Darmischämie

Zusammenfassung

  • Definition:Durchblutungsstörung des Dick- oder Dünndarms, meistens durch Arteriosklerose oder Thrombembolie verursacht.
  • Häufigkeit:Akute Ischämie bei Patienten > 70 Jahre ursächlich für bis zu 10 % aller akuten Abdomen.
  • Symptome:Bei akuter Ischämie stärkste Bauchschmerzen, bei chronischer Ischämie postprandiale Angina abdominalis.
  • Befunde: Diskrepanz zwischen starken Schmerzen bei den Patienten und klinisch eher unauffälligem Befund.
  • Diagnostik:Bei Verdacht schnellstmöglich CT-Angiografie.
  • Therapie:Bei akuter Ischämie Notfall-Laparotomie, bei chronischer Ischämie offene oder endovaskuläre Revaskularisierung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Insuffiziente Versorgung des Darms mit Blut und damit Nährstoffen1
  • Ursache ist eine Reduzierung der Blutzufuhr.
    • Die Blutzufuhr erfolgt über drei Arterien:2
      • Truncus coeliacus
      • Arteria mesenterica superior
      • Arteria mesenterica inferior
  • Man unterscheidet drei Formen der Darmischämie:
    • akute Dünndarmischämie3
      • okklusive Mesenterialischämie
        • Thrombose
        • Embolie
      • nicht-okklusive Mesenterialischämie
        • reaktiver Gefäßspasmus, Kreislaufversagen
    • chronische Dünndarmischämie (Angina abdominalis)2
      • infolge von Arteriosklerose oder Vaskulitiden
    • ischämische Kolitis
      • Minderperfusion mit Schädigung der Innenschicht des Kolons

Häufigkeit

  • Bei ca. 1 % aller Patienten mit „akutem Abdomen“ akute Mesenterialischämie
    • Bei Patienten > 70 Jahre ist bei bis zu 10 % eine akute Mesenterialischämie ursächlich.
  • Akute Dünndarmischämie
    • selten, 0,09–0,2 % aller chirurgischen Aufnahmen im Krankenhaus4
    • Etwa 2/3 der Patienten sind Frauen.3
    • Etwa 10–15 % sind venöse Ischämien.3
  • Chronische Dünndarmischämie
    • Seltene Erkrankung, die vor allem bei Patienten > 60 Jahren auftritt.5
    • In der Literatur bis 2013 sind nur 1.795 Fälle beschrieben.6
    • Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich deutlich höher.2
  • Ischämische Kolitis
    • Ursache für 0,1 % aller Krankenhauseinweisungen7
    • häufigste Ischämieform des Gastrointestinaltrakts7
    • 90 % der Patienten > 60 Jahre7
    • Tritt vereinzelt auch bei jüngeren Patienten nach Kokainkonsum und großer physischer Anstrengung (z. B. Marathonlauf) auf.

Ätiologie und Pathogenese

Pathophysiologie

  • Die Arteria mesenterica superior versorgt den Zwölffingerdarm, den gesamten Dünndarm und den Dickdarm bis zur linken Flexur und verfügt nur über wenige Kollateralen (Verbindung über Riolan-Anastomose mit A. mesenterica inferior).
    • funktionelle Endarterie mit entsprechendem Ischämie-Risiko

Akute Dünndarmischämie

  • 50 % der Fälle durch arterielle Embolie verursacht8
  • 25 % der Fälle durch arterielle Thrombose bei Arteriosklerose4
  • 20 % der Fälle durch nicht-okklusive Ursache4
    • Vasokonstriktion durch niedrigen Blutfluss
    • Ab einem arteriellen Mitteldruck < 45 mmHg ist eine Darmischämie zu erwarten.9
  • < 10 % durch venöse Thrombose4
    • Virchow-Trias: erhöhte Viskosität, Endothelveränderungen, verminderte Flussgeschwindigkeit

Chronische Dünndarmischämie

  • In aller Regel besteht ein Zusammenhang mit Arteriosklerose2
    • Einengung des Lumens der versorgenden Arterien
    • bei erhöhtem Blutbedarf (postprandial) oder vermindertem Blutfluss (z. B. Hypovolämie) ausgeprägte abdominelle Ischämieschmerzen2

Ischämische Kolitis

  • Viele mögliche Ursachen können zu Minderperfusion des Kolons führen.7
    • Thrombose, Embolie, Trauma, Arteriosklerose
    • mechanische Verlegung durch Tumor, Volvulus oder Divertikulose
    • Medikamente, z. B. Taxane oder Laxanzien
    • postoperatives Auftreten bei 2–3 % aller Patienten mit Operation an der Aorta

Prädiktoren

  • Faktoren, die die Entstehung von Arteriosklerose begünstigen:2
  • Vorhofflimmern
    • Erhöhtes Embolierisiko
  • Trauma oder zurückliegende Operation (insbesondere Gefäßchirurgie) im Bauchraum
  • Kokainkonsum10
  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
    • erhöhtes arterielles Thromboserisiko im Mesenterialbereich11

ICD-10

  • K55 Gefäßkrankheiten des Darmes
    • K55.0 Akute Gefäßkrankheiten des Darmes
    • K55.1 Chronische Gefäßkrankheiten des Darmes

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Akute Dünndarmischämie

  • Bis zum Beweis des Gegenteils sollte bei stärksten abdominellen Schmerzen und unauffälligem Befund in der körperlichen Untersuchung von einer akuten Darmischämie ausgegangen werden.12
  • Bei Verdacht auf akute Darmischämie schnellstmöglich CT-Angiografie4

Chronische Dünndarmischämie

  • Durch Mahlzeiten ausgelöste Schmerzen (Angina abdominalis)2
  • CT-Angiografie oder Angiografie als Diagnostik der Wahl2

Ischämische Kolitis

  • Klassisch
    • blutige Diarrhö bei Patienten > 60 Jahre
    • häufig nach Eingriffen an der Aorta
  • Rektoskopie oder Koloskopie mit typischem Befund

Differenzialdiagnosen

Akute Dünndarmischämie

Chronische Dünndarmischämie

Ischämische Kolitis

Anamnese

Akute Dünndarmischämie

 Chronische Dünndarmischämie

  • Leitsymptom durch Mahlzeiten verursachte Schmerzen (Angina abdominalis)2
    • Auftreten der Symptome 10 min bis 3 h nach Nahrungsaufnahme
    • Patienten entwickeln Angst vor dem Essen (Sitophobie) und verlieren in der Folge an Gewicht.
  • Arteriosklerose als Vorerkrankung

Ischämische Kolitis

  • Unspezifische Symptomatik7
    • krampfartige Schmerzen im linken Unterbauch
    • Diarrhöen
    • geringer rektaler Blutabgang
      • Hämodynamisch relevante Hämatochezie spricht eher gegen ischämische Kolitis.
  • Mögliche Auslöser aortenchirurgische Eingriffe, Hypovolämie (z. B. Diarrhöen, aber auch extreme sportliche Anstrengung mit Dehydratation), Vaskulitiden oder Thrombophilien7

Klinische Untersuchung

Akute Dünndarmischämie

  • Extreme Bauchschmerzen bei klinisch eher unauffälligem Befund
  • Häufig nur subtile Peritonitis-Zeichen4
    • Hinweis auf bereits beginnende Nekrose
  • Trias aus Bauchschmerzen, Fieber und blutigem Stuhl bei etwa 1/3 der Patienten4
  • Im weiteren Verlauf Abnahme der Schmerzen und häufig Darmparalyse mit Abnahme der Darmgeräusche
  • Im Endstadium akutes Abdomen mit Darmgangrän/-perforation und Sepsis

Chronische Dünndarmischämie

  • Zeichen einer PAVK
    • Peripherer Pulsstatus?
  • Zeichen einer Mangelernährung durch Sitophobie
  • Evtl. Bauch leicht gespannt mit milden, diffusen Schmerzen2

Ischämische Kolitis

  • Ggf. leichte Druckschmerzen über dem betroffenen Bereich, häufig linker Unterbauch7
  • Ggf. positiver iFOBT

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Stuhluntersuchungen

Blutentnahme

  • Akute Darmischämie

Diagnostik beim Spezialisten

Bildgebende Verfahren

  • CT-Angiografie
    • schnellstmögliche Durchführung bei V. a. akute Darmischämie4
    • Diagnostikum der 1. Wahl
  • Röntgen-Abdomen
    • sinnvoll zum Ausschluss Darmperforation oder Ileus
    • Zeigt erst im späten Verlauf einer Darmischämie unspezifische Veränderungen: Ileus und mesenteriale Verdickung.15
  • Sonografie
    • sensitive Untersuchung zur Darstellung frühzeitiger Veränderungen der Darmwand bei Ischämie7

Koloskopie

  • Bei Verdacht auf ischämische Kolitis
    • Ulzerationen, diffuse erythematöse Rötung der Mukosa

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Alle 3 Krankheitsbilder (akute und chronische Darmischämie, ischämische Kolitis) sollten im Krankenhaus behandelt werden.
    • Bei V. a. akute Darmischämie sofortige Notfall-Einweisung!

Therapie

Therapieziele

  • Lebensbedrohlichen Komplikationen vorbeugen.
  • Revaskularisation noch vitaler Darmabschnitte
  • Resektion bereits nekrotischer Darmabschnitte

Allgemeines zur Therapie

  • Bei chronischer Dünndarmischämie offene (z. B. Bypass) oder endovaskuläre Revaskularisierung (z. B. Stent) anstreben.2
    • Die Wahl des Verfahrens ist abhängig vom Patienten.
      • Endosvaskuläre Verfahren sind schonender für Patienten mit niedrigerer Komplikationsrate, aber mehr Rezidiven.
      • in der Regel bei Patienten in gutem Allgemeinzustand und hoher Lebenserwartung offenes Vorgehen, bei multimorbiden Patienten eher endovaskuläres Prozedere2
  • Bei akutem Abdomen aufgrund von akuter Dünndarmischämie operative Therapie mittels Laparotomie
    • möglichst interdisziplinär durch Gefäß- und Viszeralchirurg
    • Ziele 
      • schnelle Revaskularisation
      • Resektion irreversibel geschädigter Darmsegmente
  • Bei ischämischer Kolitis häufig selbstlimitierender Verlauf, und supportive Therapie inklusive Antibiotikagabe sind in der Regel ausreichend.7

Empfehlungen für Patienten

  • Bei chronischer Dünndarmischämie Aufteilung der Nahrungszufuhr auf viele, kleine Mahlzeiten2

Medikamentöse Therapie

  • Intensivmedizinische Prinzipien bei akutem Mesenterialinfarkt
    • intravasale Flüssigkeitssubstitution zur Stabilisierung der Hämodynamik
    • Verhinderung einer Exazerbation der thromboembolischen Verschlussprozesse durch unverzügliche Antikoagulation mittels 5.000 IE Heparin i. v.
      • gefolgt von Perfusor-gesteuerter Applikation in einer initialen Dosierung von 20.000 IE Heparin/24 h
    • parallel: Einleitung einer antibiotischen Therapie, z. B. Cephalosporin der 2. Generation plus Metronidazol
      • Schleimhautschädigungen im Darm durch Ischämie führen zu hohem Infektionsrisiko und rechtfertigen Breitspektrum-Antibiotikagabe.4
  • Antikoagulation bei chronischer Darmischämie postinterventionell, abhängig vom durchgeführten Prozedere2
  • Supportive Therapie bei ischämischer Kolitis7
    • intravenöse Flüssigkeitsgabe
    • Ruhigstellung des Darms durch Nahrungskarenz oder Flüssigkost, abhängig von Schweregrad
    • Breitspektrum-Antibiotika, die anaerobe sowie aerobe Erreger abdecken.

Prävention

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Akute Mesenterialischämie verläuft bei verzögerter Diagnose in der Regel tödlich.4
  • Chronische Darmischämie führt unbehandelt zu progredientem Gewichtsverlust und Verschlechterung des Allgemeinzustands.2
  • Ischämische Kolitis 
    • In den meisten Fällen Symptomlinderung innerhalb von 48 Stunden, vollständiges Abheilen innerhalb von 2 Wochen7
    • Etwa 5 % entwickeln ein Rezidiv.

Komplikationen

  • Akute Komplikationen sind Gangrän des Darms und Darmperforation mit konsekutiver Sepsis.
  • Kurzdarmsyndrom nach ausgeprägter Darmresektion
    • ggf. Notwendigkeit einer parenteralen Ernährung
  • Peritonitis, toxisches Megakolon und Striktur sind mögliche Komplikationen einer ischämischen Kolitis.7

Prognose

  • Letalität der akuten Dünndarmischämie 50–75 %
    • Bei Behandlung im Initialstadium < 6 Stunden sinkt die Letalität unter 30 %.
  • Bei chronischer Dünndarmischämie und offener Revaskularisierung ist die 5-Jahres-Überlebensrate stark abhängig von BMI.16
    • BMI < 25: 5-Jahres-Überlebensrate von 90 %
    • BMI > 25: 5-Jahres-Überlebensrate von 50 %
  • Ischämische Kolitis heilt in den meisten Fällen folgenlos aus.7

Verlaufskontrolle

  • Postoperativ nach Laparotomie bei akuter Ischämie
    • intensivmedizinische Therapie 
    • Second-look-Operation nach dem Ersteingriff bei unsicherer Reperfusion der erhaltenen Darmsegmente4
  • Spätere Nachkontrollen
    • Duplexsonografie der Intestinalarterien
    • Ausschaltung relevanter Risikofaktoren
  • Bei asymptomatischen Strikturen nach ischämischer Kolitis ist vorerst Beobachtung empfohlen, da manche sich innerhalb von 12–24 Monaten spontan auflösen.17 

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Hämorrhagische ischämische Colitis.jpg
Hämorrhagische ischämische Kolitis (mit freundlicher Genehmigung von endoskopiebilder.de, Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Hamburg)

Quellen

Literatur

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Autoren

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt

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