen meist über eine dickere Fettschicht als Männer.8
- Bei übergewichtigen Patient*innen kann das Unterhautfettgewebe so dick sein, dass sich die Injektionsstelle nicht anhand der Knochenstruktur lokalisieren lässt.4
-
- Ggf. andere Injektionsmethode erwägen (z. B. i. v.).8
- für dickflüssige Lösungen größere Durchmesser
Durchführung
- Hygienische Händedesinfektion
- Handschuhe sind der sorgfältigen hygienischen Händedesinfektion unterlegen und werden von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) für i. m. Injektionen nicht mehr empfohlen.
- Injektionsstelle aufsuchen und ggf. markieren.
- Ausgiebig desinfizieren und ausreichend einwirken lassen.
- Injektionskanüle zügig und senkrecht (90 Grad) bis in den Muskel einstechen, bei Bedarf Haut spannen.
- Eine Aspiration wird bei Impfungen nicht mehr empfohlen (Ausnahme Covid 19-Impfung).
- Eine Aspiration ist vor der Injektion nicht notwendig und soll bei intramuskulären Injektionen vermieden werden, um Schmerzen zu reduzieren.
- Die Blutgefäße an den Körperstellen, die für die Injektion von Impfstoffen empfohlen sind (M. vastus lateralis oder M. deltoideus) und in Reichweite der Nadel liegen, sind zu klein, um eine versehentliche intravenöse Gabe zu ermöglichen.
- Bei der Injektion anderer Wirkstoffe und bei Injektionen in die Glutealmuskulatur sollte aspiriert werden.
- Bei Aspiration von Blut werden Spritze und Nadel gewechselt (und ggf. das Medikament neu aufgezogen) und an einer anderen Injektionsstelle injiziert.
- Das Medikament langsam injizieren, damit sich die Lösung schmerzlos im Muskelgewebe verteilen kann (ca. 2 ml/min), dann die Kanüle rasch zurückziehen und den Injektionsort mit einem Tupfer komprimieren.
- Empfohlenes Volumen
- Die Injektionsmenge soll auf 5 ml begrenzt werden.1
- bei Erwachsenen max. 5 ml
- bei Kindern max. 1–2 ml
- Größere Volumina sollen aufgeteilt werden.
- Die Injektionsmenge soll auf 5 ml begrenzt werden.1
Dokumentation
- Name des Arzneimittels, Dosis, verabreichende Person
- Injektionsstelle, ggf. Injektionsmethode
- Haltung von Patient*in (Seitenlage, Bauchlage, stehend)
- Komplikationen/Arzneimittelreaktionen
Illustrationen

Einstichwinkel bei verschiedenen Injektionstechniken (Quelle: Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Intramuscular_injection#/media/File:Needle-insertion-angles-1.png)

Intramuskuläre Injektion in den M. deltoideus (Quelle: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Im-deltoid_(cropped).png)

Ventrogluteale intramuskuläre Injektion (Quelle: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Im-ventrogluteal-300x244.png)

Intramuskuläre Injektion in den M. lateralis (Quelle: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Injection_Sites_Intramuscular_Thigh_Adult.png)

Intramuskuläre Injektion bei Kindern unter 2 Jahren (Quelle: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Injection_Sites_Intramuscular_Thigh_Child.png)
Quellen
Literatur
- Jung K, Hyun P. Sciatic nerve injection injury. J Int Med Res 2014; 42(4):887-97. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Mishra P, Stringer M. Sciatic nerve injury from intramuscular injection: a persistent and global problem. Int J Clin Pract 2010; Oct;64(11):1573-9. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Holland Ch, Jaeger L, Smentkowski U. Septic and aseptic complications of corticosteroid injections: an assessment of 278 cases reviewed by expert commissions and mediation boards from 2005 to 2009. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(24): 425–30. www.aerzteblatt.de
- Nisbet A. Intramuscular gluteal injections in the increasingly obese population: retrospective study. BMJ 2006; ;332(7542):637-8. Epub 2006 Mar 8. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren