Ertrinken, Beinahe-Ertrinken und Badetod

Zusammenfassung

  • Definition:Ertrinken beschreibt Tod in Folge von Verschluss der Atemwege durch Flüssigkeiten. Badetod bezeichnet (meist vagalen) reflektorischen Tod im Wasser.
  • Häufigkeit:Weltweit ertrinken jährlich etwa 372.000 Menschen.
  • Symptome:(Fremd)anamnestisch Submersion (Untertauchen des Körpers unter Wasseroberfläche).
  • Befunde:Fehlende Vitalzeichen (Atmung, Puls). Evtl. Zyanose oder kalte, graue Haut als Zeichen für Hypothermie.
  • Diagnostik:Klinische Untersuchung nach ABCDE-Schema.
  • Therapie:Schnellstmögliche Reanimation. Bei Hypothermie Aufwärmung mittels ECMO.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Ertrinken
    • Folge eines Verschlusses der Atemöffnungen oder der inneren Atemwege durch Flüssigkeiten
  • Badetod
    • Verschiedene Formen des reflektorischen Todes im Wasser
    • Ausschlussdiagnose; Fehlen von Zeichen der Wassereinatmung
    • Synonym: Dry Drowning (trockenes Ertrinken)
      • Cave: durch Laryngospamus bei einigen Ertrunkenen ebenfalls kaum Wasser in Lunge!
  • Beinahe-Ertrinken
    • Ertrinkungsunfall, der mindestens 24 Stunden überlebt wird.

Häufigkeit

  • Weltweit ertrinken jährlich etwa 372.000 Menschen.
    • davon 90 % in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen

Ätiologie und Pathogenese

  • Ertrinken und Badetode treten u. a. auf bei:
    • Bade- und Bootsunfällen
    • Einbrechen im Eis
    • Suizidversuchen.
  • Oft ist Alkohol mit im Spiel.1-2
    • Bereits kleine Mengen erhöhen Ertrinkungsrisiko, das mit konsumierter Menge weiter ansteigt.

Pathogenese Ertrinken

  • Todesursache beim Ertrinken primär Hypoxie, die sekundär zur Einschränkung der Organfunktionen mit Kreislaufversagen führt.
  • Typischerweise vier Stadien des Ertrinkens
    • Stadium 1: Bewusstes Atemanhalten, um Wassereinstrom in die Atemwege zu verhindern (30 sec–2 min).
    • Stadium 2: Atemreiz über Atemzentrum durch angestiegenes CO2 kann nicht mehr unterdrückt werden. Wasser wird inspiriert. Hustenreiz bis zum Einsetzen der Bewusstlosigkeit für 1–3 min.
    • Stadium 3: tonisch-klonische Krämpfe mit erhaltener Atemtätigkeit für weitere 90 sec
    • Stadium 4: präterminale Schnappatmung, schließlich Apnoe
  • Aspiration von Wasser
    • Resultiert in massivem Lungenödem.
      • Auswaschen des Surfactant aus Alveolen durch Flüssigkeit
      • bei hypertonem Salzwasserertrinken: Flüssigkeitseinstrom in Lungengewebe
      • bei hypotonem Frischwasserertrinken: Flüssigkeitseinstrom in Alveolarmembran
  • Laryngospasmus  
    • Laryngospasmen setzen bei einem Teil der Betroffenen ein und verursachen einen Verschluss der Glottis mit Asphyxie als Folge und schließlich Herzstillstand.
  • Wassertemperatur
    • Kaltes Wasser entzieht dem Körper durch Konduktion Wärme.
      • Wärmeverlust wird bei Alkoholkonsum begünstigt durch periphere Vasodilatation.
    • bei Körperkerntemperatur < 30 °C vermehrtes Auftreten von Herzrhythmusstörungen

Pathogenese Badetod

  • Tod im Wasser, der vermutlich durch einzelne oder auch kombinierte vagale Reflexe ausgelöst wird.
    • Ebbecke-Reflex („Eintauchreflex“): Gesichtshaut als Reflexzone (2. Trigeminusast), Schluckreflex nach Eintauchen in kaltes Wasser, Bradykardie, Atemstillstand
    • Aschner-Bulbusdruck-Reflex (okulokardialer Reflex): Bradykardie nach Druck auf den Augenbulbus
    • Hering-Nasenschleimhaut-Reflex: Bradykardie durch chemische oder thermische Reizung der Nasenschleimhaut
  • Weitere „Schockreaktionen“ sind als Ursache möglich.
    • Kälteschock: massive Blutumverteilung durch periphere Vasokonstriktion
    • Schmerzschock: starke Reizung z. B. des Plexus solaris beim „Bauchplatscher“, Versacken des Blutes in reflektorisch erschlaffte Eingeweidegefäße
    • Kehlkopfschock: Stimmritzenkrampf durch an Kehlkopf gelangtes Wasser
    • Schock nach akuter Trommelfellperforation: Auslösen von Drehschwindel und Orientierungslosigkeit

Prädisponierende Faktoren

  • Baden in nicht-überwachten Gewässern
  • Fehlende Schwimmfähigkeiten
    • > 50 % der Grundschulschüler*innen sind keine sicheren Schwimmer*innen.
    • Geflüchtete und Personen mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen.
  • Erhöhtes Risikoverhalten durch Konsum von Alkohol2
  • Sehr kaltes Wasser
  • Vorbestehende Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
  • Epilepsie

ICD-10

  • T75.1 Ertrinken und nichttödliches Untertauchen

Diagnostik

Anamnese

  • Häufig nur Fremdanamnese möglich
  • Wichtige Informationen
    • Wie lange ist die Person unter Wasser gewesen (Submersionsdauer)?
    • Wie lange ist es her, seit sie aus dem Wasser gerettet wurde?
    • Wie lange läuft bereits die (Laien)-Reanimation?
    • Was waren die Umstände des Vorfalls?
      • Alkoholeinfluss?
      • Tauchunfall?
      • Suizidversuch? In diesem Fall ggf. zusätzlich Medikamenteneinnahme in suizidale Absicht: Drogenscreening (u. a. Benzodiazepine) in Klinik sinnvoll
    • Bekannte Vorerkrankungen?
    • Bekannte Allergien?

Klinische Untersuchung

  • Kurze Überprüfung von Puls und Atmung
    • schnellstmöglicher Beginn der kardiopulmonalen Reanimation bei Anhalt für Herz-Kreislauf-Stillstand
  • Anschließend Untersuchung nach ABCDE-Schema (siehe Artikel  Akutmedizinische Behandlung von Schwerverletzten am Unfallort), ohne die  Reanimationsmaßnahmen zu unterbrechen:
    • Airway
    • Breathing
    • Circulation
    • Disability
    • Exposure (hier vor allem Augenmerk auf die Körpertemperatur).

Stationäre Diagnostik

  • Weitere Diagnostik im Krankenhaus gemäß Leitlinie3
    • EKG: Herzrhythmusstörungen?
    • Röntgen Thorax
    • BGA (Ziel-Sauerstoff-Partialdruck 75–100 mmHg)
    • Messung Körperkerntemperatur
  • Weitere empfohlene Diagnostik
    • Labor (u. a. Elektrolyte)
    • Sonografie (FAST-Schema) und Echokardiografie

Klinikeinweisung

  • Sämtliche Badeunfall-Patient*innen mit relevanter Zeit unter Wasser und möglicher Aspiration von Flüssigkeit sollten schnellstmöglich unter notärztlicher Begleitung in ein Krankenhaus transportiert und dort überwacht werden.
    • rasche respiratorische Verschlechterung möglich

Therapie

Therapieziele

  • Lebensrettung
  • Verhinderung neurologischer Schäden

Allgemeines zur Therapie

  • Eigenschutz beachten!
    • Retter*innen sollen sich bei Rettungsmaßnahmen nicht selbst in Gefahr bringen.
  • Schnellstmöglicher Beginn von Reanimationsmaßnahmen bei Herz-Kreislauf-Stillstand
  • Lange Zeit unter Wasser bedeutet nicht, dass die Verunfallten tot sind.
    • Durch Hypothermie können Körpergewebe längere Zeit ohne Sauerstoff überleben.4
  • „Niemand ist tot, ehe er nicht warm und tot ist“.
    • Reanimation von hypothermen Patient*innen bis zur vollständigen Erwärmung

Akutbehandlung

  • Schnelle, aber vorsichtige Rettung aus Wasser unter Beachtung möglicher Begleitverletzungen.
    • z. B. Stabilisierung der Halswirbelsäule bei beobachtetem Kopfsprung ins Wasser oder sichtbaren Kopfverletzungen
  • Unverzüglicher Beginn der Reanimationsmaßnahmen bei Herz-Kreislauf-Stillstand
  • Bei erhaltener Atmung Lagerung in stabiler Seitenlage in ständiger Reanimationsbereitschaft
  • Kontaktierung der Notrufzentrale für weitere personelle Unterstützung und ggf. Besprechung der Erstmaßnahmen

ERC-Guideline: Kreislaufstillstand bei Ertrinken3

  • Beginn mit Reanimation, sobald sicher und praktikabel möglich
    • ggf. Beginn von Beatmungen noch im Wasser oder Beatmung und Thoraxkompression auf Boot
  • Beginn der Reanimation mit 5 Atemspenden/Beatmungen mit 100 % inspiratorischem Sauerstoff, falls verfügbar
  • Bleibt die Person bewusstlos, ohne normale Atmung, Beginn mit Thoraxkompressionen.
  • Wechsel zwischen 30 Thoraxkompressionen und 2 Beatmungen
  • Anlegen eines AED (Defibrillators), falls verfügbar, und Befolgen der Anweisungen
  • Endotracheale Intubation, falls sicher beherrschbar

Besonderheiten bei Hypothermie

  • Feststellung der Kerntemperatur mit für niedrige Temperaturen geeignetem Thermometer
    • tympanische Messung bei Spontanatmung
    • ösophageale Messung bei Patient*innen mit Trachealtubus oder Larynxtubus mit Absaugkanal
  • Einwickeln der Patient*innen in Isolationsdecke
  • Bei Körperkerntemperatur < 30 °C
    • Transport in Zentrum mit Möglichkeit einer extrakorporalen Zirkulation
    • Wenn Kammerflimmern nach 3 Schocks persistiert, Abwarten mit Defibrillationsversuchen, bis die Kerntemperatur >  30 °C beträgt.
    • keine Gabe von Adrenalin
    • Thoraxkompressionen und Beatmung wie bei normothermen Patient*innen
  • Bei Hypothermie, aber Körperkerntemperatur > 30 °C
    • Verlängerung des Therapieintervalls von Adrenalin auf 6–10 min

Stationäre Behandlung

Aufwärmen

  • Goldstandard: extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) über kardiopulmonalen Bypass3

Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt

  • Ausgleich von Elektrolytverschiebungen
  • Balancierung des Flüssigkeitshaushalts

Beatmung

  • Ziel-pO2 94–98 %3
    • Bei Dyspnoe erst nichtinvasive Beatmung
    • falls nicht ausreichend, invasive Beatmung mit lungenprotektivem Modus

Infektion

  • Nur eine Minderheit bekommt nach Beinahe-Ertrinken eine Lungenentzündung.5
    • keine prophylaktische Antibiotikagabe
  • Abnahme von Blutkulturen für ggf. notwendige, zielgerichtete Antibiose/Antimykotika

Prävention

  • Nur in beaufsichtigten Gewässern baden.
  • Grundausbildung im Schwimmen für Kinder gewährleisten.
    • Fast 25 % aller Grundschulen können keinen Schwimmunterricht mehr anbieten, weil ihnen kein Bad zur Verfügung steht.
  • Laien-Ausbildung in Basis-Reanimationsmaßnahmen

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Auch bei langen Submersionszeiten kann Überleben mit guten neurologischen Ergebnissen erzielt werden.
    • Hypothermie gewebeschützend
  • Lungenödem nach Aspiration von Flüssigkeit kann auch noch Tage nach einem Beinahe-Ertrinken auftreten, sodass eine stationäre Überwachung notwendig ist.

Komplikationen

  • Lungenödem mit ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome)
  • Organschäden/Hirnschäden durch Hypoxie
  • Volumen- und Elektrolytstörungen
  • Aspirationspneumonie
    • gehäuft Pilzpneumonien

Prognose

  • Frühe Reanimation und adäquate Intensivbehandlung verbessern die Prognose.6
  • Gefahr von Tod oder schweren neurologischen Schäden im Verhältnis zur Zeit unter Wasser:5,7
    • 0–5 min: 10 %
    • 6–10 min: 56 %
    • 11–25 min: 88 %
    • > 25 min: nahezu 100 %

atienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

Literatur

  1. Driscoll TR, Harrison JA, Steenkamp M. Review of the role of alcohol in drowning associated with recreational aquatic activity. Inj Prev 2004; 10(2): 107–113. doi: 10.1136/ip.2003.004390 DOI
  2. Wallis BA, Watt K, Franklin RC, Taylor M, Nixon JW, Kimble RM. Interventions associated with drowning prevention in children and adolescents: systematic literature review. Inj Prev 2015; 21(3): 195-204. pmid: 25189166 PubMed
  3. European Resuscitation Council. Guidelines for Resuscitation. Stand 2021. cprguidelines.eu
  4. Quan L, Mack CD, Schiff MA. Association of water temperature and submersion duration and drowning outcome. Resuscitation 2014; 85: 790. PubMed
  5. Szpilman D, Bierens JJLM, Handley AJ, Orlowski JP. Drowning. Current concepts. N Engl J Med 2012; 366: 2102-10. New England Journal of Medicine
  6. Szpilman D, Soares M. In-water resuscitation - is it worthwhile?. Resuscitation 2004; 63: 25-31. PubMed
  7. Tipton MJ, Golden FS. A proposed decision-making guide for the search, rescue and resuscitation of submersion (head under) victims based on expert opinion. Resuscitation 2011; 82: 819-24. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt

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