Zusammenfassung
- Definition:Angeborene frühembryonale Fehlbildung des kraniozervikalen Übergangs mit Tiefstand des Kleinhirns und des Hirnstamms durch das Foramen magnum.
- Häufigkeit:Inzidenz von 1 pro 25.000 Neugeborenen. Arnold-Chiari-Malformation Typ I ist die häufigste Form.
- Symptome:ACM Typ I–IV mit variabler Ausprägung. Bei der häufigsten Form (ACM Typ I) sind Kopfschmerzen, Schwindel, Koordinationsstörungen und Hirnnervenausfälle möglich, z. T. auch asymptomatische Verläufe.
- Befunde:Hirnnervenstörungen, Nystagmus, Ataxie. Möglicherweise assoziierte, offensichtliche Fehlbildungen (z. B. Spina bifida, Enzephalozele).
- Diagnostik:Zerebrale MRT-Bildgebung ist wesentlich zur Diagnosestellung.
- Therapie:Bei fehlender oder geringer Symptomatik (ACM Typ I) konservatives Vorgehen. Operative Therapie mittels subokzipitaler Dekompression und ggf. weitere Interventionen (z. B. Shuntversorgung bei Hydrozephalus).
Allgemeine Informationen
Definition
- Die Arnold-Chiari-Malformation (ACM) beschreibt angeborene, frühembryonale Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs mit Ektopie des Kleinhirns1-2
- Es besteht eine Assoziation zur Syringomyelie.3
Häufigkeit
- Inzidenz von 1 pro 25.000 Neugeborenen
- Der ACM Typ I ist die häufigste Form.2
Ätiologie und Pathogenese
Ätiopathogenese1-2
- Ursachen
- Störung der Organogenese (kraniozervikale Dysgenesie) in der frühen Phase (5.–6. Embryonalwoche)
- ACM Typ I zusätzlich sekundär durch Herniation des Kleinhirns bei intrauterinem Hydrozephalus möglich2
- Zusammenhang der Entstehung mit Syringomyelie embryologisch noch unklar1
- Anatomie
- Verlagerung von Teilen des Kleinhirns (Ektopie) in den oberen Zervikalkanal durch das Foramen magnum
- Ursache der Ektopie ist möglicherweise eine anlagebedingt zu kleine knöcherne Fossa cranii posterior.
- Auswirkungen
- Verlegung des Liquorsystems (v. a. Aquädukt) und Liquorabflussstörungen (Hydrozephalus in ca. 2/3 der Fälle)
- Dehnung der kaudalen Hirnnerven mit Ausfällen
- Dehnung der oberen zervikalen Spinalnerven mit Ausfällen
ICD-10
- Q07.0 Arnold-Chiari-Syndrom
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Arnold-Chiari-Malformationen (Typ I–IV) umfassen ein Spektrum seltener kongenitaler Fehlbildungen mit variablem Ausmaß und Beginn von Symptomen.1
Arnold-Chiari-Malformation Typ I1-2
- Definition
- Tiefstand der Kleinhirntonsillen (Ektopie nach kaudal ≥ 5 mm durch das Foramen magnum)
- IV. Ventrikel und Hirnstamm häufig nicht beeinträchtigt
- Symptome
- mildeste Form, z. T. ohne Auffälligkeiten bei Geburt
- Symptombeginn oft erst im Erwachsenenalter (40.–50. LJ) oder asymptomatisch
- Komorbidität
- Hydrozephalus (9 %)4
- Syringomyelie (20–70 %)2
- weitere kraniozervikale Übergangsanomalien1-2
Arnold-Chiari-Malformation Typ II2
- Definition
- komplexe Fehlbildungen des kraniozervikalen Überganges und zusätzlich des Großhirns (z. B. Balkenatrophie, Kolpozephalie)
- Ektopie und Herniation des Hirnstamms, Kleinhirns und IV. Ventrikels durch das Foramen magnum
- Symptome
- klinische Auffälligkeiten und Hydrozephalus meist bei Geburt, selten erst im Erwachsenenalter
- Zeichen der Hirnstammkompression (Schluckstörung, Stridor, Apnoen, Muskelschwäche)
- Komorbidität
- Meningozele bzw. Meningomyelozele
- Syringomyelie (20 %)
- Hydromyelie (40 %)
Arnold-Chiari-Malformation Typ III2
- Definition
- sehr seltene Fehlbildung
- zusätzlich zur ACM Typ II äußere Herniation von Hirngewebe (okzipitale/zervikale Enzephalozele) und zervikale Spina bifida
- Symptome
- schwere neurologische Defizite mit schlechter Prognose
Arnold-Chiari-Malformation Typ IV2
- Definition
- extrem seltene Fehlbildung mit Kleinhirnagenesie
- umstrittene Entität, da keine Ektopie, sondern fehlende Anlage des Kleinhirns
Differenzialdiagnosen
- Komorbiditäten sind häufig.1-2,4
- Hydrozephalus1
- Neuralrohrdefekte, z. B. Spina bifida1-2
- Enzephalozele2
- Dandy-Walker-Malformation1
- Agenesie oder Hypoplasie des Kleinhirns mit zystischer Erweiterung des IV. Ventrikels
Anamnese
Symptome2,4
- Kopfschmerzen (häufigstes Symptom)
- Schwindel
- Nystagmus
- Koordinationsstörungen (Ataxie)
- Gleichgewichtsstörungen
- Hörminderung und Hörverlust
- Skoliose
- Schiefhals (Torticollis)
- Hirnnervenausfälle
- Schluckstörung
- Atemstörungen (Apnoe)
- Sensibilitätsstörungen
- Muskelschwäche (bis Tetra-/Paraspastik)
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche Untersuchung
- Orientierende neurologische Untersuchung mit Augenmerk auf:1-2,4
- Hirnnervenstatus
- Koordination
- Okulomotorik
- sensible oder motorische Defizite
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Keine
Diagnostik bei Spezialist*innen – Bildgebung
- MRT des Schädels1-2
- ACM Typ I
- Kleinhirntiefstand (≥ 5 mm durch das Foramen magnum)
- ACM Typ II–III
- Herniation der Kleinhirntonsillen, des Hirnstamms und des IV. Ventrikels in den Zervikalkanal sowie Hydrozephalus
- geringes Volumen der knöchernen Fossa cranii posterior
- assoziierte Veränderungen2
- z. B. Syringomyelie, Enzephalozele, Meningozele
- ACM Typ I
- Arnold-Chiari-Malformation Typ I gelegentlich inzidenteller Befund bei zerebraler Bildgebung aus anderer Indikation1
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung Überweisung zu Pädiater*innen oder Neurolog*innen
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie richtet sich nach der Ausprägung der Symptome.
- Bei Symptomfreiheit bzw. ACM Typ I mit geringer Symptomatik in der Regel konservatives Vorgehen2
- Eine optimale operative Behandlungsstrategie ist noch umstritten.1
Operative Therapie
- Operative subokzipitale Dekompression1-2,4-5
- Durchführung bei Zeichen der Hirnstammkompression, Hirnnervenparesen, symptomatischer Syringomyelie
- Eröffnung und Dekompression der knöchernen Fossa cranii posterior, ggf. mit Anpassung und Ausweitung der Operation1
- Auswirkungen der Operation1,4
- Rückverlagerung der Kleinhirntonsillen in die regelrechte Position
- Auflösung der Syrinx
- Verbesserung insbesondere beim Leitsymptom Kopfschmerzen
- Hydrozephalus1-2,4
- Behandlung mittels Shuntoperation
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Arnold-Chiari-Malformation Typ I mit variablem Verlauf (z. T. asymptomatisch oder mit Manifestation im späten Erwachsenenalter)
- Arnold-Chiari-Malformation Typ II–IV meist mit Auswirkungen kurz nach der Geburt und variablem Verlauf
- Postoperativer Verlauf bei Kindern mit ACM Typ I und Operation4
- Entlassung aus dem Krankenhaus im Durchschnitt nach 3 Tagen
- Rückkehr in die Schule im Durchschnitt nach 12 Tagen
Komplikationen
- Hydrozephalus1-2
- Syringomyelie1-2,4
- Assoziierte Fehlbildungen (Neuralrohrdefekte, Spina bifida)1-2
- Komplikationen der operativen Therapie (z. B. Infektionen, Liquorleck)5
Prognose
- Abhängig vom Ausmaß der Fehlbildungen
- ACM Typ I mit in der Regel normaler Lebenserwartung
- ACM Typ II : Eine frühzeitige operative Intervention (Dekompression, Shunt) ist nötig, um fortschreitende neurologische Verschlechterung zu verhindern.2
- ACM Typ III mit niedriger Lebenserwartung
Illustrationen

MRT bei Arnold-Chiari-Malformation Typ I. Der Pfeil zeigt auf die deutlich hernierenden Kleinhirntonsillen. Die blaue Linie markiert die Ebene des Foramen magnum (Quelle: Wikimedia Commons).
Quellen
Literatur
- Rosenblum JS, Pomeraniec IJ, Heiss JD. Chiari Malformation (Update on Diagnosis and Treatment). Neurol Clin. 2022;40(2):297-307. doi:10.1016/j.ncl.2021.11.007 doi.org
- Hadley DM. The Chiari malformations. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2002;72 Suppl 2(Suppl 2):ii38-ii40. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Speer MC, Enterline DS, Mehltretter L, et al. Chiari type I malformation with or without syringomyelia: prevalence and genetics. J Genet Couns. 2003;12:297-311. PubMed
- Tubbs RS, Beckman J, Naftel RP, et al. Institutional experience with 500 cases of surgically treated pediatric Chiari malformation Type I. J Neurosurg Pediatr. 2011;7(3):248-256. doi:10.3171/2010.12.PEDS10379 doi.org
- Alfieri A, Pinna G. Long-term results after posterior fossa decompression in syringomyelia with adult Chiari Type 1 malformation. J Neurosurg Spine 2012;17(5):381-7 PubMed
Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg