Allgemeine Informationen
Definition
- Schielen und Doppelbilder bei Erwachsenen sind erworbene Sehstörungen mit neurologischen oder ophthalmologischen Ursachen.1-2
- Bei Doppelbildern (Diplopie) werden Teile des Gesehenen vom Betroffenen mehrmals und zueinander versetzt wahrgenommen.
- binokuläre Doppelbilder: beim Sehen mit beiden Augen
- monokuläre Doppelbilder: beim Sehen mit nur einem Auge
- Beim Schielen (Strabismus) kommt es zur Abweichung eines Auges von der Blickrichtung mit Fehlstellung der Augäpfel zueinander.
- Siehe auch Artikel Strabismus im Kindesalter.
Häufigkeit
- Die Häufigkeit von erworbenem Schielen und/oder Doppelbildern ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung.
- Häufigkeiten möglicher Ursachen:
- Schlaganfall: Inzidenz ca. 250 pro 100.000 pro Jahr
- Netzhautablösung: Inzidenz ca. 10 pro 100.000 pro Jahr
- Myasthenia gravis: Inzidenz ca. 0,25–2 pro 100.000 pro Jahr.
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Lokalisation von Pathologien, die zu Schielen und Doppelbildern führen können:,
- Pathologien des zentralen Nervensystems
- v. a. Funktionsstörungen von Hirnstamm oder (selten) anderen Zentren
- z. B. multiple Sklerose, ischämischer Schlaganfall, zerebrale Raumforderungen
- Pathologien der Hirnnerven
- N. oculomotorius (III. Hirnnerv)
- N. trochlearis (IV. Hirnnerv)
- N. abducens (VI. Hirnnerv)
- Pathologien der äußeren Augenmuskeln
- z. B. durch direkte Verletzung bei Orbitafraktur
- Pathologien der Orbita
- z. B. direkte Schädigung oder Entzündung bei endokriner Orbitopathie oder Orbitatumoren
- Pathologien des Bulbus und der Kornea
- z. B. Katarakt
- Makula- oder Netzhauterkrankungen
- z. B. Netzhautablösung
- angeborene Schielsyndrome
- Vermutlich sind Defekte in der Entwicklung der zentralnervösen Steuerungsmechanismen der Augenbewegungen ursächlich.
- familiäre Häufung nachgewiesen, jedoch noch keine konkreten Gene
- Pathologien des zentralen Nervensystems
Anatomie der äußeren Augenmuskeln
- Die Bewegung des Augenbulbus erfolgt durch die äußeren Augenmuskeln.
- Grundsätzliche Bewegungsebenen
- Elevation und Depression
- Abduktion und Adduktion
- Innen- und Außenrotation
- Äußere Augenmuskeln, Wirkung und Innervation
- M. rectus superior
- Elevation, Adduktion, geringe Innenrotation
- innerviert durch N. oculomotorius (III)
- M. rectus inferior
- Depression, Adduktion, geringe Außenrotation
- innerviert durch N. oculomotorius (III)
- M. rectus medialis
- Adduktion
- innerviert durch N. oculomotorius (III)
- M. rectus lateralis
- Abduktion
- innerviert durch N. abducens (VI)
- M. obliquus superior
- schräger Augenmuskel
- Depression, Abduktion, Innenrotation
- innerviert durch N. trochlearis (IV)
- M. rectus superior M. rectus inferior M. rectus medialis M. obliquus inferior
- Elevation, Abduktion, Außenrotation
- innerviert durch N. oculomotorius (III)
- M. rectus superior
Einteilung des Schielens
- Einteilung des Schielens nach:
- Richtung der Abweichung
- Abhängigkeit von der Blickrichtung
- Ursache des Schielens
- Zeitpunkt des Auftretens.
- Manifestes Schielen (Heterotropie)
- Beim Abdecken des fixierenden Auges kommt es zur Einstellbewegung des nicht abgedeckten Auges (einseitiger Abdecktest).
- Strabismus divergens (Exotropie, Außenschielen)
- Einstellbewegung von außen nach innen
- Strabismus convergens (Esotropie, Innenschielen)
- Einstellbewegung von innen nach außen
- Höhenschielen (Vertikaltropie)
- Hypertropie: rechtes Auge höher als das linke
- Hypotropie: linkes Auge höher als das rechte
- Latentes Schielen
- Fixierung beider Augen auf das Objekt ohne Schielstellung
- Beim Abdecken kommt es zum Abweichen des abgedeckten Auges (Einstellbewegung im wechselseitigen Abdecktest).
- latentes Innenschielen (Esophorie)
- latentes Außenschielen (Exophorie)
- latentes Höhenschielen (Hyper- und Hypophorie)
- Primärer und sekundärer Strabismus
- primärer Strabismus: isoliertes Schielen, keine weiteren
ophthalmologischen Erkrankungen - sekundärer Strabismus: Schielen als Folge einer anderen ophthalmologischen Erkrankung (z. B. Erblindung)
- primärer Strabismus: isoliertes Schielen, keine weiteren
- Konkomitantes und inkomitantes Schielen
- Strabismus concomitans (Begleitschielen): Schielwinkel in allen Blickrichtungen gleich
- Strabismus incomitans (auch Strabismus paralyticus): Schielwinkel je nach Blickrichtung unterschiedlich
Diagnostische Überlegungen
- Hinweise auf Ursachen ergeben sich aus:
- dem Beginn und zeitlichen Verlauf
- der Art des Schielens bzw. der Doppelbilder
- den Begleitsymptomen
- den Vorerkrankungen
- der klinischen Untersuchung.
Konsultationsgrund
- Insbesondere akut aufgetretene Doppelbilder und Augenbewegungsstörungen
- Augenärzt*innen sind häufig die erste Anlaufstelle.
- Bei langsamer Progredienz ist zu Beginn oft noch eine Kompensation möglich.
ICPC-2
- F95 Strabismus
ICD-10
- H49.- Strabismus paralyticus
- H49.0 Lähmung des N. oculomotorius [III. Hirnnerv]
- H49.1 Lähmung des N. trochlearis [IV. Hirnnerv]
- H49.2 Lähmung des N. abducens [VI. Hirnnerv]
- H49.3 Ophthalmoplegia totalis externa
- H49.4 Ophthalmoplegia progressiva externa
- H49.8 Sonstiger Strabismus paralyticus
- H49.9 Strabismus paralyticus, nicht näher bezeichnet
- H50.- Sonstiger Strabismus
- H50.0 Strabismus concomitans convergens
- H50.1 Strabismus concomitans divergens
- H50.2 Strabismus verticalis
- H50.3 Intermittierender Strabismus concomitans
- H50.4 Sonstiger und nicht näher bezeichneter Strabismus concomitans
- H50.5 Heterophorie
- H50.6 Mechanisch bedingter Strabismus
- H50.8 Sonstiger näher bezeichneter Strabismus
- H50.9 Strabismus, nicht näher bezeichnet
Differenzialdiagnosen
Ophthalmologische Erkrankungen
Begleitschielen (Strabismus concomitans)
- Definition und Ursache
- Formen manifesten Schielens
- Strabismus divergens (Exotropie, Außenschielen)
- Strabismus convergens (Esotropie, Innenschielen)
- Höhenschielen (Vertikaltropie)
- Erstmanifestation in der Regel als Strabismus im Kindesalter
- Ursache frühkindlicher Schielsyndrome vermutlich Defekte in der Entwicklung von Augenbewegungszentren im ZNS
- Assoziation mit Fehlsichtigkeit, z. B. Hyperopie oder Astigmatismus
- Formen manifesten Schielens
- Klinik
- Strabismus mit konstantem Schielwinkel in allen Blickrichtungen
- im Gegensatz zum erworbenen paretischen Schielen, z. B. durch Augenmuskellähmungen, keine blickrichtungsabhängige Zunahme des Schielwinkels
- Während der frühkindlichen Sehentwicklung kann es zur Unterdrückung der Sehwahrnehmung (Amblyopie) kommen.
- Strabismus mit konstantem Schielwinkel in allen Blickrichtungen
- Therapie
- gering ausgeprägt häufiger Zufallsbefund ohne wesentlichen Krankheitswert
- Schielwinkelausgleich mittels Prismengläsern
- in schweren Fällen Augenmuskeloperation zur Verbesserung der Schielstellung
Dekompensiertes latentes Schielen (Heterophorie)
- Definition und Ursache
- latentes Schielen (Exo- bzw. Esophorie) mit akut herabgesetzter Kompensationsfähigkeit durch verschiedene Auslöser
- z. B. Müdigkeit, Alkohol, Erkrankung
- Formen latenten Schielens
- latentes Innenschielen (Esophorie)
- latentes Außenschielen (Exophorie)
- latentes Höhenschielen (Hyper- und Hypophorie)
- latentes Schielen (Exo- bzw. Esophorie) mit akut herabgesetzter Kompensationsfähigkeit durch verschiedene Auslöser
- Klinik
- Episoden mit Auftreten von horizontalen Doppelbildern und Schielstellung
- Vorgeschichte mit Episoden von vorübergehender Doppelbildwahrnehmung
- Therapie
- häufig spontane Besserung nach Ausgleich des Auslösers
- bei bleibender Einschränkung Behandlung analog zu manifestem Schielen
Monokuläre Doppelbilder bei Augenerkrankungen1
- Siehe auch Artikel Verschwommenes Sehen, Schatten, Flecken und Flimmern.
- Definition und Ursache
- Wahrnehmung von Doppelbildern auch bei Abdecken eines Auges
- Ursachen meist Störungen des optischen Systems, z. B.:
- trockene Augen bzw. instabiler Tränenfilm
- Läsionen oder Narben der Kornea
- Refraktionsfehler
- Katarakt (durch Erzeugung zweier Brennpunkte).
- Klinik
- Doppelbilder werden oft als Schatten oder Verschwommensehen wahrgenommen.
Endokrine Orbitopathie
- Siehe Artikel Endokrine Orbitopathie.
- Definition und Ursache
- Autoimmunerkrankung der Augenmuskeln und der Orbita
- Fibrosen der Augenmuskeln führen zur mechanischen Bewegungsstörung mit komplexen Formen des Schielens und der Doppelbilder.
- meist im Rahmen einer Hyperthyreose, v. a. bei Morbus Basedow
- in 10–20 % der Fälle Augenveränderungen bereits vor Symptomen des Morbus Basedow
- Klinik
- Schmerzen und Druckgefühl retroorbital
- Exophthalmus, Schwellung, Lidödem
- Doppelbilder durch Augenmuskelbeteiligung
- häufig beidseitig
- Therapie
- Wiederherstellung einer stabilen Euthyreose als primäres Therapieziel
- abhängig vom Verlauf ggf. Kortikosteroidgabe oder Bestrahlung
Orbitafraktur1
- Siehe Artikel Orbitafraktur.
- Definition und Ursache
- traumatische Verletzung der knöchernen Wand der Orbita
- meist Orbitabodenfraktur durch frontale Gewalteinwirkung auf den Bulbus (Blow-Out-Fraktur)
- Verletzungsfolgen können zur Muskeleinklemmung führen.
- Klinik
- Monokelhämatom
- Bulbustief- oder -hochstand, Enopthalmus
- Sensibilitätsstörung unterhalb des Auges (N. infraorbitalis)
- Doppelbilder
- durch Einklemmung von Augenmuskeln im Frakturspalt
- Die Therapie erfordert häufig operative Sanierung.
Pseudotumor orbitae
- Definition und Ursache
- entzündliche Erkrankung der Orbita ungeklärter Ätiologie
- Synonym: idiopathische entzündliche Orbitopathie
- Klinik
- häufig akuter Verlauf, häufige Rezidive (bis zu 50 % der Patient*innen)
- Schmerzen (v. a. bei Augenbewegung), Druckgefühl
- Exophthalmus und Lidschwellung (periorbitales Ödem)
- Bewegungseinschränkungen und Doppelbilder
- Visusminderung
- Therapie mit NSAR, Glukokortikosteroiden, Strahlentherapie, Immunsuppresiva
Weitere Ursachen
- Herpes zoster ophthalmicus
- Orbitaphlegmone
- Orbitatumor bzw. Orbitametastasen
- Komprimierende Prozesse in der Orbita und/oder im Sinus cavernosus
Neurologische Erkrankungen
Okulomotoriusparese (III. Hirnnerv)
- Definition und Ursache
- Schädigung und Funktionsausfall des N. oculomotorius (III. Hirnnerv)
- Enthält motorische und parasympathische Anteile.
- Der motorische Anteil innerviert Teile der äußeren Augenmuskeln (M. rectus superior, M. rectus inferior, M. rectus medialis, M. obliquus inferior).
- Der parasympathische Anteil innerviert die inneren Augenmuskeln (M. ciliaris, M. sphincter pupillae).
- Einteilung der Okulomotoriusparesen
- äußere Lähmung: nur externe Augenmuskelparesen inkl. Ptose
- innere Lähmung: Mydriasis und Akkommodationslähmung
- komplette Lähmung
- Ätiologie
- Schlaganfall
- Diabetes mellitus
- Hypophysenadenom oder -infarkt
- Kompression, z. B. durch intrakranielle Aneurysmata
- Trauma
- Klinik
- Bulbusabweichung nach außen unten
- Ptosis
- Mydriasis (bis zur Pupillenstarre)
- Doppelbilder, insbesondere bei Blick nach kontralateral oben
- Diagnostik
- neurologische Untersuchung inkl. Papillenbeurteilung (Hirndruck)
- zerebrale Bildgebung (vorzugsweise MRT)
- Therapie
- häufig spontane Rückbildung
- nach Schielwinkel Ausstattung mit Mattfolie oder Prismenfolie
- bei Persistenz ggf. Augenmuskeloperation
Trochlearisparese (IV. Hirnnerv)
- Definition und Ursache
- Schädigung und Funktionsausfall des N. trochlearis (IV)
- Innerviert den M. obliquus superior.
- Ätiologie
- am häufigsten idiopathisch
- sekundär oft traumatisch bei Schädel-Hirn-Trauma
- Klinik
- Bulbusabweichung nach oben
- schräg versetzte Doppelbilder
- oft kompensatorische Kopfhaltung mit Kopfneigung und -drehung zur gesunden Seite
Abduzensparese (VI. Hirnnerv)
- Definition und Ursache
- Schädigung und Funktionsausfall des N. abducens (VI. Hirnnerv)
- Innerviert den M. rectus lateralis.
- Ätiologie
- Diabetes mellitus
- mikrovaskuläre Genese
- Raumforderungen (z. B. Tolosa-Hunt-Syndrom oder Tumoren)
- Liquorunterdrucksyndrom, Pseudotumor cerebri, Neoplasien
- Häufigkeit
- häufigste periphere neurogene Augenmuskelparese
- Klinik
- Abweichung des Auges nach nasal
- Doppelbilder, insbesondere bei Blick zur ipsilateralen Seite
Schlaganfall und TIA
- Siehe Artikel Schlaganfall und TIA.
- Definition und Ursache
- Häufige Ursache einer Läsion des ZNS, die zu neurologischen Defiziten führt.
- ischämischer Schlaganfall häufiger als intrazerebrale Blutungen
- Doppelbilder (Diplopie) und weitere Augenmotilitätsstörungen inkl. Nystagmus insbesondere bei Schädigung des Hirnstamms
- Klinik
- plötzlicher Beginn einer neurologischen Symptomatik
- z. B. Sensibilitätsstörungen, Lähmungen (Paresen), Sprach- und Sprechstörungen, Sehstörungen, (Dreh-)Schwindel
- Art und Ausprägung abhängig von der Schwere und Lokalisation
- plötzlicher Beginn einer neurologischen Symptomatik
- Therapie
- Medizinischer Notfall, der eine umgehende Krankenhausbehandlung erfordert.
Myasthenia gravis
- Siehe Artikel Myasthenia gravis.
- Definition und Ursache
- Autoimmunerkrankung mit gestörter neuromuskulärer Übertragung
- Bildung von Autoantikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren
- Augenbeteiligung oft früh im Krankheitsverlauf (okuläre Myasthenie)
- Klinik
- hängendes Augenlid (Ptosis) und Doppelbilder wechselnder Ausprägung
- muskuläre Schwäche und schnelle Ermüdbarkeit, Dysphagie
- Fluktuation im Tagesverlauf häufig (abends schlechter)
- Diagnostik
- neurologische und elektrophysiologische Untersuchung
- Labordiagnostik mit Antikörpertestung
- Bildgebung
- Therapie
- medikamentös mit Acetylcholinesterasehemmern, Kortikosteroiden und Immunsuppresiva
Internukleäre Ophthalmoplegie (INO)
- Definition und Ursache
- Augenbewegungsstörung durch Schädigung des Fasciculus longitudinalis medialis (FML), das die Verbindung zwischen den Augenmuskelkernen darstellt.
- Bahn zwischen dem Abducens-Kerngebiet der einen und dem Oculomotorius-Kerngebiet der anderen Seite
- Ätiologie
- Augenbewegungsstörung durch Schädigung des Fasciculus longitudinalis medialis (FML), das die Verbindung zwischen den Augenmuskelkernen darstellt.
- Klinik
- in Grundstellung konjugierter Blick, keine Doppelbilder
- Störung der horizontalen Augenbewegung
- Adduktionsschwäche des ipsilateralen Auges
- (dissoziierter) Abduktionsnystagmus des kontralateralen Auges
- bei Konvergenz erhaltene Adduktion
Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis)3
- Siehe Artikel Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis).
- Definition und Ursache
- Vaskulitis mit Befall der großen Gefäße
- häufigste primäre systemische Vaskulitis
- Betrifft fast nur Patient*innen über 50 Jahre.
- Klinik
- Leitsymptom sind stechende, meist frontotemporal betonte Kopfschmerzen.
- Claudicatio masticatoria (Schmerzen oder Schmerzzunahme bei Kaubewegungen)
- Befall der Augenmuskulatur kann zu Augenbewegungsschmerz, Doppelbildern und Ptosis führen.
- Diagnostik
- labordiagnostisch charakteristisch erhöhte BSG
- Duplexsonografie und ggf. Biopsie der A. temporalis
- Therapie mit Kortikosteroiden
Weitere Ursachen
- Schädel-Hirn-Trauma
- Miller-Fisher-Syndrom
- Wernicke-Enzephalopathie
- Okuläre Myositis
- Myotonien
- Okulopharyngeale Dystrophie
- Supranukleäre Störungen mit Blickparesen
- Chronisch progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO)
- seltene Mitochondriopathie
- Myokymie des Musculus obliquus superior
- attackenartige Episoden mit Oszillation des betroffenen Auges
Anamnese
Symptome
- Beginn und Verlauf
- plötzlich, langsam progredient, intermittierend
- z. B. plötzlicher Beginn bei Schlaganfall
- Fluktuation bzw. Abhängigkeit von der Tageszeit
- z. B. abends ausgeprägter bei Myasthenia gravis
- plötzlich, langsam progredient, intermittierend
- Doppelbilder
- binokuläre oder monokuläre Doppelbilder
- monokulär eher Verzerrtsehen als getrennte, identische Bilder
- Abhängigkeit von der Blickrichtung (in einer Richtung zunehmend oder gleichbleibend)
- Richtung der Doppelbilder (horizontal, vertikal oder schräg versetzt)
- Aussehen der Doppelbilder
- z. B. in schattenartige Doppelbilder bei Katarakt
- binokuläre oder monokuläre Doppelbilder
- Begleitsymptome
- Kopfschmerzen oder Augenschmerzen
- z. B. bei Pseudotumor orbitae, Orbitaphlegmone
- Ptosis, ggf. muskuläre Schwäche und Dysphagie
- z. B. bei Myasthenia gravis
- Paresen, Sensibilitätsstörungen, Sprach- und Sprechstörungen
- z. B. bei Schlaganfall
- Tinnitus oder Schwindel
- Verschwommen- bzw. Unscharfsehen
- Verschwommenes Sehen, Schatten, Flecken und Flimmern werden z. T. von Betroffenen als Doppelbilder fehlgeschildert.
- Kopfschmerzen oder Augenschmerzen
Ursachen
- Vorangegangenes Trauma
- Gesichtstrauma als Hinweis auf eine Orbitafraktur
- Vorerkrankungen
- Strabismus oder Amblyopie in der Kindheit
- Augenerkrankungen und -operationen
- Diabetes mellitus: erhöhtes Risiko für Hirnnervenläsionen
- Schilddrüsendysfunktion: Hinweis auf eine endokrine Orbitopathie
- Medikamentenanamnese2
- Diplopie ist eine seltene Nebenwirkung.
- z. B. bei Lamotrigin, Topiramat, Gabapentin, Fluorchinolonen und Citalopram
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche Untersuchung und orientierende neurologische Untersuchung abhängig von der Anamnese, z. B.:
- nach Trauma: Untersuchung auf Verletzungsfolgen
- akute Doppelbilder: Untersuchung auf Zusatzsymptome eines Schlaganfalls.
- Ziele der Untersuchung des Sehens und der Augenmotilität,,
- Einordnung des Schielens und der Doppelbilder
- bei Augenbewegungsstörungen: einseitig oder beidseitig
- Zusatzsymptome als Hinweis auf die Ursache
- Mögliche Befunde2
- Zunahme der Doppelbilder bei bestimmter Blickrichtung (Zugrichtung des Muskels) bei Augenmuskelparesen
- tiefer stehende Augenlider (Ptosis) bei Okulomotoriusparese oder Myasthenia gravis
- Exophthalmus und Retraktion der Augenlider bei endokriner Orbitopathie
- Skew-Deviation (Bulbi in der vertikalen Ebene zueinander versetzt) oder vertikaler Nystagmus bei Hirnstamminfarkt
Untersuchung der Augen
- Prüfung der Sehschärfe (Visus)
- Prüfung der Pupillengröße und Lichtreaktion
- Prüfung auf Doppelbilder und Schielen
- Prüfung der Parallelität der Bulbi (Schielen)
- bei Blick geradeaus in die Ferne
- Prüfung der Blickmotorik und Blickfolge
- Stift oder anderes Objekt als Blickziel
- subjektive Angabe von Doppelbildern
- Abhängigkeit von der Blickrichtung
- Binokuläre Doppelbilder verschwinden bei Abdecken eines Auges.
- Hornhautreflexbilder
- Prüfung der Lichtreflexe auf der Hornhaut auf Symmetrie
- einseitiger Abdecktest
- Vermutlich fixierendes Auge wird abgedeckt.
- Das schielende Auge macht eine Einstellbewegung.
- Einstellbewegung von innen nach außen: Einwärtsschielen (Strabismus convergens)
- Einstellbewegung von außen nach innen: Auswärtsschielen
(Strabismus divergens)
- Prüfung der Parallelität der Bulbi (Schielen)
- Differenzierungsmerkmale von Begleitschielen (Strabismus concomitans)
- häufig keine Wahrnehmung von Doppelbildern
- keine Zunahme der Fehlstellung abhängig von der Blickrichtung
- bei monokulärer Prüfung keine Bewegungseinschränkung des Bulbus
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
Bei Spezialist*innen
Opthalmologische Zusatzdiagnostik
- Ausmessung des Schielwinkels
- einseitiger Abdecktest
- Aufdecktest
- wechselseitiger Abdecktest
- Prismenabdecktest
- Hornhautreflex
- Visusprüfung
- Funduskopie
- Prüfung der Fixation (Visuskop)
- Gesichtsfeldmessung
- Hess-Schirm-Test
- Testung der äußeren Augenmuskeln zur Unterscheidung von paretischen Schielen und Begleitschielen
- Video-, magneto- und elektrookulografische Untersuchungen
- bei uneindeutiger klinischer Untersuchung
- Erlauben genauere Quantifizierung von Augenbewegungsstörungen.
Neurologische Zusatzdiagnostik1,3
- Blickfolgebewegungen und Vergenz
- Sakkaden (schnelle Augenbewegungen)
- Nystagmusprüfung
- Spontannystagmus (peripher-vestibulär oder zentral)
- optokinetischer Nystagmus
- provozierte Nystagmen
- Vestibulookulärer Reflex (VOR)
- Lumbalpunktion und Liquordiagnostik
- z. B. bei peripheren Hirnnervenläsionen (Augenmuskelparesen) zur Abklärung einer entzündlichen Ursache
Bildgebende Untersuchungen
- Zerebrale Bildgebung3
- MRT des Schädels, ggf. CT als Initialdiagnostik
- ggf. inkl. Gefäßdarstellung (CT-A oder MR-A)
- sofortige Bildgebung bei Okulomotoriusparese mit Pupillenbeteiligung
- Nachweis möglicher Ursachen
- Schlaganfall und TIA
- Raumforderung
- entzündlicher intrakranieller Prozess
- Verletzungsfolgen (z. B. Orbitafraktur)
- endokrine Orbitopathie
- intrakranielle Aneurysmata
- bei peripheren Augenmuskelparesen (insbesondere N. oculomotorius)
Maßnahmen und Empfehlungen
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung richtet sich nach der Ursache des Schielens bzw. der Doppelbilder.
- bei akuten Doppelbildern umgehende Diagnostik und Behandlung
- abhängig von der Ursache häufig Rückbildung der Symptomatik
- bei bleibender Diplopie Einsatz spezieller Hilfsmittel (z. B. Prismenbrille)
Behandlungsoptionen
- Nicht-kausale Behandlungsoptionen bei persistierendem Schielen bzw. Doppelbildern
- Augenbewegungstraining
- vorübergehende Versorgung mit Mattfolie oder Prismenfolie
- Anpassung der Brillengläser mit Prismen zur Korrektur
- Botulinum-Toxin-Injektionen (in antagonisierende Muskeln)
- chirurgische Eingriffe (Augenmuskeloperationen)
- Falls längerfristig (> 6–12 Monate) keine Besserung mehr zu verzeichnen ist.
Fahrtauglichkeit
- Zur Einschätzung der Kraftfahreignung siehe die Artikel Beurteilung der Fahrtauglichkeit, Sehstörung/Sehverlust und Schwindel.
Indikationen zur Überweisung
- Bei anhaltendem oder wiederkehrendem Schielen oder Doppelbildern Überweisung zu Augenärzt*innen oder Neurolog*innen
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Sofortige Klinikeinweisung bei V. a. Schlaganfall/TIA
- Akut aufgetretene Doppelbilder und/oder Schielen
- Doppelbilder und/oder Schielen nach traumatischer Verletzung oder mit Zusatzsymptomen
Illustrationen

Strabismus convergens (Esotropie, Innenschielen) des rechten Auges
Quellen
Literatur
- Danchaivijitr C, Kennard C. Diplopia and eye movement disorders. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2004;75 Suppl 4(Suppl 4):iv24‐iv31. doi:10.1136/jnnp.2004.053413 doi.org
- Low L, Shah W, MacEwen CJ. Double vision [published correction appears in BMJ. 2016;352:i613]. BMJ. 2015;351:h5385. Published 2015 Nov 18. doi:10.1136/bmj.h5385 doi.org
- Margolin E, Lam CTY. Approach to a Patient with Diplopia in the Emergency Department. J Emerg Med. 2018;54(6):799‐806. doi:10.1016/j.jemermed.2017.12.045 doi.org
Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg