Zusammenfassung
- Definition:Pneumokokken-Infektion steriler Körperregionen: Meningitis, Sepsis.
- Häufigkeit:Gefährdet insbesondere Säuglinge und ältere Menschen sowie Patient*innen mit prädisponierenden Grunderkrankungen.
- Symptome:Abhängig von Manifestation.
- Befunde:Abhängig von Manifestation.
- Diagnostik:Zur Erregeridentifizierung Kultur aus entsprechenden Körpermaterialien (Blut, Liquor, Sputum etc.).
- Therapie:Stationäre Behandlung mit Betalaktam-Antibiotika. Hohen Stellenwert bei der Prävention hat die Impfung, die für alle Säuglinge und Senior*innen (≥ 60 Jahre) sowie bei prädisponierenden Grunderkrankungen empfohlen wird.
Allgemeine Informationen
Definition
- Bei invasiven Pneumokokken-Infektionen dringen Erreger in normalerweise sterile Körperregionen ein und rufen dort Erkrankungen hervor.
- Zahlenmäßig überwiegen Septikämien und Meningitiden.
- selten Pneumokokken in Pleura-, Gelenk- oder Aszitespunktaten
- Eine Schutzimpfung gegen Pneumokokken verringert invasive Infektionen.
Häufigkeit
- Pneumokokken sind mit die häufigsten Erreger bakterieller Infektionskrankheiten, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern.
- Auch Senior*innen sind häufig betroffen.
- Weltweit
- 10 % aller Todesfälle bei Kindern im Alter von 1 Monat bis zu 5 Jahren sind von Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae verursacht.1
- Global signifikante Abnahme der invasiven Pneumokokken-Infektionen während der COVID-19-Pandemie, vermutlich durch generelle infektionsschützende Maßnahmen (u. a. Atemmasken, Handhygiene und Abstandhalten).2
Ätiologie und Pathogenese
- Pneumokokken besiedeln die Schleimhäute bei ca. 50 % aller Kinder, aber nur bei 2,5 % aller Erwachsenen.3
- Es gibt eine Vielzahl von pathogenen Serotypen der Pneumokokken, die durch polyvalente Impfstoffe möglichst breit abgedeckt werden sollen.
- Abhängig von Virulenzfaktoren der Bakterienserotypen und Immunstatus der Betroffenen können Bakterien in sterile Körperregionen eindringen.
Prädiktoren
- Risikofaktoren für invasive Infektion:
- angeborene oder erworbene Immunschwäche
- chronische Herz-Kreislauf-Erkrankung
- chronische Lungenerkrankung
- Asplenie
- Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht
- frühere Pneumokokken-Infektion
ICD-10
- G00.1 Pneumokokkenmeningitis
- A40.3 Sepsis durch Streptococcus pneumoniae
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Nachweis durch Blutkultur bei Septikämie
- Nachweis im Liquor cerebrospinalis bei Meningitis
Differenzialdiagnosen
- Meningitis durch andere Bakterien
- Alter < 2 Monate: meist Streptococcus agalactiae oder Escherichia coli
- Alter von 2 Monaten bis ins junge Erwachsenenalter: Neisseria meningitidis (Meningokokken)
- Sepsis durch andere Bakterien
Anamnese
- Ausgangspunkt häufig Mittelohrentzündung oder Pneumonie,
- Akuter Krankheitsverlauf bei Sepsis und Meningitis
- Sepsis
- hohes Fieber und Schüttelfrost sowie starkes Krankheitsgefühl
- oft mentale Veränderungen, z. B. Unruhe und Verwirrung
- Meningitis
- hohes Fieber und Abgeschlagenheit
- häufig Kopfschmerzen, manchmal eingeschränkte Beweglichkeit von Nacken
Klinische Untersuchung
- Befunde einer tiefen Atemwegsinfektion, Mittelohrentzündung
- Sepsis
- reduzierter Allgemeinzustand
- Bewusstseinsstörungen
- Fieber oder Hypothermie
- Tachypnoe, Hypotonie, Tachykardie, Schock
- Meningitis
- Fieber, Reizbarkeit und Lichtempfindlichkeit, manchmal auch Antriebslosigkeit/geistige Abwesenheit
- eingeschränkte Beweglichkeit von Nacken und Rücken mit positiven Kernig- und Brudzinski-Zeichen
Diagnostik bei Spezialist*innen
Im Krankenhaus
- Blutkulturen
- Liquorpunktion bei V. a. Meningitis
- Fokussuche: Infizierte Wunde? Abszess? Pneumonie? Meningitis?
- Labor mit Inflammationsparametern, Procalcitonin als bakteriellem Marker sowie organspezifischen Parametern (u. a. Bilirubin und Kreatinin für SOFA-Score)
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Bei Verdacht auf Sepsis oder Meningitis unverzüglich stationäre Einweisung
Therapie
Therapieziele
- Infektionsfokus sanieren
- Komplikationen vorbeugen
Allgemeines zur Therapie
- Stationäre Behandlung
- Antibiotische Therapie bei V. a. Pneumokokken-Infektion empirisch mit Beta-Laktam-Antibiotikum
Medikamentöse Therapie
- Für spezifische Therapie der Meningitis und Sepsis siehe die jeweiligen Artikel.
Impfung/Prävention
- Es sind zwei verschiedene Impfstoffe verfügbar:
- Konjugatimpfstoff (überwiegend 13-valent, PCV13)
- zur Grundimmunisierung bei Neugeborenen
- Der Impfstoff deckt 13 Pneumokokken-Serotypen ab; diese stehen für ca. 95 % der Pneumokokken, die schwere Erkrankungen bei Kleinkindern verursachen.
- Außerdem ist durch den Impfstoff die Anzahl der Träger*innen erheblich gesunken, was nachweislich dazu geführt hat, dass die Ansteckungsgefahr und das Krankheitsaufkommen auch in nicht geimpften Altersgruppen zurückgegangen sind („Herdeneffekt“).
- In den USA erhobene Daten bestätigen die hohe Wirksamkeit des Impfstoffs. In Metaanalysen zeigte sich Rückgang invasiver Infektionen bei Kindern bis 5 Jahren um 78–97 % (gepoolte Daten 92 %).4-6
- Polysaccharid-Impfstoff (23-valent, PPSV23)
- zur Immunisierung von älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
- Bei Kleinkindern ist der Impfstoff aufgrund des unreifen Immunsystems wenig immunogen.
- Konjugatimpfstoff (überwiegend 13-valent, PCV13)
Säuglinge
- Generelle Impfung aller Kinder bis zum Alter von 24 Monaten mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff mit dem Ziel, die Morbidität invasiver Pneumokokken-Erkrankungen und die daraus entstehenden Folgen wie Hospitalisierung, Behinderung und Tod zu reduzieren.
- Für die Grundimmunisierung von reifgeborenen Säuglingen bis zum Alter von 12 Monaten werden ab dem Alter von 2 Monaten 2 Impfstoffdosen Pneumokokken-Konjugatimpfstoff im Abstand von 8 Wochen verabreicht.
- Frühgeborene erhalten ab dem chronologischen Alter von 2 Monaten 3 Impfstoffdosen im Abstand von jeweils 4 Wochen. Die Grundimmunisierung wird mit einer weiteren Dosis im Alter von 11 Monaten und mit einem Mindestabstand von 6 Monaten zur vorausgegangenen Impfung abgeschlossen.
- Bisher noch nicht gegen Pneumokokken geimpfte Säuglinge im Alter ≥ 12 Monate (bis 24 Monate) erhalten als Nachholimpfung nur 2 Impfstoffdosen im Abstand von mindestens 8 Wochen.
Personen ≥ 60 Jahre
- Für Personen ≥ 60 Jahre, die keiner Risikogruppe (siehe nächster Abschnitt) angehören, wird als Standardimpfung die einmalige Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff empfohlen.
- Nach individueller Indikationsstellung kann eine Auffrischung frühestens nach 6 Jahren erfolgen. Generell empfohlen wird diese nicht.
- Die Patient*innen sind auf die stärkere Reaktogenität der Wiederholungsimpfung im Vergleich zur Erstimpfung, aber auch auf den möglichen Verlust des Impfschutzes nach unterbleibender Wiederholungsimpfung hinzuweisen.
Indikationsimpfungen
- Patient*innen mit einer der folgenden Grunderkrankungen bzw. Risikofaktoren wird die Impfung empfohlen aufgrund einer Prädisposition für invasive Pneumokokken-Infektion oder einen schwerwiegenden Verlauf.
- angeborene oder erworbene Immundefekte sowie Immunsuppression, Asplenie
- chronische Krankheiten, insbesondere Erkrankungen der Atemwege (z. B. Asthma, Lungenemphysem, COPD) und des Herz-Kreislauf-Systems, Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) und neurologische Erkrankungen (z. B. Anfallsleiden)
- anatomische und Fremdkörper-assoziierte Risiken für Pneumokokken-Meningitis (z. B. Liquor-Shunt, Cochlea-Implantat)
- berufliche Exposition gegenüber Metallstauben (z. B. durch Schweißen)
- In o. g. Fällen wird eine sog. sequenzielle Impfung empfohlen, bei der zunächst mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff immunisiert wird. Nach 6–12 Monaten folgt Gabe des 23-valenten Polysaccharidimpfstoffs (ab Alter ≥ 2 Jahre zugelassen).
- Die 23-valente Polysaccharidimpfung sollte bei allen o. g. Gruppen nach Mindestabstand von 6 Jahren aufgefrischt werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Invasive Pneumokokken-Infektionen sind akute, lebensbedrohliche Erkrankungen.
- Die Zunahme von Krankheiten durch nicht durch Impfstoffe erfasste Pneumokokken-Serotypen erfordert eine kontinuierliche epidemiologische Wachsamkeit und früher oder später auch neue Impfkonzepte.
Komplikationen
- Bei Pneumokokken-Meningitis
- u. a. Hydrozephalus, Hörschäden, Gleichgewichtsstörungen, Persönlichkeitsveränderungen und Epilepsie
- Bei Pneumokokken-Sepsis
- u. a. Multiorganversagen bis Tod
Prognose
- Abhängig von Alter, Vorerkrankungen und Stärke des Immunsystems
- insbesondere bei älteren, schwer vorerkrankten Patient*innen häufig letale Verläufe
Verlaufskontrolle
- Klinische Kontrollen nach überstandener bakterieller Meningitis sollten zusammen mit Untersuchungen hinsichtlich der Folgeschäden durchgeführt werden.
- Hörstörungen werden mit der Audiometrie evaluiert.
- Bei Kindern mit Hydrozephalus sollten regelmäßige Kopfumfangsmessungen durchgeführt und Anzeichen von Drucksymptomen dokumentiert werden.
- Strukturelle Epilepsie als Spätfolge erfordert eine Beurteilung mittels EEG und ggf. antikonvulsive Therapie.
- Maßnahmen sollten bei Folgeschäden ergriffen werden, die man beeinflussen kann, z. B. neuropsychologische Folgeschäden wie Schlafstörungen.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- O`Brien KL, Wolfson LJ, Watt JP. Burden of disease caused by Streptococcus penumoniae in children jounger than 5 years: global estimates. Lancet 2009; 374: 893-902. PubMed
- Juan HC, Chao CM, Lai CC, et al. Decline in invasive pneumococcal disease during COVID-19 pandemic in Taiwan. J Infect 2021; 82(2): 282-327. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Pletz MW, Maus U, Krug N et al. Pneumococcal vaccines: mechanism of action, impact on epidemiology and adaptation of the species. Int J Antimicrob Agents 2008; ePUB. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Whitney CG, Farley MM, Hadler J, Harrison LH, Bennett NM, Lynfield R, Reingold A, Cieslak PR, Pilishvili T, Jackson D, Facklam RR, Jorgensen JH, Schuchat A. Decline in invasive pneumococcal disease after the introduction of protein-polysaccharide conjugate vaccine. The New England journal of medicine 2003; 348 Nr. 18: 1737-1746. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Black S, France EK, Isaacman D, Bracken L et al. Surveillance for invasive pneumococcal disease during 2000-2005 in a population of children who received 7-valent pneumococcal conjugate vaccine. Pediatr Infect Dis J 2007; 26: 771-7. PubMed
- Pavia M, Bianco A, Nobile CG, et al. Efficacy of pneumococcal vaccination in children younger than 24 months: a meta-analysis. Pediatrics 2009; 123: 1103-10. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt
- Dietrich August, Arzt, Freiburg im Breisgau