Epididymitis (Nebenhodenentzündung)

Zusammenfassung

  • Definition: Entzündung des Nebenhodens, häufig verursacht durch Bakterien.
  • Häufigkeit: Ca. 1 pro 1.000 Männer jährlich.
  • Symptome: Schmerzen im Skrotum und Schwellung, in manchen Fällen auch Reizsymptome in den unteren Harnwegen.
  • Befunde: Schwellung, Rötung und lokale Wärmeentwicklung, in der Regel in einer Skrotumhälfte.
  • Diagnostik: Bakteriologische Abstriche von der Urethra, Urinuntersuchung, ggf. Sonografie bei Diagnoseunsicherheit.
  • Therapie: Antibiotika, Bettruhe, Hoden kühlen und hochlagern, ggf. Antiphlogistika.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Entzündung des Nebenhodens, gekennzeichnet durch Schmerzen im Skrotum und Schwellung mit weniger als 6 Wochen Dauer, in der Regel einseitig.1
  • Die Erkrankung kann von Reizsymptomen der unteren Harnwege, Ausfluss und Fieber begleitet sein.
  • In manchen Fällen liegt eine gleichzeitige Hodenentzündung (Orchitis) vor („Epididymoorchitis“).2 
  • Bei einer chronische Epidydimitis bestehen die Beschwerden länger als 3 Monate, meistens in Form von Schmerzen ohne Skrotumschwellung.2 

Häufigkeit

  • Die Inzidenz wird mit ca. 1 pro 1.000 Männer jährlich angegeben, jedoch liegen keine verlässlichen epidemiologischen Zahlen vor.
  • Die Erkrankung tritt selten vor dem Erreichen der Geschlechtsreife auf, ist aber auch im Kindesalter möglich.3
    • In der Altersgruppe von 2–13 Jahren wird eine jährliche Inzidenz von 1,2 pro 1.000 Jungen angegeben. Bei 25 % der Betroffenen kommt es zu einem Rezidiv innerhalb von 5 Jahren.4
  • Bei den erkrankten Erwachsenen liegt der Anteil der 20- bis 30-Jährigen bei 40 %.5

Ätiologie und Pathogenese

  • Eine akute Epididymitis ist in der Regel auf eine bakterielle Infektion zurückzuführen.6
  • Jüngere Männer
  • Männer über 35 Jahre
    • Häufigste Verursacher sind gramnegative Stäbchen.
    • Tritt auch als Komplikation bei anderen urologischen Erkrankungen auf oder nach instrumenteller Manipulation.
    • Eine Prostatahyperplasie kann zum Rückfluss von infiziertem Urin in den Samenleiter führen.5 
  • Kinder vor der Pubertät
    • selten
    • Nur in Ausnahmefällen sind Harnwegsinfektionen die Ursache.
      • Eine reaktive oder postentzündliche Genese wird für die Mehrzahl dieser Erkrankungen mangels reproduzierbarer Infektionskette und fehlendem Erregernachweis diskutiert.
      • lokale Ausbreitung von hämatogenen Orchitiden, typischerweise im Gefolge viraler Infektionen (Mumps, Röteln, Coxsackie- und Echoviren, infektiöse Mononukleose, Windpocken)
  • Nichtinfektiöse Variante
    • kann 2–3 Tage nach einem Trauma auftreten
  • Gleichzeitige Schwellung der Hoden
    • ist auf Stauung zurückzuführen

Pathophysiologie

  • Ein retrograder Aufstieg von Urinkeimen aus Urethra und Blase über den Samenleiter führt zu Kolonisierung und Entzündung des Nebenhodens.
  • In vielen Fällen ist auch der Hoden von der Entzündung betroffen.
  • Der zugrunde liegende Mechanismus einer nichtbakteriellen Epididymitis ist unbekannt.

Prädisponierende Faktoren

  • Ungeschützter Geschlechtsverkehr (kein Kondom)
  • Obstruktion der Urethra
  • Instrumentelle Manipulation in der Urethra
  • Eine rezividierende Epididymitis bei jüngeren Knaben kann auf einen Reflux von Urin über den Samenleiter zurückzuführen sein.
    • Ein erhöhtes Risiko besteht bei Jungen mit (korrigierter) langstreckiger Hypospadie, mit Utriculus-prostaticus-Zyste oder anorektalen Anomalien (Analatresie mit rektourethraler Fistel).
  • Schwache Risikofaktoren sind:
    • Immunsuppression
    • Vaskulitis
    • Einsatz von Amiodaron
    • Mumps
    • Tuberkulose-Exposition

ICD-10

  • N45 Orchitis und Epididymitis
    • N45.0 Orchitis, Epididymitis und Epididymoorchitis mit Abszess
    • N45.9 Orchitis, Epididymitis und Epididymoorchitis ohne Abszess

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Klinischer Befund mit Schmerzen im Skrotum und palpable Schwellung und Empfindlichkeit des Nebenhodens
  • Ggf. sonografische Bestätigung der Diagnose

Differenzialdiagnosen

  • Hodentorsion
    • plötzlich einsetzende akute Schmerzen
  • Hodentumor
  • Orchitis
  • Varikozele
    • indolent
  • Intraskrotale Schmerzen anderer Ursache, z. B.:
    • Trauma, Schlag gegen die äußeren Genitalien
    • nach sexueller Erregung ohne Ejakulation7
    • als Nebenwirkung bestimmter Medikamente, z. B. selektive Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI; siehe auch Abschnitt „SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer“ im Artikel Depression
    • somatoforme autonome Funktionsstörung des Urogenitalsystems (Näheres siehe Artikel Somatoforme Körperbeschwerden)
    • Näheres zur Differenzialdiagnostik siehe auch Artikel Hodenschmerzen.

Anamnese

  • Liegen disponierende Faktoren vor?
    • Geschlechtsverkehr ohne Kondom
    • instrumentelle Manipulation der Harnwege
    • Trauma
  • Langsam einsetzende einseitige Gewichtswahrnehmung und Schmerzen im Skrotum, strahlen oft in das Abdomen aus.
    • Die Symptome entwickeln sich oft über mehrere Tage (im Gegensatz zur Hodentorsion: akute heftige Schmerzen).
  • Schüttelfrost, Temperaturanstieg bis 39–40 °C
  • Schwellung und Empfindlichkeit in einem Nebenhoden
    • tritt im Kindesalter eher selten auf
  • Meistens gleichzeitig brennendes und häufiges Wasserlassen, manchmal Ausfluss

Klinische Untersuchung

  • Schwellung, Rötung und lokale Überwärmung des Nebenhodens (und Skrotums), in der Regel einseitig
  • Schmerzhafte Palpation der Epididymis (dorsal und kranial vor den Hoden), schmerzempfindlicher Samenstrang
  • Häufig Fieber, auch geschwächter Allgemeinzustand
  • Gleichzeitig kommen Symptome einer Zystitis und Urethritis vor.
  • Prehn-Zeichen
    • Durch Anheben des Skrotums nehmen die Schmerzen bei Epididymitis ab, keine Linderung bei Hodentorsion.
    • Dies ist allerdings kein spezifischer Test zur Erkennung der Epididymitis.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Chlamydien-/Gonokokken-Urintest (PCR), ebenfalls auf Mycoplasma genitalium testen (falls zugänglich)
    • Erststrahlurin: In einem Transportgefäß sammeln.
  • Harnröhrenabstriche zum Nachweis von Chlamydien und Gonokokken
    • Probeentnahme zur Kultivierung auf Stuart-Medium einschicken.
  • Bei Männern über 35 Jahre
  • Blutuntersuchungen ergeben geringe Zusatzinformationen.

Diagnostik beim Spezialisten

  • Ultraschall
    • Kann die Diagnose bestätigen, insbesondere wenn Unsicherheit besteht, ob eine Hodentorsion vorliegt.8
      • Farbdoppler bei Verdacht auf Hodentorsion 
    • Im B-Mode findet sich ein vergrößerter, inhomogener bis hypoechogener Nebenhoden. Zusätzlich kann man eine verdickte Skrotalwand oder eine Begleithydrozele finden.
    • Liegt eine Mitbeteiligung des Hodens vor, so ist der Hoden sonografisch vergrößert, echoarm und vermehrt durchblutet.
  • Urografie und Zystoskopie?

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei hohem Fieber und beeinträchtigtem Allgemeinzustand
  • Wenn eine Hodentorsion oder maligne Erkrankung nicht ausgeschlossen werden kann

Therapie

Therapieziele

  • Infektion heilen
  • Symptome lindern
  • Ansteckung bei sexuell übertragener Infektion verhindern
  • Potenzielle Komplikationen verhindern

Allgemeines zur Therapie

  • Antibiotika und Bettruhe9-10
    • bei Kindern Antibiotika nur bei positiver Urinkultur3
  • Eine frühzeitige Behandlung kann den Schweregrad und das Komplikationsrisiko senken.11
  • Wenn sich beim Patienten nicht innerhalb von 3 Tagen eine Besserung zeigt, sollten sowohl die Diagnose als auch die Wahl der Therapie überprüft werden.

Empfehlungen für Patienten

  • Bettruhe, Analgetika und Kühlung, z. B. mit kalten Umschlägen, können in den ersten Tagen eine Linderung herbeiführen.
  • Evtl. Suspensorium zum Halten und Anheben der Hoden

Medikamentöse Therapie

  • Ohne Erregernachweis wird die Epididymitis bei Erwachsenen wie eine sexuell übertragene nichtgonorrhoische Infektion behandelt:
    • Doxycyclin 100 mg x 2 über 14 Tage.
  • Bei nachgewiesener oder vermuteter Gonorrhö:
    • Ceftriaxon 1–2 g i. m./i. v. plus Azithromycin 1,5 g p. o. als Einmaldosis
      • alternativ zu Ceftriaxon: Ciprofloxacin 500 mg p. o. als Einmaldosis bei nachgewiesener Chinolonempfindlichkeit
    • nachfolgend Doxycyclin 2 x 100 mg für 14 Tage
  • Bei älteren Männern ohne STI-Verdacht:
    • Ofloxacin 200 mg x 2 p. o. über 14 Tage
    • Ciprofloxacin 500 mg x 2 p. o. über 10–14 Tage
  • Bei Nachweis von Mycoplasma genitalium:
    • Azithromycin 500 mg p. o. über 2–5 Tage bzw. 250 mg p. o. über 7 Tage 
      • Therapiekontrolle! Cave: Resistenz!
    • bei Azithromycinresistenz: Moxifloxacin 400 mg x 1 tgl. p. o. über 7–10 Tage.
  • Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patienten mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.
  • Symptomatische Behandlung mit Analgetika oder Antiphlogistika (NSAR)
  • Bei ausgeprägten oder unakzeptablen Schmerzen oder Verdacht auf eine systemische Infektion sollte die stationäre Einweisung erfolgen.5

Chronische Epididymitis

  • Seltene Erkrankung
  • Therapie: NSAR über 2 Wochen, Kühlung und Hochlagerung des Hodens 
  • Bei unzureichendem Therapieeffekt kann man versuchen, mit einem trizyklischem Antidepressivum oder mit Gabapentin zu behandeln (Off-label-Use).5 

Prävention

  • Kondome zur Vorbeugung einer sexuell übertragenen akuten Epididymitis verwenden.
  • Prophylaktische Antibiotika für ältere Männer, bei denen eine instrumentelle Manipulation der unteren Harnwege vorgenommen wird.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Erkrankung entwickelt sich langsam, und der Hodensack kann nach der akuten Phase mehrere Wochen bis Monate angeschwollen sein.

Komplikationen

  • Komplikationen treten selten auf.
    • Abszessbildung, testikuläre Ischämie, epididymale Obstruktion, chronische Schmerzen, Sterilität

Prognose

  • Die Symptome gehen bei wirksamer Antibiotikatherapie rasch zurück, jedoch können Restbeschwerden noch Wochen weiterbestehen.2
  • Eine inadäquat behandelte Epididymitis kann, insbesondere bei einer sexuell übertragenen Krankheit, in seltenen Fällen zu epididymaler Obstruktion oder testikulärer Atrophie und späteren Fertilitätseinschränkungen führen.

Verlaufskontrolle

  • Bei einer sexuell übertragenen Erkrankung ist eine Kontrolluntersuchung nach der Behandlung notwendig.
    • Auch den Sexualpartnern ist eine Untersuchung und Mitbehandlung nahezulegen.
    • Kontrolle nach ca. 1 Monat
  • Bei nicht sexuell übertragener Krankheit und Nichtansprechen auf die Behandlung ist eine urologische Untersuchung angezeigt.
    • Bei Männern über 50 Jahren an Prostatahyperplasie denken!
    • Ist der Palpationsbefund auffällig, sollte eine Sonografie des Skrotums/der Hoden erfolgen.
    • Ausschluss eines zugrunde liegenden Hodentumors

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Beckenorgane, Mann
Beckenorgane, Mann
Normale Hoden.
Normale Hoden
Epididymitis
Epididymitis

Quellen

Literatur

  1. Tracy CR, Steers WD, Costabile R. Diagnosis and management of epididymitis. Urol Clin North Am 2008; 35: 101-8. PMID: 18061028 PubMed
  2. McConaghy JR, Panchal B. Epididymitis: an overview. Am Fam Physician 2016; Nov 1;94(9): 723-726. pmid:27929243 PubMed
  3. Santillanes G, Gausche-Hill M, Lewis RJ. Are antibiotics necessary for pediatric epididymitis?. Pediatr Emerg Care 2011; 27: 174-8. PubMed
  4. Redshaw JD, Tran TL, Wallis MC, deVries CR. Epididymitis: a 21-year retrospective review of presentations to an outpatient urology clinic. J Urol 2014; 192(4): 1203–1207. pmid:24735936 PubMed
  5. Tracy CR, Steers WD, Costabile R.. Diagnosis and management of epididymitis. Urol Clin North Am. 2008; 35(1): 101–108. pmid:18061028 PubMed
  6. Chan PT, Schlegel PN. Inflammatory conditions of the male excurrent ductal system: part I. J Androl 2002; 23: 453-460. PubMed
  7. Chalett JM, Nerenberg LT. "Blue balls": A diagnostic consideration in testiculoscrotal pain in young adults: A case report and discussion. Pediatrics 2000; 106(4): 843. PMID: 11015532 PubMed
  8. Remer EM, Casalino DD, Arellano RS, et al. ACR appropriateness criteria: acute onset of scrotal pain - without trauma, without antecedent mass. Ultrasound Q 2012; 28: 47-51. PubMed
  9. Workowski KA, Berman S; Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Sexually transmitted diseases treatment guidelines, MMWR Recomm Rep 2010; 59(RR-12): 1-110. www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Centers for Disease Control and Prevention. Update to CDC's sexually transmitted diseases treatment guidelines, 2010: oral cephalosporins no longer a recommended treatment for gonococcal infections. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2012: 61; 590-594. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Luzzi GA, O'Brien TS. Acute epididymitis. BJU Int 2001; 87: 747-755. PubMed

Autoren

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Nicola Herzig, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sandnes (Norwegen)

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