Yersinien-Infektion

Zusammenfassung

  • Definition:Bakterielle Magen-Darm-Entzündung, in der Regel ausgelöst durch den Verzehr von rohem Schweinefleisch.
  • Häufigkeit:2.384 gemeldete Erkrankungen im Jahr 2018 in Deutschland.
  • Symptome:Fieber, Diarrhö und Bauchschmerzen.
  • Befunde:Pseudoappendizitis, evtl. Immunreaktionen in Form von Erythema nodosum oder reaktiver Arthritis.
  • Diagnostik:Kultureller Nachweis, z. B. per Stuhlkultur.
  • Therapie:Symptomatische Therapie, nur bei sehr schweren oder septischen Verläufen Antibiotikagabe.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Akute, durch Yersinia-Bakterien verursachte Enterokolitis
  • Zoonose mit Schweinen als das bedeutendste Reservoir
    • Verzehr von rohem Schweinefleisch ist der Haupt-Ansteckungsweg.
  •  Klinisches Bild
  • Yersiniosen gehören – nach Infektionen mit Campylobacter und Salmonellen – zu den häufigsten bakteriellen Magen-Darm-Erkrankungen in Deutschland. 

Häufigkeit

  • Yersinien kommen weltweit vor.
  • In Mitteleuropa jährlich ca. 2–3 Erkrankungsfälle pro 100.000 Einw.
    • davon ca. 30 % stationär behandelt
  • Kontaminiertes Fleisch
    • 2017 wurden in der EU in 8,3 % der Schweinefleischproben Yersinien nachgewiesen.1
  • Erreger
    • > 90 % der Fälle Y. enterocolitica vom Stamm des Bioserovars 4/O:3
  • Alter
    • Altersmedian 16 Jahre
  • Geschlecht
    • etwas mehr Männer betroffen
  • Regionen
    • häufiger in ländlichen Regionen

Ätiologie und Pathogenese

  • Yersinia ist ein gramnegatives Stäbchenbakterium aus der Familie der Enterobacteriaceae und umfasst hauptsächlich drei humanpathogene Arten:2
    • Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis als darmpathogene Keime
    • Y. pestis als Erreger der Pest
  • Erregerreservoir
    • Schwein wichtigstes Reservoir-Tier für humanpathogene Yersinia-Varianten
    • Yersinia enterocolitica auch bei Rindern und einigen Nagetieren
    • für Yersinia pseudotuberculosis vermutlich Wildtiere wichtigstes Reservoir
  • Übertragungswege
    • Infektionen in der Regel lebensmittelbedingt
      • Verzehr von (rohem) Schweinefleisch Hauptrisikofaktor
    • Kontaminiertes Trinkwasser oder damit gewaschene Speisen ebenfalls mögliche Infektionsquellen
    • Direkte Übertragungen der Erreger von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Mensch spielen eine untergeordnete Rolle.
  • Yersinien können sich bei 4 °C noch vermehren.
    • Bei Lagerung im Kühlschrank kann die Keimzahl in einem verunreinigten Lebensmittel und damit das Infektionsrisiko ansteigen.

Pathogenese3

  • Orale Aufnahme des Erregers, in der Regel über kontaminiertes Schweinefleisch
  • Eindringen der Erreger über das Dünndarmepithel in Lymphgewebe
  • Vermehrung in den mesenterialen Lymphknoten
  • In der Anfangsphase überleben phagozytierte Yersinien in den Makrophagen und können sich dort weiter replizieren.
  • Entstehung von Entzündungsreaktionen im Lymphgewebe mit intestinalen Schleimhautläsionen
  • Bei Bakteriämie sekundär Befall innerer Organe möglich

Risikofaktoren

  • Mit Abstand größter Risikofaktor: Verzehr von rohem Schweinefleisch (Mett, Hackfleisch)
  • Außerordentlich stark ausgeprägter Zusammenhang zwischen dem Verzehr von rohem Schweinefleisch und der Erkrankung bei Kindern < 2 Jahre
    • durch noch nicht voll ausgereiftes Immunsystems vermutlich besonders empfänglich
  • Weitere Risikofaktoren für Kinder, jedoch nur mit schwachem Zusammenhang
    • Kontakt zu Vögeln
    • Spielen im Sandkasten
      • Frage der Infektionsquelle unklar: Kontakt mit Tierkot oder mit anderen infizierten Kindern?
  • Reaktive Polyarthritis kommt insbesondere bei HLA-B27-positiven Personen vor.4

ICD-10

  • A04 Andere bakterielle Darmentzündungen
    • A04.6 Enteritis durch Yersinia enterocolitica
  • A28 Sonstige näher bezeichnete bakterielle Zoonosen, anderweitig nicht klassifiziert
    • A28.2 Extraintestinale Yersiniose

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Klinik mit Verzehr von rohem Schweinefleisch in der Anamnese
  • Diagnosesicherung durch direkten Erregernachweis mittels Kultivierung aus Untersuchungsmaterial von den Patient*innen (Stuhl, Biopsiematerial aus Lymphknoten u. Ä., Blut)

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Klinisches Bild variiert stark.
  • Inkubationszeit normalerweise 3-7 Tage
    • Je größer die Anzahl der aufgenommenen Erreger, desto kürzer ist die Zeit bis zum Beginn der Symptome.6
  • Bei Kindern unter 5 Jahren
  • Bei größeren Kindern
    • heftige Diarrhöen, bei 20–50 % der Patient*innen blutig, und schmerzhafter Stuhldrang (Tenesmen)7
    • Bei Jugendlichen können die Symptome mit Schmerzen im rechten Unterbauch denen einer Appendizitis ähneln („Pseudoappendizitis“). 
    • Übelkeit und Erbrechen kommen seltener vor.
    • Bis zu 20 % der Patient*innen haben Halsschmerzen.8
  • Bei Erwachsenen
    • Hier sind die gastrointestinalen Symptome weniger stark ausgeprägt.
    • gehäuftes Auftreten von Pharyngitis und grippalen Syndromen
    • postinfektiöse Immunreaktionen in Form einer reaktiven Arthritis oder eines Erythema nodosum möglich
  • Dauer des Durchfalls
    • von mehreren Tagen bis einige Monate möglich8
  • Dauer der Ansteckungsfähigkeit
    • Die Ausscheidung von Bakterien über den Stuhlgang kann nach klinischer Besserung noch lange anhalten.8-9
    • Infektiösität über den Stuhl in der Regel 2–3 Wochen

Klinische Untersuchung

  • Durchfall, Fieber
  • Abdominelle Schmerzen, v. a. im rechten unteren Quadranten
  • Eventuell Rötung des Rachenrings
  • Evtl. Arthritis oder Erythema nodosum
    • Erythema nodosum mit Knötchenbildung und akuter Entzündung der Subkutis an den Unterschenkelstreckseiten, am Knie und den Sprunggelenken

Ergänzende Untersuchungen

  • Direkter Erregernachweis durch Kultivierung aus Untersuchungsmaterial von der betroffenen Person
    • Stuhlkultur
    • zunehmende Verbreitung von Schnelltests mittels PCR
  • Im Krankenhaus Blutkulturen bei Fieber
  • Serologie
    • möglich zur Bestätigung der Diagnose, insbesondere bei Komplikationen
    • Der maximale Titer wird 2–3 Wochen nach Beginn der Erkrankung erreicht.
    • Nachweis von Yop(Yersinia Outer Proteins)-Antikörpern bei reaktiver Arthritis

Indikationen zur Überweisung

  • Einweisung bei schwerem Verlauf (selten)

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Konservative Behandlung, v. a. mit Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution
  • In der Regel handelt es sich um eine selbstlimitierende Krankheit.
  • Behandlung mit Antibiotika nur in schweren Fällen und bei septischen Verläufen  
  • Gelenkschmerzen und Erythema nodosum sind immunologisch bedingt und keine Indikation für eine Behandlung mit Antibiotika.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Zu Beginn der Durchfallperiode und bei anhaltender mittelschwerer Erkrankung wird reichliche Flüssigkeitsaufnahme empfohlen.
  • Insbesondere für Kinder sind neben dem Flüssigkeitsersatz auch Energieträger und Elektrolyte notwendig.
    • Hierfür sollten entsprechende Elektrolytpulver mit Zucker und Salzen aus der Apotheke verwendet werden (orale Rehydrationslösung, ORL).

Behandlung mit Medikamenten

  • Bei akuter Yersinien-Infektion sollte in der Regel keine antimikrobielle Therapie durchgeführt werden.
  • Bei schwerem Krankheitsbild oder fehlender klinischer Besserung sollte, abhängig vom Krankheitsbild, eine antimikrobielle Therapie mit folgenden Substanzen durchgeführt werden (unter Beachtung der Resistenztestung):
    • Enterokolitis
      • Ciprofloxacin (1 g/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v. für 5–7 Tage) oder
      • Cotrimoxazol (1.920 mg/Tag p. o. oder i. v. für 5–7 Tage)
    • Bakteriämie
      • Ceftriaxon (2 g/Tag i. v. für 7–14 Tage) oder
      • Ciprofloxacin (1 g/Tag p. o. oder 800 mg/Tag i. v. für 7–14 Tage)
  • Es gibt keine Evidenz, dass eine frühzeitige Antibiotikatherapie Folgeerkrankungen, wie reaktive Arthritis oder Erythema nodosum, verhindern kann.10
  • Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen:
    • besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung
    • keine Kombination mit Kortikosteroiden
    • nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen

Prävention

  • Ratschläge zum Schutz vor Infektionen mit Yersinien:
    • (Schweine-)Fleisch vor dem Verzehr für mindestens 2 Minuten auf mindestens 70 °C erhitzen.
    • Übertragung der Bakterien vom rohen Fleisch auf andere Lebensmittel vermeiden
      • Cave: „Kreuzkontamination“ über Hände, Schneidbretter oder Messer!
    • Besonders empfindliche Personengruppen, dazu zählen Kleinkinder, Schwangere, Senioren und Personen mit geschwächter Immunabwehr, sollten auf den Verzehr von rohem Fleisch verzichten.
    • gründliches Waschen der Hände mit Wasser und Seife nach jedem Toilettenbesuch, nach Kontakt mit vermutlich kontaminierten Gegenständen (z. B. Windeln), Arbeitsgeräten und -flächen in der Küche und vor der Zubereitung von Mahlzeiten
      • Führt zwar nicht zur sicheren vollständigen Beseitigung, aber zur deutlichen Reduzierung der bakteriellen Keimkonzentration an den Händen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf und Prognose

  • Zumeist selbstlimitierender Verlauf ohne ernsthafte Komplikationen
  • In seltenen Fällen können Folgeerkrankungen, wie reaktive Arthritis oder Erythema nodosum, auftreten.
  • Obwohl ernsthafte Komplikationen entstehen können, ist die Sterblichkeit sehr gering.
  • Patient*innen sind infektiös, solange die Symptome andauern und die Erreger im Stuhl ausgeschieden werden, in der Regel 2–3 Wochen.

Komplikationen

  • Die Yersiniose kann sowohl zu intestinalen, extraintestinalen und immunologischen Komplikationen führen.6,11
  • Immunologische Reaktionen11
    • reaktive Arthritis (Reiter-Syndrom)
      • Gelenkbeschwerden treten bei etwa 2 % der Patient*innen auf, in der Regel 1–2 Wochen nach den intestinalen Beschwerden.
      • Sistieren der Symptome in der Regel nach 1–4 Monaten
    • Erythema nodosum
      • Läsionen treten 2–20 Tage nach dem ersten Fieber auf und bilden sich normalerweise innerhalb von 1 Monat zurück.
  • Über folgende Krankheitsbilder ist in Zusammenhang mit Y. enterocolitica berichtet worden:11
  • Patient*innen mit Hämochromatose, Hämoglobinopathien und anderen Erkrankungen, die mit einer Eisenüberladung in Zusammenhang stehen, sind einem größeren Risiko für extraintestinale Komplikationen und schwere Verläufe ausgesetzt.12
    • Die Virulenz des Bakteriums wird durch Eisen gesteigert.
    • Bei Patient*innen mit Eisenüberladung wurde eine durch Therapie mit Deferoxamin erhöhte Infektionsanfälligkeit für Infektionen mit Yersinia enterocolitica und pseudotuberculosis beobachtet.
      • Bei Fieber, vor allem in Kombination mit Bauchschmerzen oder Enteritis, sollte die Deferoxamin-Therapie daher unterbrochen werden.
  • Sepsis
    • Eine septische Entwicklung wird vor allem bei Kindern unter 1 Jahr und bei älteren und immunschwachen Menschen beobachtet.13
    • Bei Sepsis besteht trotz Behandlung eine hohe Sterblichkeit.
      • 34–50 % bei Y. enterocolitica11
  • Unnötige Operation bei Verdacht auf eine Blinddarmentzündung (Pseudoappendizitis)

Verlaufskontrolle

Kontrolle

  • Kontrollproben sind nicht notwendig.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. EFSA (European Food Safety Authority). The European Union summary report on trends and sources of zoonoses, zoonotic agents and food‐borne outbreaks in 2017. EFSA Journal 2018. efsa.onlinelibrary.wiley.com
  2. Janda JM, Abbott SL. The genus Yersinia. The Enterobacteriaceae. Washington D.C.: ASM Press, 2006: 205-32. www.scirp.org
  3. Pujol C, Bliska JB. Turning Yersinia pathogenesis outside in: subversion of macrophage function by intracellular yersiniae. Clin Immunol 2005; 114(3): 216-26. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. van der Heijden IM, Res PCM, Wilbrink B, et al. Yersinia enterocolitica: A cause of chronic polyarthritis. Clin Infect Dis 1997; 25:831. PubMed
  5. Shorter NA, Thompson MD, Mooney DP, Modlin JF. Surgical aspects of an outbreak of Yersinia enterocolitis. Pediatr Surg Int 1998; 13: 2. PubMed
  6. Cover TL, Aber RC. Yersinia enterocolitica. N Engl J Med 1989; 321: 16. New England Journal of Medicine
  7. Lee LA, Gerber AR, Lonsway DR, Smith JD, Carter GP, et al. Yersinia enterocolitica O:3 infections in infants and children, associated with the household preparation of chitterlings. N Engl J Med 1990; 322(14): 984. pmid:2314448 PubMed
  8. Ostroff SM, Kapperud G, Lassen J, et al. Clinical features of sporadic Yersinia enterocolitica infections in Norway. J Infect Dis 1992; 166: 812. PubMed
  9. Cannon, CG, Linnemann, CC Jr. Yersinia enterocolitica infections in hospitalized patients: The problem of hospital-acquired infections. Infect Control Hosp Epidemiol 1992; 13: 139. PubMed
  10. Press N, Fyfe M, Bowie W, et al. Clinical and microbiological follow-up of an outbreak of Yersinia pseudotuberculosis serotype Ib. Scand J Infect Dis 2001; 33(7): 523-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Khan ZZ. Yersinia enterocolitica. Medscape, last updated Sep 27, 2018. emedicine.medscape.com
  12. Bergmann TK, Vinding K, Hey H. Multiple hepatic abscesses due to Yersinia enterocolitica infection secondary to primary haemochromatosis. Scand J Gastroenterol 2001; 8: 89-5. www.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Leclercq A, Martin L, Vergnes ML et al. Fatal Yersinia enterocolitica biotype 4 serovar O:3 sepsis after red blood cell transfusion. Transfusion 2005; 45: 814-8. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Welterbildung, Innere Medizin, Frankfurt

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