Zusammenfassung
- Definition:Diskontinuität der Oberfläche von Haut, Schleimhäuten oder Organen.
- Häufigkeit:Verletzungen machen ca. 5 % aller Beratungsanlässe in Hausarztpraxen aus.
- Symptome:Abhängig von Lokalisation und Art der Wunde.
- Befunde:Beispielsweise Schürf-, Platz- oder Quetschwunden.
- Diagnostik:Anamnese bezüglich Verletzungsmechanismus. Inspektion und Exploration der Wunde (Fremdkörper, Kontamination). Dokumentation der Funktion (Motorik, Sensibilität, Durchblutung).
- Therapie:Primäre oder sekundäre Wundheilung, abhängig von Art der Wunde.
Allgemeine Informationen
Definition
- Wunde: Diskontinuität der Oberfläche von Haut, Schleimhäuten oder Organen
- Einfache Wunde: auf Haut begrenzt
- Komplexe Wunde: Auch tiefer liegende Gewebestrukturen wie Faszien, Muskulatur oder Gefäße und Nerven sind betroffen.
Häufigkeit
- Prävalenz
- Verletzungen machen ca. 5 % aller Beratungsanlässe in Hausarztpraxen aus.
- Geschlecht
- Verhältnis Frauen zu Männern ausgeglichen
- Alter
- Häufigkeitsgipfel bei Patient*innen < 18 Jahre sowie > 80 Jahre
Ätiologie und Pathogenese
- Wundheilung läuft in drei Stadien ab.
- Phasen laufen in beständigem Neben- und Nacheinander ab.
- Exsudative Phase (Tag 1–5)
- Entzündungsphase, entspricht weitgehend der katabolen Phase
- makroskopische Merkmale Rötung und Schwellung
- beinhaltet Hämostase, Wundödem, Diapedese (Übertritt von Entzündungszellen in Wundgebiet) und Wundreinigung durch Phagozytose
- Proliferative Phase (Tag 2–10)
- Granulationsphase, Übergang der katabolen in die anabole Phase
- Bildung von Granulationsgewebe, Angiogenese, Reepithelisierung
- dichte Agglomeration von Gefäßschlingen verleiht dem Granulationsgewebe ein typisches gekörntes Aussehen
- Reparative Phase (ab Tag 3 bis mehrere Wochen)
- Remodellierung, entspricht weitgehend der anabolen Phase.
- Typ-3-Kollagen wird kontinuierlich durch stabileres Typ-1-Kollagen ersetzt.
- Kontraktion der Myofibroblasten führt zu Schrumpfung und Verkleinerung des Wundvolumens.
Prädisponierende Faktoren
- Hautatrophie
ICD-10
- S00 Oberflächliche Verletzung des Kopfes
- S10 Oberflächliche Verletzung des Halses
- S11 Offene Wunde des Halses
- S20 Oberflächliche Verletzung des Thorax
- S21 Offene Wunde des Thorax
- S30 Oberflächliche Verletzung des Abdomens, der Lumbosakralgegend und des Beckens
- S31 Offene Wunde des Abdomens, der Lumbosakralgegend und des Beckens
- S40 Oberflächliche Verletzung der Schulter und des Oberarmes
- S41 Offene Wunde der Schulter und des Oberarmes
- S50 Oberflächliche Verletzung des Unterarmes
- S51 Offene Wunde des Unterarmes
- S60 Oberflächliche Verletzung des Handgelenkes und der Hand
- S61 Offene Wunde des Handgelenkes und der Hand
- S70 Oberflächliche Verletzung der Hüfte und des Oberschenkels
- S71 Offene Wunde der Hüfte und des Oberschenkels
- S80 Oberflächliche Verletzung des Unterschenkels
- S81 Offene Wunde des Unterschenkels
- S90 Oberflächliche Verletzung der Knöchelregion und des Fußes
- S91 Offene Wunde der Knöchelregion und des Fußes
- T00 Oberflächliche Verletzungen mit Beteiligung mehrerer Körperregionen
- T01 Offene Wunden mit Beteiligung mehrerer Körperregionen
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Tetanus-Impfschutz eruieren
- Beurteilung der Wunde, anschließend Entscheidung über:
- primäre oder sekundäre Wundversorgung
- Selbst versorgen oder an Spezialist*in überweisen
Differenzialdiagnosen
- Oberflächliche Wunden, Schürfverletzungen
- Riss-Quetsch-Wunde
- Schnittverletzung
- Décollement-Verletzung (Abscherung der Haut)
- Bissverletzungen
- Panaritium
- Unguis incarnatus
- Abszess
- Verbrennungen
Anamnese
- Tetanusschutz erfragen und dokumentieren
- Zeitpunkt der Verletzung
- Cave: 6-Stunden-Grenze für Primärversorgung!
- Verletzungsmechanismus
- Fremdkörpereinsprengung?
- Kontakt mit kontaminiertem Material, z. B. Messer, mit dem vorher roher Fisch geschnitten wurde?
Klinische Untersuchung
- Inspektion der Wunde
- Kontamination?
- Avitales Gewebe?
- Fremdkörper?
- Beteiligung von Sehnen, Nerven, Bursae, anderen Strukturen?
- Gelenkeröffnung?
- Funktionsprüfung
- Durchblutung
- Motorik
- Sensibilität
Indikationen zur Überweisung
- Die Indikationsstellung für eine Überweisung ist stark abhängig von der chirurgischen Erfahrung der Hausärzt*in.
- Tiefe/komplexe Wunden bei Kindern sollten von Chirurg*in versorgt werden.
- Folgende Faktoren sprechen bei Adulten für Überweisung an Spezialist*in:
- Arbeitsunfähigkeit (Dauer der Arbeitsunfähigkeit > 1 Woche)
- große Verletzung
- Prognose schlecht oder unsicher, Komplikationen wahrscheinlich
- z. B. stark kontaminierte Wunden
- Begleitverletzungen, z. B. an Sehnen oder Nerven
Therapie
Therapieziele
- (Primäre oder sekundäre) Abheilung des Hautdefekts
- Komplikationen wie Wundinfektionen oder Wundheilungsstörungen vermeiden
Allgemeines zur Therapie
- Bei fehlendem Tetanusschutz Immunprophylaxe
- Primäre Wundversorgung möglich bei:
- glatt berandeten, sauberen bzw. keimarmen Wunden
- gut durchbluteter Wundregion
- nah beieinander liegenden Wundrändern
- Verletzungen innerhalb der 6-Stunden-Grenze.
- Cave: Faustregel nicht auf alle Wunden gleichermaßen anwendbar, u. U. auch deutlich späterer Verschluss möglich!
- Sekundäre Wundheilung empfohlen bei:
- kontaminierter oder infizierter Wunde
- klassisch: Bissverletzungen (Hunde, Katzen, Menschen)
- nekrotischen Wundrändern
- zu großem Defekt für Primärverschluss
- kontaminierter oder infizierter Wunde
Grundprinzipen der chirurgischen Wundversorgung
- Im Eingriffsraum keine überflüssigen Bewegungen (z. B. Öffnen der Türen, Sprechen während des Eingriffs)
- Unmittelbar vor Eingriff: Entfernung/Kürzen von Haaren und Desinfektion
- Rasur ist wegen möglicher kleiner Schnittverletzungen nicht zu empfehlen.
- Alternative z. B. kleine Schere
- Hautdesinfektion möglichst als Wischdesinfektion
- Desinfektion zentrifugal vom OP-Feld weg
- Mindest-Einwirkungszeiten beachten.
- im Allgemeinen 30 sec für alkoholische Hautdesinfizienzien
- Für Eingriffe an talgdrüsenreicher Haut im Bereich von Schädel und Stirn wiederholte Anwendung mit Gesamteinwirkungszeit von 10 min
- Schnittführung möglichst parallel zu Hautspaltlinien
- Gründliches Wunddébridement – wenn nötig Wundexzision
- Fremdkörper entfernen
- So gewebeschonend wie möglich operieren
Nahttechnik
- Nähte nicht zu nahe am Wundrand, lockere Hautadaptation – nicht zu eng gelegte Nähte
- Stichführung möglichst senkrecht durch Haut
- Fortlaufende Nahttechniken für hausärztliche Praxis ungeeignet
- technisch schwierig
- Bei Wundinfektion kann die Naht nur vollständig geöffnet werden.
- Für die hausärztliche Praxis genügen zwei Nahttechniken.
- einfache Knopfnaht als Standard
- Rückstichnaht nach Donati für zugbelastete Zonen
- Steriles Nahtmaterial für Hautnaht, dem entsprechenden Eingriff angepasst (in der Regel monofil atraumatisch).
- z. B. 6/0 für feine Gesichtsnähte
Tetanus-Schutz
- Siehe Artikel Tetanus.
- Bei sauberen, geringfügigen Wunden
- bei ungeimpften Personen oder unbekanntem Impfstatus aktive Impfung mit TDaP/Tdap und passive Immunisierung mit Tetanus-Immunglobulin
- bei nur 1 oder 2 Impfstoffdosen bisher aktive Impfung mit TDaP/Tdap
- bei 3 oder mehr Impfstoffdosen vor 10 oder mehr Jahren aktive Immunisierung, aber keine passive Immunisierung
- Bei 3 oder mehr Impfstoffdosen und wenn seit der letzten Impfung weniger als 10 Jahre vergangen sind; bei Akutversorgung keine aktive oder passive Tetanusimmunisierung erforderlich.
- Patient*innen mit allen anderen Wundarten (tiefe und/oder verschmutzte Wunden, Verletzungen mit Gewebszertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern) brauchen:
- Wenn sie weniger als 3 Impfstoffdosen erhalten haben oder bei unbekanntem Impfstatus aktive und passive Immunisierung.
- Auch wenn sie 3 oder mehr Tetanus-Impfstoffdosen erhalten haben, nach mehr als 5 Jahren aktive Immunisierung.
- nach 10 oder mehr Jahren zusätzlich passive Immunisierung.
Wundreinigung
- Reinigung mit sterilen Wundspüllösungen zur Entfernung von Schmutz oder Fremdkörpern sowie zur Reduktion der bakteriellen Kontamination.
- Mögliche Präparate
- sterile NaCl-Lösung 0,9 %
- Octenidin
- Cave: Keine Anwendung in Wundhöhlen, da Nekrosegefahr – Sekretabfluss muss stets gewährleistet sein!
- Polihexanid
- PVP-Iod
- Hypochlorit-Lösungen
Anästhesie
- Infiltrationsanästhesie
- Infiltration der Wundränder mit Lokalanästhetikum vom Wundwinkel aus oder durch Einstich von außen durch intakte Haut mit Vorschub parallel zum Wundverlauf.
- Leitungsanästhesie nach Oberst an Fingern und Zehen
- dünne Kanüle (18 oder 20 Gauge)
- Aufsetzen der Nadel im 45-Grad-Winkel von außen
- Einstich von außen durch intakte Haut – Stich auf Knochen zu
- Infiltration des dorsalen Fingernerven (ca. 0,5 ml)
- Kippung der Nadel in 90-Grad-Position
- Vorschub parallel zum Wundverlauf
- Infiltration des ventralen Fingernerven (ca. 0,5 ml)
- gleiches Vorgehen kontralateral
Wundversorgung spezieller Verletzungen
Oberfläche Wunden, Schürfwunden
- Wundreinigung
- Feuchte Wundbehandlung
Abszess
- Intrakutane Lokalanästhesie
- Inzision
- Ausräumung der Abszesshöhle mit scharfem Löffel
- Fettgazestreifen zur Abszessdrainage
- Sekundäre Wundheilung
Subunguales Hämatom
- Klassischer Verletzungsmechanismus: Hammerschlag auf Nagel
- Ggf. Röntgenaufnahme zum Ausschluss einer Fraktur
- Trepanation mittels 1er-Kanüle unter Drehung im Bereich der Lunula
- ggf. vorab Oberst-Leitungsanästhesie
Wunden bei Kindern
- Schürfwunden
- Außer Wundreinigung sind keine weiteren Maßnahmen notwendig.
- Platzwunden
- Klammerpflaster – oder –
- Gewebekleber; Einsatz von Gewebekleber bei Wunden,
- deren Wundränder nicht unter Spannung stehen.
- die nicht stark verschmutzt sind.
- die nicht infiziert sind (+ keine Bisse).
- die nicht gelenkübergreifend sind.
- die gut adaptierbar und nicht stark blutend sind.
- Cave: Gewebekleber in Augennähe oder in Wunde – Gefahr der Weichteilnekrose!
- Tiefe/komplexe Wunden
- Versorgung durch Chirurg*in
Fadenzug
- Bei Infektionsverdacht sofort ziehen
- Ansonsten Zeitpunkt je nach Lokalisation
- Gesicht 4–6 Tage
- Extremitäten 10–14 Tage
- Amputation und Intrakutannähte nach 3 Wochen
- Sonstiges nach 2 Wochen
- Vorgehen
- Desinfektion des Wundgebiets
- Anhebung Knoten, direkt an der Haut abschneiden und herausziehen.
- anschließend erneute Desinfektion
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Abhängig von der Art der Wunde und insbesondere der Kontamination und dem damit verbundenen Infektionsrisiko erfolgt primäre oder sekundäre Wundheilung.
Verlaufskontrolle
- Wiedereinbestellung bei etwas größeren Eingriffen am Folgetag
- Hämatome entleeren und ggf. Blut- bzw. Sekretdurchtränkten Verband wechseln.
- Termin für Tag 4 oder 5 vereinbaren, um evtl. Wundschwellungen bzw. Wundinfektionen aufzuspüren.
- Zeichen für Wundinfektion anhaltende Sekretion, Rötung der Wunde, Schmerzen sowie Schwellung und Spannung
- Bei geringstem Verdacht auf Wundinfektion Wunde eröffnen.
- 1–2 Fäden entfernen, Wunde erneut reinigen und ggf. Lasche einlegen.
- weitere Maßnahmen: Ruhigstellung und evtl. Antibiotikagabe, etwa in Form von penicillinasefestem Penicillin (z. B. Flucloxacillin) , Clindamycin oder Cephalosporinen der 1. und 2. Generation
Komplikationen
- Hämatom
- Wundinfektion
- Wundheilungsstörungen
- Hypertrophe Narbenbildung und Keloide
- Kompartmentsyndrom, insbesondere bei Quetschverletzungen
- Aseptische Nekrosen
- bei Anwendung von Octenidin in Wundhöhlen ohne Abflussmöglichkeit
- bei Gewebekleber innerhalb der Wunde
Prognose
- Sehr variabel, abhängig von Art der Wunde
Illustrationen

Chirurgische Wundinfektion
Quellen
Literatur
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.