Anstrengungsinduzierte Kopfschmerzen

Zusammenfassung

  • Definition:Kopfschmerz, hervorgerufen durch jede Form von körperlicher Anstrengung bei fehlender intrakranieller Erkrankung.
  • Häufigkeit:Variierende Daten zur Prävalenz, ca. 1–13 %. Erstmanifestation am häufigsten im jungen Erwachsenenalter.
  • Symptome:Pulsierender, bilateraler Kopfschmerz, Dauer 5 Minuten bis 48 Stunden.
  • Befunde:Klinischer Befund unauffällig.
  • Diagnostik:Klinische Diagnose, bei erstmaligem Auftreten rasche Bildgebung zum Ausschluss einer ernsthaften Pathologie (v. a. Blutung, Dissektion).
  • Therapie:Am wichtigsten sind Allgemeinmaßnahmen: Vermeidung der auslösenden Aktivität, allmähliche Steigerung des Belastungslevels von körperlichen Anstrengungen, keine Anstrengung bei Hitze und in großer Höhe. Evtl. ergänzende medikamentöse Therapie mit NSAR (Indometacin).

Allgemeine Informationen

Definition

  • Kopfschmerz, hervorgerufen durch jede Form von körperlicher Anstrengung bei fehlender intrakranieller Erkrankung1

Klassifikation1

  • Der Anstrengungskopfschmerz gehört zu den primären Kopfschmerzerkrankungen, diese umfassen:
    1. Migräne
    2. Kopfschmerz vom Spannungstyp
    3. trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen
    4. andere primäre Kopfschmerzerkrankungen.
  • Die „anderen primären Kopfschmerzen“ werden wiederum in zehn Kopfschmerzformen unterteilt, darunter der primäre Anstrengungskopfschmerz.

Häufigkeit

  • Wenig eindeutige Daten zur Epidemiologie
  • Prävalenz
    • In verschiedenen Studien werden stark divergierende Prävalenzen von ca. 1–13 % angegeben.2-3
  • Alter
    • gehäuftes Auftreten in der Adoleszenz3
  • Geschlecht
    • wahrscheinlich bei Frauen etwas häufiger3
  • Komorbide Kopfschmerzen
    • Migräne (40–50 %) und Kopfschmerz bei sexueller Aktivität sind häufige Komorbiditäten.3-4

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Pathophysiologie ist bisher ungeklärt.
  • Als mögliche Mechanismen werden v. a. vaskuläre Störungen diskutiert, u. a.:1,5
    • gestörte zerebrovaskuläre Autoregulation mit inadäquater Vasodilatation während der Anstrengung
    • venöser Rücktransport mit intrakranieller venöser Stauung bei Klappeninsuffizienz der Jugularvenen.
  • Der Kopfschmerz kann durch jede stärkere körperliche Anstrengung ausgelöst werden, die zu einem deutlichen Pulsanstieg führt.6
  • Gewöhnlich geht dem primären Anstrengungskopfschmerz eine länger anhaltende körperliche Anstrengung voraus (im Gegensatz z. B. zum primären Hustenkopfschmerz).1

Prädisponierende Faktoren

  • Hohe Außentemperaturen/Hitze1
  • Große Höhen1

ICPC-2

  • N01 Kopfschmerz

ICD-10

  • G44 Sonstige Kopfschmerzsyndrome
    • G44.8 Sonstige näher bezeichnete Kopfschmerzsyndrome

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die International Headache Society (IHS) hat 2018 mit der 3. Ausgabe der International Classification of Headache Diseases (ICHD-3) folgende diagnostische Kriterien veröffentlicht:1
    • A. Mindestens zwei Kopfschmerzepisoden, die die Kriterien A und B erfüllen
    • B. Ausgelöst von oder nur auftretend während anstrengender körperlicher Betätigung
    • C. Dauer < 48 Stunden
    • D. Durch keine andere ICHD-3-Diagnose besser beschrieben

Differenzialdiagnosen

  • Migräne
    • Knapp die Hälfte der Patient*innen mit anstrengungsbedingtem Kopfschmerz haben auch eine Vorgeschichte mit Migräne, sodass hier eine besonders sorgfältige Anamnese zur Unterscheidung notwendig ist.3
  • Andere primäre Kopfschmerzformen wie primärer Hustenkopfschmerz, primärer Sexualkopfschmerz1
  • Subarachnoidalblutung (SAB)
    • explosionsartiger Kopfschmerz mit ggf. Bewusstseinseintrübung, in der Regel durch eine Aneurysmaruptur
  • Intrakranielle Blutung (z. B. durch arteriovenöse Malformation)
  • Meningitis/Enzephalitis7
  • Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS)
    • starke Kopfschmerzen mit Vigilanzminderung, Frauen häufiger betroffen, Altersgipfel um 40. LJ
    • reversible Vasokonstriktionen in der CT- oder MRT-Angiografie
  • Zervikalarteriendissektion
  • Idiopathische intrakranielle Hypertension7
  • Sinusvenenthrombose/Hirnvenenthrombose
  • Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis)
  • Phäochromozytom
  • Kardialer Kopfschmerz
    • seltener Kopfschmerz im Rahmen einer belastungsbedingten kardialen Ischämie, Besserung durch antianginöse Therapie7-8
  • Arnold-Chiari-Syndrom

Anamnese und klinische Untersuchung

Anamnese

  • Art des Kopfschmerzes, typischerweise:
    • bilateral
    • pochend, pulsierend.
  • Beginn
    • bei > 50 % innerhalb von 30 min nach Beginn der Anstrengung3
  • Dauer
    • 5 min bis max. 48 h, häufig Minuten bis einige Stunden
  • Frequenz
    • sehr unterschiedliche Angaben in der Literatur (zwischen tgl. und 1 x pro 2 Monate)8
  • Vegetative Symptome
    • häufig keine6

Klinische Untersuchung

  • Keine krankheitsspezifischen Befunde, normaler neurologischer Status

Red Flags

  • Symptome und Befunde, die auf einen sekundären Kopfschmerz verdächtig sind:9
    • plötzlicher schwerer Kopfschmerz
    • über mehrere Tage zunehmender Kopfschmerz
    • neuartiger Kopfschmerz, Änderungen des bekannten Kopfschmerzmusters
    • anhaltender einseitiger Kopfschmerz
    • fokale neurologische Defizite
    • Nackensteifigkeit
    • Kopfschmerzen, die zum Erwachen führen.
    • extrakranielle Symptome (Nebenhöhlen, Augen, Ohren)
    • systemische Symptome (Fieber, Gewichtsverlust, Krankheitsgefühl).

Ergänzende Untersuchungen

  • Bei Erstmanifestation eines anstrengungsbedingten Kopfschmerzes sollte eine rasche Abklärung im Hinblick auf bedrohliche Ursachen eines sekundären Kopfschmerzes erfolgen.3
  • Obligatorisch sind gemäß ICHD-3 der Ausschluss einer Subarachnoidalblutung, einer arteriellen Dissektion und eines reversiblen zerebralen Vasokonstriktionssyndroms.1

CT/CT-Angiografie

  • Im Allgemeinen Methode der Wahl zum schnellen Ausschluss einer Blutung und Darstellung vaskulärer Veränderungen

MRT/MR-Angiografie

  • Weiterführende Abklärung bei V. a. sekundären Kopfschmerz, insbesondere bei Patient*innen > 40 Jahre6,10

Lumbalpunktion

  • Bei V. a. entzündlichen Prozess

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Erstmanifestation Klinikeinweisung und Bildgebung
  • Ggf. Überweisung zur weiteren neurologischen Abklärung

Therapie

Therapieziel

  • Häufigkeit und Intensität der Kopfschmerzattacken reduzieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung basiert auf:
    • Allgemeinmaßnahmen
    • medikamentöser Therapie.

Allgemeinmaßnahmen

  • Mögliche Maßnahmen sind:3
    • Vermeidung von Triggern
    • verlängertes Aufwärmen vor Belastungen
    • allmähliche Steigerung des Belastungslevels über Wochen/Monate
    • Verzicht auf einengende Kopfbedeckung
    • Vermeidung von Anstrengungen bei Hitze
    • Vermeidung von Anstrengungen in großer Höhe.

Medikamentöse Therapie

  • Wenig Evidenz, nur wenige kleine Studien und Fallberichte
  • NSAR
    • Am häufigsten wird Indometacin empfohlen.11
    • z. B. als Kurzzeitprophylaxe mit 25–50 mg Indometacin 1 h vor einer körperlichen Belastung
    • bei häufigerem Auftreten bis 3 x 25–50 mg tgl.
  • Betablocker
    • Für Propranolol wurde Wirksamkeit berichtet, Alternative vor allem bei Unverträglichkeit von NSAR10,12
    • z. B. Propranolol 3 x 20–80 mg/d
  • Triptane
    • Option bei Patient*innen mit begleitender Migräne/migräneähnlicher Symptomatik5

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Keine

Verlauf und Prognose

  • Es handelt sich grundsätzlich um eine gutartige Erkrankung.11
  • Bei den meisten Patient*innen erfolgt innerhalb von Monaten oder einigen Jahren ein spontanes Abklingen der Beschwerden.3

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • International Headache society. The International Classification of Headache Disorders 3rd edition 2018. www.ichd-3.org

Literatur

  1. Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS). The International Classification of Headache Disorders 3rd edition 2018 (ICHD-3). www.ichd-3.org
  2. Sjaastad O, Bakketeig LS. Exertional headache. I. Vaga study of headache epidemiology. Cephalalgia 2002; 22: 784. PubMed
  3. Sandoe C, Kingston W. Exercise Headache: a Review. Current Neurology and Neuroscience Reports 2018; 18: 28. doi:10.1007/s11910-018-0840-8 DOI
  4. Sjaastad O, Bakketeig LS. Exertional headache – II. Clinical features Vaga study of headache epidemiology. Cephalalgia 2003; 23: 803-7. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Wang S, Fu J. The “Other” Headaches: Primary Cough, Exertion, Sex, and Primary Stabbing Headaches. Curr Pain Headache Rep 2010; 14: 41-46. doi:10.1007/s11916-009-0083-0 DOI
  6. Colombo B, Filippi M. Other primary headaches. Cough headache, nummular headache and primary exercise headache: a secondary point of view. Neurological Sciences 2020; 41: S377–S379. doi:10.1007/s10072-020-04689-8 DOI
  7. Upadhyaya P, Nandyala A, Ailani J. Primary Exercise Headache. Current Neurology and Neuroscience Reports 2020; 20: 9. doi:10.1007/s11910-020-01028-4 DOI
  8. Bahra A. Other primary headaches—thunderclap‐, cough‐, exertional‐, and sexual headache. Journal of Neurology 2020; 267: 1554–1566. doi:10.1007/s00415-020-09728-0 DOI
  9. Mc Crory P. Headaches and Exercise. Sports Med 2000; 30: 221-229. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Halker R, Vargas B. Primary Exertional Headache: Updates in the Literature. Curr Pain Headache Rep 2013; 17: 337. doi:10.1007/s11916-013-0337-8 DOI
  11. Allena M, Rossi P, Tassorelli C. Focus on therapy of the Chapter IV headaches provoked by exertional factors: primary cough headache, primary exertional headache and primary headache associated with sexual activity. J Headache Pain 2010; 11: 525-530. doi:10.1007/s10194-010-0261-9 DOI
  12. Exercise Headache. Mayo Clinic patient care and health information. Zugriff 17.09.2022. www.mayoclinic.org

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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