Myringitis, bullöse

Zusammenfassung

  • Definition:Sonderform der akuten Otitis media, bei der sich Bläschen auf dem Trommelfell bilden.
  • Häufigkeit:Tritt begleitend bei ca. 5 % der Fälle von akuter Otitis media bei Kindern unter 2 Jahren auf, kann aber auch bei älteren Kindern und Erwachsenen vorkommen.
  • Symptome:Starke Ohrenschmerzen, die meist stärker ausgeprägt sind als bei einer reinen Otitis media oder externa.
  • Befunde:Otoskopischer Nachweis bullöser, mit Flüssigkeit gefüllter, bläulich-livider Veränderungen auf dem Trommelfell.
  • Diagnostik:Keine ergänzenden Untersuchungen erforderlich.
  • Therapie:Entsprechend einer akuten Otitis media ohne Bullae symptomatisch, ggf. antibiotische Therapie.
  • Prävention:Stillen. Vermeidung von Risikofaktoren wie Zigarettenrauch-Exposition und Schnullern.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Akute Mittelohrentzündung, begleitet von einer Bläschenbildung auf dem Trommelfell1
  • Myringitis kann sich auf dem Boden einer Otitis media durch Viren oder Bakterien (besonders Streptococcus pneumoniae oder Mykoplasmen) entwickeln.2

Häufigkeit

  • Tritt bei etwa 5 % der Fälle von akuter Mittelohrentzündung bei Kindern unter 2 Jahren auf, kann jedoch auch bei älteren Kindern und Erwachsenen beobachtet werden.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Prävalenzen von Viren, Bakterien und Mykoplasmen scheinen sich bei der bullösen Myringitis nicht wesentlich von denen bei der nichtbullösen Otitis media zu unterscheiden.3-5
  • Die Erkrankung tritt in der Regel in Verbindung mit einer akuten Otitis media auf.
  • In den meisten Fällen von akuter Myringitis lässt sich ein bakterielles Pathogen in der Mittelohrflüssigkeit nachweisen, die Rolle von Atemwegsviren ist noch ungeklärt.3
  • Bei Erwachsenen besteht möglicherweise ein Zusammenhang mit Herpesinfektionen.

Prädisponierende Faktoren

ICD-10

  • H73.-Sonstige Krankheiten des Trommelfells
    • H73.0 Akute Myringitis
      • inkl. akute Tympanitis, bullöse Myringitis
      • exkl. mit Otitis media (H65-H66)

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Befunde mit Rötung und Bläschen auf dem Trommelfell

Differenzialdiagnosen

  • Zoster bei Erwachsenen
  • Sekretorische Otitis (Seromukotympanon): Sekretion, aber keine Infektion
  • Otitis externa
    • Tragusdruckschmerz
    • Schmerz bei Zug am Ohrläppchen
  • Gerötetes Trommelfell bei Kleinkindern, die schreien/weinen.

Anamnese

  • Starke Ohrenschmerzen, in der Regel stärker ausgeprägt als bei einer isolierten Otitis media oder externa.4,6
  • Plötzlich auftretende Schmerzen können 24–48 Stunden persistieren.
  • Meist akuter Beginn der Krankheit: Fieber, Krankheitsgefühl, Irritabilität
  • Häufig Zeichen und Symptome einer Mittelohrentzündung: Rötung des Trommelfells und Otalgie
  • Häufig vorangegangene Erkältung
  • Evtl. Fieber 38‒39 °C, eingeschränktes Hörvermögen
  • Bei spontaner Perforation des Trommelfells meist Schmerzabnahme, und es läuft Sekret aus dem Gehörgang.

Klinische Untersuchung

  • Bullöse, flüssigkeitsgefüllte, bläulich-livide Veränderungen des Trommelfells
  • Zuweilen finden sich hämorrhagische Bläschen.5
  • Schwerhörigkeit und Fieber können eher für eine bakterielle Ursache sprechen.
  • Die Diagnose stützt sich auf die otoskopische Darstellung von Bläschen auf dem Trommelfell.
  • Vorgehen bei Otoskopie:
    • zur Inspektion des Gehörganges Ohrmuschel nach hinten oben ziehen und obliterierende Zerumenpfropfen entfernen
      • Freie Sicht sollte allerdings nicht erzwungen werden.
    • immer beide Trommelfelle untersuchen und vergleichen
      • Dabei ist zur Beurteilung auf gute Ausleuchtung zu achten.
    • Grundsätzlich sollte vermutlich gesundes Ohr zuerst untersucht werden (besonders bei Kleinkindern, Kooperation!); insbesondere, wenn der Ohrtrichter nicht gewechselt wird, um eine mögliche Keimverschleppung zu vermeiden.

Weiter Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Blutuntersuchungen: nicht routinemäßig empfohlen

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Tympanometrie: Kann die Diagnose unterstützen, weist aber nur begrenzte Spezifität auf; im Übrigen verändert sich dadurch kaum die Behandlungsstrategie.
  • Mikrobiologische Untersuchung: Bei erheblich komplizierenden und rezidivierenden Otitiden sollte durch HNO-Ärzt*innen eine mikrobiologische Diagnostik angestrebt werden.

Indikationen zur Überweisung

  • In der Regel ist eine Überweisung nicht erforderlich.
  • Eine HNO-ärztliche Überweisung kann sinnvoll sein bei:
    • Verschlechterung trotz antibiotischer Therapie
    • rezidivierender AOM
    • nicht einsehbarem Trommelfell bzw. Unsicherheit der Diagnose
    • einliegendem Paukenröhrchen
    • V. a. Tonsillenhyperplasie bzw. adenoide Vegetationen.
  • Indikationen zur Einweisung bei:
    • Komplikationen, wie z. B. Mastoiditis
    • frustraner oraler antibiotischer Therapie (Kinder mit starkem Erbrechen oder Säuglinge < 6 Monate)
    • Patient*innen mit Z. n. Cochlea-Implantat in den letzten 2 Monaten.

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Die Therapie gleicht jener der akuten Mittelohrentzündung ohne Bullae.
  • Analgetika (häufig potentere Analgetika als bei akuter Mittelohrentzündung notwendig)7
  • Evtl. Punktion
  • Antibiotika nur bei infektiösen Komplikationen

Empfehlungen für Patient*innen

  • Eine Höherlagerung des Kopfes kann die Schmerzen etwas lindern.
  • Schmerzmittel nach Bedarf, nicht mehr als angegebene maximale Dosis
  • Abschwellende Nasensprays und Kaugummikauen (bei größeren Kindern) können die Belüftung der Tuba Eustachii verbessern, sodass Sekret aus Mittelohr besser abfließen kann.
  • Körperliche Schonung
  • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
  • Zuwendung für schmerzgeplagte (meist jüngere) Patient*innen

Medikamentöse Therapie

  • Bei immunkompetenten Patient*innen selbstlimitierend und keine regelhafte Antibiotikatherapie nötig
  • Oft ist eine analgetische Behandlung erforderlich, z. B.:2
    • Einsatz von Paracetamol oder Ibuprofen
      • Ibuprofen möglicherweise etwas stärker schmerzlindernd
      • Nachteil: Anwendung als Saft erst ab 6. Lebensmonat möglich
    • Paracetamol: Dosierung max. 60 mg/kg KG/d, verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag
    • Ibuprofen: Dosierung max. 20–30 mg/kg KG/d (laut Fachinformation max. 30 mg/kg KG/d), verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag
    • Acetylsalicylsäure: wegen Gefahr des Reye-Syndroms bei Virusinfekten zur Analgesie bei Kindern nicht empfohlen
    • Nasentropfen: Pathophysiologisch betrachtet ist ein Nutzen vorstellbar, insbesondere bei Rhinitis.
      • Durch Abschwellung der Nasenschleimhaut werden ein besserer Abfluss, verbesserte Flüssigkeitsaufnahme des Kindes und besserer Schlaf vermutet.

Antibiotische Therapie

  • Indikation für Antibiotika nur bei:
    • schwerer Otitis media
    • in den ersten 6 Lebensmonaten
    • in den ersten 2 Lebensjahren bei beidseitiger Myringitis
    • Otorrhö mit persistierenden Beschwerden (Schmerzen und/oder Fieber)
    • Patient*innen mit Risikofaktoren, u. a. Immundefizienz, schwere Grundkrankheiten, Influenza, Paukenröhrchen, kraniale Fehlbildungen
  • Da sich Virus-, Bakterien- oder Mykoplasmeninfektionen schwer voneinander abgrenzen lassen, werden allgemein gegen Otitis-media-Erreger wirksame Antibiotika verordnet.
  • Bei Indikation für ein Antibiotikum
    • Mittel der Wahl
      • Amoxicillin 50–90 mg/kg KG in 2–3 Einzeldosen oral
      • Dosis kann auf 80–90 mg/kg KG/d erhöht werden bei Kindern, die in letzten 30 Tagen mit Ampicillin vorbehandelt waren bzw. einen kürzlichen Aufenthalt in Ländern mit hohen Raten an Penicillin-resistenten Pneumokokken hatten.
      • Kombination mit Clavulansäure nur bei bekannten Resistenzen gegen Beta-Laktamase-bildende Keime oder Therapieversagen erwägen.
    • Mittel der 2. Wahl
      • orales Cephalosporin der 2. Generation, z. B. Cefuroxim 20–30 mg/kg KG/d
      • bei Vorliegen von Allergien gegen Penicilline/Cephalosporine: Makrolid z. B. Erythromycin über 7 Tage
      • Aminopenicillin+ Betalaktamase-Inhibitor
      • Cotrimoxazol (Erwachsene)
      • Doxycyclin (ab 9. Lebensjahr)
  • Bei Vorliegen von Risikofaktoren und wiederholten Rezidiven
    • Aminopenicillin + Betalaktamase-Inhibitor – oder –
    • Cefpodoxim (Cephalosporin der 3. Generation)

Therapie durch HNO-Ärzt*innen

  • Ggf. Eröffnen der Bläschen mit einem Myringotom zur Schmerzlinderung2

Prävention

  • Für Neugeborene: Stillen, Vermeidung von Risikofaktoren wie Zigarettenrauch-Exposition und Schnullern

Impfungen

  • Haemophilus influenzae
    • Für alle Kinder wird heutzutage eine Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ B empfohlen (u. a. Erreger von Epiglottitis, Meningitis, Pneumonie).
  • Pneumokokken
    • International nach Einführung der Pneumokokken-Impfung gibt es für Kinder eine gering rückläufige Tendenz für die Häufigkeit der Otitis media und Myringitis.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Hält einige Tage an.
  • Es kommt in der Regel im Laufe von 1–2 Tagen zur spontanen Perforation der Bläschen.

Komplikationen

Prognose

  • Gut
  • Zoster kann den Nervus facialis affizieren.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Harmlose und ungefährliche Erkrankung, die spontan heilt.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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Myringitis (Quelle: Wikipedia)

Quellen

Literatur

  1. Klein JO, Pelton S. Acute otitis media in children: Epidemiology, microbiology, clinical manifestations, and complications. UpToDate, last updated Nov, 2021. UpToDate
  2. Miyamoto RT. Bullöse Myringitis. Indiana University School of Medicine. 2019. www.msdmanuals.com. www.msdmanuals.com
  3. Chung J, Lee DY, Kim YH. Management of myringitis: Current concepts and review. Laryngoscope. 2018 Sep;128(9):2157-2162. doi: 10.1002/lary.27179. Epub 2018 Mar 24. PMID: 29573362. https://onlinelibrary.wiley.com. onlinelibrary.wiley.com
  4. McCormick DP, Saeed KA, Pittman C, et al. Bullous myringitis: a case-control study. Pediatrics 2003; 112: 982. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Kotikoski MJ, Kleemola M, Palmu AA. No evidence of Mycoplasma pneumoniae in acute myringitis. Pediatr Infect Dis J 2004; 23: 465. PubMed
  6. Hausdorff WP, Yothers G, Dagan R, et al. Multinational study of pneumococcal serotypes causing acute otitis media in children. Pediatr Infect Dis J 2002; 21: 1008. PubMed
  7. Kasinathan S, Kondamudi NP. Bullous Myringitis. 2021 Mar 16. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. PMID: 31971705. www.ncbi.nlm.nih.gov. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster

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