Hyperglykämie, Akutbehandlung

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die ketoazidotische und die hyperglykämisch-hyperosmolare Dekompensation sind die beiden schwersten akuten Komplikationen bei Patient*innen mit Diabetes mellitus und stellen hyperglykämische Notfallsituationen dar.

Häufigkeit

  • Im Vergleich zu den hypoglykämischen sind hyperglykämische Notfälle eher seltene Ereignisse.
  • Ketoazidotische Dekompensationen sind wesentlich häufiger als hyperglykämisch-hyperosmolare.
  • Ketoazidotische Dekompensation
    • Betreffen überwiegend Patient*innen mit Typ-1-Diabetes.
    • überwiegend jüngere Patient*innen im Alter von 18–44 Jahren
    • Etwa 20–25 % aller Fälle von Typ-1-Diabetes manifestieren sich klinisch erstmals mit einer Ketoazidose.
  • Hyperglykämisch-hyperosmolare Dekompensation
    • viel häufiger bei Patient*innen mit Typ-2-Diabetes
    • überwiegend Patient*innen in höherem Alter und mit Komorbiditäten

Pathogenese

Ketoazidotische Dekompensation (überwiegend bei Typ-1-Diabetes)

  • Der ketoazidotischen Dekompensation liegt ein Insulinmangel zugrunde.
  • Folgen des Insulinmangels
    • Abnahme von Glukosenutzung/-verstoffwechslung und Stimulation von Glukoneogenese und Glykogenolyse, dadurch Hyperglykämie mit Glukosurie, Polyurie und Dehydration
    • Stimulation von Lipolyse und Ketogenese mit Entstehung der Ketoazidose (metabolische Azidose)
      • Ketonkörper sind in dieser Situation eine wichtige Energiequelle, da die Glukose aufgrund des Insulinmangels nicht normal verwertet werden kann.
  • Die Ketoazidose kann dabei auch ohne massive Hyperglykämie entstehen.
  • Ursachen der diabetischen Ketoazidose
    • Erstmanifestation eines nicht erkannten eines Typ-1-Diabetes
    • Unterbrechung einer laufenden Insulintherapie
    • Unterbrechung der Insulingabe bei Insulinpumpentherapie
    • Akute, schwere Erkrankungen, die mit einer gesteigerten, katabolen Verstoffwechselung und erhöhtem Insulinbedarf einhergehen, z. B.:

Hyperglykämisch-hyperosmolare Dekompensation (überwiegend bei Typ-2-Diabetes)

  • Auftreten bei relativem Insulinmangel durch Insulinresistenz
  • Während die Glukoseverstoffwechslung bereits weitgehend reduziert ist, gewährleistet die noch bestehende Insulinsekretion eine ausreichende Hemmung der Lipolyse, sodass keine Ketonkörper/Azidose entstehen.
  • Kennzeichnend sind ausgeprägte Hyperglykämie, Hyperosmolarität und eine schwere Dehydratation.
    • Das Wasserdefizit beträgt in der Regel 7–12 l.
  • Ursachen der hyperglykämisch-hyperosmolaren Dekompensation
    • Auch hier wirken Situationen mit metabolischem Stress, wie akute Infektionen, kardiovaskuläre Ereignisse, Pankreatitis, Trauma oder Operationen, auslösend.
  • Weitere Informationen im Artikel Hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom

Diagnostik – klinisches Bild

Klinische Manifestation bei ketoazidotischer Dekompensation

  • Rascher Beginn (innerhalb von Stunden bis Tagen)
  • Überwiegend jüngere Patient*innen
  • Häufiger bei Typ-1- als bei Typ-2-Diabetes
  • Das Spektrum der Manifestation reicht von leichter ketoazidotischer Stoffwechselentgleisung bis zur schwersten Ketoazidose mit diabetischem Koma.

Symptome

Klinische Zeichen

  • Dehydratation (weniger ausgeprägt als bei hyperosmolarer Dekompensation)
    • abhebbare Hautfalten, trockene Mundhöhle
    • Tachykardie, Hypotonie
  • Kussmaul-Atmung
    • stark vertiefte, normofrequente oder leicht beschleunigte Atmung zur Kompensation der metabolischen Azidose
  • Azetongeruch in der Atemluft (fruchtig)
  • Hypothermie
  • Ileus
  • Bewusstseinsveränderungen
    • bei leichter Ketoazidose nicht eingeschränkt, bei mittlerem Schweregrad Schläfrigkeit, bei schwerer Ketoazidose stupurös/komatös

Klinische Manifestation bei hyperglykämisch-hyperosmolarer Dekompensation

  • Schleichender Beginn (innerhalb von Tagen bis Wochen)
  • Überwiegend ältere Patient*innen
  • Häufiger bei Typ-2- als bei Typ-1-Diabetes

Symptome

Klinische Zeichen

  • Dehydratation (ausgeprägter als bei ketoazidotischer Dekompensation)
    • abhebbare Hautfalten, trockene Mundhöhle
    • Tachykardie, Hypotonie
  • Hypothermie
  • Getrübter Bewusstseinszustand

Diagnostik in der Hausarztpraxis

  • Die Beurteilung hyperglykämischer Notfallsituationen ist in der Arztpraxis relativ schwierig.
    • Blut (kapillär): Glukose i. S.
    • Urin (Teststreifen): Ketonkörper

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Die Indikation zur ggf. notfallmäßigen Klinikeinweisung ergibt sich aus:
    • den Ergebnissen der Blut- und Urindiagnostik
    • vor allem dem klinischen Zustand.

Weitere Diagnostik in der Klinik

  • In der Klinik kann die Diagnose durch typische Laborkonstellation gesichert werden.

Laborkonstellation bei ketoazidotischer Dekompensation

  • Glukose: > 250 mg/dl (14 mmol/l)
  • Ketone: sehr hoch
  • Serumosmolalität: < 320 mOsm/kg
  • BGA arteriell:
    • pH < 7,3
    • HCO3 < 15 mEq/l.

Laborkonstellation bei hyperglykämisch-hyperosmolarer Dekompensation

  • Glukose: > 600 mg/dl (> 33 mmol/l)
  • Ketone: (fast) keine
  • Serumosmolalität: > 320 mOsm/kg
  • BGA arteriell:
    • pH > 7,3
    • HCO3 > 15 mEq/l.

Therapie

Prähospitale Behandlung

  • Die präklinische Behandlung beschränkt sich auf die symptomorientierte Therapie:
    • Flüssigkeitssubstitution mit Vollelektrolytlösung
    • Sicherung der Atemwege
    • Insulintherapie soll erst in der Klinik durchgeführt werden.
    • keine Blindpufferung.

Stationäre Behandlung

  • Bei schweren diabetischen Stoffwechselentgleisungen erfolgt die Therapie unter intensivmedizinischen Bedingungen:
    • Insulintherapie mit allmählicher Senkung des Glukosespiegels
    • Volumensubstitution
    • Kaliumsubstitution
    • Thromboseprophylaxe
    • ggf. Behandlung auslösender Erkrankungen.

Prognose

  • Insgesamt ist eine Hyperglykämie bei Patient*innen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden.
  • Im Einzelnen besteht eine große Spannweite bei der Prognose:
    • sehr gute Prognose bei jungen Patient*innen mit ketoazidotischer Dekompensation, Mortalität < 1 %1
    • deutlich höhere Mortalität bei hyperglykämisch-hyperosmolarer Dekompensation (5–20 %), insbesondere bei älteren Patient*innen mit Komorbiditäten1
  • Ungünstige prognostische Faktoren sind:1
    • hohes Alter
    • schwere Dehydrierung
    • Oligurie
    • Hypothermie
    • Komorbiditäten
    • Koma zum Zeitpunkt der Diagnose.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Hamdy O. Diabetic ketocidosis. Medscape, updated Jan 19, 2021. Zugriff 06.08.22. emedicine.medscape.com

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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