Allgemeine Informationen1
Körperliche Aktivität als Therapie
- Körperliche Aktivität und Training sind bei den meisten Krankheiten eine wichtige und wirksame Komponente der nichtmedikamentösen Therapie.
- Die Wirksamkeit von Bewegung und körperlicher Aktivität ist durch Studien hoher Qualität gesichert.
Körperliche Aktivität zur Prävention
Inaktivität erhöht Mortalität und Morbidität
- Körperliche Inaktivität verdoppelt nahezu das jährliche Risiko für Tod, koronare Herzerkrankungen, Altersdiabetes und Dickdarmkrebs.
- Inaktivität erhöht wahrscheinlich auch das Risiko für Schlaganfälle und Osteoporose.
Reduktion des Sturzrisikos
- Darüber hinaus führt körperliche Aktivität bei Älteren durch Training von Gleichgewichtssinn und Verbesserung der Körperspannung und Reflexe zu einer Reduktion des Sturzrisikos und trägt somit zur Frakturprophylaxe bei.
Verlangsamung des biologischen Alterns
- Körperliche Aktivität kann den Alterungsprozess nicht verhindern, aber ihn aufschieben und einen Konditionsverlust reduzieren.
- Ein 60 Jahre alter Langstreckenläufer, der sein ganzes Leben lang trainiert hat, hat in etwa die gleiche Kondition wie ein durchschnittlicher 25-Jähriger.
- Körperliche Aktivität reduziert den Verlust von Muskelkraft, Muskelmasse und Muskelausdauer.2
Mehr gebrechlichkeitsfreie Lebenszeit
- Gebrechlichkeit
- Definition: Der Begriff Gebrechlichkeit (Frailty) bezieht sich auf die körperliche Gesamteinschränkung älterer Menschen. Komponenten davon sind:
- ausgeprägte Erschöpfung
- stark eingeschränkte Vitalität
- geringe körperliche Aktivität
- verlangsamte Gehgeschwindigkeit
- unfreiwilliger Gewichtsverlust
- geringe Muskelkraft
- Depressivität.
- Häufigkeit: Ca. 3 % der 65- bis 79-jährigen Frauen und ca. 2 % der gleichaltrigen Männer sind körperlich gebrechlich (frail); insgesamt sind dies 2,6 % der älteren Erwachsenen.
- Definition: Der Begriff Gebrechlichkeit (Frailty) bezieht sich auf die körperliche Gesamteinschränkung älterer Menschen. Komponenten davon sind:
- Steigerung der behinderungsfreien Lebenserwartung
- Bewegung erwies sich als eine der wirksamsten Lebensstilmaßnahmen zur Steigerung der behinderungsfreien Lebenserwartung (Disability-Free Life Expectancy) und der Lebensqualität im Alter.3-4
Erhalt der Selbstständigkeit
- Alltagsaktivitäten wie Gehen, Treppensteigen, Bücken, Heben oder Tragen sind zentrale Bedingungen für Selbstständigkeit. Dazu sind Beweglichkeit und sicherer Stand notwendig. Körperliche Aktivität verbessert die Voraussetzungen dafür: Bewegungskoordination, Gleichgewicht, Muskelkraft und -masse.
Alterungsprozess
- Physiologisches Altern geht mit Funktionseinbußen und Abnahmen
der Leistungsfähigkeit einher, die individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können und zu einer nachlassenden Gesundheit im Alter führen.
Abnahme von Muskelmasse und -kraft
- Verstärkung durch Krankheiten, Verletzungen oder Operationen, da diese zu einer mittel- oder langfristigen Immobilisierung führen können.
- Das kann zum Verlust der Selbständigkeit und zur Pflegebedürftigkeit führen.
- Eine verminderte Muskelkraft ist auch mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert.
Alter ist kein Hinderungsgrund
- Grundsätzlich sind ältere und alte Menschen genauso gut trainierbar wie jüngere.
- Selbst sehr gebrechliche Patient*innen in Pflegeeinrichtungen können trainieren.
- Die Effekte körperlichen Trainings sind bei älteren dieselben wie bei jüngeren:
- Verbesserung der körperlichen Fitness
- Verringerung der Stressreaktion des Körpers (Sympathikusaktivität)
- Verbesserung der Erweiterungsfähigkeit der Blutgefäße
- Reduzierung des Thromboserisikos
- Verbesserung der Herzarbeit
- Verminderung von Gefäßablagerungen
- Verbesserung der Insulinempfindlichkeit
- Gewichtsreduktion.
Was bewirkt körperliche Aktivität?1
Psychische Gesundheit
- Siehe Artikel Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit.
- Steigerung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls
- Entwicklung eines Körperbewusstseins und Verbesserung der Körperwahrnehmung
- Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens
- Verbesserung des Schlafes
- Kommunikation, soziale Kontakte (Sportverein, Präventionsgruppen)
- Reduktion der Muskelanspannung (Stressreduktion)
Insulinresistenz und kardiovaskuläre Erkrankungen
- Siehe Artikel Körperliche Aktivität und Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen.
- Bewegung fördert die Glukosetoleranz und die Wirkung des Insulins und beugt Adipositas, vor allem abdominaler Adipositas, vor.
- Personen, die einer sitzenden Tätigkeit nachgehen, können ihre Blutzuckerregulation bereits erheblich verbessern, indem sie alle 20 min für 2 min aufstehen. Der Effekt ist noch größer, wenn die Person in den 2 min eine kleine Strecke zu Fuß zurücklegt.5
- Außerdem senkt körperliche Aktivität den Blutdruck und verbessert das Blutlipidprofil.
- Sie senkt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Sterblichkeit um etwa die Hälfte.
- Es kommt zu mehreren wichtigen physiologischen Anpassungen an das Training, u. a. zu einer niedrigeren Herzfrequenz und einem niedrigeren systolischen Blutdruck.
Krebserkrankungen
- Körperliche Aktivität senkt das Risiko für verschiedene Tumorerkrankungen, z. B. für Brust-, Darm- und Endometriumtumoren.
- Physische Aktivität wirkt sich bei Krebskranken positiv auf die Mortalität aus und erhöht die Lebensqualität.
- Krafttraining bremst die Entwicklung einer Tumorkachexie.
- Körperliche Aktivität schützt Tumorpatient*innen vor Rezidiven.
- Und mindert die Fatigue- und Stresssymptomatik.
Muskuloskelettale Erkrankungen
Wirkmechanismen
- Betroffene profitieren von körperlicher Aktivität durch:
- Verbesserung der
- Muskelkraft
- Gelenkbeweglichkeit
- Propriozeption
- Schmerztoleranz (Reduktion der Schmerzempfindlichkeit, Erhöhung der Schmerzschwelle)
- kardiopulmonalen Fitness
- weitere positive Effekte auf
- Übergewicht
- Gleichgewichtsstörungen und ein erhöhtes Sturzrisiko
- die eingeschränkte Mobilität.
- Verbesserung der
Einsatzgebiete (Beispiele)
- Arthrose
- auch nach Implantation einer Kniegelenks- oder Hüftendoprothese
- Die gelenkumgreifende Muskulatur wird gekräftigt und die Haltbarkeit von Endoprothesen wird begünstigt.
- Rückenschmerzen
- Nackenschmerzen
- Osteoporose
- Körperliche Aktivität, vor allem solche, die mit Druckbelastung auf die Knochen einhergeht, erhöht die Knochenmasse und -stabilität.
- Körperliche Aktivität reduziert die Sturzneigung.
- bei Osteoporose-Patient*innen
- Training in regelmäßigen Abständen anpassen.
- Dabei Knochenstabilität und Frakturrisiko berücksichtigen.
Gelenkschonende Sportarten (Beispiele)
- Schwimmen
- Radfahren
- Wandern
- Walken
- Gymnastik
- Paddeln
Diagnostik1
Vor Trainingsbeginn
Beurteilung Funktionsstatus und Gebrechlichkeit
- Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, das Ausmaß der Gebrechlichkeit zu bestimmen (siehe auch die Artikel Funktionsbewertung bei Patient*innen in Pflegeeinrichtungen und Geriatrische Untersuchung):
- Die Greifkraft gilt hierbei als objektiver Indikator für abnehmende Muskelkraft.
- langsame Gehgeschwindigkeit (Timed „Up and Go“-Test ≥ 15 sec)
- Esslinger-Sturzrisikoassessment
- Tests zum Ausschluss kognitiver Defizite (Demenz)
- Mini-Mental-Status (MMST)
- DemTect
- TFDD
- MOCA
- Uhrentest
- ADL(Activities of Daily Living)-Tests (Näheres siehe Artikel Funktionsbewertung bei Patient*innen in Pflegeeinrichtungen)
- Barthel-Index
- Instrumentelle Aktivitäten nach Lawton und Brody (IADL)
Weitere Fragen
- Bisherige körperliche Aktivität und Bewegung?
- Belastbarkeit im Alltag?
- Begleiterkrankungen?
- Kontraindikationen
Motivation der Patient*innen (5-A-Strategie)
- Assess (Status erheben)
- Advise (direkte, deutliche Empfehlung zur Verhaltensänderung)
- Agree (Erfassen der Veränderungsbereitschaft)
- Assist (Unterstützung anbieten)
- Arrange (Vereinbarung weiterer Termine)
Kontraindikationen für körperliche Aktivität
- Akutes Koronarsyndrom
- Maligne Hypertonie mit Blutdruckanstiegen auf systolisch > 190 mmHg trotz maximal möglicher antihypertensiver Kombinationstherapie
- Blutdruckabfall von systolisch ≥ 20 mmHg unter Belastung, insbesondere bei Patient*innen mit KHK
- Schwere sekundäre Mitralinsuffizienz
- Herzinsuffizienz NYHA IV
- Schwere Herzrhythmusstörungen
- Akute Infektionen
Maßnahmen und Empfehlungen1
Allgemeine Empfehlungen
- Auswahl der Bewegungs- oder Sportart
- Primär nach persönlichen Vorlieben: Jede Art der Bewegung ist besser als keine Bewegung.
- Besonders bei älteren Menschen sind neben Ausdauertraining auch Kraftübungen und Erhalt der Muskelmasse wichtig.
- Ausreichende Regenerationspausen einhalten.
- Entspannungsübungen sind zusätzlich sinnvoll.
Bewegung in den Alltag integrieren
- Treppe statt Aufzug oder Rolltreppe
- Möglichst viele Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen.
- Bei sitzender Tätigkeit alle 20 min aufstehen und umhergehen oder einfache Bewegungs- oder Dehnübungen durchführen.
Wie viel körperliche Aktivität?
- Die größten Effekte auf die gebrechlichkeitsfreie Lebenszeit können bei Menschen erzielt werden, die bisher einen weitgehend bewegungsarmen Lebensstil geführt haben. Bei diesen Personen hat bereits wenig mehr Bewegung einen deutlichen Effekt.3-4
Ausdauertraining
- Beispielsweise Nordic Walking, Wandern, Aqua-Jogging, Radfahren
- Als Mindestmaß zur Herz-Kreislauf-Prävention empfohlenes Wochenpensum:
- 150–300 min körperliche Aktivität moderater Intensität – oder –
- 75–150 min körperliche Aktivität hoher Intensität – oder –
- eine Kombination aus Aktivitäten moderater und hoher Intensität.
Krafttraining
- An 2 oder mehr Tagen pro Woche Übungen zur Stärkung der Muskulatur
- Effekte
- Stabilisieren des Bewegungsapparates
- Erhalt der Muskelmasse im Alter
- Verbesserung der Insulinsensitivität
- Verbesserung des Muskelmetabolismus
Ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität
- Gleichgewichtsübungen, z. B. Einbeinstand, und Krafttraining an 3 oder mehr Tagen in der Woche
- Propriozeptives Training verbessert die räumliche Orientierung und die Körperwahrnehmung.
- Sind ältere Menschen nicht mehr in der Lage, an speziellen Trainingsprogrammen teilzunehmen, dann sollen sie sich trotzdem im Rahmen ihrer Möglichkeiten regelmäßig bewegen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Taylor D. Physical activity is medicine for older adults Postgraduate Medical Journal 2014;90:26-32. pmj.bmj.com
- Almeida OP, Khan KM, Hankey GJ, et al. 150 minutes of vigorous physical activity per week predicts survival and successful ageing: a population-based 11-year longitudinal study of 12 201 older Australian men. Br J Sports Med 2014; 48: 220. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Rahman MM, Jagger C, Leigh L, et al. The Impact of Education and Lifestyle Factors on Disability-Free Life Expectancy From Mid-Life to Older Age: A Multi-Cohort Study. Int J Public Health 2022; 67: 1605045. PMID: 36046258 PubMed
- Kingston A, Byles J, Kiely K, et al. The Impact of Smoking and Obesity on Disability-Free Life Expectancy in Older Australians. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2021; 76: 1265-72. PMID: 33249489 PubMed
- Brocklebank LA, Andrews RC, Page A, et al. The Acute Effects of Breaking Up Seated Office Work With Standing or Light-Intensity Walking on Interstitial Glucose Concentration: A Randomized Crossover Trial. J Phys Act Health 2017; 14: 617-25. PMID: 28422556. PubMed
Autor*innen
- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg