Tourismus und sexuell übertragbare Krankheiten

Allgemeine Informationen

Definition

  • STD (Sexually Transmitted Diseases) steht für sexuell übertragbare Erkrankungen.
  • STD im engeren Sinn: ICD-Kapitel A50-A64
  • Im weiteren Sinn gehören auch zu den STD:

Häufigkeit

  • Eine retrospektive Erhebung in gynäkologischen Praxen in den Jahren 2013–2015 mit insgesamt mehr als 1 Mio. Patientinnen zeigte, dass Chlamydien-Infektionen mit 0,59 % Prävalenz die häufigste STD waren.1
  • Eine ähnliche Studie in urologischen Praxen im selben Zeitraum bei mehr als 300.000 Männern ergab folgenden Prävalenzen:
    • STD gesamt (nur ICD-Kapitel A50-A64): 1,25 %
    • anogenitale Warzen: 0,64 %
    • Chlamydien: 0,36 %
    • Gonorrhoe: 0,12 %
    • Anogenitale Infektion mit Herpesviren: 0,09 %
    • Trichomoniasis: 0,05 %
    • Syphilis: 0,03 %

Diagnostische Überlegungen

  • Bei Geschlechtsverkehr mit Menschen aus Staaten mit hohem medizinischem Versorgungsstandard
  • Bei Geschlechtsverkehr mit Menschen aus Staaten mit niedrigem medizinischem Versorgungsstandard:
  • Einige sexuell übertragbare Infektionen verlaufen in bis zu 90 % der Fälle asymptomatisch, z. B. Infektionen mit:
    • Chlamydia trachomatis
    • Neisseria gonorrhoea
    • Herpes-simplex-Virus
    • Trichomonas vaginalis

Konsultationsgrund

  • Einige Patient*innen suchen vor der Abreise ihre Ärzt*innen zur Beratung auf.
  • Viele Patient*innen suchen ärztliche Hilfe, nachdem sie ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten, in der Sorge, sich möglicherweise infiziert zu haben.
  • Einige Patient*innen suchen ärztliche Hilfe, weil sie an sich Anzeichen einer Krankheit entdecken.

Abwendbar gefährliche Verläufe

  • Koinfektionen sind häufig, die Möglichkeit mehrerer gleichzeitiger Infektionen prüfen.

ICD-10

  • A50-A64: Infektionen, die vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden
    • A51.- Frühsyphilis
    • A52.- Spätsyphilis
    • A53.- Sonstige und nicht näher bezeichnete Syphilis
    • A54.- Gonokokkeninfektion
    • A55 Lymphogranuloma inguinale (venereum) durch Chlamydien
    • A56.- Sonstige durch Geschlechtsverkehr übertragene Chlamydienkrankheiten
    • A57 Ulcus molle (venereum)
    • A58 Granuloma venereum (inguinale)
    • A60.- Infektionen des Anogenitalbereiches durch Herpesviren [Herpes simplex]
    • A63.- Sonstige vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheiten, anderenorts nicht klassifiziert
  • B15-B19: Virushepatitis
    • B15.- Akute Virushepatitis A
    • B16.- Akute Virushepatitis B
    • B17.- Sonstige akute Virushepatitis
      • B17.1 Akute Virushepatitis C
  • B20-B24: HIV-Krankheit [Humane Immundefizienz-Viruskrankheit]

Differenzialdiagnosen

Weit verbreitete Infektionen

Seltenere Infektionen

Granuloma inguinale (Donovanosis)2 

  • Ursachen
    • Sexuell übertragbare Krankheit, die durch das Bakterium Klebsiella granulomatosis verursacht wird (Calymmatobacterium granulomatis).
  • Häufigkeit
    • sehr selten
    • Tritt endemisch im westlichen Neuguinea, der Karibik, Südindien, Südafrika, Südostasien, Australien und Brasilien auf.
    • Tritt vermehrt bei Männern und unter ungünstigen sozioökonomischen Bedingungen auf. Selten werden Erkrankungsfälle nach Europa eingeschleppt.
  • Infektionsweg
    • Der Erreger wird durch sexuelle Kontakte übertragen, die Kontagiosität ist relativ gering. Eine indirekte Übertragung durch kontaminiertes Material ist möglich. Autoinfektionen durch Übertragung von Erregern aus entzündlichen Läsionen auf andere Schleimhäute werden beobachtet.
  • Anamnese und Befund
    • Inkubationszeit von 1 Woche bis 3 Monate
    • Ausschlag auf den äußeren Genitalien von unterschiedlicher Morphologie
    • Am typischsten sind große, ausgeprägte, meist schmerzlose Ulzera im Anogenitalbereich mit reinem, glattem Grund und deutlichen, erhabenen Rändern.
    • Die Wunden sind in der Regel offen und bluten leicht.
    • Evtl. Lymphadenopathie als Folge einer sekundären Bakterieninfektion
    • evtl. Lymphstau und Ödeme
  • Diagnostik
    • Das Bakterium ist schwer anzüchtbar.
    • Erregernachweis mikroskopisch im nach Giemsa gefärbten Quetschpräparat von kurettiertem Gewebe (intrazellulär bipolar angefärbte, kokkoide Stäbchen, sog. Donovan-Körperchen) oder mittels PCR
  • Maßnahmen
    • Expositionsprophylaxe
    • Doxycyclin, Azithromycin, Ciprofloxacin, Erythromycin Base (Behandlungsdauer 21 Tage bzw. bis zum vollständigen Abheilen der Läsionen)
        • Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.
    • Chirurgische Eingriffe können notwendig sein (Wunddébridement, Exzisionen).
    • Für Erkrankte gilt eine sexuelle Abstinenz bis zum Abschluss der Behandlung und völligen Abheilen der Läsionen. Sexualpartner*innen sollten mit deren Einverständnis beraten, untersucht und ggf. behandelt werden (Kontrolle nach 3 Monaten sinnvoll).
  • Meldepflicht
    • keine krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht nach dem IfSG

 Humanes T-lymphotropes Virus (HTLV)

  • Ursachen
    • HTLV-1 und -2 können durch sexuellen Kontakt, durch Blutkontakt oder von der Mutter auf das Kind übertragen werden, entweder durch Stillen oder bei der Geburt.
    • Frauen haben ein signifikant höheres Risiko, sich beim Geschlechtsverkehr zu infizieren, als Männer.
  • Häufigkeit 
    • sehr selten
    • HTLV-1 wurde erstmals 1979/80 nachgewiesen. Ursprüngliche Verbreitungsgebiete sind Japan, die Karibik, Nord- und Südamerika, Melanesien, Nordiran und Afrika.
    • 96–99 % der Infektionen verlaufen asymptomatisch.
  • Anamnese und Befund 
    • HTLV-1 kann zwei Krankheitsbilder auslösen: eine hoch aggressive Leukämie des Erwachsenen (adulte T-Zell-Leukämie, ATL) und eine zentralnervöse Erkrankung, die tropische spastische Paraparese (TSP).
    • Die durch HTLV verursachten Leukämien sind gekennzeichnet durch Hautveränderungen, Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Lymphome der Haut, z. B. an den Beinen, Hyperkalzämie.
    • Die tropische spastische Paraparese ist eine chronisch progrediente, demyelinisierende Erkrankung.
  • Ergänzende Untersuchungen
    • serologischer Nachweis des Virus
  • Maßnahmen
    • Es existiert keine kurative Behandlung und kein Impfstoff; Chemotherapie.

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Sorgfältige Inspektion der äußeren Genitalien
  • Inspektion und Palpation lokaler Lymphknoten
  • Bei Verdacht auf eine systemische Erkrankung sollte eine allgemeine klinische Untersuchung durchgeführt werden.
  • Symptome, die bei entsprechenden Risikosituationen auf eine STI hinweisen können, sind:
    • Dysurie mit oder ohne urethralen Fluor (bei Frauen, bei Männern)
    • vaginaler Fluor
    • Ulkus (anogenital, oral)
    • sonstige Hautveränderungen in der Anogenitalregion
    • Ausschlag (sog. „Rash“, Enanthem)
    • Lymphknotenschwellung im Leistenbereich
    • azyklische vaginale Blutungen/Kontaktblutung
    • Unterbauchschmerzen (Pelvic Pain) bei Frauen, mit und ohne Dyspareunie
    • anorektales Syndrom (rektale Blutung, Defäkationsschmerz, Sekretion)
  • Leberzeichen (Näheres siehe Artikel Hepatitis B)
  • Spezifische Untersuchungen je nach klinischem Verdacht (siehe Artikel zu den einzelnen STD)

Ergänzende Untersuchungen 

Asymptomatische Patient*innen

Symptomatische Patient*innen

  • Sie sollten an Spezialist*innen für Geschlechtskrankheiten überwiesen werden, je nach Situation Dermatologie/Venerologie, Gynäkologie, Urologie.

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Genitalulzera: Abstrichproben auf Herpes (bei Frauen, bei Männern), Syphilis, weicher Schanker
  • HIV-Diagnostik nach möglicher Exposition und bei jedem klinischen Verdacht
  • Einweisung bei schweren Verläufen
  • Kontaktpartner*innen aus dem Urlaub und zu Hause sollten (bei Zustimmung) informiert und ggf. mitbehandelt werden.

Beratung vor der Abreise

  • Information über Safer Sex und das Risiko sexuell übertragbarer Erkrankungen
  • Impfberatung
    • Die Hepatitis-B-Impfung ist eine Indikationsimpfung für erwachsene Personen mit hoher Infektionsgefährdung, die im Kindes- oder Jugendalter nicht geimpft wurden. Dazu zählen auch sexuelle Risiken wie wechselnde Sexualpartner*innen oder Sexualkontakte zu HBs-Ag-Träger*innen sowie ggf. auch Risiken bei Reisen außerhalb Europas.
    • Die Impfung gegen Hepatitis A ist eine Indikationsimpfung für Personen mit einem Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung (speziell bei oral-analen Praktiken).
    • Die Impfung gegen Infektionen mit dem humanen Papillovirus (HPV) ist eine Standardimpfung für alle Mädchen und Jungen von 9–14 Jahren, Nachholimpfung bis zum vollendeten 17. Lebensjahr.

 HIV: postexpositionelle Prophylaxe (PEP)

  • Näheres siehe Artikel HIV-Infektion und AIDS.
  • Das HIV-Übertragungsrisiko hängt von verschiedenen Faktoren ab:
    • Höhe der Viruslast
    • Sexualpraktiken (Analverkehr hohes Risiko, Oralverkehr gering)
    • erhöht bei gleichzeitigem Vorliegen einer STD (z. B. Syphilis)

Sex mit HIV-infizierter Person

  • Ungeschützter (z. B. infolge eines geplatzten Kondoms) insertiver oder rezeptiver vaginaler oder analer Geschlechtsverkehr mit einer bekannt HIV-infizierten Person:
    • PEP empfehlen, wenn die Indexperson unbehandelt oder die Viruslast > 1.000 Kopien/ml oder der Behandlungsstatus nicht eruierbar ist
    • PEP anbieten, wenn Viruslast der Indexperson 50–1.000 Kopien/ml
    • keine PEP-Indikation, wenn Indexperson wirksam behandelt ist (Viruslast < 50 Kopien/ml)

Bei unbekanntem HIV-Status der Partner*innen

  • PEP anbieten:
    • nach ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr (einschließlich Vergewaltigung und anderen Formen sexualisierter Gewalt), wenn die Wahrscheinlichkeit, dass bei den Sexualpartner*innen eine unbekannte oder nicht behandelte HIV-Infektion vorliegen könnte, erhöht ist, z. B.:
      • bei Sex zwischen Männern – oder –
      • bei Heterosexuellen, wenn die Sexualpartner*innen aktiv Drogen i. v. konsumieren, aus einer HIV-Hochprävalenzregion (z. B. Subsahara-Afrika) kommen oder bisexuell sind
  • Keine PEP-Indikation bei:
    • Oralverkehr
      • unabhängig von der Wahrscheinlichkeit, mit der bei den Sexualpartner*innen eine unbehandelte HIV-Infektion vorliegen könnte und unabhängig von der Art des Oralverkehrs (aktiv, passiv, Sperma aufnehmend)
    • Küssen
    • Kontakt von HIV mit Haut

Quellen

Literatur

  1. Jacob L, Böhler F, Kalder M, Kostev K. Prevalence and treatment of sexually transmitted diseases in gynecological practices in Germany: A retrospective study with more than 1,000,000 patients
. Int J Clin Pharmacol Ther 2018; 56: 212-16. PMID: 29393849 PubMed
  2. International Union against Sexually Transmitted Infections (IUSTI). 2016 European guideline on donovanosis. Stand 2016. iusti.org

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg

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