Rattenbissfieber

Zusammenfassung

  • Definition:Das Rattenbissfieber ist eine systemische bakterielle Zoonose durch Streptobacillus moniliformis oder Spirillum minus nach Biss oder Kratzen einer Ratte.
  • Häufigkeit:Seltene Erkrankung.
  • Symptome:Nach Rattenbiss oder Kratzwunde zunehmend anschwellende Wunde im Verlauf von bis zu mehreren Wochen, eventuell Induration und Schmerz sowie Allgemeinsymptome.
  • Befunde:Bissspuren, nur in Ausnahmefällen anfangs Anzeichen einer lokalen Infektion.
  • Diagnostik:Zellkultur, Mikroskopie, Infektionsparameter und ggf. Serologie.
  • Therapie:Antibiotika (Penicillin), ggf. chirurgisches Wunddebridement.

Allgemeine Informationen

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Definition

  • Beim Rattenbissfieber handelt es sich um eine Infektion mit den Bakterien Streptobacillus moniliformis oder Spirillum minus.
  • Die Bakterien können durch einen Rattenbiss oder eine Kratzverletzung übertragen werden.
  • Die Übertragung ist zudem durch Einnahme von mit Rattenkot kontaminierten Lebensmitteln oder Getränken möglich.
  • Die Infektion mit Streptobacillus moniliformis führt häufig zu Fieber, Muskelschmerzen und leichtem Hautausschlag.
  • Bei einer Infektion mit Spirillum minus heilt die Bisswunde in der Regel spontan, jedoch ist noch mit einigen Wochen Verspätung eine lokale Entzündung mit Fieber und darauffolgendem Hautausschlag möglich.
  • Selten ist auch eine Übertragung durch (Renn-)Mäuse, weitere Nagetiere, Hunde, Katzen oder Frettchen möglich.

Häufigkeit

  • Beide Formen kommen selten vor, Inzidenz nicht exakt bekannt.
  • Erstmals 1914 beschrieben.
  • 1926 kam es in Haverhill/USA zu einer Epidemie.
  • Die meisten der in den USA veröffentlichten Fälle waren durch S. moniliformis verursacht (Streptobacillus-Rattenbissfieber).
  • In Asien ist Spirillum minus (Spirillen-Rattenbissfieber) der hauptsächliche Erreger.
  • Infektionsrisiko nach Rattenbiss bei ca. 10 % der Fälle

Ätiologie und Pathogenese

  • Das Streptobacillus moniliformis ist ein fakultativ anaerobes, gramnegatives Stäbchenbakterium.
    • Angaben zur Durchseuchung der Ratten variieren, 10–100 % aller Ratten sind Träger.
    • Wird unter dem Mikroskop oder durch kulturelle Anzucht nachgewiesen.
  • Spirillum minus: gramnegatives, mikroaerophiles, wendelförmiges, nicht sporenbildendes, begeißeltes und somit bewegliches Bakterium
  • Bisher fast keine Angaben zur Pathogenese in der Literatur

Prädiktoren

  • Das Infektionsrisiko nach einem Rattenbiss liegt bei ca. 10 %.
  • Zu Infektionen kommen kann es durch den Biss wild lebender Ratten oder bei Labormitarbeiter*innen mit Kontakt zu Versuchstieren.
  • Auch durch den Biss von Ratten, die als Haustiere gehalten werden, können Erwachsene und Kinder erkranken.
  • Eine Übertragung kann auch indirekt über nicht chloriertes Trinkwasser oder nicht pasteurisierte Milch erfolgen.

ICD-10

  • A25 Rattenbisskrankheiten
    • A25.0 Spirillen-Rattenbisskrankheit
    • A25.1 Streptobazillen-Rattenbisskrankheit
    • A25.9 Rattenbisskrankheit, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

  • Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-4

Diagnostische Kriterien

  • Rattenbiss oder Kratzwunde
  • Anschwellen einer Rattenbissverletzung nach Latenzzeit
  • Induration oder Schmerzen der Wunde
  • Allgemeine Infektionszeichen
  • Erregernachweis in Kulturen aus Blut, Synovialflüssigkeit oder Wundgewebe
    • Bestätigung der Diagnose durch den mikrobiologischen Nachweis von Streptobacillus moniliformis (oder Spirillum minus)

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Rattenbiss oder Kratzwunde
  • Inkubationszeit meist unter 10 Tagen
  • Spirillum minus
    • Der Rattenbiss heilt in der Regel spontan.
    • nach bis zu mehreren Wochen Latenz möglicherweise:
      • Schwellung, Induration und/oder Schmerz
      • eventuell purpurne Verfärbung
      • evtl. Ulzeration
  • Streptobacillus moniliformis
    • Typisch für die Erkrankung ist ein relativ plötzlich auftretendes Krankheitsgefühl.
      • Fieber
      • Kopfschmerzen
      • Erbrechen
      • Muskelschmerzen
    • Nach einigen Tagen kann ein makulopapulöser Hautausschlag auftreten, auf den in bis zu 50 % der Fälle Gelenkschmerzen folgen.
  • Nach kurzer Zeit können die lokalen und generalisierten Symptome nachlassen, jedoch nach einigen weiteren Tagen wieder zunehmen (gilt für Streptobacillus moniliformis und Spirillum minus).
    • Ein rezidivierender Verlauf mit 3–4 Tagen Fieber im Wechsel mit fieberfreien Perioden kann sich über mehrere Wochen erstrecken.
  • Es können systemische Komplikationen auftreten.

Klinische Untersuchung

  • Bissspuren oder Kratzspuren
    • Anfangs gibt es nur in Ausnahmefällen Anzeichen für eine lokale Infektion.
    • lokale Entzündung erst im fortgeschrittenen Stadium, gefolgt von regionaler Lymphadenitis (Spirillum minus)
  • Einige Tage nach Ausbruch der Erkrankung kann ein makulopapulöser Hautausschlag an Rumpf und Extremitäten auftreten (Streptobacillus moniliformis).
    • Die klinischen Symptome umfassen nicht selten hohes Fieber, gefolgt von Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Erbrechen, ein meist an palmarer Handfläche und Fußsohle auftretendes Exanthem.
  • Es können eine Splenomegalie und eine (symmetrische Poly-)Arthritis auftreten.
  • Bei Personen mit erhöhtem Risiko kann es zu einer Myokarditis kommen.

Ergänzende Untersuchungen

  • Zellkultur und Mikroskopie, Probenentnahme aus Eiter oder Blutkultur
  • Ggf. Infektionsparameter wie Leukozyten, CRP, BSG
  • Ggf. Serologie einschließlich Nachweis des Titeranstiegs

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei systemischen Komplikationen oder wenn die Behandlung zu keiner Besserung führt.
  • Klinikeinweisung zur i. v. Therapie

Therapie

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Therapieziele

  • Wunden reinigen.
  • Infektion beseitigen.
  • Komplikationen verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Lokale Wundbehandlung
  • Antibiotische Therapie
  • Überwachung des Verlaufs

Medikamentöse Therapie

  • Beide Erreger sind sensibel auf verschiedene Antibiotika.
  • In erster Linie wird Penicillin verordnet.3
    • typischerweise Penicillin G 200.000 IE i. v. alle 4 Stunden
    • alternativ Ceftriaxon 1 g i. v. tgl.
    • Bei klinischer Verbesserung Umstellung auf Penicillin V 500 mg oral 4 x tgl. oder Amoxicillin 500 mg 3 x tgl.
    • spezielle Therapie bei Endokarditis
  • Bei Penicillinallergie kann Doxycyclin 100 mg 2 x tgl. i. v. oder oral verabreicht werden.
  • Laut Einzelfallberichten Azithromycin 500 mg/d über 5 Tage als Alternative5

Prävention

  • Präventive Maßnahmen, um die Nähe von Ratten zu Menschen zu reduzieren (Hygiene, fachgerechte Müllentsorgung etc.).
  • Sicherheitsmaßnahmen in Versuchstierlaboren
  • Sofortige und gründliche Reinigung und Desinfektion möglicher Wunden

Verlauf, Komplikationen und Prognose

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Verlauf

  • Eine nicht behandelte Infektion kann spontan ausheilen oder nach mehreren Wochen oder Monaten rezidivieren, wobei sich häufig 3–4 Tage dauernde Fieberphasen mit fieberfreien Phasen abwechseln.
  • Auch bei angemessener Behandlung können die Symptome persistieren.

Komplikationen

Prognose

  • Meistens spontane Ausheilung oder komplette Remission nach der Behandlung
  • Ein tödlicher Ausgang ist möglich, insbesondere bei Säuglingen und Patient*innen, die aufgrund entsprechender Prädiktoren anfällig für eine Endokarditis sind.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Orphanet. Rate bite fever. Paris, Orphanet, 2009. www.orpha.net
  2. Centers for Disease Control and Prevention, National Center for Emerging and Zoonotic Infectious Diseases (NCEZID), Division of High-Consequence Pathogens and Pathology (DHCPP): Rat-bite Fever (RBF). Last updated January 18, 2019. www.cdc.gov
  3. Gupta M, Bhansali RK, Nagalli S, et al. Rat bite Fever. National Library of Medicine. Last Update: May 10, 2022. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. King KY. Rat bite fever. Uptodate. last updated: Nov 30, 2021. www.uptodate.com
  5. Kawakami Y, Katayama T, Kishida M, et al. A Case of Streptobacillus moniliformis Infection with Cutaneous Leukocytoclastic Vasculitis. Acta Med Okayama. 2016 Oct;70(5):377-381. www.lib.okayama-u.ac.jp

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster

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