Zusammenfassung
- Definition:Infektion mit Rotaviren führt zu einer Gastroenteritis. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral von Mensch zu Mensch.
- Häufigkeit:Rückläufig seit Einführung der Impfung, weltweit eine häufige Ursache für Kindersterblichkeit.
- Symptome:Plötzlich auftretende wässrige Durchfälle und Erbrechen, häufig begleitet von Fieber und Allgemeinsymptomen. Bei älteren Kindern und Erwachsenen ist die Symptomatik weniger stark ausgeprägt.
- Befunde:Insbesondere bei kleinen Kindern oder älteren Menschen besteht ein hohes Risiko für Dehydratation.
- Diagnostik:Der labordiagnostische Nachweis erfolgt über den Nachweis von Antigenen (PCR) im Stuhl.
- Therapie:Symptomatische Behandlung, ggf. intravenöse Flüssigkeitszufuhr und Monitoring. Es steht ein wirksamer Impfstoff für Säuglinge zur Verfügung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Rotaviren verursachen beim Menschen eine akute Durchfallerkrankung.
Häufigkeit
- Rotaviren sind die häufigste Ursache für schwere Durchfallerkrankungen bei Kindern unter 5 Jahren.
- Bei Erwachsenen (als Reisediarrhö, bei Eltern erkrankter Kinder oder im Rahmen von Ausbrüchen) verläuft eine Rotavirus-Infektion meist milder, ab dem 60. Lebensjahr nimmt die Erkrankungshäufigkeit und -schwere dann wieder zu.
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jährlich über 200.000 Kinder unter 5 Jahren an einer Rotavirus-Infektion sterben, die meisten in Staaten mit niedrigem Einkommen.1
- In Mitteleuropa werden jährlich ca. 30 Rotavirus-Infektionen pro 100.000 Einw. diagnostiziert, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
- Es gibt eine saisonale Häufung im Frühjahr.
Ätiologie und Pathogenese
- Rotaviren gehören zur Familie Reoviridae.
- Die humanpathogenen Rotaviren werden in 7 Serogruppen (A–G) unterteilt, die wiederum in verschiedene Serotypen aufgeteilt sind, deswegen kann es im Laufe des Lebens mehrfach zu Infektionen kommen. Gruppe A ist am häufigsten.
- Wahrscheinlich ist der Mensch der primäre Wirt des Rotavirus.
Übertragung
- Die Übertragung erfolgt in erster Linie fäkal-oral von Mensch zu Mensch, aber auch durch kontaminiertes Wasser und Nahrungsmittel.
- Das Virus kommt in großen Mengen im Stuhlgang vor und ist hoch infektiös.
- Bereits 10 Viruspartikel reichen aus, um ein Kind zu infizieren.
- Die Ansteckungsgefahr ist in den ersten 4 Tagen der Erkrankung am größten.
- Subklinisch Erkrankte (vor allem Neugeborene und Erwachsene) sind als Überträger des Virus wichtig.
- Auch eine Tröpfcheninfektion ist möglich (über Aerosole beim Husten und Erbrechen).
- Rotaviren sind äußerst umweltresistent.
- Die Inkubationszeit beträgt 1–3 Tage.
- Eine Ansteckungsfähigkeit besteht während der akuten Erkrankung und solange das Virus mit dem Stuhl ausgeschieden wird.
- Die nachweisbare Virusausscheidung geht normalerweise innerhalb 1 Woche zurück, kann aber bei immungeschwächten Personen auch deutlich länger anhalten.
Prädisponierende Faktoren
- Alter (Säuglinge und Kleinkinder, ältere Menschen)
- Unzureichende Händehygiene, insbesondere beim Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen
- Aufnahme von kontaminiertem Wasser oder Lebensmitteln
ICD-10
- A08 Virusbedingte und sonstige näher bezeichnete Darminfektionen
- A08.0 Enteritis durch Rotaviren
- A09 Sonstige Gastroenteritis und Kolitis infektiösen und nicht näher bezeichneten Ursprungs
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Grundsätzlich gilt, dass die Rotavirus-bedingte Enteritis klinisch nicht von anderen infektionsbedingten Gastroenteritiden unterschieden werden kann.
- Der direkte ätiologische Erregernachweis wird nur selten durchgeführt.
- Insgesamt besteht wegen der fehlenden therapeutischen Konsequenzen keine klinische Indikation für eine spezielle Diagnostik; aus krankenhaushygienischen Gründen kann sie im Einzelfall durchgeführt werden.
Differenzialdiagnosen
- Clostridium difficile
- Typhus
- Shigellen
- Campylobacter
- Amöben
- Cholera
- Norovirus
- HUS
- Reisediarrhö
- Nichtinfektiöser Durchfall
- Colitis ulcerosa und Morbus Crohn
- Divertikulitis
- Laktose- oder andere Oligosaccharid-Intoleranz
- Zöliakie
- Lymphom des Dünndarms
- Diarrhöen aufgrund von „Sekretionsstörungen“ des Leber-Galle-Pankreas-Systems
- Hyperthyreose
- Arzneimittelnebenwirkungen, insbes. Diarrhö nach Chemotherapie
- HIV-assoziierte Kolitis
- funktionell bei seelischer Anspannung und Stress
- Nicht selten beginnt auch eine Malaria mit Durchfall.
- Lebensmittelvergiftungen: Inkubationszeit 1–6 Stunden, die Symptome klingen in der Regel innerhalb von 24 Stunden ab.
Anamnese
- Häufig akuter Beginn mit wässrigem Durchfall, Erbrechen, Fieber und Bauchschmerzen
- Im Stuhl findet man oft Schleimbeimengungen.
- Das Erbrechen hält in der Regel 1–2 Tage an.
- Der Durchfall kann 4–6 Tage lang dauern.
- In mehr als der Hälfte der Fälle sind unspezifische respiratorische Symptome zu beobachten.
Klinische Untersuchung
- Wichtig ist die Beurteilung des Allgemeinzustand und des Grades der Dehydrierung.
- Müdigkeit (Eintrübung), Durst, Oligurie, akuter Gewichtsverlust, trockene Schleimhäute, eingesunkene Augen, verringerter Hautturgor, Tachykardie und niedriger Blutdruck können Zeichen der Dehydratation sein.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Antigen-Nachweis aus dem Stuhl mit dem „Enzym-Immuno-Assay“ (EIA)
- Zur Klärung von Infektketten wird in der Regel die PCR (Polymerasekettenreaktion) eingesetzt.
- Elektrolyte (Na, K, ggf. Ca) und Nierenfunktionsparameter bei länger anhaltender Diarrhö oder bei Verdacht auf Dehydrierung
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Bei schwerer Dehydrierung oder Verwirrtheitszuständen
- Bei Risikogruppen wie Kindern, Älteren, Schwangeren oder immunsupprimierten Personen sollte ggf. auch bei moderaten Verläufen eine Krankenhauseinweisung erfolgen.
Therapie
Therapieziele
- Dehydratation verhindern.
- Infektionsausbreitung unterbinden.
Allgemeines zur Therapie
- In den meisten Fällen ist keine Behandlung erforderlich, da die Erkrankung selbstlimitierend ist.
- Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei allen Patient*innen mit infektiöser Gastroenteritis besteht in einer ausreichenden Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.
- Bei leichten Erkrankungen reicht gesüßter Tee in Kombination mit Salzgebäck oder mit Zucker und Salz angereicherte Fruchtsaftverdünnung zur Rehydratation.
- Salz- und Glukosetrinklösung (orale Rehydratationslösung, „WHO-Trinklösung“) mit einer Osmolarität von 245 mosmol/l und folgender Zusammensetzung: Glukose 13,5 g/l, Natriumchlorid 2,6 g/l, Kaliumchlorid 1,5 g/l und Natriumcitrat 2,9 g/l
- In sehr schweren Fällen (schwere Dehydrierung ≥ 10 % Körpergewicht, Kreislaufschock oder Bewusstseinsstörung) oder bei trotz antiemetischer Therapie fortbestehend schwerem Erbrechen sollte eine Infusionsbehandlung erfolgen.
Empfehlungen für Patient*innen
- Auf eine ausreichende, erhöhte Flüssigkeitsmenge (z. B. Suppe, Tee) ist zu achten.
- Bei Durchfall und Anzeichen von Austrocknung wird eine frei verkäufliche, hypoosmolare Zucker-Salzlösung empfohlen.2
- Eine frühzeitige Aufnahme von enteraler Nahrung im gewohnten Rahmen hilft der Darmschleimhaut, sich schnell zu regenerieren.3
Medikamentöse Therapie
- Eine spezifische antivirale Therapie bei nachgewiesen viralen Durchfallerregern steht derzeit nicht zur Verfügung.
- Antibiotika und Mittel, die die Darmmotilität hemmen, sind nicht indiziert.
- Bei Erbrechen kann eine antiemetische Therapie mit z. B. Domperidon p. o. oder Dimenhydrinat als Supp. erfolgen.
- Domperidon für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren und > 35 kg Körpergewicht 10 mg bis zu 3-mal tgl. bei einer max. Tagesdosis von 30 mg
- Dimenhydrinat
- Erwachsene: max. Tagesdosis 400 mg
- Kinder von 10–14 Jahren 25–50 mg 1–3/d, max. Tagesdosis 150 mg
- Kinder ab 6 kg KG 1,25 mg/kg/KG 1–3/d
- Für Probiotika gibt es momentan keine generellen Empfehlungen.4-5
Impfung/Prävention
Prävention
- Gute persönliche Hygiene, insbesondere regelmäßiges Händewaschen6-7
- Sichere Lebensmittelhygiene
- Zugang zu sauberem Wasser
- Kinder mit akuten Durchfallerkrankungen dürfen bis nach 48 Stunden Symptomfreiheit keine Kita- und Vorschuleinrichtungen besuchen. Dies gilt auch für Kleinkinder im Windelalter.
- Erkrankte Personen dürfen nicht in Lebensmittelberufen arbeiten.
- Darüber hinaus sollen erkrankte Personen während der symptomatischen Phase keine betreuenden Tätigkeiten in Gesundheits- und Gemeinschaftseinrichtungen ausüben.
- Die Einschränkung der Tätigkeit bzw. des Besuchs der Gemeinschaftseinrichtung gilt, bis nach ärztlichem Urteil eine Weiterverbreitung der Krankheit nicht mehr zu befürchten ist.
Weitere Maßnahmen
- Isolierung betroffener Patient*innen in einem Zimmer mit eigenem WC; ggf. Kohortenisolierung
- Ausreichende Desinfektionsmaßnahmen
- viruzide Händedesinfektionsmittel
- Zur Desinfektion von Flächen sind nur Präparate mit nachgewiesener viruzider Wirksamkeit geeignet.
Impfung
- Die Schluckimpfung gegen Rotaviren für Säuglinge wird ab einem Alter von 6 Wochen empfohlen.
- Aktuell sind zwei verschiedene Lebendimpfstoffe erhältlich, die oral per Schluckimpfung verabreicht werden:
- Impfstoff 1 (Rotarix®)
- Dosierung: 2 Dosen im Abstand von mindestens 4 Wochen
- Impfstoff 2 (RotaTeq®)
- Dosierung: 3 Dosen im Abstand von jeweils mindestens 4 Wochen
- Spätere Auffrischimpfungen sind nicht empfohlen.
- Impfstoff 1 (Rotarix®)
- Es besteht ein geringfügig erhöhtes Risiko für Darminvaginationen (ca. 1–2 Fälle pro 100.000 geimpfte Kinder) innerhalb der ersten Woche nach der ersten RV-Impfung, das mit dem Alter der Impflinge zunimmt.
- Nach der Impfung kann es zu milden gastrointestinalen Beschwerden kommen.
- Daher wird dringend empfohlen, die Impfserie frühzeitig zu beginnen (im Alter von 6 bis spätestens 12 Wochen) und rechtzeitig abzuschließen.
- Die Impfung muss für Rotarix® auf jeden Fall bis zum Alter von 24 Wochen und für RotaTeq® bis zum Alter von 32 Wochen abgeschlossen sein.
- Eltern müssen aufgeklärt werden über mögliche Symptome einer Invagination (wie z. B. Bauchschmerzen, Erbrechen, blutige Stühle oder schrilles Schreien mit Anziehen der Beine).
- Die Impfempfehlung gilt auch für Frühgeborene, die entsprechend ihres chronologischen Alters ab 6 Wochen nach der Geburt geimpft werden sollten.
- Unmittelbar vor und während der Impfung soll auf Stillen verzichtet werden, weil dadurch möglicherweise die Wirkung der Schluckimpfung vermindert werden kann.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Erkrankung verläuft bei älteren Kindern und Erwachsenen eher mild, kann bei Säuglingen und Kindern unter 2 Jahren aber einen schweren Verlauf zeigen.
- Normalerweise ist die Erkrankung nach 4–6 Tagen selbstlimitierend.
- Obwohl nahezu alle Erwachsenen Antikörper gegen Rotaviren besitzen, sind wiederholte Infektionen in allen Altersgruppen möglich.
- Die meisten Infektionen bei Erwachsenen verlaufen allerdings asymptomatisch.
Komplikationen
- Dehydratation
- Störungen des Elektrolythaushalts
- Ernsthafte Komplikationen und Todesfälle sind in Europa sehr selten.
- Weltweit treten in Ländern mit schlechteren sozialen Verhältnissen Todesfälle sehr viel häufiger auf.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen

Rotavirus
Quellen
Literatur
- WHO. Immunization, Vaccines and Biologicals. Rotavirus. 2018. Zugriff 13.6.2020. www.who.int
- Guarino A, Albano F, Ashkenazi et. al. European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition/European Society for Paediatric Infectious Diseases evidence-based guidelines for the management of acute gastroenteritis in children in Europe: executive summary. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2008; 46: 619-621. PubMed
- King CK, Glass R, Bresee JS, et al. Managing acute gastroenteritis among children: oral rehydration, maintenance, and nutritional therapy. MMWR Recomm Rep 2003; 52: 1-16. PubMed
- Freedman SB, Williamson-Urquhart S, Farion KJ, et al. Multicenter Trial of a Combination Probiotic for Children with Gastroenteritis. N Engl J Med 2018; 379: 2015-26. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Schnadower D, Tarr PI, Casper C, et al. Lactobacillus rhamnosus GG versus Placebo for Acute Gastroenteritis in Children. N Engl J Med 2018; 379: 2002-14. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Ejemot-Nwadiaro RI, Ehiri JE, Meremikwu MM, Critchley JA. Hand washing for preventing diarrhoea. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, www.cochranelibrary.com
- Madhi SA, Cunliffe NA, Steele D, et al. Effect of human rotavirus vaccine on severe diarrhea in african infants. N Engl J Med 2010; 362: 289-98. New England Journal of Medicine
Autor*innen
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Birgit Wengenmayer, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Freiburg