Zusammenfassung
- Definition:Die obere Einflussstauung (Vena-cava-superior-Syndrom) ist die klinische Manifestation einer Obstruktion der oberen Hohlvene. Entstehung meist als Folge einer malignen Grunderkrankung.
- Häufigkeit:Auftreten bei ca. 5–10 % der Patient*innen mit einem rechtsseitigen malignen intrathorakalen Tumor.
- Symptome:Druckgefühl/Schwellung im Gesicht, Heiserkeit, Kurzatmigkeit, Schluckbeschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel.
- Befunde:Ödeme in Gesicht (Lidödeme) und oberen Extremitäten, sichtbare Kollateralvenen, Zunahme des Halsumfangs.
- Diagnostik:Primär klinische Diagnose, Lokalisation der Obstruktion durch CT.
- Therapie:Strahlen- und/oder Chemotherapie, Stentimplantation im Bereich des venösen Verschlusses.
Allgemeine Informationen
Definition
- Die obere Einflussstauung oder das Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS) ist die klinische Manifestation einer Obstruktion der oberen Hohlvene.
- Überwiegend subakute Bedrohung für die Patient*innen, im Gegensatz zu früherer Betrachtung als Notfallsituation nur bei rascher Progredienz und schwerem Leidensdruck
Häufigkeit
- Auftreten bei ca. 5–10 % der Patient*innen mit einem rechtsseitigen malignen intrathorakalen Tumor1
- Häufigkeit bis zu 10 % bei kleinzelligem Lungenkarzinom2
- kleinzellige häufiger als nicht-kleinzellige Lungenkarzinome Auslöser aufgrund der oft zentralen oder perihilären Lokalisation3
- Bis zu 40 % der VCSS werden durch kleinzellige Lungenkarzinome verursacht.
- Malignes VCSS bei Männern häufiger als bei Frauen aufgrund der höheren Inzidenz an Lungentumoren1
- Das seltenere VCSS mit benigner Ursache ist bei Männern und Frauen etwa gleich häufig.1
- Diagnose eines malignen VCSS vor allem bei 40- bis 60-Jährigen, eines benignen VCSS am häufigsten in der Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen4
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Maligne Ursachen (> 80 % der Fälle)
- am häufigsten durch Lungenkarzinome und Lymphome (vor allem Non-Hodgkin-Lymphome)5
- Lungenkarzinome ca. 65 %, Lymphome ca. 10 %
- seltener Hodgkin-Lymphome, Keimzelltumoren, Thymome oder Metastasen anderer solider Tumoren
- am häufigsten durch Lungenkarzinome und Lymphome (vor allem Non-Hodgkin-Lymphome)5
- Nicht-maligne Ursachen
- Mediastinalfibrose, Aortenaneurysma, Vaskulitiden, Infektionen (Tuberkulose, Histoplasmose, Syphilis, Aktinomykose), benigne Tumoren, Perikarderkrankungen1
- Intravaskuläres Kathetermaterial (permanente Venenkatheter, Schrittmachersonden) mit Thrombosierung ist eine immer häufigere Ursache.6-7
Pathophysiologie
- Teilweise oder vollständige Einschränkung des Blutflusses durch die V. cava superior in den rechten Vorhof
- Das Vena-cava-superior-Syndrom kann ausgelöst werden durch:
- Kompression von außen durch den Tumor
- Einwachsen des Tumors
- Thrombosierung.
- Entwicklung meist über Wochen mit Entstehung eines Kollateralkreislaufs, daher besteht in diesen Fällen keine akute Lebensgefahr.
- Wichtigste Kollateralen sind die Azygosvenen, desweiteren Kollateralen über V. mammaria interna, die lateralen Thoraxvenen, die paraspinalen Venen sowie den ösophagealen Venenplexus
- In seltenen Fällen plötzlicher Verschluss mit intrakraniellem Druckanstieg und Hirnödem
- Unabhängig von Kollateralen ist der Druck in der Vena cava superior immer erhöht.
- Zahlreiche mögliche morphologische und funktionelle Veränderungen durch VCSS, u. a.:8
- Kompression der oberen Luftwege
- Larynxödem
- Pleuraerguss
- kardiale Tamponade/Infiltration
- Hirnödem
- Streng genommen handelt es sich aber nur bei Patient*innen mit rascher Progredienz der klinischen Symptomatik und schwerem Leidensdruck um eine Notfallsituation.
ICD-10
- I82 Sonstige venöse Embolie und Thrombose
- I82.2 Embolie und Thrombose der V. cava
- I87 Sonstige Venenkrankheiten
- I87.1 Venenkompression
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- V. a. VCSS durch klinisches Bild
- Bestätigung durch Bildgebung
Differenzialdiagnosen
Anamnese
- Symptome (Zunahme im Liegen oder beim Bücken)
- Schwellungen des Gesichts (Lidödeme)
- Druckgefühl im Gesicht
- Schwellung der Arme
- Zunahme des Halsumfangs
- Husten
- Heiserkeit
- Schluckbeschwerden
- Kurzatmigkeit
- Brustschmerzen
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Bewusstseinsstörung
- Grunderkrankungen
Klinische Untersuchung
- Ödeme von Gesicht und oberen Extremitäten
- Zyanose des Oberkörpers
- Gestaute Halsvenen
- Venöse Kollateralen
Ergänzende Untersuchungen
Röntgen-Thorax
- Nachweis eines bislang nicht bekannten Tumors, Darstellung von Pleuraergüssen
Diagnostik bei Spezialist*innen
CT (Computer-Tomografie)
- Im Allgemeinen Methode der Wahl zur Bildgebung von Thorax und Hals
- Durchführung als Kontrastmittel-CT
- Erfassung von Lokalisation und Ursache der Obstruktion (Kompression und/oder Thrombose)
MRT (Magnetresonanztomografie)
- Alternative zur CT vor allem bei Kontraindikation gegen Röntgenkontrastmittel
Doppler-Sonografie
- Erfassung eines abgeschwächten venösen Flusses bzw. Flussumkehr
Invasive Kontrast-Venografie
- Darstellung von Thromben, Lokalisation der Obstruktion und von Kollateralen9
Biopsie
- Option bei noch ungeklärtem Primärtumor
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Bei V. a. Vena-cava-superior-Syndrom
- Bei rasch progredienter Symptomatik stationäre Einweisung
Therapie
Therapieziele
- Linderung der Symptome
- Heilung oder palliative Behandlung der Grunderkrankung
Allgemeines zur Therapie
- Verschiedene Optionen zur Behandlung:
- Stentimplantation
- Strahlentherapie
- Chemotherapie
- Operation
- supportive Therapie
- Die Methode der Wahl zur Palliation des Vena-cava-superior-Syndroms ist die perkutane intravasale Stentimplantation, die eine rasche und sichere Palliation ermöglicht.
- Beim therapienaiven kleinzelligen Lungenkarzinom ist primär eine Chemo- und/oder Radiotherapie angezeigt, die Stentimplantation ist Patient*innen mit therapierefraktärem oder rezidivierendem Vena-cava-superior-Syndrom vorbehalten.
- Interdisziplinäre Entscheidung über die Behandlung abhängig von:
- Histologie
- Ausdehnung eines Tumors
- vor Ort zur Verfügung stehenden Ressourcen und Expertise
Spezielle Therapie
Stentimplantation
- Heutzutage wichtigstes Verfahren zur akuten palliativen Behandlung10-13
- Führt zu deutlicher Rückbildung der Symptome.
- in 86–100 % der Fälle
- innerhalb von 24–48 Stunden
- Ca. 90 % der Patient*innen rezidivfrei im Krankheitsverlauf
- Eingriff gut tolerabel, Komplikationen selten
- Eine weitere radio- oder chemotherapeutische Behandlung wird nicht negativ beeinflusst.
Strahlentherapie
- Bis zum Aufkommen des Stentings Therapie der Wahl
- Fraktionierte Bestrahlung, Dosis abhängig von Grunderkrankung und Behandlungsziel (kurativ oder palliativ)
- In 85–90 % der Fälle deutliche Besserung der Symptome innerhalb von Tagen
- Ansprechraten abhängig von der Histologie des Tumors
- nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) ca. 65 %, kleinzelliges (SCLC) ca. 80 %
- nach kombinierter Radiochemotherapie ca. 90 %
- bei vorbehandelten Tumoren geringere Ansprechraten
Chemotherapie
- Ansprechraten der Chemotherapie ähnlich wie bei Radiotherapie
- etwa 60 % beim NSCLC, 75–80 % beim SCLC
- noch deutlich höher bei malignen Lymphomen
- Beim noch nicht behandelten SCLC sollte primär (d. h. vor etwaiger Stentimplantation) eine Chemo- und/oder Radiotherapie durchgeführt werden.
Operation
- Im Einzelfall Alternative zur endovaskulären Behandlung14-15
Supportive Therapie
- Maßnahmen zur Senkung des hydrostatischen Drucks2
- sitzende Position
- Flüssigkeitsrestriktion
- Diuretika
- Sauerstoffgabe2
- Kortikosteroide zur Behandlung eines Hirn- oder Larynxödems, allerdings keine sichere Evidenz1
- Antikoagulation
- Antiemetika1
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Mögliche Komplikationen beim VCSS1
- Larynxödem
- Hirnödem
- verminderter kardialer Auswurf mit Hypotonie
- Lungenembolie (bei vorhandenem Thrombus)
Verlauf und Prognose
- Verlauf und Prognose beim VCSS werden vor allem durch die Grunderkrankung bestimmt.1
- Bei malignen Tumoren ist die Prognose abhängig von Art und Stadium des Tumors.
- Akute Lebensgefahr bei Patient*innen mit Larynx- und/oder Hirnödem1
- Symptomregredienz des VCSS durch Lungenkarzinom
- 86–100 % nach Stentimplantation
- 60–77 % nach Chemotherapie oder Radiatio bzw. Kombination
- Besserung im Unterschied zur Stentimplantation erst nach 7–14 Tagen
- Hohe kurzfristige Erfolgsrate und gute mittelfristige Offenheit nach Stentimplantation bei VCSS benigner Ätiologie15
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
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Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.