Fraktur der Orbita

Zusammenfassung

  • Definition:Fraktur der knöchernen Augenhöhle.
  • Häufigkeit:Bei schweren Gesichtsverletzungen häufigste Fraktur, insgesamt aber selten.
  • Symptome:Schmerzen, Schwellung, abhängig von affektierten Strukturen ggf. auch Doppelbilder und Hypästhesien.
  • Befunde:Schwellung, Hämatom, evtl. veränderte Bulbusposition (Enophthalmus/Exophthalmus) und eingeschränkte Augenmotilität.
  • Diagnostik:CT diagnostisches Mittel der Wahl.
  • Therapie:Bei asymptomatischen Patient*innen mit nicht-dislozierten Frakturen konservativ, ansonsten immer operative Rekonstruktion.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Fraktur der knöchernen Augenhöhle (Orbita)
  • Isolierte Orbitabodenfrakturen
    • Blow-out-Fraktur
      • häufigste Form
      • Orbitabodenfraktur mit Verlagerung des Orbitabodens nach kaudal
      • Absinken und Einklemmen des Bulbus möglich
    • Blow-in-Fraktur
      • selten
      • Orbitabodenfraktur mit Verlagerung des Orbitabodens in Orbita
  • Tripod-Fraktur
    • kombinierte Fraktur von Sinus maxilla­ris, Orbitabo­den oder -wand und Jochbogen
  • Oft begleitende Frakturen von Mittelgesichtsknochen

Häufigkeit

  • Frakturen der Orbita kommen in der Hausarztpraxis selten vor.
  • Bei 10 – 25 % aller schweren Gesichtsverletzungen ist die Orbita beteiligt.

Anatomie

  • Die Orbita ist die knöcherne Höhle des Augapfels und wird von sieben Knochen gebildet:
    • Maxilla, Os ethmoidale, Os palatinum, Os sphenoidale, Os lacrimale, Os frontale und Os zygomaticum.
  • Die 4 Begrenzungen werden bezeichnet als:
    • Orbitadach (kraniale Begrenzung)
    • Orbitaboden (kaudale Begrenzung)
    • mediale Orbitawand
    • laterale Orbitawand

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursachen: Sportunfälle, Stürze oder Rohheitsdelikte
  • Da die Orbita zum „Leichtbausystem“ des Viszerokraniums mit stabilen Stützpfeilern und dünnen Seitenwänden gehört, kommt es auch bei den meisten Mittelgesichtsfrakturen zur Fraktur der Orbitawände.

Blow-out-Fraktur

  • Direktes Trauma auf den Bulbus führt zu kurzzeitig massiver Druckerhöhung in der Orbita mit Bruch der fragilsten Stelle, dem Orbitaboden.
    • klassisch: Faustschlag oder (Tennis-/Hockey-)Ball auf das Auge

Blow-in-Fraktur

  • Direkte Krafteinwirkung auf die Kieferhöhlenvorderwand

ICD-10

  • S02.1 Schädelbasisfraktur inkl. Orbitadach
  • S02.3 Fraktur des Orbitabodens
  • S02.8 Frakturen sonstiger Schädel- und Gesichtsschädelknochen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinische Hinweise auf eine Orbitafraktur sind:
    • Lageveränderungen des Bulbus
    • Einschränkungen der Augenmotilität
    • palpable ossäre Stufen und
    • eine Hyposensibilität im Versorgungsgebiet des N. infraorbitalis.
  • Bei klinischem Verdacht Sicherung der Diagnose per CT

Anamnese

  • Traumaanamnese
    • Welcher Art war das Trauma: Schlag, harter Ball, Unfall?
    • Aus welcher Richtung?
    • Mit welcher Kraft?
    • Aufprall wo im Gesicht?
  • Symptomatik
    • Schmerzen und Schwellung im Orbitabereich
    • Doppelbilder bei einer Einschränkung der Augenmotilität durch die Einklemmung von den Augenmuskeln
    • Sensibilitätsstörungen kaudal von Orbita bei Affektion des N. infraorbitalis

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • Bulbusposition: Enophthalmus (Blow-out-Fraktur) oder Exophthalmus (Blow-in-Fraktur)
    • Symmetrie der Gesichtshälften
  • Palpation
    • knöcherne Stufen
    • pathologische Beweglichkeit
    • Krepitation
  • Funktionsprüfung
    • Motilitätsüberprüfung der Augenmuskeln (6 diagnostische Blickrichtungen)
    • neurologische Funktionsüberprüfungen (in jedem Fall N. infraorbitalis, sensibles Innervationsgebiet kaudal von Orbita)
    • aktive und/oder passive Mundöffnung (Malokklusion?)
    • Pupillenreaktion: direkte und/oder indirekte konsensuelle Pupillenreaktion bei Affektion des N. opticus gestört

Diagnostik bei Spezialist*innen

Klinische Untersuchung

  • HNO-ärztliche Untersuchung inklusive Nasenendoskopie
  • Augenärztliche Untersuchung zum Ausschluss okulärer Begleitverletzungen

Bildgebung

  • CT der Nasennebenhöhlen ist das diagnostische Mittel der Wahl.
  • Bei Vorliegen von Kontraindikationen für Strahlenbelastung (Kinder, Schwangere) kann die Sonografie Informationen über Fraktur liefern.

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf Orbitafraktur stationäre Einweisung

Therapie

Therapieziele

  • Therapieziele gemäß der Leitlinie Laterale Mittelgesichtsfrakturen
  • Erhalt der Augenfunktion in Bezug auf Sehschärfe und Motilität
  • Symmetrische Rekonstruktion der anatomischen Form des Gesichtes
  • Erhalt des angrenzenden sensiblen Nervs (N. infraorbitalis)

Allgemeines zur Therapie

  • Die Therapie der Orbitafrakturen ists abhängig von Begleitfrakturen, Dislokation der Frakturelemente, Symptomatik und Begleiterkrankungen der Patient*innen.
    • insbesondere bei älteren Patient*innen mit erhöhtem Narkoserisiko individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung
  • Konservative Therapie in der Regel bei nicht-dislozierten Frakturen und Symptomfreiheit
  • Operatives Vorgehen bei allen dislozierten Frakturen sowie bei Patient*innen mit Beschwerden

Konservative Therapie

  • Indikationen
    • kleinflächige Orbitadefekte ohne Symptomatik und Dislokation
  • Strenge Einhaltung von Verhaltensregeln wie konsequentes Schneuzverbot, weiche
    Kost und Sportverbot für mindestens 6 Wochen
  • Regelmäßige fachärztliche Kontrolle, um das Auftreten von Komplikationen (Pseudarthrosen, verspätet auftretende Doppelbilder) frühzeitig zu erkennen und Patient*in ggf. doch noch zu operieren.

Operative Therapie

  • Anatomische Rekonstruktion der Orbita
    • bei isolierten Orbitabodenfrakturen oft einfache Folie oder Membran ausreichend
    • Bei mehrwandigen Defekten werden häufiger formstabile Titanmeshs
      eingesetzt.
  • Indikationen
    • Vorliegen eines Bulbustief- oder -hochstands
    • Enophthalmus oder Exophthalmus
    • Gewebeprolaps
    • großflächige Defekte
    • Doppelbilder
    • persistierende Hypästhesie
  • Notfallmäßige Operation
    • bei Hinweisen auf Einklemmung der Augenmuskeln oder Optikusaffektion
    • persistierender orbitokardialer Reflex (Abfall Blutdruck und Herzfrequenz durch Druckerhöhung in Orbita), oft mit Übelkeit und Erbrechen
  • Dringliche Operation
    • bei Einklemmung von Weichteilen
  • Ansonsten sollte die Primärrekonstruktion nach einem Schwellungsrückgang innerhalb von spätestens 5–15 Tagen nach Trauma erfolgen.,

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bei Inkarzeration von Augenmuskeln kann innerhalb von 24 Stunden eine irreversible Fibrosierung des Muskels auftreten.
  • Bei Retrobulbärhämatom kann ein orbitales Kompartmentsyndrom entstehen, das innerhalb kürzester Zeit zum Visusverlust durch Kompression des N. opticus führen kann.
    • Deswegen sollten Visuskontrollen direkt nach dem Trauma und nach operativer Versorgung zunächst über mehrere Stunden alle 30 min, dann stündlich risikoadaptiert (Hypertonie, Einnahme von Blutverdünnern) durch geschultes Pflegepersonal erfolgen.

Komplikationen

  • Retrobulbäres Hämatom, das zu Visusverlust führen kann.
  • Persistierende Hyposensibilität im Versorgungsgebiet des N. infraorbitalis
  • Persistierende Augenmotilitätsstörung/Doppelbildsehen
  • Pseudarthrose
  • Gesichtsasymmetrie

Prognose

  • Die Prognose ist abhängig vom Grad der Dislokation, den Begleitverletzungen und dem Patientenalter.
  • Bei inadäquater Therapie kann durch die Einklemmung und damit Schädigung feiner Strukturen (N. infraorbitalis, N. opticus, Augenmuskeln) ein hoher Verlust an Lebensqualität auftreten.
    • Daher sollten Orbitafrakturen zeitnah von Mittelgesichtschirurg*innen gesehen, bewertet und ggf. operativ versorgt werden.
  • Postoperative Sensibilitätsstörungen vom N. infraorbitalis bilden sich in der Regel innerhalb weniger Monate zurück.

Illustrationen

FractLeftOrbitFloorMark.png
CT der Nasennebenhöhlen mit Orbitabodenfraktur links (Quelle: Wikipedia)

Quellen

Literatur

 

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt

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