Zusammenfassung
- Definition:Bei der Sekundärheilung wird die Wunde nicht verschlossen, sondern heilt über die Bildung von Granulationsgewebe von unten her, von oben wird sie durch von den Wundrändern einwachsende Hautzellen bedeckt (Epithelisierung).
- Häufigkeit:Sowohl postoperative als auch chronische Wunden mit sekundärer Heilung sind häufig.
- Symtome:Akute oder chronisch offene Wunde.
- Befunde:Wunde, die keinem primären Wundverschluss zugeführt werden kann oder wiedereröffnet werden musste.
- Diagnostik:Beurteilung der Wunde bezüglich Sekretmenge, Belägen, Nekrosen, beteiligten Stukturen, Infektionszeichen; Diagnostik möglicher zugrunde liegender Erkrankungen.
- Therapie:Primär ggf. Debridement notwendig, regelmäßige Wundreinigung, Wundverband unter Erhalt eines feuchten Wundmilieus und Schutz der Wundränder, ggf. Deckung mit Spalthaut oder Hautersatzmaterialien, bei sehr großen und tiefen Wunden ggf. Vakuumtherapie.
Allgemeine Informationen
Definition
- Sekundärheilung findet bei Wunden statt, die nicht primär verschlossen werden können, weil
- die Wundränder zu weit voneinander entfernt sind.
- ein zu großer Gewebeverlust besteht.
- die Wunde (z. B. Bissverletzung) infiziert ist.
- die Wunde zu alt für einen primären Wundverschluss ist.
- eine Wunde nach Primärnaht wegen Infektion wiedereröffnet werden muss.
- Es bildet sich Granulationsgewebe von unten her, und von oben wird die Wunde durch von den Wundrändern einwachsende Hautzellen bedeckt (Epithelisierung).
- Der Nachteil der sekundären Wundheilung ist, dass sie sehr langwierig sein kann.
- Großflächige Wunden haben oft große Narben zur Folge. Eine evtl. Narbenkontraktur kann zu deformierten und verwachsenen Narben führen.
- Sekundär heilende Wunden können zu chronischen Wunden führen: Eine chronische Wunde wird definiert als Integritätsverlust der Haut mit fehlender Abheilung innerhalb von 8 Wochen.
- Sie entwickelt sich an den unteren Gliedmaßen meist in Folge eines Diabetes mellitus, einer venösen Insuffizienz oder arteriellen Durchblutungsstörung.
Häufigkeit
- Postoperative Wundinfektionen (Surgical Site Infections, SSI) machen ca. 20–25 % der im Krankenhaus erworbenen (nosokomialen) Infektionen aus.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Wundheilung läuft in drei Stadien ab.
- Die Phasen laufen in beständigem Neben- und Nacheinander ab.
- Exsudative Phase (Tag 1–5)
- Entzündungsphase, entspricht weitgehend der katabolen Phase.
- Makroskopische Merkmale sind Rötung und Schwellung.
- Beinhaltet Hämostase, Wundödem, Diapedese (Übertritt von Entzündungszellen in Wundgebiet) und Wundreinigung durch Phagozytose.
- Proliferative Phase (Tag 2–10)
- Granulationsphase, Übergang der katabolen in die anabole Phase
- Bildung von Granulationsgewebe, Angiogenese, Reepithelisierung
- Dichte Agglomeration von Gefäßschlingen verleiht dem Granulationsgewebe ein typisches gekörntes Aussehen.
- Reparative Phase (ab Tag 3 bis mehrere Wochen)
- Remodellierung, entspricht weitgehend der anabolen Phase.
- Typ-3-Kollagen wird kontinuierlich durch stabileres Typ-1-Kollagen ersetzt.
- Kontraktion der Myofibroblasten führt zu Schrumpfung und Verkleinerung des Wundvolumens.
- Bei chronischen Erkrankungen, die die Wundheilung beeinträchtigen, treten erhebliche zeitliche Verzögerungen ein.
Prädisponierende Faktoren
- Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Vorerkrankungen
- Diabetes mellitus
- Gefäßerkrankungen
- Adipositas
- Immunsuppression
- Alter
- Immobilisation
- Mangelernährung
- Rauchen
- Bei chirurgischen Wunden die Art des Eingriffs
- Kontamination während der OP
- OP -Dauer
- Notfalleingriffe
- Verbrennungswunden
ICD-10
- L97 Ulcus der unteren Extremitäten
- L98 Sonstige Krankheiten der Haut und der Unterhaut, anderenorts nicht näher klassifiziert
- L98.4 Chronische Ulzeration Haut
- T81 Komplikationen bei Eingriffen, anderenorts nicht klassifiziert
- T81.3 Aufreißen einer Operationswunde, anderenorts nicht klassifiziert
- T81.4 Infektion nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert
- Je nach Lokalisation können bei akuten Wunden diverse S-Diagnosen zutreffen.
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Wunde, die keiner primären Wundheilung zugeführt werden kann.
Anamnese
- Art und Zeitpunkt der Wundentstehung
- Tetanus-Impfschutz aktuell?
- Vorerkrankungen
- arterielle Durchblutungsstörungen
- diabetische Angiopathie und/oder Polyneuropathie
- venöse Abflussstörung
- weitere immunsupprimierende Situationen (Chemotherapie, Bestrahlung,)
- Mangelernährung
- Raucherstatus
Klinische Untersuchung
- Inspektion
- Lokalisation
- vorbestehende Hautveränderungen
- Fußdeformitäten
- äußere Einwirkung
- Infektzeichen
- Exsudat?
- Aussehen
- Geruch
- Menge
- Beschreibung der Wunde
- Größe und Tiefe
- Erscheinungsbild des Wundbetts
- Veränderungen der umliegenden Haut
- Beteiligung des umliegenden Gewebes
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Fotodokumentation der Wunde
- Labor
- Leukozyten, CRP bei V. a. eine Infektion
- Wundabstrich nur, wenn eine antibiotische Behandlung angedacht ist
- Bei (chronischen) Wunden am Fuß
- Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI = Ankle Brachial Index)
- HbA1c
- Sensibilitätsüberprüfung mit dem Monofilament
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Diagnostik zugrunde liegender Erkrankungen
- je nach Verdachtsdiagnose Duplexsonografie der Becken/Beinarterien sowie des venösen Abflusses
- bei V. a. PAVK und nicht eindeutigem Duplexbefund CT-Angiografie oder MR-Angiografie
- ggf. Biopsie bei unklarer Ätiologie oder Verdacht auf Malignität
- ggf. Diagnostik einer Polyneuropathie
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Bei Notwendigkeit eines chirurgischen Débridements in eine chirurgische Klinik
- Ggf. zur Spalthautdeckung in eine chirurgische oder dermatologische Abteilung
Therapie
Therapieziel
- Zügige Heilung ohne Komplikationen und mit minimaler Narbenbildung
Allgemeines zur Therapie
- Unkomplizierte (akute) sekundär heilende Wunden können oft mit einfachen Mitteln versorgt werden und zur Abheilung kommen.
- Bei komplizierten Wunden (zugrunde liegende Erkrankungen, Chronifizierung) ist sowohl die Behandlung der Grunderkrankung als auch die sorgfältige Auswahl der Wundauflage je nach Wundphase und lokalen Bedingungen (Lokalisation, Größe, Tiefe, Exsudat, Wundumgebung, Wundrand, Infektionszeichen) wichtig.
- Die Durchblutung sollte sowohl im venösen als auch im arteriellen Bereich möglichst verbessert werden.
- Eine mögliche Druckbelastung sollte ausgeschaltet werden.
- optimale Blutzuckereinstellung
- Gewicht- und Ernährungsoptimierung
- Behandlung einer Infektion
Lokale Behandlung
Wundreinigung/Débridement
- Akute, unkomplizierte Wunden
- Wundspülung im Rahmen des Verbandswechsels mit isotonischer Kochsalzlösung
- Auch das regelmäßige Ausduschen durch die Patient*innen mit Wasser ist nach aktueller Kenntnis unbedenklich, die Evidenz allerdings gering.2-3
- Chronische sekundär heilende Wunden
- aktive periodische Wundreinigung (APW) im Rahmen des Verbandswechsels
- mechanisch, z. B. mit feuchter Kompresse, sterilem Instrument oder steriler wirkstofffreier Wundspüllösung
- sollte im Rahmen von jedem Verbandswechsel stattfinden
- bei Bedarf unter adäquater Analgesie
- Bei Wunden ohne klinische Infektionszeichen sollten sterile, wirkstofffreie Wundspüllösungen eingesetzt werden.
- keinen Einsatz unsteriler Lösungen/Trinkwasser, da Gefahr der Einschleppung von Keimen
- keine Lösungen mit chemischen Zusätzen, da Hinweise auf Toxizität, allergische Potenz oder Iodbelastung
- Bei klinischen Zeichen einer Infektion Erwägung des Einsatzes von antiseptischen Lösungen, z. B. Polihexanid (Polyhexamethylenbiguanid, PHMB) oder Octenidin
- Unter (chirurgischem) Débridement versteht man die Abtragung von avitalem Gewebe, Nekrosen, Belägen und/oder Entfernung von Fremdkörpern bis in intakte anatomische Strukturen (unter Erhalt von Granulationsgewebe).
- Kann v. a. anfangs notwendig sein, ggf. auch unter Narkose.
- Wundspülungen unter Druck sollten wegen der Gefahr einer toxischen Reaktion und der Gefahr der aseptischen Nekrose unbedingt vermieden werden; sie sind nach einem fachgerechten Débridement meist auch nicht notwendig.
- Insbesondere sollten keine Spülungen mit Octenidin erfolgen; wenn, dann nur mit NaCl 0,9 % oder polyhexanidhaltigen Lösungen.
Wundauflagen bei akuten sekundär heilenden Wunden
- Wundauflage je nach Exsudatmenge
- Kompressen, ggf. in Kombination mit Fettgaze, um ein Verkleben der Wunde am Verband zu verhindern.
- Saugkompressen
- Alginate bei sehr großer Exsudatmenge, tiefen Wunden
- bei proktologischen Wunden Binde oder Slipeinlage (Fixierung zu schmerzhaft)
Wundauflagen bei chronischen sekundär heilenden Wunden
- Das wichtigste Ziel bei der Wahl der Wundauflage ist die Aufrechterhaltung eines feuchten Wundmilieus.2
- Zu trockene Wunden verzögern die Wundheilung.
- Zu nasse Wunden führen zu Mazeration der Wundränder.
- Die Wahl der Wundauflage erfolgt phasenadaptiert, d. h. sie richtet sich nach der Phase der Wundheilung.2
- Entzündungsphase, z. B.:
- Superabsorber
- Alginate
- Granulations-/Reparationsphase, z. B.:
- Hydrokolloidverbände
- Schaumstoffe
- Entzündungsphase, z. B.:
- Bei tiefen Wunden sollte der Kontakt des Wundverbandes mit dem Wundgrund sichergestellt sein (keine Hohlräume).
- Silberhaltige Wundauflagen zeigen keinen signifikanten Effekt auf die Wundheilung.4-5
- Jodhaltige Wundauflagen sollten nicht in der Schwangerschaft oder bei Hyperthyreose verwendet werden, darüber hinaus besteht eine zytotoxische Wirkung.
- Auch für antibiotikahaltige Salben ist kein positiver Effekt auf die Wundheilung nachgewiesen.6
- Zum Spektrum der verfügbaren Wundversorgungsprodukte gehören z. B.:
- Hydrokolloide
- Hydrogele
- Folien7
- Erhalten Feuchtigkeit, unterstützen die Reepithelialisierung (späte Wundheilungsphase).
- Nicht bei stärker sezernierenden Wunden anwendbar!
- Schaumstoffe
- Absorbieren Flüssigkeit.6
- Reinigung der Wunde durch mechanischen Reiz
- geeignet bei infizierten Wunden
- Mikrofaserverbände
- Alginate
- Nehmen viel Exsudat auf.
- Eignen sich gut zum Ausfüllen tiefer Wunden.
- auch für infizierte Wunden geeignet2
- physikalisch bakterienbindende Wundauflagen
- Binden und inaktivieren Bakterien und reduzieren so die Keimlast.
- Hydrokolloide
Chirurgische Therapie großer Wunden
- Sehr große sekundär heilende Wunden (z. B. nach Verbrennungen) können bei sauber granulierenden Wundverhältnissen durch eine Spalthauttransplantation oder temporär mit Hautersatzmaterialien gedeckt werden.
Begleitende physikalische Anwendungen
- Vakuumversiegelung8
- bei tiefen und stark sezernierenden Wunden zur Wundkonditionierung
- Es gibt Hinweise, dass der Wundverschluss früher und der Krankenhausaufenthaltsdauer kürzer ist als bei konventionell versorgten Wunden.8
- Für die Endpunkte Mortalität, unerwünschte Ereignisse, Amputation, Schmerzen, Lebensqualität bestehen weder für den Nutzen noch für den Schaden Hinweise gegenüber dem konventionellen Wundverband.8
- Hyperbare Sauerstofftherapie: in therapierefraktären Fällen des diabetischen Fußsyndroms mit angiopathischer Komponente nach Ausschöpfen aller Möglichkeiten zur Revaskularisation und konservativen Therapie
- Zu weiteren physikalischen Maßnahmen kann aufgrund mangelnder Evidenz keine Empfehlung abgegeben werden.
Medikamentöse Therapie
- Auf eine adäquate Schmerztherapie ist zu achten, v. a. zum Verbandswechsel, falls erforderlich.
Verlauf, Komplikationen, Prognose
Verlauf und Prognose
- Abhängig von der Art der Wunde und vor allem bei zugrunde liegenden Erkrankungen
- Die Wundheilung ohne zugrunde liegende komplizierende Faktoren dauert ca. 2–4 Wochen.7
- bei PAVK, CVI, diabetischer Angiopathie und Polyneuropathie oft deutlich prolongierter Verlauf, mitunter ausbleibende Abheilung mit Notwendigkeit der Amputation
Komplikationen
- Wundinfektionen, Phlegmone, Sepsis
- Nekrose/Gangrän
- Keloidbildung und Kontrakturen durch große Narben
- Hypergranulationen
- Maligne Entartung
- Histologie bei Therapieresistenz und/oder ungewöhnlicher Morphologie
- Ekzem der Wundumgebung
- An die Möglichkeit eines Kontaktekzems denken und ggf. Epikutantestung und dermatologische Mitbeurteilung.
Quellen
Literatur
- Armstrong DG, Meyr AJ. Risk factors for impaired wound healing and wound complications. UpToDate, last updated: Jun 20, 2023. www.uptodate.com
- Röhrborn A, Gross-Wege W. Chirurgische Infektionen: Prophylaxe und Therapie. In: Becker H, Markus PM. Allgemein- und Viszeralchirurgie I, Elsevier Urban und Fischer Verlag, 3. Auflage 2015, S.96 f.
- Fernandez R, Green HL, Griffiths R, Atkinson RA, Ellwood LJ. Water for wound cleansing. Cochrane Database Syst Rev. 2022 Sep 14;9(9). www.cochranelibrary.com
- Miller AC, Rashid RM, Falzon L, Elamin EM, Zehtabchi S. Silver sulfadiazine for the treatment of partial-thickness burns and venous stasis ulcers. J Am Acad Dermatol. 2012;66(5):e159–e165. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Vermeulen H, van Hattem JM, Storm-Versloot MN, Ubbink DT. Topical silver for treating infected wounds. Cochrane Database Syst Rev. 2007. www.cochranelibrary.com
- Han G, Ceilley R. Chronic Wound Healing: A Review of Current Management and Treatments. Adv Ther. 2017; 34(3): 599–610. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Armstrong DG, Mer AJ. Basic principles of wound management. UpToDate, last updated: Jun 09, 2022. www.uptodate.com
- Institute for Quality and Efficiency in Health Care (IQWiG). Negative pressure wound therapy for wounds healing by secondary intention: IQWiG Reports – Commission No. N17-01A. Cologne (Germany), 2019 Sep 20. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Viszeralchirurgie, Kaufbeuren