Zusammenfassung
- Definition:Eitrige Entzündung der belüfteten Knochenzellen des Warzenfortsatzes mit möglicher Knochenzerstörung. Tritt als seltene, aber potenziell vital bedrohliche Komplikation einer akuten Mittelohrentzündung auf.
- Symptome:Reduzierter Allgemeinzustand, Ohrenschmerzen, retroaurikuläre Schwellung (abstehendes Ohr).
- Befunde:Fieber, Hörminderung, retroaurikulärer Druckschmerz.
- Diagnostik:Die Diagnose kann klinisch und anamnestisch gestellt werden. Bildgebende Verfahren tragen zur Diagnosesicherung von Komplikationen bei.
- Therapie:Antibiose, systemische Analgesie; ggf. chirurgische Sanierung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Eitrige Entzündung der belüfteten Knochenzellen des Warzenfortsatzes mit möglicher Knochenzerstörung1
- Tritt ganz überwiegend bei Kindern unter 2 Jahren als Komplikation einer akuten Otitis media auf.1
Häufigkeit
- Selten: ca. 2–4 pro 10.000 Episoden einer Otitis media
- Am häufigsten betroffen sind Kleinkinder unter 2 Jahren.1
- Nachdem die Häufigkeit im Zuge der Antibiotika-Ära dramatisch gesunken ist, steigt sie derzeit infolge zunehmend resistenter Erreger wieder an.1
Klinische Anatomie
- Der Warzenfortsatz ist ein Teil des Temporalknochens. Im Rahmen der Entwicklung entstehen lufthaltige Hohlräume (Mastoidzellen), die mit Schleimhaut ausgekleidet sind.
- Verbindung der Mastoidzellen mit dem Mittelohr über zwei Öffnungen, genannt Antrum und Aditus.
- Diese sind bei Kindern kleiner und begünstigen so eine Retention von Sekret in den Mastoidzellen mit konsekutiver Infektion.1
- Komplikationen der Mastoiditis sind der Nähe zum N. facialis, zum Gleichgewichtsorgan, zum M. sternocleidomastoideus, zur V. jugularis, zur A. carotis interna, zum Sinus sigmoideus, zu Gehirn und Hirnhäuten geschuldet.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Erkrankung tritt in der Regel als fortgeleitete Entzündung nach einer akuten Mittelohrentzündung auf, wobei eine zwischenzeitliche Besserung nicht unüblich ist.
- In Studien wird der Einfluss einer grundsätzlichen antibiotischen Therapie einer akuten Otitis media zur Vermeidung der Mastoiditis als seltene Komplikation kontrovers diskutiert. Wenn man Entwicklungen von Resistenzen, Nebenwirkungen und Kosten in Betracht zieht, ist diese nicht zu verantworten.
- Bei jüngeren Kindern ist das Risiko einer Mastoiditis aufgrund der anatomischen Gegebenheiten höher.
Pathophysiologie
- Eine Mastoiditis entsteht meist durch eine vom Mittelohr fortgeleitete Infektion.
- Wichtigster pathogenetischer Faktor ist die Retention von Sekret durch Verstopfung des Aditus und Antrum, der anatomischen Verbindungen des Warzenfortsatzes zum Mittelohr.1
- Das Erregerspektrum der Mastoiditis deckt sich folglich mit dem der Otitis media:
- Streptococcus pneumoniae
- Streptococcus pyogenes
- Haemophilus influenzae
- Staphylococcus aureus
- Pseudomonas aeruginosa1
- Fusobacterium necrophorum.
- Durch Einschmelzung der Mastoidzellen kommt es zu einer Knochendestruktion.
- Komplikationen der Mastoiditis treten auf, wenn die Entzündung sich vom Processus mastoideus weiter ausbreitet. Eine periphere Fazialisparese, Labyrinthitis, Meningitis, Sinusvenenthrombose sowie Abszesse können auftreten.1
- Bei Ausbreitung des entzündlichen Prozesses in die Felsenbeinpyramide mit Trigeminus-Schmerzen und Abduzensparese spricht man von einem Gradenigo-Syndrom.
- Die Progression der lokalen Erkrankung kann mit einer erheblichen Morbidität verbunden sein und sich zu einer lebensbedrohlichen Krankheit entwickeln.
Prädisponierende Faktoren
ICPC-2
- H71 Akute Mittelohrentzündung
- H74 Chronische Mittelohrentzündung
ICD-10
- H70 Mastoiditis und verwandte Zustände
- H70.0 Akute Mastoiditis
- H70.1 Chronische Mastoiditis
- H70.2 Petrositis
- H70.8 Sonstige Mastoiditis und verwandte Zustände
- H70.9 Mastoiditis, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose basiert auf einer typischen Anamnese, klinischen Befunden und dem Vorhandensein von Risikofaktoren.1
Differenzialdiagnosen
- Akute Otitis media
- Akute Otitis externa
- Phlegmone
- Retroaurikuläre Lymphadenopathie im Rahmen einer lokalen Infektion
Anamnese
- Die Erkrankung kann sich aus einer akuten Mittelohrentzündung entwickeln, aber auch nach einer symptomfreien Periode auftreten.
- Sie tritt aufgrund der anatomischen Gegebenheiten am häufigsten bei Kleinkindern auf.
- Kleinkinder haben häufig einen rascheren Verlauf und schwerere Symtome.1
- Typische Symptome
- Fieber
- stark reduzierter Allgemeinzustand
- Ohrenschmerzen
- ggf. Sekretion aus dem Ohr
- Schmerzen retroaurikulär 1
Klinische Untersuchung
- Typische Befunde
- retroaurikuläre Schwellung (abstehendes Ohr)
- Druckschmerzhaftigkeit retroaurikulär
Mastoiditis (Quelle: Wikimedia Commons)
- Hörminderung
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Abstrich
- Bei Otorrhö trägt ein Abstrich zur Optimierung der antibiotischen Therapie bei.
- CT, MRT, Angio-MRT bei Verdacht auf Komplikationen1
Indikationen zur Klinikeinweisung
- Bei V. a. Mastoiditis Einweisung zur parenteralen Antibiose, ggf. weiteren Bildgebung und Behandlung von Komplikationen in eine HNO-Abteilung
Therapie
Therapieziele
- Die Erkrankung heilen.
- Komplikationen vermeiden.
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung schließt die Gabe von Antibiotika und Schmerzmitteln und oft auch eine chirurgische Sanierung ein.
- In der Regel ist ein stationärer Aufenthalt mit intravenöser Antibiotikagabe erforderlich.
Medikamentöse Therapie
- Antibiotika
- Mittel der 1. Wahl: Aminopenicillin + Betalaktamase-Inhibitor
- Ampicillin / Sulbactam – Dosierung:
- Erwachsene Jugendliche und Erwachsene 3 x 2 g Ampicillin + 1 g Sulbactam i. v.
- Säuglinge/Kinder bis 12 Jahre: 100–150 mg/kg/d in 3–4 Einzelgaben
- Alternative: Cephalosporin 3a
- Bei v. a. Pseudomonas aeruginosa
- Ceftazidim + Clindamycin
- Dosierung Ceftazidim:
- Jugendliche und Erwachsene 3 x 1–2 g i. v.
- Säuglinge/Kinder bis 12 Jahre: 100–200 mg/kg/d i. v. in 3 Einzelgaben
- Dosierung Clindamycin:
- Jugendliche und Erwachsene: 3 x 600–900 mg i. v.
- Die maximale Tagesdosis bei Erwachsenen beträgt 4,8 g (4 x 1,2 g).
- Säuglinge/Kinder bis 12 Jahre: 40 mg/kg/d i. v. in 3 Einzelgaben
- Dosierung Ceftazidim:
- Cefepim
- Ceftazidim + Clindamycin
- Adaptation der Antibiotikatherapie nach Antibiogramm
- Eine ausreichende systemische Analgesie ist ebenso erforderlich.
Operative Therapie
- Parazentese und Paukenröhrcheneinlage1
- Wenn es nicht zu einer spontanen Trommelfellperforation kommt.
- bei rezidivierender Otitis media in der Anamnese.
- Der Trommelfellschnitt dient der Druckentlastung des Mittelohres, Sekret kann abfließen. Aus diesem kann ein Erregernachweis erfolgen.
- Mastoidektomie
- v. a. bei Komplikationen: intrakranielle Affektion, ein Durchbruch der Eiterung nach außen (subperiostaler Abszess, Bezold-Abszess), ein Gradenigo-Syndrom u. a.1
Prävention
- Es wird kontrovers diskutiert, ob die Inzidenz der Mastoiditis als Komplikation einer akuten Otitis media (AOM) durch frühzeitige bzw. grundsätzliche Gabe von Antibiotika des Primärinfektes verringert werden kann.
- bei Patient*innen ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media zunächst eine symptomatische Behandlung mit systemischer Analgetikagabe unter engmaschiger Kontrolle (24–48 h), Antibiotika nur bei klinisch ausbleibender Besserung
- Bei Patient*innen mit einem erhöhten Risiko sofortige antibiotische Therapie:
- AOM mit Otorrhö
- Kinder jünger als 24 Monate mit beidseitiger AOM
- Begleit-/ Grunderkrankungen
- rezidivierende Infekte
- Paukenröhrchen
- Immunsuppression
- schlechtes Allgemeinbefinden
- hohes Fieber
- anhaltendes Erbrechen und/oder Durchfall.
- Bei Säuglingen zwischen 6 und 24 Monaten, die nicht schwer krank sind (kein Fieber, kein Erbrechen), kann eine engmaschige Befundkontrolle (innerhalb von 24 Stunden) vor einer antibiotischen Therapie erwogen werden.
- Hinzu kommt, dass die Resistenzlage und das Nebenwirkungsprofil bei einer prinzipiellen antibiotischen Therapie in Betracht gezogen werden müssen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- In der Regel erfolgt ein stationärer Aufenthalt mit intravenöser Antibiose und systemischer Analgesie.
- Ggf. chirurgische Sanierung bei Risikofaktoren oder Auftreten von Komplikationen
Komplikationen
- Meningitis
- Meningoenzephalitis
- Osteomyelitis
- Fazialisparese
- Hörverlust
- Labyrinthitis
- Sinusvenenthrombose1
- Abszesse (epidural, subdural, subperiostal)2
- Gradenigo-Syndrom (entzündlicher Prozess der Felsenbeinpyramide mit Trigeminus-Schmerzen und Abduzensparese)
- Bezold-Mastoiditis (Schwellung des M. sternocleidomastoideus mit Torticollis aufgrund eines lokalen Abszesses)1
Prognose
- Wenn es nicht zu intrakraniellen Komplikationen kommt, können die Patient*innen eine vollständige Heilung erwarten.
- Bei Auftreten von Komplikationen lebensbedrohliches Krankheitsbild und häufig bleibende Schäden1
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Mastoiditis (Quelle: Wikimedia Commons)
Quellen
Literatur
- Cassano P, Ciprandi G, Passali D. Acute mastoiditis in children. Acta Biomed. 2020; 91(Suppl 1): 54–59. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Oestreicher-Kedem Y, Raveh E, Kornreich L, et al. Complications of mastoiditis in children at the onset of a new millennium. Ann Otol Rhinol Laryngol 2005; 114: 147-52. PubMed
Autor*innen
- Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren