Ethylenglykolvergiftung

Zusammenfassung

  • Definition:Die Aufnahme von Ethylenglykol in ausreichender Dosis, um eine toxische Wirkung herbeizuführen.
  • Häufigkeit:Ist selten, kommt aber in Form von Vergiftungen bei Kindern und in suizidaler Absicht bei Erwachsenen vor.
  • Symptome:Frühe Symptome, innerhalb von 30 Minuten, sind Euphorie, Ataxie, Bauchschmerzen, Erbrechen und Bewusstseinstrübung.
  • Befunde: Rausch, Bewusstseinstrübung, Übelkeit, Erbrechen und Ataxie, Arrythmien, Nierenversagen.
  • Diagnostik:Messung des Ethylenglykols im Serum und Nachweis einer metabolischen Azidose.
  • Therapie:Frühzeitige Giftelimination, Antidotgabe, Korrigieren der Azidose, ggf. Hämodialyse.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Vergiftung mit Ethylenglykol
  • Ethylenglykol (C2H6O2) ist eine farblose, flüchtige Flüssigkeit mit süßlichem Geschmack, die häufig in Frostschutzmitteln oder Enteisungsprodukten verwendet wird.
  • Eine Vergiftung nach oraler Aufnahme erfolgt entweder in suizidaler Absicht oder versehentlich bei Kindern.1
  • Ethylenglykol kann nach Kontakt mit den Augen, der Haut und den oberen Atemwegen leichte Reizeffekte hervorrufen, die Aufnahme über intakte Haut ist aber gering.

Häufigkeit

  • Eine Vergiftung mit Ethylenglykol kommt selten vor, ist aber potenziell tödlich.

Toxizität

  • Die toxische Dosis liegt bei 0,1 ml/kg Körpergewicht.
  • Schwere Vergiftungen bis hin zum Tod können bei 1 ml/kg Körpergewicht auftreten.

Ätiologie und Pathogenese

  • Ethylen kommt in Frostschutzmitteln, Waschflüssigkeiten, Bremsflüssigkeiten und bestimmten Lösungsmitteln vor.
  • Ethylenglykol ist eine farblose, flüchtige Flüssigkeit mit süßlichem Geschmack.
  • Nach oraler Aufnahme wird es schnell und vollständig resorbiert. 25 % des resorbierten Ethylenglykols werden unverändert
    renal ausgeschieden. Der Rest wird durch die Alkoholdehydrogenase in Metaboliten (Oxalsäure und Glyoxylsäure) umgewandelt, die neuro- und nephrotoxisch sind.
  • Die Symptome ähneln der einer Methanolvergiftung.
  • In der ersten Phase der Vergiftungen treten Symptome wie bei einem Alkoholrausch auf, aber ohne Alkoholgeruch.
  • Durch die Abbauprodukte kommt es dann zu einer metabolischen Azidose mit erhöhter Anionenlücke. 
  • Die Einnahme von 1 ml/kg reinen Ethylenglykols kann schwere Vergiftungen und Tod verursachen (die tödliche Dosis für Erwachsene ist mit 80–110 g angegeben).
  • Wirkt berauschend wie Ethanol.
  • Ethylenglykol wird durch Alkoholdehydrogenase metabolisiert, das gleiche Enzym, das auch für den Abbau von Ethanol und Methanol verantwortlich ist.
    • Die Affinität für Ethanol ist wesentlich größer als für Ethylenglykol.
    • Dies ist therapeutisch wichtig, denn deshalb kann Ethanol als Antidot verwendet werden.
  • Nierenschaden
    • Ethylenglykol-Metaboliten schädigen die Nieren und führen zu irreversibler oligurischer oder anurischer Niereninsuffizienz, die ihrerseits die Eliminierung des Ethylenglykols verzögert.2
    • Die Niereninsuffizienz wird in erster Linie durch glykolatinduzierte Schädigungen der Tubuli hervorgerufen.

Ursachen

ICD-10

  • T52 Toxische Wirkung von organischen Lösungsmitteln
    • T52.3 Glykole

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Rausch
  • Nachweis von Ethylenglykol im Plasma

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Versehentliche oder absichtliche Einnahme von Ethylenglykol
  • Rauschzustände ohne Fötor nach Alkohol wecken den Verdacht auf eine Ethylenglykolvergiftung.
  • In der zweiten Phase der Vergiftung ( nach 12–24 Stunden) kommt es zu kardiorespiratorischen Symptomen mit Dyspnoe, Tachypnoe, milder Hypertension, Rhythmusstörungen, Lungenödem, Kreislaufversagen. 
  • Danach kommt es zur renalen Manifestation mit Oligurie, Kreatininanstieg, Proteinurie, Hämaturie, Hypokalzämie, Oxalurie bis zum Nierenversagen durch akute Tubulusnekrose.3
  • Noch Tage nach der Einnahme kann es zu zentralnervösen Störungen kommen mit Hirnödem, doppelseitigen Gesichtslähmungen, Sehstörungen, Hyperreflexie und Ataxie.
  • Dysphagie und Erbrechen können in jedem Stadium vorkommen.

Klinische Untersuchung

  • Vitalzeichen: Puls, Blutdruck, Atemfrequenz
  • Neurologischer Status (Dyskinesien, Dystonie, Faszikulationen, Myoklonien, Muskelsteifheit, Nystagmus und Tremor)
  • Körpertemperatur
  • Geruch der Ausatemluft oder des Erbrochenen 
  • Farbe der Haut und des Urins

Ergänzende Untersuchungen

Labor

Therapie

Therapieziel

  • Vitalfunktionen sicherstellen.
  • Da die Abbauprodukte toxischer sind als das Ethylenglykol selbst, sollte versucht werden, möglichst viel des aufgenommenen Giftes zu entfernen und die Verstoffwechselung durch Antidotgabe zu verlangsamen.
  • Entscheidend ist hierbei der frühe Einsatz der Therapie.
  • Eine Gefahr durch Kontakt mit Patienten, die eine Ethylenglykolvergiftung erlitten haben, besteht nicht.

Allgemeines zur Therapie

  • Zuerst allgemeine Erste-Hilfe-Maßnahmen, dann spezifische Behandlung
  • Finden Sie heraus, welche Substanzen eingenommen wurden und in welcher Menge, bewerten Sie den Schweregrad und die Toxizität.
  • Sicherung der Vitalfunktionen
  • Kein Erbrechen herbeiführen.
  • Eine primäre Giftentfernung durch eine Magenspülung mit einer kleinlumigen Sonde ist wegen der schnellen Resorption nur in der ersten Stunde nach Einnahme sinnvoll.
  • Als Erste-Hilfe-Maßnahme sollte ein Erwachsener, der bei Bewusstsein ist, unverzüglich 0,7 g Ethanol/kg Körpergewicht (z. B. 150 ml Whiskey oder Weinbrand) zu sich nehmen.
  • Aktivkohle ist wegen der geringen Bindungskapazität zu Ethylenglykol nicht wirksam.
  • Bei Krämpfen sollte evtl. Hypokalzämie zuerst behandelt werden.
  • Eine Hämodialyse entfernt Ethylenglykol und Metabolite und kann die metabolische Azidose korrigieren.

Medikamentöse Therapie

  • Natriumhydrogencarbonat, Dosierung abhängig vom Säure-Base-Haushalt

Antidotgabe

  • Fomepizol (4-Methylpyrazol) und Ethanol hemmen die Alkoholdehydrogenase, der Abbau von Ethylenglycol zu giftigen Metaboliten wird verlangsamt verlangsamt und das Ethylenglykol unverändert über die Niere ausgeschieden.4
  • Fomepizol ist wirksamer und sicherer als Ethanol.
  • Durch die Gabe von Fomepizol kann eine Hämodialyse oft vermieden werden.5-6
  • Die Dosierung richtet sich nach der Plasmakonzentration von Ethylenglykol und der Nierenfunktion. 
    • Initialdosis 15 mg/kg als langsame intravenöse Infusion, Wiederholung in Zeitintervallen von 12 Stunden, bis die Plasmakonzentration von Ethylenglykol auf einen Wert von unter 0,2 g/l (3,2 mmol/l) abgesunken ist.
    • evtl. Anpassung der Dosierung unter der Hämodialyse (Fomepizol ist dialysierbar)
  • Wenn Fomepizol nicht verfügbar ist, stellt die intravenöse Infusion von 0,7 g Ethanol/kg Körpergewicht eine alternative
    Therapiemöglichkeit dar.
    • Engmaschige Kontrollen der Lebertransaminasen und des Blutzuckers sind erfoderlich.
  • Eine begonnene Behandlung einer Ethylenglykolvergiftung mit Ethanol schließt die Anwendung von Fomepizol nicht aus.

Weitere Behandlungsmethoden

Hämodialyse

  • Die Hämodialyse ist ein geeignetes Verfahren zur raschen Entfernung von Ethylenglykol, insbesondere wenn durch die Vergiftung bereits eine Azidose eingetreten ist.5

Prävention

  • Stellen Sie sicher, dass sich ethylenglykolhaltige Flüssigkeiten außerhalb der Reichweite von Kindern befinden.
  • Kein Abfüllen von Frostschutzmitteln in Getränkeflaschen

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • 1. Phase: Rauschzustände
  • 2. Phase (nach 12–24 Stunden): kardiorespiratorische Symptome
  • 3. Phase: renale Manifestation
  • Noch Tage nach der Einnahme kann es zu zentralnervöse Störungen kommen.
  • Dysphagie und Erbrechen können in jedem Stadium vorkommen.

Komplikationen

  • Hirnödem und evtl. bleibende Hirnschäden
  • Nierenversagen (Kristall-Nephropathie), selten bleibende Nierenschäden
  • Kreislaufkollaps
  • Leberzellschäden

Prognose

  • Die frühzeitige Behandlung ist neben der Menge des aufgenommen Giftes entscheidend für die Prognose.
  • Es kann zu dauerhaften Schäden der Leber und des Nervensystems kommen.

Quellen

Literatur

  1. Scalley RD, Ferguson DR, Piccaro JC, Treatment of ethylene glycol poisoning. Am Fam Physician. 2002 Sep 1;66(5):807-12. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Sivilotti, ML, Burns, MJ, McMartin, KE, Brent, J. Toxicokinetics of ethylene glycol during fomepizole therapy: implications for management. For the Methylpyrazole for Toxic Alcohols Study Group. Ann Emerg Med 2000; 36: 114. PubMed
  3. Brent J, McMartin K, Phillips S, et al. Fomepizole for the treatment of ethylene glycol poisoning. Methylpyrazole for Toxic Alcohols Study Group. N Engl J Med 1999; 340: 832. New England Journal of Medicine
  4. Brent J. Fomepizole for the treatment of pediatric ethylene and diethylene glycol, butoxyethanol, and methanol poisonings. Clin Toxicol (Phila) 2010; 48:401. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Müller D, Desel H: Common causes of poisoning—etiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(41): 690–700. www.aerzteblatt.de
  6. Levine M, Curry SC, Ruha AM, et al. Ethylene glycol elimination kinetics and outcomes in patients managed without hemodialysis. Ann Emerg Med 2012; 59:527. PubMed

Autoren

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge

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