Zusammenfassung
- Definition: Drucktrauma, das bei Dysfunktion der Tuba auditiva im Mittelohr/Innenohr entsteht.
- Häufigkeit: Ein weit verbreitetes Phänomen, häufig nach Fliegen und Tauchen.
- Symptome: Die Symptome treten bei schnellen Druckänderungen auf, z. B. bei Flugreisen. Sie bestehen in Ohrenschmerzen, Druckgefühl, ggf. Ohrgeräuschen.
- Befunde: Die klinischen Befunde bestehen ggf. in einem eingezogenen Trommelfell mit Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr, in seltenen Fällen ist das Trommelfell perforiert.
- Diagnostik: Als ergänzende Untersuchungen kommen Weber- und Rinne-Test in Betracht.
- Therapie: Die meisten Verletzungen infolge eines Barotraumas heilen spontan aus.
Allgemeine Informationen
Definition
- Drucktrauma aufgrund einer schnellen Änderung des Umgebungsdrucks beim Fliegen oder Tauchen, der bei Dysfunktion der Tuba auditiva auf das Mittelohr/Innenohr einwirkt.
- Beim Barotrauma führen starke Druckdifferenzen ohne adäquaten Ausgleich zu erheblichen Spannungen am Trommelfell, die bis zur Trommelfellruptur führen können.
- Am häufigsten treten diese im Rahmen von Flugreisen und sehr viel häufiger und schwerwiegender bei Tauchgängen auf, wobei eine akute Hörminderung und Tinnitus begleitende Symptome sind.
Häufigkeit
- Abhängig von der Flughöhe, dem Flugzeugtyp und Voraussetzungen des Betroffenen
- Bei 10 % aller Erwachsenen und 22 % aller Kinder ließen sich nach einem Flug otoskopisch Anzeichen von Trommelfellverletzungen beobachten.1
- Trommelfellperforationen bei Tauchgängen sind häufig.
Klinische Anatomie und Physiologie
- Das Mittelohr ist eine luftgefüllte Kammer, die lateral durch das Trommelfell und die Eustachisch-Röhre von der äußeren Umgebung getrennt wird.2
- Der Druck im Mittelohr muss gegenüber dem Umgebungsdruck ausgeglichen werden, damit das Trommelfell normal vibrieren und so ein deutliches Hören von Geräuschen ermöglichen kann.
- Unter normalen Bedingungen wird die Luft im Mittelohr langsam über die Schleimhaut absorbiert und kontinuierlich ausgetauscht. Hierzu kommt es in der Regel beim Schlucken oder Gähnen. Hierbei öffnet sich die Tuba auditiva (Eustachi-Röhre) und ermöglicht den Luftzufluss und -abfluss.
- Bei Fehlfunktion der Tuba auditiva entsteht eine Druckdifferenz zwischen Mittelohr und Umgebung. Eine solche Druckdifferenz kann das Trommelfell schädigen und führt zu Schmerzen und Hörverlust.
Ätiologie und Pathogenese
- Änderung des Umgebungsdrucks, der bei Flugreisen auf das Mittelohr einwirkt3, schnelle Höhenänderungen, Tauchen4 oder Explosionen.
- Beim Abstieg eines Flugzeugs entsteht im Verhältnis zum Druck im Gehörgang ein Unterdruck (eine Druckdifferenz), der ausgeglichen werden muss.5-6
- Eine schmale, entzündete oder dysfunktionale Tuba audititiva verhindert die erforderliche Luftzufuhr im Mittelohr.
- Da die Druckdifferenz zunimmt, wird das Trommelfell nach innen gezogen und gespannt.
- Dies kann zu Trommelfellblutungen, Bildung von Flüssigkeitsexudat im Mittelohr und in manchen Fällen zur Ruptur des Trommelfells führen.
- Bei schweren Fällen kommt es zu einem sensorischen Hörverlust und zu Schwindel durch Ruptur des ovalen oder runden Fensters (perilymphatische Fistel). Hierzu kann es z. B. beim Tauchen kommen, da hier die Druckdifferenzen größer sind.
- Übelkeit entsteht durch Dysfunktion des Labyrinths.
- Es kann zu einer Nebenhöhlenblutung kommen.
Prädisponierende Faktoren
- Dysfunktion der Tuba auditiva, z. B. bei Erkältungen
- Erworbenes Ödem der Tubenschleimhaut
ICD-10
- T70 Schäden durch Luft- und Wasserdruck
- T70.0 Barotrauma des Ohres
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Anamnetisches Barotrauma
- Otoskopie: Retraktion des Trommelfells, erhöhte Vaskularisierung, Flüssigkeit im Mittelohr
- Sensorischer Hörverlust
Differenzialdiagnosen
- Dekompressionserkrankung (einschließlich Schwindel und Übelkeit)
Anamnese
- Ohrenschmerzen, Druckgefühl im Ohr, Ohrgeräusch
- Tritt häufig bei Flugreisen auf, bei schnellen Höhenveränderungen oder beim Tauchen.
- Tauchen stellt die größte Gefahr da und führt in der Regel zu den am stärksten ausgeprägten Beschwerden.
- Es kann zu Gehörverlust, Übelkeit und akutem Schwindel kommen. In schweren Fällen kann eine Ruptur des ovalen oder runden Fensters mit Austritt von Perilymphe entstehen.2
- Lokale Schmerzen über den Nasennebenhöhlen sind nicht ungewöhnlich.
Klinische Untersuchung
- Retraktion des Trommelfells
- Transsudat (Flüssigansammlung) hinter dem Trommelfell
- Hämatotympanon
- Ruptur des Trommelfells (seltener)
- Sensorischer Hörverlust
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Weber- und Rinne-Versuch
- Weber: Lateralisation?
- Bei einem einseitigen neurogenen Gehörverlust kommt es zur Lateralisation zum gesunden Ohr hin (Schädigung des Innenohrs).
- Bei einem einseitigen Leitungsverlust kommt es zur Lateralisation zum betroffenen Ohr hin.
- Rinne-Versuch
- Ein besseres Hören der Luftleitung (Rinne positiv) ist normal oder ein Ausdruck für neurogenen Hörverlust.
- Ein besseres Hören der Knochenleitung (Rinne negativ) weist auf einen Defekt des Trommelfells oder eine Verletzung der Gehörknöchelchen hin, ggf. Perforation des runden oder des ovalen Fensters.
Indikationen zur Überweisung
- Milde Fälle bzw. kleine Trommelfellrisse heilen spontan und können hausärztlich kontrolliert werden, bei größeren Verletzungen umgehende Überweisung an den HNO-Arzt.
Therapie
Therapieziel
- Symptomlinderung
- Prävention
- Klinische Beurteilung bei Gehörverlust und Schwindel im Hinblick auf eine Tympanotomie zum Verschluss einer perilymphatischen Fistel (innerhalb von 1–2 Wochen)
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung ist in erster Linie prophylaktisch.
- Die meisten Verletzungen, die durch ein Barotrauma entstehen, heilen spontan ab.
Empfehlungen für Patienten auf Flugreisen
- Schlucken, Gähnen, Kaugummi
- Schleimhautabschwellende Medikamente können bei entsprechender Disposition versucht werden.
- Lokaltherapie
- abschwellendes Nasenspray ½ Stunde vor dem Flug
- bei Bedarf Wiederholung während des Flugs
Therapie bei Trommelfellperforation
- Bei einem einfachen, kleinen Riss: Nachuntersuchungen der Patienten bis zum vollständigen Verschluss durchführen.
- Ohrspülungen oder Ohrentropfen dürfen aufgrund der Gefahr der Keimverschleppung in das Mittelohr nicht verwendet werden.
- Bei plötzlich einsetzenden Allgemeinsymptomen sollte aufgrund einer möglichen Superinfektion eine systemische antibiotische Therapie eingeleitet werden.
- Bei größeren Rissen haben die Trommelfellränder die Tendenz, sich einzurollen. Es ist eine möglichst schnelle Adaption über das Ohrmikroskop und eine Zusammenarbeit mit dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt erforderlich.
Weitere Therapien
Flugreise?
- Eine Parazentese führt zu einem sofortigen Ausgleich des Mittelohrdrucks.
Tauchen
- Druckkammerbehandlung und weitere spezifische Maßnahmen bei Dekompressionserkrankung
Operative Therapie
- Bei schwerwiegender Schädigung des Innenohrs, die zu ausgeprägtem Schwindel oder Gehörverlust geführt hat, ist eine Tympanoplastik oder das Schienen des runden oder ovalen Fensters mithilfe einer Folie (perilymphatische Fistel) indiziert.
Prävention
Flugreisen
- Schlucken und Gähnen beim Landeanflug des Flugzeugs
- Lokale schleimhautabschwellende Medikamente sollten mindestens ½ Stunde vor Abflug verabreicht werden.
Tauchen
- Langsamer Abstieg beim Tauchen
- Eine Trommelfellruptur ist eine absolute Kontraindikation gegen Tauchen.
- Bei nur einseitigem Hörvermögen sollte vom Tauchen abgeraten werden.
- Bei Infektionen der oberen Atemwege oder bei nasalen Allergiesymptomen sollte Tauchen vermieden werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Unabhängig von der Therapie in der Regel gutartiger Verlauf, sofern sich nur Flüssigkeit im Mittelohr befindet.
Komplikationen
- Perilymphatische Fistel mit Hörverlust und Schwindel/Tinnitus
Prognose
- In den meisten Fällen gehen die Symptome spontan zurück.
- Eine perilymphatische Fistel führt häufig zu dauerhaften Hörverlusten, wenn nicht im Lauf von 1–2 Wochen operiert wird.
- Der Schwindel kann sich durch Schließen der Fistel verbessern.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Über vorbeugende Maßnahmen, insbesondere bei Risikopatienten
- Tauchtauglichkeituntersuchungen vor (Hobby-)Tauchgängen bei zertifizierten Ärzten
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Ely JW, Hansen MR, Clark EC. Diagnosis of Ear Pain. Am Fam Physician 2008; 77: 621-8. pmid:18350760 PubMed
- Vernick DM. Ear barotrauma. UpToDate, last updated Apr 23, 2015. UpToDate
- Rosenkvist L, Klokker M, Katholm M. Upper respiratory infections and barotraumas in commercial pilots: a retrospective survey. Aviat Space Environ Med 2008; 79: 960. PubMed
- Klingmann C, Praetorius M, Baumann I, Plinkert PK. Barotrauma and decompression illness of the inner ear: 46 cases during treatment and follow-up. Otol Neurotol 2007; 28: 447. PubMed
- Janvrin S. Middle ear pain and trauma during air travel. In: Clinical Evidence. BMJ Publishing Group, 2000; 3: 245-7.
- Mirza S, Richardson H. Otic barotrauma from air travel. J Laryngol Otol 2005; 119: 366. PubMed
Autoren
- Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg