Schädelfraktur

Zusammenfassung

  • Definition:Knöcherne Frakturen der Schädelknochen durch äußere Gewalteinwirkung. Dabei wird zwischen Kalottenfrakturen, Schädelbasisfrakturen und Gesichtsschädelfrakturen unterschieden.
  • Häufigkeit:Inzidenz von 35–45 pro 100.000 pro Jahr, meist im Zusammenhang mit weiteren Kopfverletzungen. Männer mittleren Lebensalters sind am häufigsten betroffen.
  • Symptome:Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörung, Amnesie und weitere Symptome eines Schädel-Hirn-Traumas. Schädelbasisfrakturen können mit Hirnnervenausfällen, Hörstörungen und Liquorrhö einhergehen.
  • Befunde:Abhängig von der Lokalisation der Fraktur objektive äußere Verletzungszeichen (z. B. Deformitäten). Bei Schädelbasis- und Gesichtsschädelfrakturen Brillenhämatom, Fazialisparese, Liquorrhö, retroaurikuläres Hämatom.
  • Diagnostik:Frakturnachweis mittels CT des Schädels.
  • Therapie:Die meisten Schädelfrakturen können konservativ behandelt werden, in einigen Fällen ist eine operative Therapie notwendig.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Knochenfraktur im Bereich der Schädelknochens durch externe Krafteinwirkung, meist im Zusammenhang mit anderen Kopfverletzungen

Häufigkeit

  • Inzidenz von 35–45 pro 100.000 pro Jahr1
  • Schädelfrakturen treten bei 2–20 % aller Kopfverletzungen auf.1
  • Häufigkeitsgipfel bei 20–50 Jahren
  • Männer sind häufiger betroffen als Frauen.
  • Die häufigsten Frakturen sind lineare Frakturen des Schädeldaches (50–80 %).1-2

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Unfallmechanismus1
    • Die häufigste Ursache für Schädelfrakturen sind Stürze (ca. 35 %).
    • Weitere häufige Ursachen sind Verkehrsunfälle, Sportunfälle und Gewalttaten.
    • Bei Kindern sind neben Stürzen und Sportverletzungen auch Kindesmisshandlungen als Ursache in Betracht zu ziehen.1
  • Schädelfrakturen treten im Rahmen der primären traumatische Schädigung bei Schädel-Hirn-Trauma auf.

Klassifikation

  • Einteilung nach anatomischer Lokalisation
    • Kalottenfrakturen
    • Schädelbasisfrakturen
      • frontobasale Frakturen (nach Escher)
      • laterobasale Frakturen (Felsenbeinfrakturen)
    • Gesichtsschädelfrakturen
      • Mittelgesichtsfrakturen (nach Le Fort)
      • Orbitabodenfraktur
  • Einteilung nach Ausdehnung der Verletzung
    • geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma: Verletzung der Kopfschwarte und des Schädelknochens
    • offenes Schädel-Hirn-Trauma: zusätzliche Verletzung der Dura mater mit Verbindung zwischen Gehirn und Schädeläußerem
  • Einteilung nach Frakturtyp
    • lineare Fraktur (häufig)
    • Berstungsfraktur
    • Impressionsfrakturen
      • Lochbrüche
      • Stückbrüche
      • Terrassenbrüche
  • Einteilung nach Dislokation
    • nicht-dislozierte Schädelfraktur
    • Impressionsfraktur: Verlagerung von Frakturfragmenten nach innen

ICD-10

  • S02 Fraktur des Schädels und der Gesichtsschädelknochen
    • S02.0 Schädeldachfraktur
    • S02.1 Schädelbasisfraktur
    • S02.2 Nasenbeinfraktur
    • S02.3 Fraktur des Orbitabodens
    • S02.7 Multiple Frakturen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen
    • S02.8 Frakturen sonstiger Schädel- und Gesichtsschädelknochen
    • S02.9 Fraktur des Schädels und der Gesichtsschädelknochen, Teil nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Einteilung Schädel-Hirn-Trauma nach Schweregrad

  • International geläufige Klassifikation in drei Schweregrade anhand der Bewusstseinsstörung nach der Glasgow Coma Scale
  • Leichtes Schädel-Hirn-Trauma (GCS-Score 13–15)
    • früher: Gehirnerschütterung bzw. Commotio cerebri
  • Mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma (GCS-Score 9–12)
  • Schweres Schädel-Hirn-Trauma (GCS-Score 3–8)

Einteilung der Schädelfrakturen

  • Kalottenfrakturen
    • lineare Frakturen
    • Berstungsfrakturen
    • Impressionsfrakturen
  • Schädelbasisfrakturen
    • frontobasale Frakturen (nach Escher)
      • Escher Typ I: hohe frontobasale Fraktur
      • Escher Typ II: mittlere frontobasale Fraktur
      • Escher Typ III: tiefe frontobasale Fraktur
      • Escher Typ IV: lateroorbitale frontobasale Fraktur
    • laterobasale Frakturen
      • Felsenbeinlängsfrakturen
      • Felsenbeinquerfrakturen
  • Gesichtsschädelfrakturen
    • Mittelgesichtsfrakturen (nach Le Fort)
      • Le Fort I: Bruchlinie horizontal durch den unteren Oberkiefer
      • Le Fort II: Absprengung der Maxilla und der knöchernen Nase
      • Le Fort III: vollständige Ablösung des Mittelgesichts aus dem Schädel (kraniofaziale Dissoziation)
    • Orbitabodenfraktur

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Beschwerden1-2

  • Isolierte Schädelfrakturen sind oft asymptomatisch.1
  • Objektive Verletzungszeichen
    • Schwellung
    • Blutung
    • Riss- oder Platzwunden
    • Deformitäten
    • Austritt von Blut, Liquor oder Hirngewebe
  • Symptome bei Schädel-Hirn-Trauma
    • Kopf- und Gesichtsschmerzen
    • Übelkeit und Erbrechen
    • Hörminderung
    • Sehstörungen
    • Licht- und Lärmempfindlichkeit
    • Amnesie
    • Bewusstseinsstörungen
    • Lähmungen
    • Sprachstörungen
    • Hirnnervenstörungen (z. B. Fazialisparese)
    • Krampfanfälle
  • Begleitverletzungen (z. B. Polytrauma, Augenverletzung, Wirbelsäulenverletzung)

Ursachen

  • Ursache der Verletzung
    • Verletzungsursache und -ablauf
    • Art, Mechanismus und Intensität der Gewalteinwirkung
  • Vorerkrankungen und Risikofaktoren (z. B. medikamentöse Antikoagulation)
  • Bei schwerem SHT mit Bewusstseinsstörung Fremdanamnese führend

Klinische Untersuchung

  • Erstuntersuchung am Unfallort nach Schwere der Verletzung
  • Untersuchung des Kopfes auf Verletzungszeichen1
    • vorsichtiges Vorgehen (Cave: Instabilität der HWS!)
    • Blutungen, z. B. aus Nase oder Gehörgang
    • Schwellung, Riss- oder Platzwunden
    • offensichtliche Frakturen oder Schädeldeformitäten
    • vorsichtige Palpation auf Weichteilverletzungen (Impression, Hämatom)
  • Orientierende neurologische Beurteilung
    • Bewusstseinszustand
    • Pupillenfunktion (Pupillenweite, Symmetrie und Lichtreaktionen)
    • Glasgow Coma Scale (GCS)
    • Motorik und Sensibilität

Spezifische klinische Zeichen1,3

  • Zeichen einer Kalottenfraktur
    • Schädeldeformität, penetrierende Verletzungen, offenes SHT
  • Zeichen einer frontobasalen Schädelbasisfraktur
    • Austritt von Liquor aus der Nase oder dem Ohr (Liquorrhö)
    • Brillenhämatom, Ekchymosen um die Augen
    • Anosmie
    • Nachweis intrakranieller Luft im CT
  • Zeichen einer laterobasalen Schädelbasisfraktur (Felsenbeinfraktur)
    • Hörminderung
    • Blutung aus dem Gehörgang
    • retroaurikuläre Unterblutung („Battle's Sign“)
    • Fazialisparese oder weitere Hirnnervenausfälle
    • Liquorrhö
  • Zeichen einer Mittelgesichtsfraktur
    • Brillenhämatom
    • Okklusionsstörungen der Zähne
  • Zeichen einer Orbitabodenfraktur („Blowout Fracture“) 
    • Enophthalmus
    • Doppelbilder
    • Monokelhämatom

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Keine

Diagnostik bei Spezialist*innen

Bildgebende Untersuchungen

  • CT des Schädels1,4
    • bei Schädel-Hirn-Trauma und klinischen Zeichen einer Schädelfraktur immer indiziert
    • Sensitivität von 85 % und Spezifität von 100 % zum Nachweis von Schädelfrakturen4-5
  • Fakultative weiterführende Diagnostik1,4
    • MRT des Schädels
      • zum Frakturnachweis und in der Akutsituation weniger geeignet
    • CT-Angiografie zum Nachweis möglicher Gefäßverletzungen
    • CT nach intrathekaler Kontrastmittelapplikation zur Lokalisation einer Liquorfistel bei Liquorrhö

Labordiagnostik

  • Routinelabor inkl. Gerinnungsparameter1
  • Liquorrhö
    • Test des Sekrets auf liquorspezifische Proteine (Beta-2-Transferrin, Beta-Trace-Protein)1
      • Sensitivität von 100 % und Spezifität von 95 %
    • ggf. in der Akutsituation Screening mittels Glukoseteststreifen

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Notfallmäßige Krankenhauseinweisung bei klinischen Zeichen einer Schädelfraktur oder folgenden Symptomen nach Kopfverletzung
    • Koma oder Bewusstseinstrübung
    • Amnesie
    • andere neurologische Störungen
    • Krampfanfall
    • V. a. penetrierende Verletzungen
    • V. a. nasale oder otogene Liquorfistel
    • Erbrechen (zeitlicher Zusammenhang zur Gewalteinwirkung)
    • Gerinnungsstörung
      • z. B. Fremdanamnese oder „Pass zur Antikoagulanzienbehandlung“
    • bei Kindern zusätzlich:
      • bei starken andauernden Kopfschmerzen
      • bei Verdacht auf Kindesmisshandlung mit Wiederholungsgefahr
      • im Zweifel, z. B. bei kindlicher Verhaltensänderung aus elterlicher Sicht (insbesondere bei Kindern < 24 Monate)
  • Wahl der Zielklinik
    • notfallmäßige Einlieferung primär in ein geeignetes Traumazentrum
    • Verfügbarkeit einer ständigen CT-Bildgebung
    • Verfügbarkeit einer neurochirurgische Versorgungsmöglichkeit
      • v. a. bei Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstlosigkeit (GCS < 8), zunehmender Eintrübung, Pupillenstörung, Lähmung, Anfällen
  • Wahl des Rettungsmittels
    • Die Luftrettung sollte bei Verfügbarkeit zur prähospitalen Versorgung Schwerverletzter primär eingesetzt werden.

Therapie

Therapieziele

  • Vitalfunktionen sichern.
  • Das Ausmaß der Hirnschädigung begrenzen.
  • Komplikationen vermeiden.
  • Rehabilitation

Allgemeines zur Therapie

  • Behandlung von Schwerverletzten mit Schädel-Hirn-Trauma beginnt an der Unfallstelle.1
  • Prä- und innerklinische Erstbehandlung des Schädel-Hirn-Trauma
    • Vorgehen anhand standardisierter Notfall-Management-Protokolle, z. B. ATLS (Advanced Trauma Life Support)
    • bei schwerem SHT zeitkritische Behandlung („time is brain“)
    • Normoxie, Normotonie und Normothermie anstreben
    • penetrierende Gegenstände belassen
    • Oberkörper hochlagern bei Liquorrhö
    • Immobilisierung der HWS bis zum Ausschluss einer begleitenden instabilen Wirbelsäulenfraktur
  • Intensivmedizinische, stationäre oder ambulante Weiterbehandlung abhängig vom Schweregrad der Verletzung
  • Die meisten Schädelfrakturen können konservativ unter engmaschiger Überwachung behandelt werden.1
  • Behandlung von Komplikationen durch moderne Methoden möglich (z. B. intrakranielle Gefäßreparatur, Nervendekompression, Cochleaimplantate)1,3

Medikamentöse Therapie

Antibiotikaprophylaxe

  • Bei Liquorrhö oder offenem SHT frühzeitige antibiotische Prophylaxe
  • Einsatz liquorgängiger Antibiotika (z. B. Ceftriaxon)

Weitere Therapie

  • Suffiziente Analgesie nach WHO-Stufenschema
  • Abschwellendes Nasenspray bei Schädelbasis- und Mittelgesichtsfrakturen
  • Überprüfung des Tetanus-Impfschutzes, ggf. Tetanusprophylaxe

Operative Therapie

Operative Therapie nach Schädel-Hirn-Trauma

  • Ziel: sekundäre Hirnschädigung begrenzen (optimale Bedingungen für funktionsgeschädigte, aber nicht zerstörte Gehirnzellen)
  • Indikationen für eine (notfallmäßige) operative Therapie1,3
    • raumfordernde, intrakranielle Verletzungen
    • offene oder geschlossene Impressionsfrakturen von mehr als Kalottendicke
    • penetrierende Verletzungen
    • basale Frakturen mit Liquorrhö
  • Faktoren, die für ein konservative Therapiekonzept sprechen:
    • lineare Frakturen oder Impressionsfrakturen < 1 cm ohne Duraverletzung
    • keine intrakranielle Blutung
    • keine Beteiligung des Sinus frontalis
    • keine Deformation
    • keine Infektion/Verschmutzung der Wunde

Spezifische Therapie nach Frakturtyp

  • Kalottenfraktur1
    • meist konservative Therapie
    • operative Therapie bei Impressionsfrakturen von mehr als Kalottendicke
  • Schädelbasisfrakturen
    • operative Therapie hauptsächlich abhängig vom Vorliegen einer Liquorfistel (Fraktur selbst bedarf häufig keiner Operation)
  • Mittelgesichtsfrakturen
    • meist interdisziplinäre operative Therapie (HNO, Kieferchirurgie, Neurochirurgie)
  • Orbitabodenfraktur
    • konservative Therapie mit Schnäuzverbot bei asymptomatischen Frakturen
    • operativ-rekonstruktive Therapie bei symptomatischen Frakturen (insbesondere Dekompression des N. opticus zeitkritisch)

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Schädelfrakturen verheilen in der Regel gut, auch ohne spezielle Behandlung.

Komplikationen

Prognose

  • Prognose in erster Linie abhängig von der assoziierten Hirnverletzung, nicht von der Schädelfraktur an sich.
  • Die Prognose eines Schädel-Hirn-Traumas ist in der Frühphase schwer abschätzbar.,

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Demetriades D, Kobayashi L. Skull fractures, BMJ Best Practice, Last reviewed: 12 Jun 2023 (abgerufen am 12.07.2023). bestpractice.bmj.com
  2. Schaller B, Hosokawa S, Büttner M, Iizuka T, Thorén H. Occurrence, types and severity of associated injuries of paediatric patients with fractures of the frontal skull base. J Craniomaxillofac Surg. 2012; 40(7):e218-21. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Samii M, Tatagiba M. Skull base trauma: diagnosis and management. Neurol Res 2002; 24: 147-56. PubMed
  4. American College of Radiology. ACR Appropriateness Criteria: head trauma. Published by:American College of Radiology. Last published/revised: 2020 (abgerufen am 14.07.2023). acsearch.acr.org
  5. Chawla H, Yadav RK, Griwan MS, Malhotra R, Paliwal PK. Sensitivity and specificity of CT scan in revealing skull fracture in medico-legal head injury victims. Australas Med J. 2015. 8 (7):235-8. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg



Link lists

Authors

Previous authors

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit