Zusammenfassung
- Definition:Einnahme von Benzodiazepinrezeptoragonisten (Z-Substanzen) in toxischen Dosen.
- Häufigkeit:Die Z-Substanzen werden häufig als Hypnotika verordnet.
- Symptome:Bei Vergiftungen können je nach Dosis von Verwirrtheit über Lethargie sowie Ataxie bis hin zu Kreislauf und Atemdepressions und Koma auftreten. Auch paradoxe Reaktion mit Halluzinationen und Unruhezuständen sind möglich.
- Befunde:Auswirkungen auf den Bewusstseinszustand und evtl. Atemhemmung.
- Diagnostik:Klinisches Bild und Anamnese.
- Therapie:Bei der Behandlung einer Intoxikation mit Z-Substanzen steht die symptomatische Therapie im Vordergrund, insbesondere ist auf Erhaltung der Atem- und Kreislauffunktionen zu achten. Die Indikation zur stationären Einweisung sollte großzügig gestellt werden. Zu einem frühen Zeitpunkt kann die Gabe von Aktivkohle sinnvoll sein. Bei schwerer Atemdepression ist die Gabe von Flumazenil vertretbar.
Allgemeine Informationen
Definition
- Vergiftung mit Hypnotika aus der Gruppe der Benzodiazepinagonisten Zopiclon und Zolpidem (sog. Z-Substanzen)
Häufigkeit
- Z-Substanzen werden häufig (nach einer deutschen Studie 85 % der Verordnungshäufigkeit von Benzodiazepinen) verordnet.1
- 38 % der Verordnungen in dieser Studie waren Privatverordnungen.
Ätiologie und Pathogenese
Pharmakologie
- Pharmakodynamische Wirkung
- Die pharmakodynamische Wirkung von Zopiclon und Zolpidem ist der von Benzodiazepinen relativ ähnlich, da sie ebenfalls auf den GABA(Gamma-Aminobuttersäure)-Rezeptorkomplex bzw. dessen Alpha-Untereinheit wirken.
- Allerdings führt die vorzugsweise Bindung an die Alpha-Untereinheit zu unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften.
- Zolpidem ist deshalb in erster Linie sedierend und kaum muskelrelaxierend, anxiolytisch und antikonvulsiv.
- Die pharmakodynamische Wirkung von Zopiclon und Zolpidem ist der von Benzodiazepinen relativ ähnlich, da sie ebenfalls auf den GABA(Gamma-Aminobuttersäure)-Rezeptorkomplex bzw. dessen Alpha-Untereinheit wirken.
- Pharmakokinetik
- Zolpidem: Plasmapeak nach 0,5–3 Stunden, Halbwertszeit 2–3 Stunden
- Zopiclon: Plasmapeak nach 1,5–2 Stunden, Halbwertszeit 5 Stunden
Toxizität
- Charakteristische toxische Wirkung
- ZNS-Depression
- normale Vitalparameter, unauffälliges EKG, gel. Blutdruckabfall
- selten Atemstörungen
- Toxische Dosis
- nicht quantifizierbar
- abhängig von verschiedenen Faktoren wie pulmonale Vorerkrankungen, Koingestionen, Alter, Gewicht, Gewöhnung und Genetik
Interaktionen
- Mischintoxikationen mit Zopiclon oder Zolpidem sind häufig, und die Mischung von Zopiclon/Zolpidem und anderen Substanzen, die dämpfend auf das zentrale Nervensystem wirken (z. B. Opiate, Antipsychotika, Benzodiazepine oder Ethanol), erhöht die toxische Wirkung.
ICD-10
- T36–T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
- T42.4 N05C F Vergiftung durch Anxiolytika – Benzodiazepinderivate (angegeben mit ATC-Code für anxiolytische Benzodiazepinderivate)
- T42.4 N05C F01 Vergiftung durch Zopiclon
- T42.4 N05C F02 Vergiftung durch Zolpidem
- T42.4 N05C F03 Vergiftung durch Zaleplon
- T42.4 N05C F Vergiftung durch Anxiolytika – Benzodiazepinderivate (angegeben mit ATC-Code für anxiolytische Benzodiazepinderivate)
Diagnostik2
Diagnostische Kriterien
- Typische Anamnese und klinische Situation
Differenzialdiagnosen
- Vergiftungen mit anderen Substanzen
- Hypoglykämie
- Zerebrale Ischämie
Anamnese
- Ggf. Fremdanamnese
- Zeitpunkt der Einnahme und eingenommene Menge
- Welcher Wirkstoff wurde eingenommen? (Medikamentenpackung und Blister aufheben)
- zusätzlich eingenommene Substanzen (Alkohol) und Medikamente
- Wurden die Tabletten in suizidaler Absicht eingenommen?
- bekannte Anwendung oder Missbrauch von Benzodiazepinen
- Vorliegen von Risikofaktoren
- bekannte Depression
- Vorgeschichte mit Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch oder Polytoxikomanie
- bekannte Benzodiazepineinnahme oder Einnahme von Z-Substanzen
- bekannte Einnahmeprobleme/Dosierungsfehler
- Begleiterkrankungen (Überdosen mit zunehmendem Alter und gestörter Leberfunktion häufiger)
- Suizidalität in der Vorgeschichte
- Einnahme unbekannter Substanzen in der Vorgeschichte
- Veränderter Geisteszustand
- Vigilanzstörung
- Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörung
- unangemessenes Verhalten
- gestörtes Urteilsvermögen
- Stimmungslabilität
- nach Einnahme großer Dosen: Koma und Atemdepression (besonders bei Mischintoxikation)
- selten paradoxe Reaktion mit starker Agitiertheit bei Betroffenen mit psychiatrischen Vorerkrankungen, Kindern und Hochbetagten
- Es kann auch zu Ataxie, Dysarthrie, Schwindel, Nystagmus, Mydriasis, Muskelhypotonie und Blutdruckabfall kommen.
Klinische Untersuchung
- Verwaschene Sprache, gestörte Koordination, instabiler Gang
- Aufmerksamkeits- und/oder Gedächtnisstörung
- Pupillenreaktion (Mydriasis)
- Beurteilung der Vigilanz
- Abgeschwächte Reflexe (selten auch Hyperreflexie bei paradoxer Übererregung)
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Blutdruck
- SaO2
- Atemfrequenz
- Puls
Indikation zur Klinikeinweisung
- Aufgrund der Vigilanzminderung und auch zum Ausschluss anderer Ursachen soll die Indikation zur Einweisung großzügig gestellt werden.
Therapie
Therapieziel
- Lebensbedrohliche Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Diese Vergiftungen sind in der Regel nicht schwer, allerdings sind bei der Einnahme hoher Dosen und insbesondere bei Mischintoxikationen schwere Verläufe möglich.
- Bei Gefahr von schweren Verläufen sollte eine Einweisung erfolgen.
- Bei Monointoxikationen ist in der Regel keine Dekontamination nötig.
- Die Gabe von Aktivkohle im ambulanten Bereich kann sinnvoll sein, insbesondere wenn diese innerhalb der ersten Stunde nach Intoxikation erfolgt.
- Zur Vermeidung einer Intubation ist der Einsatz von Flumazenil gerechtfertigt.
Medikamentöse Therapie
Aktivkohle
- Einmalige Gabe innerhalb der ersten Stunde nach Einnahme, insbesondere bei hohen Dosen.
Flumazenil
- Flumazenil ist ein spezifischer Antagonist für die Benzodiazepin-Bindungsstelle im GABA-Rezeptorkomplex.
- Es ist auch wirksam bei Zopiclon- und Zolpidemvergiftungen.
- Indikation
- Bei tiefer ZNS-Depression ist ein Einsatz von Flumazenil zur Vermeidung einer Intubation gerechtfertigt
- Vorsichtsmaßnahmen
- Sollte nicht bei Betroffenen mit niedriger Krampfschwelle verabreicht werden.
- Die Krampfschwelle kann auch bei Mischintoxikation mit trizyklischen Antidepressiva herabgesetzt sein.
- Kann bei Abhängigkeit von Z-Substanzen Entzugssymptome auslösen.
- Kontraindikationen
- Überwachung
- Flumazenil hat eine Halbwertszeit von 50–60 min, also kürzer als die von Zopiclon und Zolpidem.2
- Gefahr der Resedierung
- Dosierung
- Dosierung: initial 0,2 mg intravenös, 0,1 mg jede Minute, bis gewünschter Bewusstseinsgrad erreicht ist, maximal 1 mg.
Weitere Behandlungsmethoden
- Überwachung von Bewusstsein, Blutdruck und Atmung bis zum vollständigen Erwachen
- Supportive Therapie; Sauerstoff, ggf. Beatmung, Volumengabe
Komplikationen und Prognose
Komplikationen
Prognose
- Die Letalität bei alleiniger Benzodiazepinvergiftung ist niedrig.
- Bei adäquater Behandlung ist die Prognose gut.
- Bei Mischintoxikationen mit anderen Medikamenten, Drogen oder Alkohol ist die Letalität wesentlich höher.
- Eine zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung sollte adäquat behandelt und dabei die soziale Situation Betroffener berücksichtigt werden.2
Quellen
Literatur
- Grimmsmann T, Kostev K, Himmel W. The role of private prescriptions in benzodiazepine and Z-drug use—a secondary analysis of office-based prescription data. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 380–1. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0151. www.aerzteblatt.de
- BMJ BestPractice. Benzodiazepine overdose. Stand Juli 2022 (Letzter Zugriff am 03.08.2022). bestpractice.bmj.com
- Zellner T, Prasa D, Färber E, Hoffmann-Walbeck P, Genser D, Eyer F. The use of activated charcoal to treat intoxications. Dtsch Arztebl Int 2019; 116:311–7. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0311 DOI
- Weinbroum AA, Flaishon R, Sorkine P, Szold O, Rudick V. A risk-benefit assessment of flumazenil in the management of benzodiazepine overdose. Drug Safety 1997; 17: 181 - 96. PubMed
Autor*innen
- Marlies Karsch-Völk. Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München