Autoimmunhepatitis (AIH)

Zusammenfassung

  • Definition:Chronische, entzündliche Lebererkrankung mit gestörter Immunregulation unbekannter Genese.
  • Häufigkeit:Selten, betrifft zu 80 % Frauen. In jedem Alter möglich; der Häufigkeitsgipfel liegt bei 40–70 Jahren.
  • Symptome:Variabel; häufig asymptomatisch; unspezifische Allgemeinsymptome (Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, abdominale Beschwerden, Gelenkschmerzen). 
  • Befunde:Klinisch meist unauffällig; ggf. Hepatomegalie/Hepatosplenomegalie und Ikterus. 
  • Diagnostik:Klinisch unter Zusammenschau der Befunde und Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Typisch sind erhöhte Transaminasen, Hypergammaglobulinämie, Autoantikörper (ANA, anti-SMA, anti-LKM1), histologisches Bild und ein Ansprechen auf immunsuppresive Therapie. Bei bis zu 1/3 Leberzirrhose bei Diagnosestellung.
  • Therapie:Immunsuppresion, i. d. R. Prednisolon und Azathioprin. Meist lebenslange Therapie. Bei fulminanter Leberinsuffizienz Lebertransplantation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Akut oder chronisch-progredient verlaufende entzündliche Lebererkrankung1-2
  • Es handelt sich um eine immunvermittelte Hepatitis unklarer Ursache, die durch erhöhte Transaminasen, Hypergammaglobulinämie, Autoantikörper und ein typisches histologisches Bild („Interface-Hepatitis“, ehemals „Mottenfraß-Nekrose“) charakterisiert ist.1-2
  • Die Diagnose erfolgt unter Zusammenschau der klinischen Befunde; kein Parameter allein ist beweisend. Wichtig ist der Ausschluss von Differenzialdiagnosen. 
  • Autoimmunhepatitis wird entweder als Typ 1 oder Typ 2 klassifiziert, wobei Typ 1 in Westeuropa am häufigsten ist (ca. 80 %).

Autoimmunhepatitis Typ-13

  • Häufigste Form, ca. 80 % der Fälle
  • Charakteristische Autoantikörper
    • antinukleäre Antikörper (ANA), zu 30–50 % positiv
    • Glatte-Muskulatur-Antikörper (SMA), zu > 50 % positiv
    • Antikörper gegen lösliche Leberantigene und Leber-Pankreas-Antigen (Anti-SLA/LP), hohe Spezifität für die Autoimmunhepatitis Typ-1
    • antineutrophile zytoplasmatische Antikörper mit perinukleärem Muster (pANCA)
    • Antikörper gegen den Asialoglykoprotein-Rezeptor (Anti-ASGP-R)
  • Geografische Ausbreitung
    • weltweit
  • Erkrankungsalter
    • alle Altersgruppen 
    • Häufigkeitsgipfel 40–70 Jahre4
  • Geschlecht
    • Frauen machen ca. 80 % der Fälle aus.
  • Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen
    • Kommt bei ca. 20 % vor.2
  • Klinischer Schweregrad
    • breites Spektrum, akuter Krankheitsbeginn bei 40 %
    • selten fulminant
  • Histopathologische Anzeichen beim ersten Auftreten
    • breites Spektrum
    • Ca. 25 % haben bei der Vorstellung eine Zirrhose.
  • Therapieversagen
    • selten
  • Rezidiv nach abgeschlossener Behandlung
    • variabel
  • Bedarf an langfristiger Erhaltungsbehandlung
    • variabel

Klassifizierung von Autoimmunhepatitis Typ-23

  • Charakteristische Autoantikörper
    • Antikörper gegen Leber-Nieren-Mikrosomen (Anti-LKM1)
    • Antikörper gegen Leberzytoplasma (Anti-LC1)
  • Geografische Ausbreitung
    • weltweit, aber selten in Nordamerika
  • Erkrankungsalter
    • am häufigsten bei Kindern und jungen Erwachsenen
  • Geschlecht
    • Frauen machen ca. 95 % der Fälle aus.
  • Assoziation mit anderen Autoimmunerkrankungen
    • häufig
  • Klinischer Schweregrad
    • meist schwerwiegendere und schnellere Progression als bei Typ 1
  • Histopathologische Anzeichen beim ersten Auftreten
    • allgemein fortgeschritten
  • Therapieversagen
    • häufig
  • Rezidiv nach abgeschlossener Behandlung
    • häufig
  • Bedarf an langfristiger Erhaltungsbehandlung
    • fast 100 %

Überlappungssyndrome

Häufigkeit

  • Selten
  • Inzidenz: 0,8–3,0/100.000/Jahr in Nord-/Westeuropa4,9-11
  • Prävalenz: 12–24/100.000 in Nord-/Westeuropa4,9,11
  • Inzidenz und Prävalenz haben in den zurückliegenden Jahren zugenommen.4,11
  • Geschlecht1-2
    • Frauen sind 3- bis 4-mal häufiger betroffen als Männer.
  • Alter1-2
    • Die Autoimmunhepatitis Typ 1 kann Patienten jeden Alters betreffen. Häufigster Erkrankungszeitpunkt ist im mittleren Erwachsenenalter (40–70 Jahre).4
    • Die Autoimmunhepatitis Typ 2 betrifft fast ausschließlich Kinder und junge Erwachsene.

Ätiologie und Pathogenese

  • Laut aktuellem Verständnis über die Pathogenese bei Autoimmunhepatitis löst ein (unbekannter) Umweltfaktor eine T-Zell-vermittelte Immunreaktion gegen Leberantigene bei einem Wirt aus, der eine genetische Disposition für die Erkrankung besitzt, was zu einem progressiven, nekroinflammatorischen und fibrotischen Prozess in der Leber führt.3,12-13
  • Genetische Disposition2,14
    • Die Erkrankung ist mit bestimmten Polymorphismen im humanen Leukozytenantigen-System (HLA) assoziiert.
  • Mögliche Auslöser
    • Diskutiert wird eine Rolle von viralen Infektionen als Trigger für die Erkrankung, wie Hepatitis-B-/Hepatitis-C-Virus, Epstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus oder Herpes-simplex-Virus1-2
    • Als möglicher Mechanismus wurde molekulares Mimikri vorgeschlagen, bei dem Antigene von Krankheitserregern durch strukturelle Ähnlichkeit mit körpereigenen Strukturen eine Immunreaktion gegen diese hervorrufen.1
    • Auch Medikamente werden als möglicher Auslöser diskutiert. Hierzu zählen die Antibiotika Nitrofurantoin und Minocyclin, Diclofenac, Statine und TNFalpha-Blocker wie Infliximab.1
  • Immunreaktion
    • Es kommt zu einer Aktivierung von T-Zellen und einer zellvermittelten Immunreaktion gegen das Lebergewebe. Die pathogenetische Rolle der Autoantikörper ist unklar. Sie korrelieren mit der Krankheitsaktivität.1-2
    • Eine Schlüsselrolle wird der gestörten Immunregulation zugeschrieben, die im Gesunden autoimmune Manifestationen verhindert. Eine gestörte Funktion der sog. regulatorischen T-Zellen wird diskutiert.1-2

ICD-10

  • K75 Sonstige Krankheiten der Leber
    • K75.4 Autoimmune Hepatitis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Autoimmunhepatitis ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung der Leber. Grundsätzlich sollte diese bei jedem Patienten mit dem Bild einer Hepatitis in die Differenzialdiagnose einbezogen werden.
  • Die Diagnose erfolgt unter Zusammenschau von Klinik, laborchemischen Befunden (erhöhte Leberenzyme, Hypergammaglobulinämie, Autoantikörper), histologischen Befunden, dem Auschluss anderer Lebererkrankungen und dem Anprechen auf eine immunsuppresive Therapie.
  • Kein einzelner Parameter ist allein ausreichend für eine Diagnosestellung. In der Praxis ist die Diagnosestellung daher oft schwierig.
  • Es wurden verschiedene Scoring-Systeme entwickelt, die zur Diagnostik von Autoimmunhepatitis eingesetzt werden können. Sie geben die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung wieder. Sensitivität und Spezifität der Scores sind vergleichbar.
    • revidierter Score der International Autoimmune Hepatitis Group (IAHG)15
    • vereinfachter Score nach Hennes16

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Autoimmunhepatitis tritt mit unterschiedliche Symptomen auf, und der Verlauf kann durch Phasen mit hoher und niedriger Aktivität geprägt sein.
    • Bei ca. 1/3 der Patienten mit schwerem und akutem Krankheitseintritt lag vermutlich bereits über einen längeren Zeitraum eine subklinische Erkrankung vor.3
  • Das Symptomspektrum variiert von symptomfrei bis zu fulminanter Leberinsuffizienz.
  • Häufig sind erhöhte Transaminasen ein Zufallsbefund bei asymptomatischen Patienten.2
  • Allgemeinsymptome
    • Antriebslosigkeit
    • Müdigkeit
    • Appetitlosigkeit
    • Übelkeit
    • abdominale Beschwerden
    • Gelenkschmerzen
      • bei rund 1/3 der Patienten 
  • Klinische Zeichen einer Hepatitis
  • Vorerkrankungen?
  • Medikamentenanamnese
    • bekannte mögliche Auslöser einer immunvermittelten Hepatitis
      • Minocyclin
      • Nitrofurantoin
      • Diclofenac
      • Alpha-Methyldopa
      • Hydralazin
      • Statine
      • TNF-alpha-Antagonisten (Infliximab, Adalimumab, Etanercept)
  • Reiseanamnese

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Laborchemische Untersuchungen

Ultraschall Abdomen

  • In der Initialdiagnostik soll ein abdomineller Ultraschall durchgeführt werden.
  • Es gibt keine spezifischen Zeichen für eine Autoimmunhepatitis im Ultraschall.
  • Ggf. Nachweis von hilären Lymphknoten
  • Parenchymveränderungen? Zeichen einer Leberzirrhose?
  • Zur Differenzialdiagnostik

Diagnostik beim Spezialisten

Antikörperdiagnostik

  • Serum-Gammaglobuline
    • IgG meist erhöht, polyklonale Hyperimmunglobulinämie
  • Autoantikörper3
    • Antinukleäre Antikörper (ANA) und Glatte-Muskulatur-Antikörper (SMA) sind die serologischen Hauptmarker für Typ 1.1,15
      • Antikörper gegen lösliche Leberantigene und Leber-Pankreas-Antigen (Anti-SLA/LP) zeigt die höchste Spezifität für die Autoimmunhepatitis Typ 1.
    • Anti-LKM-1 und anti-LC-1 sind typisch für Typ 2.19-20
    • Bisweilen liegen antimitochondrische Antikörper vor (Differenzialdiagnose primär biliäre Zirrhose).
    • Bei 10 % fehlen zirkulierende Antikörper.
    • Autoantikörper können bei unterschiedlichen Lebererkrankungen und im Gesunden vorkommen, und deren Nachweis ist nicht diagnostisch für Autoimmunhepatitis.
  • Initiale Serumdiagnostik
    • quantitatives Immunglobulin G (IgG, u. U. auch IgA und IgM).
    • antinukleäre Antikörper (ANA)
    • Glatte-Muskulatur-Antikörper (SMA)/Aktin
    • Antikörper gegen Leber-Nieren-Mikrosomen (Anti-LKM1)
    • Antikörper gegen lösliche Leberantigene und Leber-Pankreas-Antigen (Anti-SLA/LP)
    • Antikörper gegen Mitochondrien (AMA)
  • Bei negativem Autoantikörperbefund und fortbestehendem klinischen Verdacht
    • Wiederholung der Serologien – darüber hinaus –
    • antineutrophile cytoplasmatische Antikörper mit perinukleärem Muster (pANCA)
    • Antikörper gegen den Asialoglykoprotein-Rezeptor (Anti-ASGP-R)
  • Unterscheidung nach Autoantikörperprofil
    • Autoimmunhepatitis, Typ 1
      • ANA
      • SMA/Anti-Aktin-Antikörper – oder –
      • Anti-SLA/LP-Antikörper
      • Anti-SLA/LP-Antikörper können auch ohne ANA- oder SMA/Anti-Aktin-Antikörper vorkommen.
    • Autoimmunhepatitis, Typ 2
      • Anti-LKM1-Antikörper
      • LC1-Antikörper – und –
      • LKM3-Antikörper.
  • Die Diagnose ist ohne Nachweis von Autoantikörpern möglich. Bei akuten/fulminanten Präsentationen können Autoantikörper und IgG-Erhöhung fehlen.
  • IgG-Serumspiegel sowie SMA-Antikörpertiter können mit der Krankheitsaktivität korrelieren.

Leberbiopsie

  • Zur Sicherung der Diagnose sollte eine Leberbiopsie durchgeführt werden.
  • Bei der Erstdiagnose einer Autoimmunhepatitis sollte auch bei klinischem Verdacht auf bereits vorliegenden zirrhotischen Umbau biopsiert werden.
  • Die Histologie hat einen entscheidenden Stellenwert in der Diagnostik der Autoimmunhepatitis. Auch die Therapie richtet sich nach dem Ausmaß der histologisch nachgewiesenen entzündlichen Veränderungen.
  • Nach bereits eingeleiteter immunsuppressiver Therapie ist die Aussagekraft einer Leberbiopsie eingeschränkt. Die Therapie sollte jedoch durch Durchführung und Auswertung der Leberbiopsie nicht verzögert werden.
  • Typische Befund ist eine sog. Interface-Hepatitis, d. h. Entzündung und Nekrosen im Grenzbereich zwischen Parenchym und dem Bindegewebe des Portalraumes („Piecemeal-Nekrosen“, früher: „Mottenfraßnekrosen“) sowie Plasmazellinfiltration.2
  • Weitere typische Befunde
    • Regenerationsphänomene mit Rosettenbildung, d. h. mehrere Hepatozyten umgeben einen Gallenkanalikulus.
    • Emperipolese, d. h. das Einwandern von Lymphozyten in Hepatozyten.
    • perivenuläre Nekrosen
  • Die Befunde sind jedoch nicht pathognomonisch für eine Autoimmunhepatitis und daher nicht beweisend für die Diagnose. Ein ähnliches histologisches Bild kann sich bei viralen Hepatitiden, Morbus Wilson, toxischen/medikamenteninduzierten Lebererkrankungen sowie primär biliärer Cholangitis (PBC) und primär sklerosierender Cholangitis (PSC) zeigen. 2

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung

Therapie

Therapieziele

  • Eine frühzeitige, komplette und anhaltende Remission des inflammatorischen Prozesses im Lebergewebe mit möglichst geringer Medikamentendosierung, um eine Progression zur Leberzirrhose zu verhindern.21

Allgemeines zur Therapie

  • Prednisolon und Azathioprin22
    • Ist bei Typ 1 und 2 die Erstlinientherapie.
  • Individualisierte Behandlung
    • Die Heterogenität der Erkrankung macht eine individualisierte Behandlung bei Erwachsenen und Kindern erforderlich.23
    • Lebenslange Therapie ist häufig bei Patienten mit Autoimmunhepatitis Typ 2 und bei Patienten, bei denen zum Diagnosezeitpunkt bereits eine Zirrhose vorliegt, erforderlich.
  • Indikationen für Behandlung
    • jede Autoimmunhepatitis mit moderater bis starker entzündlicher Aktivität
      • Verzicht auf eine immunsuppressive Therapie lediglich in Einzelfällen
    • generell: mindestens moderate Entzündungsaktivität22
      • histologische Entzündungsaktivität gemäß dem modifizierten Ishak-Score (mHAI) ≥ 4–6/18 Punkte24
      • Erhöhung der AST (GOT) über das 5-Fache der Norm21
      • Erhöhung der Serum-Gammaglobuline über das 2-Fache der Norm21
      • niedrigere Schwelle zum Therapiebeginn bei prognostisch ungünstigen Faktoren wie jungem Alter und symptomatischen Patienten
  • Therapiemonitoring
    • komplette Remission
      • vollständige Normalisierung von Transaminasen und Gammaglobulinen
      • histologisch: vollständiger Rückgang der Interface-Hepatitis (modifizierter Ishak-Score ≤ 3/18 Punkte)
    • partielle Remission
      • nach Therapiebeginn abfallende, jedoch nicht normwertige Transaminasen und Gammaglobuline
  • Therapieerfolg
    • Etwa 90 % der Patienten zeigen eine komplette oder partielle Remission.
    • Die immunsuppressive Therapie vermindert die Letalität der Erkrankung. Umgekehrt geht ein fehlendes oder verzögertes Ansprechen auf die Therapie mit vermehrten Komplikationen einher.
    • Wenn die Erkrankung in Remission ist, führt die Erhaltungsbehandlung mit Azathioprin allein bei 80 % zum Therapieerfolg.25
  • Therapiedauer
    • In den meisten Fällen ist eine lebenslange Therapie notwendig.
    • Nach Therapieende kommt es bei > 80 % der Patienten zu einem Rückfall, teils Jahre später.26
  • Selbst wenn eine optimale Behandlung das Überleben und die Lebensqualität verbessert und den Bedarf einer Lebertransplantation reduziert, ist die Behandlung der Krankheit dennoch mit bedeutenden, therapeutischen Herausforderungen verbunden.23
  • Konsequente Überprüfung des Therapieansprechens
    • Normalisierung von Transaminasen und IgG-Serumspiegeln
  • Fehlendes Therapieansprechen
    • Überprüfung der Compliance des Patienten
    • Überprüfung von Differenzialdiagnosen
  • Overlap-Syndrome (gleichzeitiges Vorliegen einer primär biliären Cholangitis bzw. primär sklerosierenden Cholangitis)
    • immunsuppressive Therapie der Autoimmunhepatitis
    • zusätzlich Behandlung entsprechend den Leitlinienempfehlungen für primär biliäre Cholangitis und primär sklerosierende Cholangitis
  • Komplementäre Therapien
    • Haben keinen gesicherten Stellenwert in der Therapie.
    • Sollen keinesfalls den Beginn einer immunsuppressiven Therapie verzögern.
  • Osteoporoseprophylaxe
    • bei Steroidtherapie
    • ggf. Knochendichtemessung zum Monitoring oder als Ausgangsbefund
  • Dauer der immunsuppressiven Therapie
    • Nach Erreichen einer Remission für mindestens 2 Jahre fortführen.
    • in den meisten Fällen lebenslange Therapie
    • Auslassversuch nur bei vollständiger biochemischen Remission (vorzugsweise unter Monotherapie)
    • ggf. vorherige Leberbiopsie zur Abschätzung des Rückfallrisikos

Medikamentöse Therapie

Standardbehandlung

  • Remissionsindikation
    • Monotherapie mit Predniso(lo)n oder Kombinationstherapie gemeinsam mit Azathioprin
    • Prednison und Prednisolon sind gleichwertig.
    • Bei Patienten ohne Leberzirrhose kann Budenosid alternativ zu Predniso(lo)n eingesetzt werden, um systemische Nebenwirkungen zu vermindern.
    • Dosierungsvorschläge
      • Predniso(lo)n 0,5–1 mg/kg KG/Tag – oder –
      • Budenosid 9 mg/Tag – und –
      • Azathioprin 50 mg/Tag, Steigerung auf 1–2 mg/kg KG pro Tag
    • Mit dem Beginn von Azathioprin kann abgewartet werden, bis ein Ansprechen auf eine Kortikosteroidtherapie nachgewiesen ist.
  • Erhaltungstherapie
    • Azathioprin 1–2 mg/kg KG pro Tag, – und –
    • Dosisreduktion von Predniso(lo)n oder vollständiges Ausschleichen unter engmaschigen Kontrollen, ggf. Umstellung auf Budenosid (z. B. 6 mg/Tag)
  • Osteoporoseprophylaxe
    • Gesamtzufuhr 1.000 mg Kalzium/Tag
    • 800–1.000 IE Vitamin D3/Tag
    • ggf. weitere Osteoporose-spezifische Therapie (z. B. mit Bisphosphonaten) bei Risikopatienten in Abhängigkeit von der Knochendichtemessung
  • Nebenwirkungen
    • systemische Nebenwirkungen der Kortikosteroidtherapie
    • Übelkeit, Hepatotoxizität und Knochenmarksdepression durch Azathioprin
    • Azathioprin-Unverträglichkeit bei rund 5 % der Patienten mit Fieber, Übelkeit und Myalgien2

Weitere Behandlungsoptionen

  • Mycophenolat-Mofetil
  • 6-Mercaptopurin
  • Ciclosporin A
  • Tacrolimus
  • Ursodeoxycholsäure bei Overlap-Syndrom mit primär biliärer Cholangitis
  • Weitere Immunsuppressiva

Fulminant verlaufende Autoimmunhepatitis

  • Klinische Zeichen
    • eingeschränkte Lebersyntheseparameter (z. B. INR, Faktor V, Prothrombinaktivität) ohne andere erkennbare Ursache
    • hepatische Enzephalopathie
  • Sofortige Vorstellung in einem Lebertransplantationszentrum
  • Ggf. zeitlich begrenzter Therapieversuch mit hochdosierten intravenösen Steroiden

Operative Therapie

Lebertransplantation

  • Bei Patienten mit akutem, fulminantem Krankheitseintritt, die nicht auf medikamentöse Behandlung ansprechen, und bei denen sich ein komplettes Leberversagen entwickelt, ist eine Lebertransplantation einzig mögliche kurative Therapie.
  • Die 5-Jahres-Überlebensrate für Patienten und Transplantate liegt bei 80–90 %, das 10-Jahres-Überleben liegt bei ca. 75 %, und die Rezidivrate für eine AIH wird mit 20–40 % angegeben.27-30
  • Histologischen Anzeichen für ein Rezidiv können klinische und biochemische Symptome und Beschwerdebilder vorausgehen.30

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Autoimmunhepatitis ist eine progrediente, chronische Erkrankung.
  • Der Verlauf kann durch Phasen mit hoher und niedriger Aktivität geprägt sein.3
  • Bei Erstdiagnose besteht bei etwa 1/3 der Patienten eine Leberzirrhose.
  • Bei etwa 6 % der Patienten kommt es zu einem fulminanten Leberversagen im Rahmen der Erstmanifestation.

Komplikationen

  • Progression zur Leberzirrhose
    • Wichtigster Prädiktor für eine Progression zur Leberzirrhose ist das Ansprechen auf die immunsuppressive Therapie.
    • Bei gutem Ansprechen tritt eine Zirrhose bei etwa 4 % der Patienten auf, bei fehlendem anhaltenden Therapieansprechen bei 38 %.
  • Hepatozelluläres Karzinom4
    • selten bei Patienten mit Autoimmunhepatitis ohne Leberzirrhose 
    • bei bis zu 4 % der Patienten mit Leberzirrhose
    • Eine Leberzirrhose ist somit der wichtigste Risikofaktor. Darüber hinaus begünstigen Alkohol- und Nikotinkonsum und Diabetes mellitus das Auftreten von Karzinomen bei Patienten mit Leberzirrhose.
  • Fulminante Leberinsuffizienz
    • akute Erstmanifestation mit Progress zur fulminanten Leberinsuffizienz bei etwa 6 % der Patienten2
      • Die Abgrenzung von anderen Ursachen der Leberinsuffizienz ist oft schwierig. Autoantikörper fehlen bei akutem Verlauf häufig. 
      • Therapeutisch kann eine hochdosierte intravenöse Gabe von Kortikosteroiden versucht werden. Darüber hinaus Vorstellung zur Lebertransplantation.
      • bei 10–20 % der Patienten allmählicher Progress zur Leberinsuffizienz trotz adäquater Therapie
  • Autoimmunhepatitis in der Schwangerschaft
    • bekannte Autoimmunhepatitis vor Beginn der Schwangerschaft
      • Risikoschwangerschaft
      • erhöhtes Frühgeburtsrisiko (20 %)
      • engmaschige Überwachung von schwangeren Patientinnen
      • erhöhtes Risiko für einen Schub der Autoimmunhepatitis, insbesondere postpartal
    • selten Erstmanifestation während oder nach Schwangerschaft
  • Infektionserkrankungen unter immunsuppresiver Therapie

Prognose

  • Mortalität und Morbidität sind bei Patienten mit Autoimmunhepatitis erhöht. Die Mortalität ist in der Anfangsphase der Erkrankung am höchsten.4
  • Eine immunsuppressive Therapie verbessert die Prognose.
  • Das 10-Jahres-Überleben mit den Endpunkten Tod oder Lebertransplantation liegt bei behandelten Patienten bei über 90 %, während es bei unbehandelten Patienten bei ca. 50 % liegt.31
  • Risikofaktoren für eine schlechte Prognose4
  • Die Lebensqualität ist reduziert.

Verlaufskontrolle

  • Der Krankheitsverlauf der Patienten wird durch Bestimmung von Transaminasen und die Gammaglobulinwerte überwacht.
  • Die histologische Reaktion tritt typischerweise 3–6 Monate nach der biochemischen Reaktion ein, sodass eine klinische Reaktion nicht notwendigerweise bedeutet, dass ein histologischer Beweis für den Rückgang der Krankheit vorliegt.
  • Verlaufskontrollen sollten auch nach Therapieende erfolgen, da es noch Jahre später zu einem Wiederauftreten der Erkrankung kommen kann.
  • Bei Leberzirrhose
  • Verlaufsbiopsie
    • nicht routinemäßig empfohlen
    • ggf. bei unzureichendem Therapieansprechen zur Überprüfung der Krankheitsaktivität und Differenzialdiagnostik
    • ggf. zum Abschätzen der Rückfallswahrscheinlichkeit vor Absetzen der immunsuppresiven Therapie
  • Autoimmunhepatitis in der Schwangerschaft
    • engmaschige Betreuung und Überwachung vor und nach der Schwangerschaft
    • möglichst Fortführung der Therapie mit Azathioprin in der Schwangerschaft (Off-Label-Anwendung)

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

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  • Dietrich August, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Innere Medizin, Freiburg

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